Dies ist keine Burka

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Miriam.

Miriam ist studierte Islamwissenschaftlerin aus Berlin und arbeitet seit April 2014 als Kulturmanagerin in Saudi-Arabien. Dort konnte sie feststellen, dass junge saudische Frauen unter den Kopftüchern auch schon mal grün gefärbte Haare oder Tomboy-Frisuren tragen. Obwohl sie bereits durch große Teile des Nahen Ostens gereist ist, hat sie noch nie selber eine Burka gesehen.

@_noujoum

Jedes Mal, wenn in irgendeinem Artikel von Burka oder „Burka-Verbot“ die Rede ist, verdrehe ich genervt die Augen. Es gibt zehntausend Dinge, die mich an der deutschen Kopftuchdebatte nerven, und eines davon ist, dass die Leute keine Ahnung davon haben, was eine Burka ist und was nicht.

Hier ein erster Überblick über einige der vielen verschiedenen Arten von muslimischer Verschleierung:

Die drei, die am häufigsten miteinander verwechselt werden, sind der Hidschab (oft sieht man auch die englische Schreibweise Hijab, ein einfaches Kopftuch nur für die Haare, in verschiedenen Formen so gut wie in der gesamten arabischen und muslimischen Welt verbreitet), der Niqab (Gesichtsschleier, der zumeist nur die Augen freilässt) und die Burka (meistens blaues Ganzkörpergewand, bei welchem die Augen nicht sichtbar sind, da sich vor den Augen ein Gitter aus Rosshaar befindet). Die Burka wird fast ausschließlich in Afghanistan und einigen Teilen Pakistans getragen. In westlichen Staaten sieht man sie so gut wie nie. Die Worte Hidschab, Niqab und Burka kommen aus dem Arabischen und bedeuten alle „Schleier“.

Es gibt je nach Region, persönlichem Stil und individueller Frömmigkeit noch ganz viele verschiedene weitere Varianten der Verschleierung. In vielen Ländern auf der arabischen Halbinsel z.B. werden zusätzlich zum Kopftuch lange schwarze oder bunte Mäntel aus dünnem Stoff über der normalen Bekleidung getragen, diese werden dort zumeist Abaya genannt. Im Iran heißt eine ähnliche Art des Übermantels Tschador. Für das einfache Kopftuch, den Hidschab, gibt es je nach Region viele unterschiedliche Bezeichnungen. Auf der arabischen Halbinsel wird er oft auch einfach Tarha (arab. „Kopftuch“) genannt. Der Hidschab kommt in tausend verschiedenen Farben und Formen vor. Er kann bunt sein und aus vielen verschiedenen Stoffschichten bestehen, wie in Ägypten. Er kann im „spanish Style“ getragen werden, wobei das Tuch im Nacken zusammengeknotet wird, manche Frauen tragen ihr Kopftuch auch eher wie einen Turban oben auf dem Kopf zusammengebunden und im Iran lassen viele Frauen ihr Kopftuch ziemlich entspannt weit nach hinten rutschen, so dass man schon einiges an Kopfhaar sehen kann.

Muslimische Frauen und Verschleierung in Deutschland

Der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ von 2009 zufolge tragen 72% der in Deutschland lebenden Musliminnen kein Kopftuch. Eine andere in diesem Bericht zitierte Studie befindet, dass es sich „bei den Kopftuch tragenden Musliminnen mehrheitlich um selbstbewusste, religiöse Frauen handelt“.

Zur Frage, ob das Kopftuch im Islam vorgeschrieben ist: Dies lesen manche so aus dem Koran heraus – andere nicht. Die Debatte geht weiter. Ich kenne eine Reihe von religiösen Musliminnen, die sagen „Wie ich meinen Glauben lebe und ob ich ein Kopftuch trage, mache ich alleine mit Gott aus“. Es ist richtig, dass es arabische Staaten gibt, die strenger auf die Verschleierung achten als andere. In vielen Ländern hängt es auch von der sozialen Schicht ab, ob eine Frau sich eher dafür entscheidet, ein Kopftuch zu tragen, in ärmeren Vierteln sieht man dann oft mehr verschleierte, in reicheren Schichten eher unverschleierte Frauen.

Es gibt viele Gründe, warum eine Frau sich in Deutschland dazu entscheidet, ihre Haare zu verschleiern, ich könnte allein darüber einen ganzen Artikel schreiben. Oder ihr lest einfach gleich die Doktorarbeit von Dr. Reyhan Şahin „Die Bedeutung des muslimischen Kopftuchs. Eine kleidungssemiotische Untersuchung Kopftuch tragender Musliminnen in der Bundesrepublik Deutschland“ (2014). Auch Amir Alexander Fahim setzt sich in einem Aufsatz von 2011 u.a. mit den Gründen von Musliminnen, ein Kopftuch zu tragen, auseinander. Bei manchen Musliminnen, die davon genervt sind, dass sie ständig nach ihren Beweggründen für eine Verschleierung gefragt werden, ist es inzwischen zu einem beliebten Scherz geworden, zu behaupten, sie seien von Voldemort besessen, dessen Gesicht nun aus ihrem Hinterkopf herausschauen würde.


Die individuellen Gründe, sich für eine Verschleierung zu entscheiden, spielen aber für meine Argumentation keine Rolle, denn der wichtige Punkt hier ist, dass eine muslimische Frau sich fast immer – entgegen der vorherrschenden Stereotype – entscheidet. Und damit ist es plötzlich nobody’s fucking business anymore, was sie auf dem Kopf oder vor dem Gesicht trägt oder nicht.

*hust* Religionsfreiheit! *hust*

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe urteilte im März 2015, dass ein „pauschales Kopftuchverbot [bei Lehrerinnen] doch nicht mit der Religionsfreiheit des Grundgesetzes vereinbar“ sei. Das Grundgesetz verbietet nämlich eine Benachteiligung aus religiösen Gründen, somit schlägt das Grundgesetz das Schulgesetz mancher Bundesländer, welche ein Privileg für die „Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen“ festgelegt hatten.

Auch der Staatsrat in Frankreich hat in einem Gutachten vom März 2010 festgestellt, dass das generelle Verbot des Tragens eines Ganzkörperschleiers mit der europäischen Menschenrechtserklärung sowie mit der französischen Verfassung eigentlich nicht zu vereinbaren sei.

Aaron Rhodes argumentiert dazu in einem Zeit-Artikel vom August 2015: „Diesen Frauen [die die freie und fundierte Entscheidung getroffen haben, sich zu verschleiern] das Recht zu verweigern, ihre Religion zu bekunden, würde mehr, nicht weniger Ungleichheit schaffen“. Und er schließt mit den Worten „Ein Gesetz, das Frauen verbietet, Burkas [sic!] zu tragen, ist mit den Menschenrechten genauso unvereinbar wie ein Gesetz, das sie zwingt, Burkas zu tragen.“

Bäm! Leider ist auch dieser Artikel mit dem Foto einer Niqab tragenden Frau bebildert, unter dem Foto steht „Burkaträgerin in Frankfurt am Main“. Na ja, die Intention des Artikels war super, im Detail gibt es Abzüge in der B-Note.

Ich will außerdem kurz den Hinweis einwerfen, dass eine Verschleierung der Haare bei Frauen auch in vielen anderen Religionen eine Rolle spielt, so im katholischen, jüdischen und hinduistischen Glauben und bei den Amish, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Bei den Sikh sind es übrigens die Männer, die immer einen Turban tragen. Zum Kopftuch katholischer Nonnen sind mir keine ähnlichen Debatten in Deutschland über die Unterdrückung der Frau bekannt, obwohl man da mit Bezug auf den Katholizismus interessante Argumente aufmachen könnte.

Was soll eigentlich mit einem

Verschleierungsverbot erreicht werden?

Die Frage bleibt, aus welchen Beweggründen ein Verschleierungsverbot angestrebt wird. Geht es um die Befreiung der vermeintlich „unterdrückten muslimischen Frau“? Das ist ziemlich kulturchauvinistisch gedacht, hat nichts mit der Lebensrealität der meisten Musliminnen in Deutschland zu tun und ignoriert das subjektive Selbstbestimmungsrecht und die Religionsfreiheit der betroffenen Frauen. Diese Sicht entspringt tief verwurzelten Stereotypen: Muslimische Frauen würden unterdrückt oder gezwungen, das Kopftuch zu tragen.

Alles Quatsch. Dr. Reyhan Şahin sagt dazu: „Viele fühlen sich automatisch dafür verantwortlich, die ‚unterdrückte‘ Kopftuchträgerin zu befreien. Sobald das Wort ‚Kopftuch‘ aufkommt, denken sie, sie müssten die verschleierte Frau entschleiern – was für eine koloniale Geste. ‚Die brauchen eure Freiheit nicht!‘, will ich da am liebsten losschreien, […] ‚die sind schon frei!’“

Ist man dann vielleicht aus Sorge um die öffentliche Sicherheit für ein Verschleierungsverbot? Klar, es muss eine Rechtsgüterabwägung zwischen Religionsfreiheit und Sicherheit vorgenommen werden. Aber eine vollverschleierte Frau kann bei einer Führerscheinkontrolle oder am Flughafen auch mal kurz den Schleier heben, damit man eine Identitätsüberprüfung durchführen kann. Passiert ja heute sowohl in westlichen als auch arabischen Staaten schon überall und ist für die meisten dieser Frauen auch kein Problem. Das ist also kein Argument für ein Verschleierungsverbot. Außerdem muss jeder Grundrechtseingriff verhältnismäßig sein. Und die Verhältnismäßigkeit halte ich bei den wenigen vollverschleierten Frauen in Deutschland doch für fragwürdig.

Wenn der wahre Grund der ist, dass man eine „Islamisierung der deutschen Gesellschaft“ befürchtet, ist man leider ein*e Rassist*in und selber ein*e Feind*in der freien und offenen Gesellschaft und schließt sich dem immer mehr verbreiteten Islamhass an. Es gibt eine ganze Reihe von politischen oder religiösen Modestatements im öffentlichen Raum, die ich persönlich ablehne, die aber meiner Meinung nach von der Meinungs- und Religionsfreiheit in einer liberalen und pluralen Gesellschaft gedeckt sein müssen.

Das „Burka-Verbot“ ist der größte Blödsinn überhaupt

Erstens: Es geht nie um die Burka. Haben wir ja bereits festgestellt. Denn die wird in Deutschland eigentlich von niemandem getragen. Es geht um das Kopftuch. Oder vielleicht auch den Niqab. Oder die Abaya. Weiß man in Deutschland auch nicht so genau. Das ist aber auch kompliziert mit diesen vielen verschiedenen muslimischen Kleidungsstücken! Na ja, Hauptsache verbieten. Das kommt bei Pegida gut an und Burka klingt irgendwie gefährlich, so als wären die Taliban schon bei Karlshorst. Manchmal denke ich zynisch: „Okay, verbietet halt die Burka. Für die Musliminnen hier verändert sich dadurch ja nichts.“ Aber ich fürchte, dass es nicht so einfach ist. Die Politiker*innen, die ein „Burka-Verbot“ fordern, sagen zwar „Burka“, meinen aber eigentlich irgendeine andere Art (oder alle Arten?!) der Verschleierung. Und selbst, wenn sie tatsächlich nur die Burka oder die Verschleierung mit dem Niqab meinen, wäre ein solches Verbot vermutlich nur ein Einfallstor für weitere Verbote. Manchmal höre ich den Einwand „Warum sollte ich mich mit den verschiedenen Arten der Verschleierung auseinandersetzen?“ Spätestens, wenn man irgendetwas verbieten oder über ein Verbot reden will, sollte man doch in der Lage sein, genau zu benennen, was man meint, finde ich.

Zweitens: Man kann die Debatte um das „Burka-Verbot“ durchaus als Teil des Versuchs der patriarchal geprägten Gesellschaft sehen, zu regulieren, was Frauen tragen dürfen und was nicht. Also z.B. keine kurzen Röcke, denn dann kann man als Frau schnell mal selber für eine erlittene Vergewaltigung verantwortlich gemacht werden. (Das nennt man Rape Culture.) Aber der Rock sollte halt auch wieder nicht zu lang sein. In Frankreich wurde im April 2015 eine muslimische Schülerin wegen ihres zu langen Rockes vom Unterricht ausgeschlossen. In Deutschland wiederum wurde im Sommer 2015 die Debatte um das „Hotpants-Verbot“ an Schulen geführt, welche angeblich zu aufreizend seien und „den Schulfrieden stören“. Weibliche Kleidung wird also mit den haarsträubendsten Argumenten durchreguliert und eigentlich macht man es immer irgendwie falsch. Margarete Stokowski hat das wunderbar ironisch auf den Punkt gebracht: „Falls ihr eine Burka tragen wollt: bloß nicht! Zeigt mehr Haut! Falls ihr gerade nackt seid: Zieht euch gefälligst was an, ihr Schlampen!“ Eine demokratische, sichere, freie und gleiche Gesellschaft sollte sich dadurch auszeichnen, dass Frauen, ohne belästigt zu werden, tragen können, was sie wollen, weil sie – tada! – freie Menschen sind. Egal ob es um Hotpants oder einen Gesichtsschleier geht.

Drittens: Selbst wenn die Motivation für ein Verschleierungsverbot ehrlich gut gemeint ist, weil damit Musliminnen aus der vermeintlichen Unterdrückung befreit werden sollen – ein Verbot würde auch in dieser Hinsicht nichts Positives bewirken. Denn wisst ihr, was passiert, wenn muslimische Frauen nicht mehr vollverschleiert in die Öffentlichkeit dürfen? Sie bleiben zu Hause, statt den Schleier abzulegen. Das war doch mal ein toller Erfolg für die Emanzipation der Frau – High five! Wenn man wirklich zu einer Integration muslimischer Frauen in westliche Gesellschaften beitragen will, sollte man ihnen mehr Teilhabe am öffentlichen Leben ermöglichen, die Chance, alleine auf die Straße und zum Supermarkt gehen zu können, Freund*innen zu treffen, einen Job zu ergreifen. Das klappt nicht, wenn man sie effektiv aus dem öffentlichen Leben verbannt. Aber vielleicht ist das ja auch die wahre Absicht der Politiker*innen, die ein Verschleierungsverbot fordern. Für die verschleierten Musliminnen in Deutschland wäre das nur eine konsequente Fortsetzung des Alltagsrassismus, dem sie in der Öffentlichkeit jeden Tag ausgesetzt sind. Das Beispiel Frankreich zeigt, wie ganz besonders überhaupt nicht sich die erwünschten Effekte durch das „Burka-Verbot„ eingestellt haben. Und es muss gar nicht mal um die Vollverschleierung gehen, selbst mit einem schlichten Kopftuch für die Haare kann man hier in Deutschland schon von bestimmten Bereichen ausgeschlossen werden. Glaubt Ihr nicht? Fragt mal Betül Ulusoy, der das Bezirksamt Neukölln zunächst mitteilte, die Zusage für ihren Referendariatsplatz müsse wegen ihres Kopftuches nochmal geprüft werden.

Zum Schluss noch Tipps zum mit-nach-Hause-nehmen

Setzt euch damit auseinander, was muslimische Frauen in Deutschland selber zum Thema Kopftuch und Stereotype zu sagen haben, das ist nämlich sehr aufschlussreich und kann dazu führen, dass Vorurteile wie Eis in der Augustsonne dahinschmelzen. Kübra Gümüşay hat einen tollen Überblick über deutsch-muslimische Blogs aufgestellt, den man gut als Startpunkt nehmen kann, um sich mehr mit dem Thema zu beschäftigen. Insbesondere muslimische Feministinnen führen viele spannende und komplexe Debatten, leider oftmals unbemerkt von der westlichen Öffentlichkeit.

Wie der westliche Feminismus besteht auch der islamische Feminismus aus ganz vielen verschiedenen Strömungen, die teilweise sehr unterschiedliche Positionen vertreten – auch zum Kopftuch. Manche vertreten auch sehr plausibel, warum das Tragen des Kopftuches ein feministisches Statement sein kann. Wer sich dafür interessiert, kann ja zum Beispiel mit den Werken von Leila Ahmed „Women and Gender in Islam“, 1992) und Fatima Mernissi („Beyond the Veil“, 1975) anfangen.

Solltet ihr mal irgendwo einer Frau mit Niqab über den Weg laufen – und das passiert in Deutschland oder Europa insgesamt doch sehr sehr viel seltener als so manche panikmachende Konservative uns weismachen wollen – lächelt die Frau einfach mal freundlich an. An den Augen könnt ihr sehen, ob sie zurück lächelt. Ich habe von so vielen eigentlich aufgeklärten Frauen (oftmals ältere Generation) gehört: „Ich fühle mich da so unwohl, als wäre das gar keine richtige Person, ich kann das mit meinem Verständnis von Feminismus nicht vereinbaren.“ Die Behauptung, dass eine Vollverschleierung eine Frau weniger zu einer Person machen würde, wird dadurch – durch die Interaktion, die Vorurteile, das Verhalten einzelner Menschen (ja, auch Feminist*innen!) – erst in der Realität wahrgemacht. Man kann mit vollverschleierten Frauen bestens rumhängen, arbeiten, diskutieren, Witze reißen. Man muss nur den eigenen Vorstellungshorizont dafür etwas erweitern.

Beschäftigt euch mit den Unterschieden zwischen den verschiedenen Verschleierungsformen. Es ist einfach ein bisschen peinlich, wenn von Burka die Rede ist, obwohl es um den Hidschab geht. Ihr redet ja auch nicht von Handschuhen, wenn ihr Pullover meint. Ja, es sind beides Kleidungsstücke, beide sollen irgendwie vor der Kälte schützen, aber euer Gegenüber wird bei falscher Begriffsverwendung einfach ein gänzlich falsches Bild im Kopf haben. Wenn euch also das nächste Mal wer erzählt, er oder sie hätte eine Frau mit Burka gesehen: Das wäre eine gute Gelegenheit, mal nachzuhaken, aufzuklären und ein wenig kulturelle Sensibilität zu versprühen. Denn wenn eure Gesprächspartnerin nicht grade einen Trip durch die Berge von Afghanistan gemacht hat, war es mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichtkeit keine Burka die sie gesehen hat.

Ich möchte insbesondere die Journalist*innen, die über die Debatte zum „Burka-Verbot“ berichten, bitten, sich präziser auszudrücken. Denn nach meinem Verständnis liegt es in der Verantwortung von Journalist*innen, Diskurse richtig wiederzugeben und hierfür auch das richtige Vokabular zu verwenden. Mal eben kurz Burka in die Wikipedia einzugeben, kann man da schon erwarten, finde ich. Auch die Bildredaktionen könnten sich darüber mal Gedanken machen, denn eine kurze Newssuche bei Google zu „Burka-Verbot“ spuckt doch fast ausschließlich Bilder mit Niqab tragenden Frauen aus, mit denen die Artikel dann bebildert werden. Vermutlich wird in der Debatte um das „Burka-Verbot“ meistens das Tragen des Niqab, also des Gesichtsschleiers, gemeint. Aber dann möchte ich Journalist*innen bitten, das auch präzise zu formulieren. Es kann nicht Aufgabe der Leser*innen sein, zu rätseln, was wohl gemeint ist. Ein positives Beispiel gibt ein FAZ-Artikel von Rudolf Steinberg vom Januar 2015. Dieser Artikel ist mit dem Foto einer echten Burka bebildert, er spricht von „Vollverschleierung“ und differenziert im Text zwischen Niqab und Burka.

Ich verstehe, dass der Begriff „Burka-Verbot“ so verlockend knackig und leider auch schon recht etabliert ist in der deutschen Debatte, aber er ist halt einfach unpassend. Ein anderer unpassender Begriff ist ja inzwischen auch vielerorts ersetzt worden: Es wird jetzt weniger von „Homo-Ehe“ gesprochen und geschrieben, sondern öfter von der „Ehe für alle“. Das trifft es einfach besser. Statt „Burka-Verbot“ schlage ich daher vor, von einem „(Voll-)Verschleierungsverbot“ oder einem „Gesichtsschleierverbot“ zu sprechen.

