„Breathing Machine“ – eine Netz-Adoleszenz

Foto , CC BY-NC 2.0 , by Kjetil Korslien

Wann habt ihr zum ersten Mal an einem Computer gesessen? Welches war euer erstes Videospiel? Das erste Mal im Internet surfen? Mit Fragen wie diesen lassen sich unter Leuten, die das Privileg hatten, mit digitalen Geräten aufzuwachsen, vielversprechende Partysmalltalks starten. Seien es nun die Nachmittage an der 16bit-Konsole der besten Freundin, der C64 des großen Bruders oder die ersten Online-Freundschaften aus dem Fanforum zum Lieblings-Jugendbuch – viele teilen die eine oder andere nostalgische Erinnerung, wie sie in die Welt von Videospielen, Betriebssystemen oder in die Tiefen des Internet vordrangen.

Leigh Alexander, Game-Journalistin, hat aus ihren Erinnerungen eine kleine Tech-Autobiographie gemacht. “Breathing Machine – A Memoir of Computers” (bislang nur auf Englisch) ist nur ca. 66 Seiten lang und schafft dennoch einen erfüllten Bogen von Leighs Kindheit bis ins junge Erwachsenenalter. Geboren in den frühen 80er Jahren (vermutlich, eine genaue Angabe ist nicht zu finden) war Leigh in ihrem Elternhaus früh mit Technik umgeben. Ihr Vater schrieb HiFi- und Technik-Rezensionen für verschiedene Magazine und entwickelte sich später zum Experten für Computersicherheit – naturgemäß gab es in Leighs Umfeld daher schon früh allerlei digitale Wunderdinge oder mysteriöse Bücher voll unverständlicher Formeln und Zahlen zu entdecken.

Die Erzählung beginnt früh, durch die Augen von Leighs kindlichem Ich, das sich der Magie des mysteriösen Geräts im Hobbykeller nicht entziehen kann. Stundenlang will sie den blinkenden Cursor dazu bewegen, eine andere Antwort als “SYNTAX ERROR IN 10” auszugeben. Das Faszinosum, mit Maschinen zu interagieren, die man kaum oder nur wenig versteht, wird in Leighs Worten so greif- und nachvollziehbar, dass ich mich beim Lesen ein wenig für meine zunehmende Ignoranz dieser Faszination gegenüber schelten musste. In gerade in den ersten Kapiteln nahezu poetisch anmutenden Beschreibungen zieht sich diese Faszination durch die folgenden Jahre, die sowohl das Aufwachsen Leighs als auch die fortschreitende digitale Entwicklung bedeuten.

Mit der gleichen Begeisterung, mit der die junge Leigh merkwürdige Fehlermeldungen produziert, arbeitet sie sich durch unzählige Textadventures, immer verbunden mit dem heimlichen Wunschtraum, eine Art autonomen “Geist in der Maschine” zu finden. In den Chats und Schattenwelten des frühen Internets der 90er Jahr tritt sie in die Nerdkultur der Manga-Foren und “Everything Nothing”-Pages ein. Sie schließt Freundschaften mit Menschen, deren Namen und Alter sie nicht kennt, und bessert ihr Taschengeld auf, indem sie für Porn-Spambots textet. Die Untiefen von rotten.com, die Verheißungen und Ernüchterungen des “Second Life”, der MMORPGs – “wilde Jahre” in einem suburbanen Jugendzimmer voller Animé-Poster.

Leigh beschreibt eine Art Adolszenz des Internets, die nur für eine einzige – ihre – Generation mit der eigenen Pubertät zusammengefallen ist. Sie macht keinen Hehl daraus, dass dies für sie ein außergewöhnliches, lebensprägendes Moment ist. Trotzdem ist sie fern von der Abgrenzungsrhetorik vieler Generationenbücher (und der vieler Nerds). “Breathing Machines” ist kein Generationenbuch, sondern bleibt eine individuelle Erinnerung, die gerade deshalb auch dann spannend und anschlussfähig ist, wenn Leser_innen sie nicht aus eigenem Erleben teilen. In ihren persönliche Geschichten tritt Leigh immer wieder zurück, um einen Blick auf die größeren Dimensionen der jeweiligen digitalkulturellen Entwicklungen zu werfen. Dies ist die beste Art der Nostalgie: eine, die sich selbst reflektiert und dabei Einsichten vermittelt über das, was in der Erinnerung verbrämt wird als auch über die Frage, warum diese Erinnerung wohl so teuer und eindringlich ist.

Am Ende kommen wir in Leighs Gegenwart als Game-Journalistin und Internet-Bewohnerin an, und ihr Ton wird schärfer. Aus ihr spricht die berechtigte Wut einer, die mit den gleichen Leidenschaften, Lebenswelten, dem selben Unverständnis und Spott Gleichaltriger aufgewachsen ist wie ihre männlichen Weggefährten – und die nun auf einmal ansehen muss, wie ihre Welt als eine vermeintlich männliche Domäne abgesteckt und nach aussen abgegrenzt wird. Und sie verteidigt diese furios.

“Tech culture has become a sick-makingly hostile space, a club of angry dudes who require you to recite all the passwords before you might be allowed, still under suspicion of cooties, into the treehouse. […] Why is it that when I finally accepted a seat in this world and raised my voice properly to be heard on the issues I’ve always loved, I experienced more viciousness and hostility than I ever did in the mundane Suburban Athletics world I left behind? And why does the community I always believed was mine deride these concerns as inconvenient, optional?”

(“Die Techszene ist ein grässlich feindseliger Ort geworden, ein Club wütender Typen, die von dir verlangen, sämtliche Passwörter aufzusagen, bevor du eventuell ins Baumhaus reingelassen wirst – immer noch im Verdacht, Läuse zu haben. […] