Lippenstift und Fäuste – die neue Marvel-Serie „Agent Carter“

Foto , © , by ABC

Der amerikanische Held im rot-weiß-blauen Kampfanzug sitzt im Cockpit und rast auf eine Eisfläche zu. Über das Funkgerät tauscht er letzte Worte aus mit der Frau, mit der er gerne mal tanzen gegangen wäre. Aber dies ist eine Mission ohne Wiederkehr. Ein Blick auf ihr Foto an seinem Amaturenbrett, und wir wissen: das heißt Adieu. Für immer.

Mit dieser dramatischen Szene beginnt die am 6. Januar auf dem US-Sender ABC angelaufene Serie “Agent Carter”. Doch für die Frau auf dem Foto, die titelgebende Peggy Carter (wie auch im Film gespielt von Hayley Atwell), ist der Absturz nur eine Erinnerung. Und viele der Zuschauer_innen dürften diese teilen: sie stammt aus der Comicverfilmung “Captain America – The First Avenger” (2011), in dem der Soldat Steve Rogers mittels eines Wunderserums zum Vorzeigekämpfer der US-Armee im 2. Weltkrieg aufgepumpt wird (wortwörtlich) und gegen die Nazi-Geheimgesellschaft “Hydra” und ihre außerirdischen Wunderwaffen kämpft. Zum Ende des Films opfert er sich und steuert ein die Menschheit bedrohendes Fluggefährt ins ewige Eis (wo er erst nach 70 Jahren Tiefkühlung gefunden und aufgetaut wird, bereit für die „Avengers“).

Nun hat Marvel die Geschichte der britischen Offizierin Peggy Carter, die als Teil der “Strategic Scientific Reserve” (S.S.R.) Captain America in seinem Kampf auch mit Fäusten und Schusswaffen unterstützt hat, als Serie weitergesponnen. Und obwohl das ganze mit der tragischen Erinnerung an Cpt. Rogers letzten Flug beginnt, steht die Romantik und damit der Bezug auf den männlichen Held mitnichten im Mittelpunkt, wie sich schnell herausstellt. Peggy Carter hat da ganz andere Sorgen. Sie lebt in New York, es ist 1946 und der Krieg damit vorbei, und so teilt sie das Schicksal vieler anderer Frauen: Während des Krieges hat sie eine wichtige Position bekleidet, wurde ins Geschehen einbezogen und respektiert. Nach der Rückkehr der Männer soll sie bei der S.S.R. nun jedoch im Wesentlichen das Telefon bedienen und ihre Ideen für sich behalten. Zwar geht sie kreativ damit um (und leitet etwa kurzerhand das Telefon in den Meetingraum weiter, um am Treffen teilzunehmen), aber es bleibt ein sexistischer Spießrutenlauf. Durch ihre Mitbewohnerin, die ihren Job gleich ganz an einen Mann verliert, wird dabei deutlich: Peggy Carter arbeitet vielleicht als Geheimagentin, aber ihre Probleme sind sehr alltäglich.

„During the war, I had a sense of purpose, responsibility. But now, I … connect the calls, but I never get a chance to make them.“ (“Während des Krieges hatte ich ein Ziel, Verantwortung. Und jetzt… stelle ich Anrufe durch, aber kriege nie die Chance, selbst welche zu machen.”)

So überrascht es wenig, dass sie nicht lange zögert, als sich ihr eine Chance für eigene Aufgaben bietet. Wissenschaftler-Industriemagnat-Playboy und Vater von Tony “Iron Man” Stark, Howard Stark (Dominic Cooper), ist untergetaucht, nachdem gegen ihn wegen Verrats und geheimer Waffenverkäufe ermittelt wird. Er bittet Carter, die ihn von gemeinsamen Captain-America-Abenteuern kennt, bei der S.S.R. verdeckt zu ermitteln und herauszufinden, wer wirklich dahintersteckt.

„You’re asking me to become a traitor in order to prove that you’re not one. You do see the irony here?“ (“Du bittest mich also, ein Verräter zu werden, um zu beweisen, dass du keiner bist. Die Ironie darin siehst du aber schon?”)

Was dann folgt, erfüllt alle Erwartungen, die zumindest ich an eine Spionage-Serie mit Ursprung im Marvel-Universum hatte, mit dem Marvel-eigenen Hochglanz-Feeling, Humor und der Liebe zum (Retro-)Detail. Es gibt technische Devices im 40er-Jahre-Design, die 21.-Jahrhundert-Dinge tun können, Perücken und Verkleidungen, Nachtclubs und Schießereien, Superwaffen mit physikalisch abenteuerlicher Wirkung, und natürlich mysteriöse vielsagende Codewörter wie „Leviathan“, von denen man nicht weiß, ob sie eine Organisation, eine Person, eine Waffe oder einfach nur ein Codewort sind.

Sexismus vs. Ladies Things

Richtig interessant wird “Agent Carter” aber durch seine Heldin. Zwar gibt es mittlerweile einige Agentinnen und Spioninnen in Serien, Comics, Filmen, aber dass sie im Mittelpunkt des Geschehens stehen, ist doch oft noch die Ausnahme. Und Peggy Carter ist keine eiskalte Martial-Arts-Killerin im hautengen Lederanzug à la “Black Widow”. Zwar erfüllt Peggy mit roten Lippen und braunen Wasserwellen ganz das Stereotyp der sinnlichen 40er-Jahre-Schönheit. Doch wenn sie kämpft (und das tut sie nicht selten), dann prügelt sie, und zwar mit Schmackes, und wirkt dabei angenehm realistisch robust und nicht überirdisch schlank wie so viele ihrer Comic-Kolleginnen. Dem Sexismus, der sie täglich umgibt, begegnet sie mit Sarkasmus und Gewitzheit. Um Informationen in einem Meeting mitzuhören, trägt sie zum Beispiel einfach den Kaffee rein – denn niemand beachtet die Frau, die Kaffee reinträgt. Für ihre eigenen Recherchen nimmt sie sich wegen „ladies things“ einen Krankheitstag, weil sie genau weiß, dass ihre Macho-Kollegen angesichts solcher „Peinlichkeiten“ nur angewidert das Gesicht verziehen und nicht weiter nachfragen.

Die Anti-Damsel-in-Distress

Seinen (auch humoristischen) Kulminationspunkt finden die sexistischen Zuschreibungen, mit denen Agent Carter sich herumärgern muss, in einem Radiohörspiel basierend auf den Abenteuern von Carter und Captain America, das ständig überall zu laufen scheint, wo Carter auftaucht. Sie wird darin zur dümmlichen Damsel-in-Distress degradiert, die Folge um Folge von Nazis entführt wird und mit flehendem Ton Captain America zur Hilfe ruft. In einer besonders denkwürdigen Szene werden die Radiomacher, die auf riesige Schinken klopfen und Hummer entzwei brechen, um Captain Americas Faustschläge zu vertonen, parallel geschnitten mit Agent Carter, die sich tatsächlich prügelt und Knochen bricht. Der Kontrast zwischen der Hörspiel-Carter und der “echten” Carter könnte größer nicht sein, und ist auch ein interessanter Meta-Kommentar zu (sexistischen) Vorurteilen und Rollenklischees in Comics.

Eine passende Ergänzung dazu stellt der männliche Helfer dar, der Carter mehr oder weniger gegen ihren Willen zur Seite steht. Es ist Howard Starks Butler, Edwin Jarvis (James D’Arcy), der wiederum so gar nicht ins Klischee des alphamännlichen Comic-Helden passen will: während er Carter am Telefon chemische Formeln durchgibt, kocht er gerade ein Soufflé, er geht gerne um 9 Uhr abends ins Bett und wirkt auch sonst eher steif-britisch und wie ein naiver Neuling im Spionage-Business (oder zumindest sollen wir das denken…). Zudem ist er, zumindest in den bislang erschienen Folgen, vor allem komischer Sidekick und nicht Love-Interest, und es wäre zu hoffen, dass das noch ein bißchen so bleibt. Es ist so entspannend.

Was sich jedoch gerne noch ändern könnte, ist die Vielfalt der restlichen Charaktere. Eine Geschichte, gerade in New York, mit so vielen ausschließlich weißen Figuren zu besetzen, wirkt geradezu faul und uninspiriert, gerade im Vergleich zur Kreativität im Spiel mit sexistischen Klischees.

Bislang sind drei Folgen der Serie erschienen, die etwas zeitversetzt online auf den Seiten von ABC gestreamt werden können (allerdings mit Werbung). Einen Starttermin für eine deutsche Übersetzung gibt es noch nicht, aber es ist zu hoffen, dass “Agent Carter” in absehbarer Zeit auf Plattformen wie netflix zu sehen sein wird, wie bereits andere Serien des Senders ABC.

3 Antworten zu “Lippenstift und Fäuste – die neue Marvel-Serie „Agent Carter“”

  1. Shinta sagt:

    Es sei noch zu erwähnen, dass es bereits einen Kurzfilm (15 min) gleichen Names gibt (Released z.B. auf der BluRay zu Iron Max 3). Wer diesen Marvel One-Shot noch nicht kennt, sollte vielleicht warten mit dem Anschauen, da dieser IMO etwas spoilert.

  2. Bearnerdette sagt:

    Oh wie toll, ich bin so gespannt auf diese Serie. Peggy verdient wirklich mehr, als die Damsel in Distress – Rolle an Caps Seite.

  3. Fr Hmpf sagt:

    Großartig! Da warte ich schon lange drauf, weil Carter schon im Comic spannend war und trotz des gelegentlichen Verkümmerns zur Randfigur gradios badassen kann.