Ein solches Verbot lehne ich übrigens ab. Aber das ist wohl deutlich geworden.

42 Antworten zu “Dies ist keine Burka”

  1. 7o9 sagt:

    Gibt es eigentlich auch atheistische Hijab/Niqab/Burka-Trägerinnen ?

    • Miriam sagt:

      Hm, erst wollte ich „Nicht dass ich wüsste“ antworten, aber es gibt sicher auch solche Situationen klar. Z.B. identifiziere ich mich als atheistisch, trage hier in Saudi-Arabien aber manchmal das Kopftuch als Sonnenschutz, damit mir die krasse Sonne nicht den Kopf verbrennt. Manche (atheistische) Frauen, die z.B. in muslimischen oder arabischen Ländern oder umgeben von Musliminnen leben, mögen das Kopftuch vielleicht nicht aus religiöser Überzeugung, sondern eher als Modestatement tragen, oder um, wie z.B. in Iran oder Saudi-Arabien, nicht als Nicht-Muslima aufzufallen und sich optisch in diese Gesellschaften zu integrieren. Je nach Ort verschleiere ich mir hier in Saudi-Arabien auch die Haare aus Respekt vor dem religiösen Empfinden der Menschen (z.B. am Flughafen von Medina) und Touristinnen, die Moscheen in arabisch-muslimischen Ländern besuchen, verschleiern sich ja aus Respekt auch meist die Haare, ohne dass es in diesem Moment was mit ihrem eigenen religiösen Glauben zu tun hat.

      Das gleiche gilt prinzipiell natürlich auch für atehistische Niqab-Trägerinnen (dann vermutlich auch eher in Ländern wie Saudi-Arabien) oder Burka-Trägerinnen (in Afghanistan MUSS man die Burka offiziell nicht mehr tragen, bekommt aber oft Schwierigkeiten in der Öffentlichkeit, wenn man es nicht tut, unabhängig vom eigenen Glauben).

  2. Orthodiagonal Jawed Hun sagt:

    Danke – wiedermal <3

  3. Stefan sagt:

    Ging es nicht zumindest am Anfang darum, dass religiöse Symbole nicht in öffentliche Schule sollten und weniger um den „Schutz“ der Frauen? (Ist eine ernstgemeinte Frage, ich bin der Debatte nicht gefolgt.)

    • Miriam sagt:

      Stimmt, siehe auch meine Bemerkungen und Links im Abschnitt „*Hust* Religionsfreiheit *Hust*“. Die Debatten um (1) ein Verschleierungs-/Kopftuchverbot in Schulen und die um (2) ein generelles Verschleierungsverbot in der Öffentlichkeit sind meiner Meinung nach zwei verschiedene Angelegenheiten. Mit der Diskussion um ein Kopftuchverbot in Schulen ging es 1998 los, siehe: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/konfliktstoff-kopftuch/ In dieser Diskussion gibt es meiner Meinung nach auch sinnvolle Argumente, die man austauschen kann. Da kann ich nachvollziehen, warum manche ein Verbot religiöser Symbole in der Schule komplett durchsetzen wollen, nach dem laizistischen Vorbild von Frankreich oder der Türkei. Ich persönlich tendiere eher dazu, religiöse Symbole aller Art bei Lehrer*innen ok zu finden, solange keine „Indoktrination“ stattfindet. Aber das Tragen eines Kopftuches empfinde ich noch nicht als Indoktrination.

      Seit einer Weile aber wird in Deutschland über ein generelles Vollverschleierungsverbot diskutiert, und diese Debatte läuft doch etwas anders und meiner Einschätzung nach weniger differenziert und rational ab. Einer der lautesten Befürworter eines Vollverschleierungsverbotes in Deutschland ist Jens Spahn (CDU): http://www.tagesspiegel.de/politik/islam-cdu-politiker-jens-spahn-fordert-burkaverbot/10968606.html Er sagt: „Ich will kein Verständnis dafür haben müssen, dass jemand, der aus
      einer anderen Kultur oder Religion zu uns gekommen ist, die Rechte von
      Frauen, Schwulen oder Juden infrage stellt, relativiert oder im wahrsten
      Sinne des Wortes mit Füßen tritt“ Ich sehe aber nicht, was das mit Frauen zu tun hat, die sich für eine (Voll-)Verschleierung entscheiden. Im Endeffekt ist es wie bei der Debatte um das Prostitutionsverbot: Menschenhandel ist eh schon ein Strafakt, der verfolgt wird und werden muss, dafür muss man aber nicht die Prostitution verbieten. Zwangsheirat oder Hate Crimes/Hate Speech/Volksverhetzung sind ebenfalls Strafakte, die man verfolgen kann und muss. Tatsächlich unterdrückten und in ihrer Community diskriminierten Frauen muss man helfen. Das erreicht man aber nicht durch ein Vollverschleierungsverbot.

    • Anselm sagt:

      Wenn man das konsequent machen wollte, müßte man in der Schule auch Ketten mit Kreuz usw. verbieten – wobei gegen einen Ausdruck persönlicher Religiosität seitens Schülern oder Lehrern eigentlich erst mal nichts zu sagen ist, solange das nicht den Unterricht beeinflusst oder andere Lehrer oder Schüler in ihrer eigenen Religionsfreiheit bedrängt. Ob ein Englischlehrer ein Kreuz-Kettchen oder eine Physiklehrerin ein Kopftuch trägt, ist m. E. völlig egal; wenn allerdings der Biologielehrer ein T-Shirt mit christlichem Fisch an hat und sich vor der Klasse gegen die Evolution ausspricht, sollte man wohl zweimal hinschauen.
      Kompliziert wird es auch da, wo man das islamische Kopftuch verbieten will, aber nicht die jüdische Kippa, denn letzteres wäre ja (verwerflicher) Antisemitismus. Fairerweise geht hier eigentlich nur „alles oder nichts“.

    • jansalterego sagt:

      Das ist ein Teilaspekt der Debatte, der aber deutlich macht, wie sauber man hier differenzieren muss. Kruzifixe an der Wand haben bspw. – höchstrichterlich entschieden – nichts in Klassenzimmern zu suchen. Weil sie die negative Religionsfreiheit (das Recht, nicht religiös zu sein und von Glaubensbekundungen anderer frei zu bleiben) von Schülern (und ggf. Lehrern) verletzen und die Schule als Institution des Staates sich nicht auf Religionsfreiheit berufen kann. Anders, wenn ein/e Lehrer/in ein religiöses Symbol tragen will. Der/die kann sich nämlich auf seine/ihre Religionsfreiheit berufen, die dann mit der negativen Religionsfreiheit der Schüler in Ausgleich gebracht werden muss (was, s.o., ein pauschales Verbot nicht leisten kann).

  4. ms. hü sagt:

    danke für einen wirklich schönen artikel!

  5. Heini sagt:

    Danke für den Artikel. Die unterschiedlichen Begriffe und Bedeutungen kenne ich zwar, vergesse es dann in der Diskussion immer wieder.

    Ich bin der Meinung, dass sich Kleidungsverbote nur im Einzelfall durchsetzen lassen und dann auch noch – wie beschrieben – sehr schwer begründen lassen.

    Selbst das Argument mit der korrekten Identifizierung taugt nur bedingt. Sind gefärbte Haare, falsche Schnurrbärte oder Brillen eigentlich auch in der Öffentlichkeit verboten? Natürlich nicht, und für Flughäfen und anderer Sicherheitsbereiche gibt es Lösungen.

    Zuende gedacht bedeutet ein „Verschleierungsverbot“, dass gar keine Verhüllung mehr getragen werden darf. Wir sind aber keine Ferengi

  6. kami sagt:

    Meines Wissens nach ging es bei dem Burka-Verbot tatsächlich immer um ein Burka- und nicht um ein Kopftuchverbot. In Kommentaren und Artikeln wurde gerne gespöttelt, dass dieses Verbot also vielleicht drei, vier Frauen in Deutschland beträfe.
    Und das Argument mit der eigenen Entscheidung zum Befolgen religiöser Bräuche halte ich für dubios und bei Muslimas genauso wenig überzeugend wie bei Männerrechtlerinnen. Schon immer gab es Unterdrückte, die für die Sache der Unterdrücker argumentiert haben. Die Gründe dafür sind mannigfaltig, aber bloß, weil jemand sagt, er tue etwas aus freien Stücken, heißt das noch lange nicht, dass er es wirklich tut. Gerade FeministInnen dürfte die Bedeutung sozialer Konstrukte und der daraus resultierenden Konditionierung bewusst sein.
    Ich bin von meiner Weltanschauung her gegen das Tragen von Kopftüchern aus religiösen Gründen, bin allerdings auch strikt gegen ein Verbot des Tragens, und zwar aus den von der Autorin unter „Drittens“ aufgeführten Gründen. Man hilft niemandem damit, am allerwenigsten den betroffenen Frauen. Hier kann letztendlich nur Aufklärung und behutsames Werben zu einer Veränderung führen.

    • Miriam sagt:

      Bei der Debatte um das „Burka-Verbot in der Öffentlichkeit“ geht es meiner Einschätzung nach um Burka und Niqab, also die beiden Formen der Gesichts-/Vollverschleierung. Da sich die Politiker*innen hier aber nie präzise äußern, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass sie bei „Burka-Verbot“ auch die Abaya, also die Ganzkörperverhüllung mitmeinen. Ich argumentiere ja vor allem dafür, dass man sagen soll, was man meint, wenn man etwas verbieten möchte.

      Das Argument „Unterdrückte, die für die Sache der Unterdrücker argumentieren“ finde ich schwierig. Klar sind gesellschaftliche oder religiöse Gebräuche nicht ohne ihren sozialen und historischen Kontext zu verstehen und als solche soziale Konstrukte. Viele muslimische Feminist*innen argumentieren daher, dass das „Verschleierungsgebot“ eine Erfindung der patriarchalen Gesellschaft(en) während und nach der Zeit des Propheten war, aber im Koran niemals so gemeint gewesen ist.

