Hakan allein in New York

Foto , CC 2.0 , by Alleinstagram

Also, mein Kalender platzt. An jedem Tag habe ich mindestens zwei „Termine“. Interviews, Konferenzen, Firmenbesuche, Kaffee-Trinkerei, Handshakes, Fragen stellen. Oft drei Termine.

Was lustig ist, denn normalerweise versuche ich diese Regel einzuhalten: Wenn ich einen neuen Menschen treffe, will ich die Person erst dann danach fragen, was sie so arbeitet/macht, wenn es ansonsten nichts zu bereden gibt.  Das dauert meist sehr lange und ich habe die Erfahrung gemacht, dass es dann ganz gute Gespräche sind, meistens. Aber aktuell laufen die Gespräche so ab: „Hi, Hakan. Ja, freut mich auch. Ich arbeite als…“ Business-Treffen. Und als Korrespondent in einer fremden Stadt verwandelt sich das gesamte Territorium in eine Business-Opportunity, zumindest fühlt es sich so an.

Was weiterhin lustig ist, denn vor fünf Monaten war mein Kalender noch leer (Hi, Chef! Ich hab’ ein wenig anders gearbeitet damals, mehr so der „Kann ich mir locker merken“-Style). Aber vor fünf Monaten war der Großteil meines Freundeskreises maximal zehn Haltestellen mit der Bahn entfernt. Heute sind es zehn Stunden mit dem Flugzeug.

Jedenfalls, ich bin die meiste Zeit allein. Zweifach, wie ich gerade merke. Einmal analog, die Freunde sind schließlich nicht hier, und dann noch digital. Ist ja auch so, dass es eine andere Zeitzone ist. Ich lebe übrigens in Brooklyn. Das Viertel heißt Cobble Hill und hier sollen die Mieten aktuell höher sein als in der Stadt, was ich nicht wusste, ich schwöre es! Unnützes Wissen: Wenn Leute hier New York oder „the city“ sagen, meinen sie in aller Regel Manhattan.

Wenn ich aufwache, ist in Deutschland der Arbeitstag so gut wie gelaufen. Ich arbeite für SZ.de, hin und wieder werden die Artikel auch in der Zeitung „mitgenommen“ (Slang für: Sie erscheinen in der Print-Ausgabe, was so aber zu trocken klingt anscheinend). Die Zeitung wird gedruckt, irgendwann am späten Nachmittag. Wenn ich also aufwache, muss der Text idealerweise schon geschrieben sein. Ich wache auf, ähm, haha, sagen wir um 8:00 Uhr (14:00 Uhr in Deutschland).

Ich bin die vergangenen Jahre früher aufgestanden, um 6, aber, hier in Brooklyn ist es ein bisschen wie damals, am fünften Tag nach dem Schulabschluss. Damals wachte ich auf und fragte mich, wie ich jahrelang schon um 6 aufstehen konnte, jeeeemals. Ich erlebe also gerade eine Art Déja-Vu.

Alleine sein ist Arbeit

Ich wache auf. Neben mir ist niemand. Das kenne und liebe ich anders. Ich hole Kaffee. Ich trinke ihn allein. Bis zu diesem Zeitpunkt habe ich zwei Sätze gesprochen. Einmal mit der Kaffee-Verkäuferin: (Die „hey-how-are-you-doing?-yeah-fine-one-cappucino-and-one-blueberry-scone-to-go-please“-Routine (Jaaa, Blueberry Scones!)), einmal mit mir selbst („Okay, ich gehe jetzt nicht zurück ins Bett“). Der gute Teil: Manchmal habe ich auch eine Banane und dann drücke ich sie quer in meinen Mund, weil warum nicht, und sehe Cheshire Cat zum Verwechseln ähnlich, was gut ist, weil ich mich dann lachen höre, was selten ist um diese Uhrzeit.

Ich schalte den Computer ein und versuche, meine Freunde aus ihrem Alltag zu reißen. Sie haben meist keine Zeit, „so stressig gerade.“ Ein paar Stunden später schreiben sie zurück, und ich habe aus 99 Prozent Rache- und 1 Prozent Job-Gründen auch keine Zeit: „Sorry, Meeting gerade.“ Dann ist der Tag vorbei und wir schreiben uns erst wieder in fünf Tagen, weil ich habe über 1000 Facebook-Freunde und spreche sie in alphabetischer Reihenfolge an. Im Ernst, sagen wir, so 30 Leute. Vielleicht mehr? Who knows, ich auf jeden Fall nicht.

Hey

Freunde zu haben, ist Arbeit. Zumindest aus der Ferne. In München ist es einfach gewesen, für eher verplante (also nicht gut organisierte) Menschen wie mich. Ein Telefon-Anruf, wie spontan kannst du sein, okay, heute geht es nicht, dann halt morgen, übermorgen, du wirst doch mal Zeit haben diese Woche! Aus der Ferne ist es: Hey, ja, New York ist voll geil, ich weiß schon, wo es die beste Pizza gibt und die Rooftop-Bar mit Blick auf Manhattan: irre. Checken wir ab, wenn du da bist. Wann kommst Du? Ach ja, in fucking fünf Monaten, wenn es wieder wärmer wird. Hier scheint übrigens Ende Oktober immer noch die Sonne. Pulli reicht.

Alleine ist unproduktiv

Ich dachte, alleine sein wäre produktiver. Endlich Zeit, all die Serien zu schauen (Warteschleife: 10), Bücher zu lesen (12), Podcasts zu hören (150, haha), die Stadt zu entdecken (999+, … ). Aber erstaunlicherweise klappt das nicht so gut. Denn man fühlt sich alleine währenddessen. Wenn ich zum Beispiel ein Buch lese, ist da diese Stimme im Kopf, die leise mitspricht: „Hey, du weißt schon, dass du dieses interessante Buch gerade liest, weil du alleine bist.“ Also lese ich das Buch nicht, weil ich mich doch nicht konzentrieren kann. Nur schlafen geht zuverlässig gut. Also gut, ich stehe um 8:30 Uhr auf. Off the record: Ich bin ein guter Powernapper.

Ich treffe mich mit Leuten und weiß, es ist nur eine kleine Auszeit, bevor ich wieder alleine bin. Das Smartphone signalisiert mir mit jeder Push-Meldung, dass mir sehr wahrscheinlich gerade eine Person schreibt, die ich nicht sehen kann, obwohl ich das will. Bei manchen ist das okay, weil diese Menschen in Nigeria oder Indonesien leben und wir von vornherein wussten, dass wir vor allem über Whatsapp in Kontakt bleiben wollen. Aber bei den meisten ist es ein wir waren so nah und jetzt ist alles, was ich von dir habe, ein „Gesehen um 02:32“, warst du betrunken oder wo bleibt die Antwort?

Alleine sein ist in diesem Sinne sehr ich-bezogen. Ich frage mich ständig, was ich gerade mache und warum und ob ich alleine in eine Bar gehen will oder ins Kino oder um den Block. Wie rede ich mit Menschen, die ich neu kennenlerne und warum war dieses Gespräch so awkward, bin ich awkward, ich darf nicht so awkward sein, aber hey, ich hab ja die Visitenkarte, wir vereinbaren einfach einen neuen Termin. Für Kinos ist übrigens mittags die beste Zeit, denn da ist man wirklich allein und das Kino gehört mir.

Wenn ich lustige Dinge erlebe, snapchatte/whatsappe/instagramme ich sie und die Reaktionen, die ich daraufhin bekomme sind wichtiger als sonst, denn wer weiß, vielleicht entsteht daraus ein Gespräch.

Ich will zurück nach München. In diesen Momenten. Es ist einfacher, ein soziales Netz zu haben, das einen umgibt, auffängt, hoch- und festhält. Es ist besser, wenn ich Menschen, mit denen ich gerade lache, auch gleich highfiven kann. Es ist schöner, wenn ich keinen Terminkalender für mein Leben brauche, sondern einer für die Arbeit alleine reicht. In der Ferne mache ich alle Fehler selbst und Skype hat keine Umarmen-Funktion.

Das alles ist das einerseits.

Andererseits: New York

Andererseits: Ich lebe in New York. Das muss man auch mal sagen dürfen. In New Fucking York (NFY), so wie es auf dieser Cap steht, dessen Designer ich gestern zufällig getroffen habe, weil, Überraschung, er lebt auch in NFY. Talib Kweli tritt hier in einer Jazzbar auf und es fühlt sich nicht so angestrengt an wie seine Konzerte in München, wo die Erwartungen viel zu hoch sind für einen tollen Abend.