      Männerrechtlerinnen, die gegen die Wahlfreiheiten von Frauen argumentieren, finde ich mindestens schwierig. Aber das liegt vor allem an ihrem Anspruch, allen Frauen sagen zu können, was sie zu tun und zu lassen haben. Ich finde es unproblematisch, wenn eine Frau sich aus welchen Gründen auch immer dafür entscheidet, ein vollkommen heteronormatives traditionelles Frauenbild zu leben, solange sie es ok findet, dass andere Frauen sich anders entscheiden. Bei religiösen Muslimas gibt es natürlich auch solche und solche: Diejenigen, die meinen, ihr Weg sei der einzig richtige (vgl. Männerrechtlerinnen) und diejenigen, die sich bewusst für einen Weg entscheiden und den Weg von anderen völlig ok finden. Letztere sind vor allem die Frauen, über die ich in diesem Artikel geschrieben habe.

  7. Alex sagt:

    Hallo,
    sehr interessanter Artikel, und hat mir sehr geholfen Hidschab von Niqab zu unterscheiden, ich hoffe ich kann das in Gesprächen mit einfließen lassen.
    Jedoch muss ich wiedersprechen wenn es heisst hier in D würde niemand eine Burka tragen. Gerade in Frankfurt und Offenbach sieht man viele Frauen mit Niqab, aber auch mit Burka.
    Ich kann mir vorstellen das gerade bei diesen beiden Verschleierungsformen in Verbindung mit der Tatsache, dass die Frau deutlich hinter dem Mann läuft, befremdlich auf viele Nicht-Muslime wirkt und den Gedanken an unterdrückung bestärkt.

  8. grueneGeranie sagt:

    Danke, hab beim Lesen des Artikels wirklich noch einiges gelernt :-)

    Ich trag im Winter sehr gerne Hut. Eines Tages im Frühjahr, nachdem ich den ganzen Winter über buchstäblich nicht ohne Hut aus dem Haus ging, fühlte es sich tagelang so an, als wäre ich nackt am Kopf. Ich finde, dass die Dimension der Gewohnheit, welche Körperteile man abdeckt, nicht zu unterschätzen ist.
    Und in Europa gehen schließlich viele Frauen nicht ohne BH aus dem Haus – man könnte ja die Nippel unterm T-Shirt sehen. Und kämen sich ohne BK irgendwie nackt vor. (so what! dann sieht man hald die Nippel drunter)
    Davon abgesehen finde ich persönlich das Kopftuch sehr praktisch, wenn ich grade bei kühlerem Wetter mit nassen Haaren aus dem Haus gehen will. Oder um mir den Stress mit dem Haarewaschen gar nicht erst machen zu müssen, und einfach die fettigen Haare darunter verschwinden zu lassen. Im Freestyle-look hinter den Ohren entlang geführt und direkt unterm Haaransatz zusammengebunden.

    Kopftücher sind so praktische, vielfältige und häufig so schöne Kleidungsstücke/Accesoires! Ob aus pragmatischen oder religiösen Gründen getragen. Vielleicht sollten viel mehr junge Frauen & auch Männer anfangen Kopftuch zu tragen, um dieser dummen Diskussion den Wind aus den Segeln zu nehmen?

    Das einzige Argument in einigen Bereichen die gesichtsverschleierte Frau darum zu bitten die Gesichtsverschleierung durch ein Kopftuch auszutauschen ist für mich, diejenige, die mal von irgendeiner Uni gebracht wurde, dass man bei Diskussionen die Mimik der gesichtsverschleierten Person sonst nicht sehen kann, während diese die Mimik von allen anderen sieht. Ich glaub an der Uni hat sie das dann auch gemacht.

  9. Miriam sagt:

    „Worum geht es bei Kleidung?“ ist eine ziemlich große sozialwissenschaftliche Frage. Grundsätzlich: Bei Kleidung geht es um ganz viele Sachen: Wärmung vor Kälte, Bedecken von Schambereichen (wie auch immer man die definiert), Zeigen der Zugehörigkeit zu einer Religion, Gemeinschaft, sozialen Klasse, geographischen Region, Schmuck gehört sicher auch dazu…

    Das Assoziieren mit „Verstecken“ oder „Wegsperren“ bei Kopftüchern scheint mir eine sehr westliche Interpretation zu sein. Wie ich schrieb, gibt es bei muslimischen Frauen wirklich ganz ganz viele verschiedene Gründe, warum sie ein Kopftuch tragen. Manche sagen tatsächlich, dass sie sich damit züchtiger oder sogar sicherer (vor Belästigung) in ihrer Community fühlen. Manche fühlen sich respektabler oder ihrem Glauben und ihrem Gott enger verbunden. Für manche ist es ein Statement der Zugehörigkeit zu ihrer (Religions-)Gemeinschaft. Wenn Dich das sehr interessiert, schau doch wirklich mal in das Buch von Reyhan Sahin rein: http://www.lit-verlag.de/isbn/3-643-11900-1

    Für viele Musliminnen gehört das Kopftuch einfach dazu, es ist etwas ganz normales, und wird wie jedes andere Kleidungsstück jeden Tag passend zum restlichen Outfit ausgesucht. Man sieht ja auch sehr viele Musliminnen, die sehr schicke und elegante Kleidung tragen, und ein vom Stil her dazu passendes Kopftuch. Style, Schmuck, Mode und Kopftuch schließen sich also nicht gegenseitig aus. Die Behauptung, dass diese eleganten Musliminnen durch ihr Kopftuch unattraktiver wirken wollen, sehe ich daher wirklich nicht gegeben, im Gegenteil, viele von ihnen werden Dir sagen, dass sie sich mit Kopftuch durchaus attraktiv fühlen. http://ak-hdl.buzzfed.com/static/2014-09/26/6/enhanced/webdr04/anigif_enhanced-buzz-27785-1411726622-4.gif

    Das Argument „Warum legt man es dann zu Hause ab?“ zählt nicht, finde ich. Ich trage in der Öffentlichkeit auch gerne mal schicke Schuhe oder eine elegante Hose oder Blazer, und ziehe, wenn ich nach Hause komme, aus Gründen der Bequemlichkeit auch all das aus und laufe den Rest des Tages wenn keiner guckt in Unterwäsche durch die Wohnung.

  10. Petra sagt:

    Supertolle Zusammenfassung. Und auch die Schwierigkeit mit den Begrifflichkeiten umfassend erklärt. Da möchte man manchmal die Wände hochgehen, wenn einem wieder der Begriff Burka über den Weg läuft.
    Ich muss allerdings auch einen Abzug in der B-Note geben. ^^
    Auch Diakonissen der Evangelischen Kirche tragen Ordenstracht mit Hauben
    http://www.lachen-diakonissen.de/data/thumbs/schwesternschaft/i18npic.618×0.36_090726s_002a.jpg
    Dann diverse christliche Sekten wie die Hutterer.
    Und die jüdische Tradition der Halacha hätte man auch in einem Satz erwähnen können.
    http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/15118
    Und Hindu-Frauen tragen auch Schleier, vor allem in den Bollywoodfilmen

    Alles in allem ist Angst vor der verschleierten Frau eigentlich nur dieser diffusen Angst vor der „Islamisierung des Christlich-Jüdischen Abendlandes“ der lärmenden Atheisten zuzuschreiben

    • Miriam sagt:

      Danke für den Hinweis! Das wusste ich gar nicht, deswegen hatte ich im Text auch vorsichtshalber geschrieben „um nur ein paar Beispiele zu nennen“. Und dabei bin ich evangelisch getauft! :-D

  11. p73 sagt:

    Ein wirklich guter Artikel.
    Mir fehlt nur eine Sichtweise: Ich persönlich möchte die Mimik meines Gesprächspartners erkennen können, besonders weil ich schwerhörig bin. Außerdem gehört die Mimik zur Kommunikation….ich könnte z. B. schlechter erkennen, ob jemand lügt, wenn nur die Augen zu sehen sind (oder noch nicht mal die). Burka und Niqab wirken wie ein Versteck….als wolle sich diejenige vor mir verstecken. Gespräche sollten offen sein und wie soll das gehen, wenn sich einer versteckt?

    Sei jeder frei zu tragen, was er möchte – doch die Konsequenz, dass Unterhaltungen mit mir aufgrund der Schwerhörigkeit noch umständlicher werden, müsste die Person schon tragen.
    Und da es mir vermutlich irgendwann zu anstrengend und peinlich würde, jedes Wort immer wieder nachfragen zu müssen (wie auch der vermummten Person), wäre das dann wohl eher keine tiefe Freundschaft….vielleicht entfernte Bekannte.
    Bitte nicht falsch verstehen, es geht mir allein um den praktischen Aspekt der Verständigung.
    Es gab auch eine Kommilitonin, die nur flüstern konnte und eine sehr hohe Frequenz hatte. Ich mochte sie sehr, aber Kommunikation war echt nur sehr eingeschränkt möglich. Sie ist mir dann irgendwann aus dem Weg gegangen. Sehr, sehr schade.

    p73

  12. Miriam sagt:

    Die Verallgemeinernde Aussage, alle verschleierten Frauen würden unterdrückt oder wären nicht in der Lage, ihre Unterdrückung zu erkennen, empfinde ich nicht als rationale Islamkritik, sondern als gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit – bezogen auf Muslim*innen/Araber*innen. Und da z.B. Menschen wie Thilo Sarrazin mit Argumentationen um die Ecke kommen, das liege in den „Genen“ bei „diesen Menschen“, habe ich hier das Wort Rassismus verwendet. Man mag einen theoretischen Unterschied zwischen undifferenziertem Islamhass und Rassismus sehen, aber ich sehe da meistens so gut wie 100% Kongruenz, genau wie bei „Israelkritik“ und Antisemitismus.

    Selbstverständlich kann und muss man islamische Praktiken kritisieren, wenn sie ihrerseits Menschen diskriminieren, Beispiele hierfür gibt es genug, da sind wir uns sicher einig. Auch gerade viele Muslim*innen üben viel Kritik an verschiedensten islamischen Praktiken oder Traditionen. Das ist aber etwas anderes, als pauschal alle Muslim*innen zu verurteilen oder alle verschleierten Musliminnen als hilf- und willenlos oder fanatisch indoktriniert abzustempeln. Es gibt eben wie immer und in jeder Gemeinschaft solche und solche.

    Zu Deinem letzten Satz: Hier wird genau der Punkt deutlich, den ich grade angesprochen habe: Wieso sollten (voll-)verschleierte Musliminnen prinzipiell nicht „demokratisiert“ sein können? Ich fürchte, dass hier wieder die tiefverwurzelten Stereotype am Werk sind. Klar gibt es fanatische salafistische vollverschleierte Musliminnen. Es gibt aber auch vollverschleierte Musliminnen, die Kant gelesen haben und zur Demokratieforschung promovieren. Ich möchte auch nicht in einer Gesellschaft leben, in der mir andere Menschen vorschreiben, wie ich zu leben habe, weder von der CDU noch von konservativen Muslim*innen. Ich fühle mich in meinen Freiheiten aber nicht bedroht, bloß weil verschleierte Frauen durch unsere Straßen laufen, solange sie cool damit sind, dass das nicht mein Weg ist.

    • kami sagt:

      „Auch gerade viele Muslim*innen üben viel Kritik an verschiedensten islamischen Praktiken oder Traditionen.“
      Dieses Argument oder ähnliche hört man ja häufig, ich halte es aber für eine irreführende Behauptung. Natürlich könnte man nun diskutieren, was „viele Musliminnen“ sind, doch impliziert diese Aussage, dass es einen relevanten Prozentsatz an emanzipierten, selbstbestimmten Muslimas gibt, die sich mit dem Koran und ihrer Religion kritisch auseinandergesetzt und sich trotzdem für das Kopftuch oder artverwandte Kopf- oder Körperbedeckungen entschieden haben. Dazu würde ich doch gerne einmal Zahlen sehen, kann ich mir das nämlich schon für in Deutschland lebende Muslimas, ganz sicher aber nicht für die in Saudiarabien und ähnlichen oppressiven Regimes vorstellen. Ich bezweifle nicht, dass es sie gibt, bezweifle aber sehr stark, dass sie die Mehrheit oder auch nur eine größere Minderheit der Muslimas repräsentieren. Lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen.

      • Berit sagt:

        Nur weil nicht über sie berichtet wird, heißt es nicht das es sie nicht gibt. Ich lese auch nicht oft Artikel über Nonnen, darum unterstelle ich ihnen aber nicht, dass sie ihre Entscheidung wohl überlegt haben. Fehlende mediale Sichtbarkeit ist hier eben das Problem.

        • kami sagt:

          Hab ja geschrieben, dass ich nicht bezweifle, dass es sie gibt. Aber wir sind uns doch einig, dass Nonnen nicht gerade repräsentativ für Christinnen sind, oder?

  13. Miriam sagt:

    Zum ersten Punkt: Meine Argumentation hier ist ja die, dass es so gut wie keine Frauen in Deutschland gibt, die tatsächlich eine echte Burka tragen. Daher diese Formulierung. Ein neues Gesetz für 25 Frauen in der ganzen Republik, die Burka tragen? (Ich habe keine Ahnung, wieviele es sind. Selbst wenn es 70 wären, fände ich das Verbot immer noch albern und unnütz.) Mir ist bewusst, dass die meisten Politiker*innen vermutlich eine Vollverschleierung meinen, was Burka und Niqab einschließen würde, wobei aber z.B. immer noch unklar wäre, ob z.B. Abaya und Tschador, die den Körper verhüllen, dann auch darunter fallen würden. Ich gebe aber zu, dass ich an dieser Stelle for the sake of the argument überspitzt formuliert habe.

    Zum zweiten Punkt: Nehmen wir mal zwei Szenarien mit zwei unterschiedlichen vollverschleierten Frauen an: Frau A wird von ihrem Mann dazu gedrängt/gezwungen, sich komplett zu verhüllen, Frau B trägt den Vollschleier, weil sie es als ihre religiöse Pflicht sieht und sie sich mit dieser Entscheidung wohler fühlt. Mit ihrem Mann hatte Frau B bereits viele Diskussionen hierüber, er findet ihre Vollverschleierung nicht so cool, aber was soll er machen, ist ja ihre Entscheidung. So, jetzt wird die Vollverschleierung verboten. Frau A wird nicht mehr zum Supermarkt gehen können, weil sie nicht mit Vollschleier auf die Straße kann, denn dann wird sie vom Gesetzgeber bestraft. Ihr Mann lässt sie aber selbstverständlich nicht unverschleiert raus. D.h. Frau A ist de facto in ihrem Haus eingesperrt. Dass sie sich in einer Beziehung befindet, in der sie nicht frei ist, hat sich durch das Verschleierungsverbot nicht verändert, zusätzlich hat sie jetzt nicht mal mehr Kontakte mit der Außenwelt. Frau B wiederum ärgert sich total über das Verbot, sie findet das total hirnrissig. Ihr Mann, der schon gehofft hatte, sie würde das mit der Vollverschleierung jetzt wieder lassen, sieht, dass das wohl nicht der Fall sein wird. Frau B geht trotzig trotzdem weiter vollverschleiert auf die Straße. Jetzt bekommt sie regelmäßig Anzeigen und sammelt stolz und trotzig die Geldstrafen und Ermahnungen. Das Szenario von Frau B übrigens passiert derzeit genau so in Frankreich: http://www.spiegel.de/panorama/gesellschaft/burka-verbot-wie-wirkt-das-gesetz-in-frankreich-a-1009971.html

  14. Miriam sagt:

    Hallo Karsten,

    – hast Du mich grade „mutig“ genannt? Danke für das Kompliment! :-P

    – Ok, ich weiß nicht, wieviele vollverschleierte Frauen Du in Bonn siehst, aber für mich bleibt die Frage: Sind es so viele bzw. ist das ein so großes Problem, dass es ein generelles Verbot/ein neues Gesetz dafür braucht? Bzw. warum würde es ein solches Verbot brauchen? Das ist wieder die Frage der Abwägung zwischen der Religionsfreiheit der Frauen, die sich dafür entscheiden auf der einen Seite und – ja, was auf der anderen Seite? Deinem Gefühl, Dich provoziert zu fühlen?

    – Mich würde interessieren, warum Du Dich provoziert fühlst. Fühlst Du Dich auch von Kopftüchern generell provoziert oder ärgerst Du Dich vor allem über die Vollschleier? Was genau denkst Du, ist das Problem? Hast Du das Gefühl, dass Du ein Recht darauf hast, das Gesicht der Frau zu sehen? Würdest Du gerne ohne Hürde mit diesen Frauen interagieren? Ärgerst Du Dich, weil Du das Gefühl hast, dass diese Frauen Deine Werte nicht teilen? Kannst Du Dir wirklich sicher sein, dass diese Frauen Deine Werte nicht teilen, wenn Du Dich nicht mit ihnen unterhalten hast? Findest Du, dass sie ihre Religion nicht so „deutlich“ ausleben sollten? Ich glaube wirklich, dass hier der Knackpunkt liegt: Warum willst Du „das nicht sehen“? Es gibt eine ganze Menge Dinge, die ich auch nicht sehen mag in der Öffentlichkeit, die sind aber eben da und ich kann das nicht ändern, weil es nunmal Meinungs- und Religionsfreiheit gibt. Die Frage ist: Warum sollte ein bestimmtes Ding verboten werden und andere Dinge (überspitzt formuliert: Kleidung von Thor Steinar z.B.) eben nicht?

    – Und zu Deinem Punkt „Es ist eigentlich die gleiche Provokation die von
    europäischen Frauen geübt wird, wenn sie in Ländern, in denen ein
    Kopftuch Standard ist, keines tragen.“: Ich lebe seit eineinhalb Jahren in Saudi Arabien. Ich habe insgesamt vielleicht bei 10 Gelegenheiten meine Haare verschleiert, nur 3mal davon, weil es etwas mit Religion und Kultur oder meiner eigenen Unsicherheit zu tun hatte, die anderen 7 Male, weil die Sonne mir den Kopf verbrannt hat. Mich hat in der ganzen Zeit noch nie jemand hier darauf angesprochen, warum ich kein Kopftuch trage, ob das nicht besser wäre. Niemand hat mich anders oder negativ behandelt deswegen. Ich will das Land nicht rein waschen, und ich muss z.B. durchaus eine Abaya tragen in der Öffentlichkeit aber es ist mir wichtig, diesen Punkt zu machen und etwas zu differenzieren. Hier hat sich bisher niemand von mir provoziert gefühlt.

    – Zum letzten Punkt: Ich persönlich lese das VerschleierungsGEBOT auch nicht aus dem Koran heraus. Ich kann aber verstehen, wie und warum andere das da herauslesen. Und wenn die sagen, dass das für sie mit Religion zu tun hat, ist das doch ok. Die Katholiken fanden die meiste Zeit, dass unehelicher Sex oder Abtreibung was mit Religion zu tun haben, finde ich persönlich auch schwer nachvollziehbar. Und Beispiele für Traditionen, Techniken, Gebräuche, Regeln, Gesetze, die 1500 Jahre oder mehr alt sind und für viele Menschen heute immer noch eine wichtige Rolle spielen, gibt es wie Sand am Meer. Der Islam ist übrigens von den monotheistischen Religionen mit die jüngste. Wenn Du das Argument durchziehst, müsstest Du z.B. gegen alle irgendwie von Judentum oder Christentum geprägten Bräuche und Traditionen sein.

  15. Stefan Wagner sagt:

    Schöner Artikel, gerade durch die Bebilderung.

    Als völliger Laie habe ich mich auch mal an der Differenzierung versucht https://demystifikation.wordpress.com/2014/02/10/selbstzensierende-avatare-ii/ und bin jetzt froh nichts korrigieren zu müssen.

    Geschmacklich halte ich gar nichts von Kopftüchern, aber mein Standpunkt war lange auch, dass es ebenso autoritär ist jemandem das Tragen des Kopftuchs zu verbeiten wie jemanden unter ein Kopftuch zu zwingen.

    Schon dass nur diskutiert wurde Frauen das Tragen zu verbieten rief in mir die Frage hervor, ob man es Frauen verbieten kann während Männern das Tragen des Kopftuchs erlaubt ist. Das widerspricht ja eigentlich dem Gleichberechtigungsgedanken, auch wenn Männer mit Kopftüchern bislang selten vorkommen.