Außerdem: Ich habe aufgehört damit, mit Nacken im Kopf durch Manhattan zu laufen. Zumindest nicht mehr die ganze Zeit. Ich erkenne ganz langsam, wer hier lebt und wer hier nur staunt und manchmal auch dann, wenn die Person keine Kamera um den Hals hängen hat. Ich habe ein paar tolle Ecken gesehen und das, obwohl ich mich dazu entschieden habe, kein Touri-Programm zu machen (sprich: Wenn ich über die Manhattan Bridge laufe, dann, weil ich zufällig in der Gegend gewesen bin). Das heißt, das, was mich vereinsamen lässt, diese Distanz zur Stadt, in der ich gerade lebe, die verschwindet. Ich verfahre mich nicht mehr in der U-Bahn. „uptown-bound train to queens“ ergibt Sinn in meinen Ohren, weil ich nach Brooklyn will und die Züge, die ich brauche, downtown-bound sind, also Manhattan am unteren Ende verlassen.

Es gibt wundervolle Menschen hier. (This guy!) Einen Mitbewohner, der sofort fragt, ob ich nicht mitkommen will zu einem Treffen mit seinen alten Freunden, die er seit Jahren (!) nicht gesehen hat (Klar!). Nachbarn, die einen zum Quiz-Abend in der Bar um die Ecke einladen (Aber Hallo!). Baristas, die mich hoffentlich auch bald kennen und fremde Leute auf der Straße, mit denen man so leicht ins Gespräch kommt, dass ich das Gefühl habe, Deutschland wird mir sehr fern sein, wenn ich zurück komme. Fun Fact: New Fucking York ist so diverse, dass ich schon sauer werde, wenn ich nur daran denke, wie weiß die Gesellschaft in München ist.

Aber dafür habe ich dann einen großen Teil meiner Freunde wieder. Und mit den wundervollen Menschen aus New York skype ich dann.

P.S. Wenn ihr gute Empfehlungen für New York habt: sehr gerne an mich.

P.P.S. Die Fotos da oben sind nicht wirklich alleinstagram. Beim Besuch auf Coney Island war ein Freund an meiner Seite. Aber: You get the point.

15 Antworten zu “Hakan allein in New York”

  1. Laura Sophie Dornheim sagt:

    Jetzt wird mir alles klar. Du hast unser Mittagessen in New York schweren Herzens in letzter Minute abgesagt, nur um diesen Text schreiben zu können… Ist aber auch ein guter Text!

  2. j____l sagt:

    Sich an die dt. Griesgrämigkeit zu gewöhnen ist mir auf jeden Fall nach einem New Orleans-Besuch vor Jahrzenten (noch vor Katrina!) sehr schwer gefallen. Leute, die einen auf der Straße grüßen, die angebliche gespielte Freundlichkeit von Verkäufer*innen/Servicekräften & Menschen allgemein. Is‘ echt egal ob’s gespielt ist oder nicht (und wahrscheinlich nicht leicht zu machen, wenn du grad keinen guten Tag hast) aber es hebt das Lebensgefühl insgesamt.

  3. Hans Hübner sagt:

    Sicherlich anders, aber doch irgendwie ähnlich: Ich bin in den letzten Jahren häufig in den USA, immer am gleichen Ort, immer mit den gleichen Leuten, aber ich habe da auch keine nennenswerten Beziehungen aufgebaut. Irgendwann habe ich dann für mich entschieden, dass es mir wichtiger ist, meine Online-Identität vernünftig weiter pflegen zu können, und seither lebe ich, wenn ich in den USA bin, weiter in der europäischen Zeit, stehe in der Nacht auf und gehe um 18:00 Uhr ins Bett. Meine US-Realität draussen unterscheidet sich dadurch zwar erheblich vom US-Mainstream und ich stehe für Abendverabredungen nicht wirklich zur Verfügung, aber dafür pflege ich meinen Online-Freundeskreis normal weiter. Ein Pluspunkt ist für mich, dass ich Nachts die Strassen und das Internet mehr oder weniger für mich habe. Mit dem Fahrrad durch die menschenleere Stadt zu fahren ist vielleicht nicht für jeden, aber tagsüber geht das (zumindest in Fort Lauderdale) gar nicht.