    Der zweite Vorbehalt, der immer wieder diskutiert wurde, war der des Glaubens. Frauen, die aus religiösen Gründen ein Kopftuch tragen, sollte es verboten werden. Das wirft nun die Frage auf was wäre, wenn Frauen behaupten es als modisches Accessoire zu tragen, oder aus kulturellen aber nicht religiösen Gründen – wo die Grenze schwer zu ziehen ist. In der Beschneidungsdebatte habe ich erfahren, dass es säkulare Juden gibt, die ihre Söhne beschneiden lassen aber nicht in die Synagoge gehen. Da musste ich schlucken, aber es gibt natürlich auch Atheisten die Weihnachtbäume aufbauen – also wenn man versucht, die

    eigenen Selbstverständlichkeiten ebenso in Frage zu stellen wie die anderer Menschen, dann wird schnell fraglich, wie man das Verbot des Tragens eines Kopftuchs praktisch eingrenzen will.

    Auch sind ja auch modische Tricks möglich, bei dem ein Hut so gestaltet wird, dass er die Haare vollständig verdeckt.

    Dann hörte ich oft, die Frauen/Mädchen würden von ihrem Mann/Vater/Brüdern gezwungen ein Kopftuch zu tragen. Hier ist das Problem, dass das Gesetz jeder Frau das Recht zubilligt ein Kopftuch zu verweigern. Keiner darf sie dazu zwingen. Wenn sie sich aber zwingen lassen, dann kann man wenig machen, dann sind sie faktisch so machtlos, wie das Kopftuch es angeblich symbolisiert.

    Aber ein Kopftuchverbot unterwirft die Frau dann nur einem anderen Diktat. Solange es nur das Kopftuch ist wäre dies auch ein potemkinsches Dorf, eine Verschleierung der Unselbständigkeit.

    Zuletzt bin ich aber doch ins Zweifeln gekommen. Leider weiß ich nicht mehr, was meine Quelle war, nur dass ich sie recht glaubwürdig fand, aber Glaubwürdigkeit vom Hörensagen ist natürlich praktisch wertlos.

    Die Schilderung, die mich zweifeln ließ war folgende: Es gäbe Schulen in einigen Berliner Bezirken, wo Mädchen, die kein Kopftuch tragen, von den Mitschülern und Mitschülerinnen als Huren als Bitches beschimpft würden. Als ich noch Schüler war gab es auch unappetitliche Beschimpfungen – in gewissen Grenzen muss man da wohl durch. Wenn die Beschimpfungen aber so massiv werden, dass sich wirklich Mädchen ins Kopftuch flüchten, kann man nicht mehr darüber hinwegsehen.

    Ob man mit einem Kopftuchverbot etwa an solchen Schulen etwas erreichen würde weiß ich nicht. Etwas bizarr wäre eine Regelung schon, bei der Klassen mit 1-2 Mosleminnen und Moslems das Kopftuch erlaubt wäre, weil man meint, dass dort kein Gruppenzwang entstehen kann, aber bei einem Anteil von über 50% würde man es verbieten.

    Oder dass sich Lehrerinnen von diesem Druck sichtbar distanzieren müssten, und kein Kopftuch tragen dürfen.

    Wie ernst und verbreitet das Problem insgesamt ist, weiß ich nicht. Ich denke aber da müssen andere Lösungen gefunden werden als ein Verbot, denn es betrifft zu wenige. Ich wünsche mir, dass das Kopftuch bei Mosleminnen wieder aus der Mode kommt, weil sie nicht mehr das Gefühl haben müssen, ihre Kultur trotzig zur Schau stellen zu müssen als Reaktion auf eine Abwertung von außen – so schätze ich nämlich dessen Renaissance ein.

  16. Hannah sagt:

    Danke für den Artikel.

    Zu dem einen Punkt „eine Frau* im Niqab anlächeln, an den Augen sehen, ob sie zurücklächelt“. Also ich kann Augenpartien nicht wirklich gut „lesen“. Sprich das wird bei mir nicht/nur begrenzt funktionieren.

    *Und* natürlich: Ihr* Körper, ihre* Regeln. Das muss sich nicht widersprechen. Wer bin ich, meine Probleme (ich kann sie* nicht „lesen“, Mimik weniger/nicht sehen, etc.) auf andere zu projizieren?

  17. daniel doublevé sagt:

    komisch, ich wohne seit sieben jahren in bonn und habe dort noch nie eine mit burka verschleierte frau gesehen. sehr wohl jedoch frauen mit niqabs und tschadors, was ja – wie miriam im artikel bereits beschrieb – ein unterschied ist.

    (und warum man anderen menschen vorschreiben will wie sie sich zu kleiden haben und wie man sich davon auch noch provoziert fühlen kann, werde ich nie verstehen.)

  18. caterina sagt:

    Und was ist mit Kindern (offensichtlich unter 10 Jahren) mit Hijab? Entscheiden die auch frei und emanzipiert?

    • Miriam sagt:

      Unterschiedlich. Im Fall von Betül Ulusoy würde ich sagen, ja: https://www.br.de/puls/themen/welt/betuel-ulusoy-interview-100.html Sie sagt in diesem Interview, dass ihre Eltern fanden, sie sei zu jung für die Entscheidung und sie ging damals noch zur Schule und war minderjährig. Ich will mit meiner Argumentation, dass sich die *meisten* Musliminnen freiwillig für eine Verschleierung entscheiden, nicht abstreiten, dass es auch Musliminnen unterschiedlichsten Alters gibt, die dazu gedrängt/gezwungen werden. Und dann ist es selbstverständlich ein Problem. Mir ist eben wichtig, zu differenzieren. Und prinzipiell würde ich sagen: Warum sollte ein zehnjähriges Kind nicht auch einen eigenen Willen haben und über derartige Dinge entscheiden können? Bitte mir jetzt nicht das Wort im Mund rumdrehen: Ich unterstütze KopftuchZWANG weder bei Kindern noch bei Erwachsenen. Das Argument „Aber die Kinder“ halte ich für einen Strohmann. Zwang, ob beim Kopftuch, Ehen und sonstigen Lebensentscheidungen, ist abzulehnen. Den Menschen (Frauen und Kindern), die sich in abusive relationships befinden, ist meiner Meinung nach aber mit einem Verschleierungsverbot nicht geholfen.

    • Giliell sagt:

      Und was ist mit 10 jährigen Kindern die zur Kommunion gehen? Oder als Sternsinger durch die Straßen laufen? Oder Make-up tragen? dAs goldene Kreuz um den Hals tragen? Es gibt vielfältige Arten auf die nicht-muslimische Kinder ebenfalls christlich religigiöse Symbole und Werte propagieren bzw. den westlichen Sexismus verinnerlicht haben und wiedergeben. Aber irgendwie werden nur Muslime dafür unter die Lupe genommen.

  19. Giliell sagt:

    Da hast du quasi schon alles gesagt, was es zu dem Thema zu sagen gibt. Jedwede debatte, die auf dem Körper der Frau ausgetragen wird ist per Definition nicht emanzipatorisch, feministisch oder freiheitlich.

    • Miriam sagt:

      Ich habe Philipp (extrem ausführlich) auf seinen Post geantwortet:

      Hallo Philipp,

      ich möchte Dir gerne auf einige Deiner Punkte antworten und würde mich über eine Veröffentlichung in den Kommentaren Deines Blogs freuen.

      Zunächst ist es nicht so, dass ich fände, dass alle Menschen in Deutschland in der Lage sein müssen, die verschiedenen Verschleierungsformen auseinander halten zu können, das hast Du mir in den Mund gelegt. Was ich sage ist, dass Politiker*innen, die ein Verbot fordern, Journalist*innen, die hierüber berichten und andere Menschen, die sich argumentativ an der Debatte beteiligen, wissen sollten, wovon sie reden. Genausowenig habe ich irgendwo beklagt, dass die Leute die arabischen Begriffe nicht kennen, wie Du auf Twitter schreibst.

      Dann finde ich es schade, dass Du mir unterstellst, keine Ahnung von meinem Fachbereich zu haben oder in meinem Arabisch-Unterricht nicht aufgepasst zu haben. Ich wollte den Leser*innen kurz aufzeigen, was die Worte, über die gesprochen wird, ursprünglich im Arabischen bedeuten. Du hast doch auch grade Deinen BA an der FU Berlin gemacht, auch in Islamwissenschaft? Dann hast Du sicher das
      Standard-Arabisch-Wörterbuch von Hans Wehr zu Hause: „Hidschab“ und „Burka“ werden da mit „Frauenschleier“ und „Niqab“ einfach nur mit „Schleier“ übersetzt. Dann mokierst Du, dass ich „Burka“ statt „Burqa“ schreibe. Mein erster Impuls beim Schreiben des Artikels war auch, „Hijab“ und „Burqa“ zu schreiben, das liegt aber daran, dass ich viele englische Artikel zu dem Thema lese und dass das die englischen Schreibweisen sind. Der deutsche Duden gibt die Schreibweisen „Burka“ und „Hidschab“ vor. Finde ich auch unlogisch, schließlich wird „Burka“ im Arabischen mit Qaf geschrieben. Dann gehst Du darauf ein, dass ich an dieser Stelle nur die Übersetzung, nicht jedoch den eigentlichen Impetus der Wörter erklären würde. Nun, mein Punkt in dem Text ist ja grade, dass es nicht die EINE Motivation für die Verschleierung gibt, sondern viele verschiedene und dass diese oft von den muslimischen Frauen selbst definiert werden. Du siehst das eben anders.

      Ich freue mich, dass wir uns in meiner Schlussfolgerung in dem Text einig sind, auch wenn Du sagst, dass Du andere Argumente zugrunde legst. Trotzdem scheint es mir, dass Du mir zustimmst, dass in der bisherigen Debatte eine Begriffsunschärfe vorherrscht, die problematisch ist.

      Bei dem Punkt zur Religionsfreiheit gehen unsere Ansichten sehr auseinander: Ich beziehe mich auf aktuelle Rechtsprechung in Deutschland zum Thema Verschleierungsverbot, welche feststellt, dass ein Kopftuchverbot
      nicht mit Artikel 4 der Grundrechte vereinbar ist.

      (https://de.wikipedia.org/wiki/Religionsfreiheit_in_Deutschland) Genau das Grundrecht auf Religionsfreiheit sehe auch ich verletzt, wenn Musliminnen eine (Voll-)Verschleierung verboten wird. Du bringst das Beispiel von Schülerinnen, deren Eltern ihnen die Teilnahme am Sportunterricht in Deutschland verbieten und argumentierst, dies sei eine Verletzung ihrer religiösen Freiheit. Das ist aber meiner Meinung nach nicht ganz korrekt: Es wäre eine Verletzung der religiösen Freiheit, wenn die SCHULE den Schülerinnen die Teilnahme am Unterricht verbieten würde. Du schreibst, man müsse die Eltern an „der Benachteiligung der eigenen Kinder aus religiösen Gründen“ hindern und dass die Schule weiterhin ein Raum sein müsse, in dem die Kinder andere Vorstellungen als die der Eltern oder der Community kennenlernen können. Zunächst: Ich finde es prinizipiell nicht so gut, wenn Eltern ihre Kinder vom Sportunterricht ausschließen. Andererseits könnte ich mir vorstellen, dass so manches Kind neidisch auf den plausiblen und von der Schule akzeptierten Grund ist, nicht teilnehmen zu müssen. Kinder erfahren durch Auflagen oder Verbote unterschiedlichster Art durch ihre Eltern Benachteiligung in
      unendlich vieler Hinsicht in der Schule oder im Alltag. Eine Freundin von mir stritt sich die gesamte Pubertät über schrecklich mit ihren Eltern, die durchsetzen wollten, dass sie immer einen Fahrradhelm trägt, wofür sie von den anderen Kindern gehänselt wurde. Sie
      sagten, „Bis Du 18 bist und ausziehst, trägst Du den Helm“. Das ist natürlich kaum vergleichbar und das Tragen eines Helmes ist ja auch durchaus sinnvoll. Ich wollte nur illustrieren, dass Eltern ihre Kinder zu allen möglichen Dingen zwingen, was dann meistens scheiße für die Kinder ist, egal ob mit oder ohne islamischen Kontext. Das
      alles rechtfertigt aber kein Verschleierungsverbot, durch das wiederum die Musliminnen, die sich gerne verschleiern wollen, benachteiligt werden. Betül Ulusoy z.B. hat sich bereits als Minderjährige und während ihrer Schulzeit für das Tragen des Kopftuches entschieden. Zu Deinem Punkt, die Kinder müssten auch weiterhin die Chance bekommen, andere Vorstellungen als die der Eltern oder der Community kennenzulernen: Das sehe ich auch so, hierfür gibt es ja die Schulpflicht in Deutschland. Zwar können Eltern ihre Kinder vom Sportunterricht befreien lassen, aber nicht vom Rest des Unterrichts. Wenn die Eltern ihre Kinder von anderen Vorstellungen abschirmen und homeschoolen wollen, sei es, weil sie fanatische Christen, Muslime oder Anhänger anderer Vorstellungen sind, müssen sie schon ins Ausland gehen. Wenn Kinder in der Schule ein Mädchen wie damals die junge Betül kennenlernen, dann erfahren sie doch auch mehr über Vorstellungen, die sie von zu Hause nicht kennen, oder?

      Dann legst Du mir in den Mund, ich hätte gesagt, dass die Gründe für die Entscheidung,
      sich zu verschleiern, in Deutschland „ausschließlich freiwilliger Natur“ wären. Das stimmt aber nicht. Ich habe in meinem Text sehr genau darauf geachtet, immer Dinge wie „fast immer“ oder „die meisten“ zu schreiben. Mir ist durchaus bewusst, dass es muslimische Frauen gibt, die von ihren Männern oder Familien unterdrückt oder zur Verschleierung gezwungen werden. Das ist ein Problem und dagegen muss etwas getan werden, genauso übrigens wie gegen die Unterdrückung von Frauen in nichtmuslimischen Familien oder Ehen in Deutschland. Ich glaube aber nicht, dass ein Verschleierungsverbot da helfen würde. Ich gehe in meinem Text ja aber auf die Frauen ein, die sich freiwillig entscheiden, der Studie „Muslimisches Leben in Deutschland“ von 2009 zufolge sind diese Frauen in Deutschland tatsächlich in der Mehrheit. Bitte lege mir
      doch nicht so viele Dinge in den Mund, die ich nie gesagt habe, weder ist mir die Unterdrückung von Frauen in Deutschland, Saudi-Arabien, anderen arabischen Staaten oder der gesamten Welt egal, weder sind mir Ehrenmorde egal noch halte ich die Berichte von (Ex-)Musliminnen über das von ihnen Erlebte für unglaubwürdig. Dass es Stereotype zu Muslim*innen in Deutschland gibt („Die sind alle so“) ist ja wohl aber auch ein Punkt, auf den wir uns einigen können, oder?

      Es scheint mir, dass Du eine Verschleierung bei Musliminnen prinizipiell ablehnst. Dass es auch muslimische Frauen gibt, die sich freiwillig dafür entscheiden, für die ihr Schleier ein wichtiges Merkmal ihrer Identität ist, scheint für Dich undenkbar zu sein, aber das habe ich mir ja nicht ausgedacht. Am Ende des Textes habe ich ja explizit darauf
      hingewiesen, dass man sich mit den Aussagen und wissenschaftlichen Werken muslimischer Frauen selber zu diesem Thema auseinandersetzen sollte. Lies doch wirklich mal „Women and Gender in Islam“ von Leila Ahmed, steht in der FU Berlin in der Unibibliothek und auch in der Staatsbibliothek Berlin.

      Du hältst es für Fantasie, dass es verschleierte Frauen geben kann, die trans-, inter-
      oder homosexuelle Freund*innen haben. Um wiederum Deine Fantasie etwas zu beflügeln, hier ein Link zu der Social Media Kampagne „Allah made me queer“, wo es um gläubige muslimische Queerpeople geht: http://allahmademequeer.tumblr.com/
      und http://www.vocativ.com/news/202644/queer-muslims-ramadan/

      Zu Deinem Punkt, dass Du meinen Ratschlag, Frauen mit Niqab mal anzulächeln,
      problematisch findest: Dies ist für mich tatsächlich das valideste Argument von Dir. Das kann auf jeden Fall auch schief gehen, da sind wir uns einig, und das hätte ich dazu schreiben sollen. Ich habe es deswegen vergessen, weil ich beim Schreiben an die Interaktion zwischen Frauen gedacht habe, und dabei nur von mir selber ausgegangen bin. Natürlich lesen auch Männer den Text und da sieht die Situation dann schon wieder anders aus. Für Frauen halte ich den Rat für vollkommen unproblematisch. Für Männer hängt es sicher von der Situation ab. Es hat mich aber doch etwas irritiert, dass Du Dir vollverschleierte Frauen ausschließlich in Begleitung ihrer Ehemänner in der Öffentlichkeit vorstellst. Das enspricht nicht dem, was Du z.B. in Berlin Neukölln oder anderswo sehen kannst. Auch vollverschleierte Frauen gehen alleine auf die Straße.

      Ich habe aus dem Text an manchen Stellen den Eindruck gewonnen, dass Du findest, dass man mich nicht ernst nehmen kann, weil ich als Frau in Saudi-Arabien lebe. Das Argument, ich könne doch als Frau und Feministin nicht im Ernst freiwillig in Saudi-Arabien leben, habe ich schon öfter gehört. Es geht aber doch. Ich bin ja nicht hierher gezogen, weil ich den Wahhabismus so attraktiv finde, sondern u.a. weil in diesem
      Land derzeit sehr viele spannende gesellschaftliche Veränderungen stattfinden und viele emanzipierte und motivierte saudische Frauen hieran mitwirken.

      Vielen Dank für den Gedankenaustausch und viele Grüße!

      Miriam

  20. Miriam sagt:

    zu Frau A: Nein, das Argument gegen ein Verschleierungsverbot ist nicht, dass 100% der vollverschleierten Frauen dieses aus freier Entscheidung tragen. Das Argument ist, dass in der Gesamtgruppe aller vollverschleierten Frauen sich auch viele befinden, die es aus freier Entscheidung und mit Stolz tragen. Ich leugne nicht, dass es auch welche gibt, die dieses nicht freiwillig tragen. Aber das Argument ist, dass den dazu gezwungenen mit einem Verbot nicht geholfen wird während gleichzeitig die (Religions-)Freiheit derjenigen beschnitten wird, die es freiwillig tragen. Meiner Meinung nach wäre ein Verbot also insgesamt nicht mit einem Gewinn, sondern sogar noch mit einem Verlust an Freiheit verbunden.

    zu Frau B: Natürlich kannst Du so argumentieren. Ich persönlich finde allerdings, dass das Zeigen des Hakenkreuzes in unserem Land nochmal etwas anderes ist, als eine Vollverschleierung zu tragen. Das Hakenkreuz ist bei uns verboten, weil es für Krieg und fabrikmäßigen Massenmord steht – in bis zu 42.500 nationalsozialistischen Lagern. Die Gesellschaft hat sich hier auf ein Gesetz geeinigt, welches das Zeigen verfassungswidriger Organisationen verbietet: http://dejure.org/gesetze/StGB/86a.html Was die Vollverschleierung angeht, ist die Diskussion noch offen. Ich kann zwar verstehen, warum manche Leute argumentieren, dass eine Volllverschleierung ein Symbol gegen die Menschenwürde ist, möchte aber gleichzeitig auch für eine andere Sichtweise werben. Weil es eben doch auch Frauen gibt, die sich nicht unterdrückt fühlen und sich freiwillig für eine Vollverschleierung entschieden haben.