    • hakantee sagt:

      Ja, das ist auch eine Überlegung, die ich habe. Aber ich habe mich für Ersteres entschieden. Bin aber auch zum ersten Mal hier ;)

  4. Gel sagt:

    Oh. Der erste Teil spiegelt gerade so ganz wunderbar meine Situation wieder. Wenn sich alle Menschen unter denen man wiklich selbst sein kann,in einer weiten Großstadt tummeln. In einer Stadt, in der man selbst immer durchatmen konnte..
    Der zweite leider leider nicht. Ich befinde mich gerade in einer österreichischen Kleinstadt. Der ‚vibe‘ ist daher leider leider ein anderer als in NFY.

  5. Ralf Heimann sagt:

    Ich wollte nur mal kurz sagen: Ich freu mich immer sehr, wenn ich deinen Namen unter oder über einem Text lese. In dem Fall hier ganz besonders. Sehr toll.

  6. Andreas Weck sagt:

    Schöner Text! Ich war im letzten Jahr ein halbes Jahr in SF als Korrespondent für t3n.de am Start. Ich habe glücklicherweise kaum „Alleine-Phasen“ gehabt. Ich bin in ein Hacker-Hostel gezogen. Dort habe ich viele Gleichgesinnte um mich herum gehabt und sehr viele Themen mitbekommen. Es war optimal.

    http://t3n.de/news/hacker-hostels-san-francisco-568412/

    btw. heißt das nicht „Kopf im Nacken“?

    • hakantee sagt:

      Hacker Hostels klingen einerseits super. Andererseits hätte ich das Gefühl, dass dort super ambitionierte Menschen um mich herum sind und ich weiß nicht, wie das mit beeinflussen würde. Aber so, wie es sich bei dir liest: top!

      Ja, Kopf im Nacken ist mir zu nah an einem Trinkspruch, daher wollte ich das abwandeln :D

  7. Miriam sagt:

    Ich bin seit 1 1/2 Jahren alleine in Saudi-Arabien und kann alles, was Hakan beschreibt, supergut nachfühlen. Bei mir kommt als extra Schwierigkeitslevel hinzu, dass das saudische Wochenende Freitag und Samstag ist, „Lass uns am Wochenende telefonieren!“ bedeutet also: Es muss Samstag, am gemeinsamen Wochenendtag passieren. Aber nicht Samstagabend, denn da muss ich früh ins Bett, weil ich Sonntag früh ja wieder im Büro sein muss. 2h Zeitunterschied ist nicht viel, aber nervig genug, dass man unter der Woche auch keine gemeinsamen Zeitfenster am Abend findet. Und wie sich das Leben hier für mich anfühlt, kann auch so gut wie niemand nachfühlen. Bonuslevel: In Saudi-Arabien kann mich niemand besuchen.

    Auf dem Blog http://www.thecultureblend.com/ finde ich einige Texte ganz gut, weil sie sehr gut das zerrissene Gefühl von Expats beschreiben, das Heimweh, das Heimweh nach der Ferne, wenn man wieder zu Hause in Deutschland ist, die Kommunikationsprobleme mit den Daheimgebliebenen.

  8. SL sagt:

    Diese Ambivalenz, das „ja es ist wirklich schön hier!! —- aaber!!“ kann ich voll gut nachvollziehen, obwohl es bei mir ein kleinerer Zeitunterschied und ein kleinerer Abstand zum Heimatkontinent / Festland waren. Das Vertraute zu vermissen, weil man es mag… ist mir super schwer gefallen, das Leuten zu erklären, oder selbst zu begreifen, wie ich mich fühle. Danke dass du darüber geschrieben hast.

  9. hakantee sagt:

    Hey Giulia. Danke für den Kommentar. Ja, das mit der Einsamkeit ist so eine Sache. Ich habe auch das Gefühl, dass ich sie gut gebrauchen kann (alleine für die ganzen Serien), aber oft genug ist es ja eben keine Frage der Wahl, sondern es ist einfach so.

    Viel Spaß an der NYU (bin regelmäßig dort, sehr, sehr toll)