  21. Giliell sagt:

    Und nach dem Lesen aller Kommentare noch ein paar Gedanken
    Viele Leute scheinen viele Muslime zu sehen, aber wenige zu kennen. „Gesehen“ heißt in dem Fall meistens, die Frau trägt irgendeine Art von Kopfbedeckung, was für die meisten Musliminen in Deutschland nicht gilt. Die „Datenmenge“ aus der man nun also irgendwelche Schlüsse zu ziehen versucht ist also von vorne herein schonmal schlecht.
    Des weiteren ist es ein Irrglaube zu meinen, man könne von der Kopfbedeckung auf die Einstellung der FRau, des Mädchens, oder ihrer individuellen Lage Rückschlüsse ziehen.
    Ich lebe in einer Stadt mit einem durchschnittlichen Anteil an Muslimen für eine mittelgroße westdeutsche Industriestadt und da ich nicht nur selber Kinder habe, sondern auch noch Lehramt studiere komme ich natürlich mit sehr vielen Menschen in Kontakt. Zu sagen es gäbe keine kulturell geprägten Probleme wäre falsch. Von Vätern und Schülern die Lehrerinnen nicht ernst nehmen und Mädchen die nicht mit auf Klassenfahrt dürfen oder auch die keine weitergehende Bildung erhalten sollen da sie die als Hausfrau und Mutter ja eh nicht brauchen, Konflikte über „freizügige“ Kleidung usw. Kopftücher sind hingegen ein recht seltener Anblick.
    Das soll übrigens nicht heißen, dass die msulimischen SchülerInnen eine besonders problematische Demografie darstellen. Die Probleme sind dort wo es sie gibt lediglich anders gelagert als bei den Kindern ohne Migrationshintergrund. Gewalt, Misshandlung, Vergewaltigung und Vernachlässigung kommen überall vor, nur dass sie bei Kindern ohne Migrationshintergrund für gewöhnlich am sozialen Milleu oder der individuellen Familie festgemacht werden und nicht an Ethnie und Religion.
    Wo sehe ich also viele Frauen mit Kopftüchern? An der Uni. In den Varianten von Kopftuch und Minikleid über der knallengen Jeans über Kopftuch und offen getragener Abaya bis zu geschlossenem Tschador. Allerdings habe ich keine Burkas oder Niquabs bislang gesehen. Wenn man ins Gespräch kommt (leider bei meinen Fächern eher selten) dann haben wir im Schnitt die selben Probleme, mögen die selben Dinge, trinken gerne zusammen Kaffee. Selbstbewusste, intelligente junge Frauen die eine erstklassige Bildung und hochqualifizierte Abschlüsse anstreben. Um deren „Befreiung“ muss ich mir wahrlich keine Sorgen machen.

  22. Miriam sagt:

    Noch ein interessanter Artikel aus der Vice, auf den ich dank Philipp aufmerksam geworden bin:

    „Wir haben junge Frauen gefragt, warum sie Kopftuch tragen“ http://www.vice.com/de/read/wir-haben-junge-frauen-gefragt-warum-sie-kopftuch-tragen-myheadmychoice-berlin-neukoelln-439

    Und ein Video von den YouTubern „Datteltäter“, die sich auch immer wieder satirisch mit der Kopftuchdebatte auseinander setzen: https://www.youtube.com/watch?v=4zI8n3ebGr4

  23. Miriam sagt:

    Nur ein kurzer Hinweis, der mir aber wichtig ist: Nur weil ich in dem Artikel ein Bild der verschiedenen Verschleierungsformen aus verschiedenen Regionen der Welt verwendet habe, kann man daraus nicht schließen, dass alle verschleierten Frauen hierdurch eindeutig einer bestimmten Nationalität oder islamischen Strömung zugeordnet werden könnten. Zwar gibt es bestimmte Formen, die in bestimmten Regionen vermehrt vorkommen, aber im Zweifelsfalle würde ich empfehlen, die entsprechende Person doch immer zu fragen, wenn die Situation es hergibt und keine vorschnellen Annahmen zu machen. Es gibt ja auch Konvertitinnen z.B., oder Musliminnen, die ursprünglich aus einem Land stammen, aber jetzt in einem anderen Land leben. Es gibt Traditionen, die sich nicht an die mit dem Lineal gezogenen Grenzen halten, sondern sowohl hier als auch da gelebt werden. Auch was die verschiedenen islamischen Strömungen oder Rechtsschulen angeht, kann man das nur vom Aussehen niemals zweifelsfrei feststellen. Also: Keine vorschnellen Schlüsse beim ersten Blick!

  24. Miriam sagt:

    Du schreibst, dass das Kopftuch für DICH ausschließlich ein Ausdruck von Religion ist, aber das heißt ja nicht, dass es für andere Frauen nicht auch Ausdruck von anderen Dingen sein kann, nur weil Du es ausschließlich so wahrnimmst.

    Du fühlst Dich unwohl und von verschleierten Frauen „angegriffen“, das ist erstmal Dein Gefühl und es ist natürlich unangenehm für Dich und insgesamt blöd, dass Du Dich so fühlst. Ich möchte aber für eine Sicht plädieren, dass die meisten dieser verschleierten Frauen Dir gar nichts tun wollen, dass sie vermutlich gar nicht über Dich urteilen, wenn sie mit Dir interagieren. Wenn sie ein Kopftuch tragen, dann hat das meistens etwas mit ihnen zu tun, und weniger etwas mit Dir.

    Dass Du Dich in einem islamisch geprägten Land verschleiern würdest, aus Respekt vor der dort vorherrschenden Kultur, ist edel von Dir, wird aber in den allermeisten Ländern gar nicht von Dir erwartet. In sehr vielen islamisch geprägten Ländern leben z.B. auch christliche oder andersgläubige Minderheiten, die sich auch nicht verschleiern, und das ist so gut wie nie ein Problem. Ich selber lebe in Saudi-Arabien und habe früher auch in Ägypten gelebt, Respekt vor der Kultur, in der ich lebe, zu zeigen, ist mir sehr wichtig (ich trage z.B. eher langärmelige Kleidung etc.), aber mir ist nie vermittelt worden, dass von mir erwartet wird, ein Kopftuch zu tragen und es war niemals in all den Jahren ein Thema. Wenn es den Muslim*innen in den islamisch geprägten Ländern also egal ist, wenn ich mich nicht verschleiere, kann es uns dann nicht auch egal sein, wenn sich die Muslim*innen in Deutschland verschleiern möchten, solange sie dies niemand anderem aufzwingen wollen?

  25. Miriam sagt:

    Hallo Diana,

    vielen Dank für Deinen Kommentar und Deine Innenansicht!

    Ich will nur auf einen einzigen Punkt eingehen, nämlich den, ob eine Verschleierung vorgeschrieben ist, oder nicht: Es ist schon so, dass viele verschiedene islamische Rechtsschulen und religiöse Gelehrte hierzu unterschiedliche Positionen vertreten, hier gibt es viel dazu zu lesen: http://www.bpb.de/politik/innenpolitik/konfliktstoff-kopftuch/63288/die-religioese-debatte (die einzelnen Texte beziehen sich auch auf bestimmte Suren und die Sunna des Propheten).

    Die Aleviten z.B. halten die Verschleierung nicht für obligatorisch. Und viele Muslim*innen orientieren sich an bestimmten Gelehrten oder Auslegungen von Koran und Sunna, die mal für und mal gegen ein VerschleierungsGEBOT argumentieren.

    Es gibt einen Hadith von Bukhari, kennst Du den?

    „When Prophet Muhammad (salallahu alayhi wa sallam) was travelling on
    the road with his cousin, Al-Fadl ibn Abbas, a woman stopped him to ask
    him a question. The woman was very beautiful, and Al-Fadl couldn’t help
    but stare at her.“*

    Seeing this, Prophet Muhammad reached out his hand and turned his cousin’s face away.
    ”He didn’t tell the woman to cover her face.
    He didn’t tell her to change her clothing.
    He didn’t tell her that her appearance was too tempting or indecent.
    He averted his cousin’s impolite stare instead.“

    *Bukhari Volume 8, Book 74, Number 247

    Ich finde den einfach interessant, weil er eine andere Haltung zu der Frage ins Spiel bringt.

    Auch was den Nikab angeht, gibt es verschiedene Positionen. Z.B. hat der ehemalige Chef der Religionspolizei von Mekka in einer Fatwa erklärt, dass der Nikab für Musliminnen nicht obligatorisch ist, und es gab in Saudi-Arabien sehr viel Diskussion darüber: http://www.npr.org/sections/parallels/2014/12/17/371397185/a-tweet-on-womens-veils-followed-by-raging-debate-in-saudi-arabia

    Wie gesagt, ich finde, jede Frau kann sich so entscheiden, wie sie es für richtig hält, und daher wünsche ich Dir viel Glück mit Deinem Weg und Deiner Entscheidung und danke Dir für Deine Beteiligung an der Diskussion!

  26. Miriam sagt:

    Von einer Bekannten, die einige Jahre in Afghanistan gearbeitet hat, habe ich jetzt erfahren, dass das, was wir als „Burka“ kennen, dort noch nicht einmal so genannt wird, sondern als „Tschaderi“ oder „Tschadori“ bezeichnet wird (was dem „Tschador“ aus dem Iran nicht zufällig sehr ähnlich klingt). Im Wikipedia-Artikel wird es kurz erwähnt: https://de.wikipedia.org/wiki/Burka

  27. Stefan Wagner sagt:

    Meine Schulzeit ist schon lange vorbei, aber damals gab es ein wildes Mobbing – ob man erfasst wurde hing davon ab ob man zu schwach war, sich zu wehren, dann lief man Gefahr, ob man individuelle Merkmale hatte, die zum Mobbing führten (Dicksein) und ob man leicht reizbar war.

    Jede Klasse suchte sich ihre eigenen Opfer – für diese sicher auch nicht schön, aber so klang das für mich nicht, sondern so, als gäbe es mehrere Schulen, in denen alle Mädchen ohne Schleier diesem Gruppendruck ausgesetzt wären.

  28. […] Deutschland: Und da viele gerade mehr Frauen aus arabischen Ländern als bisher auf den Straßen sehen: Ein erläuternder Text über Burkas, Kopftücher, Verschleierung und Feminismus. Eins von diesen Dingen passt nicht zu den anderen? Es ist kompliziert und lesen lohnt. […]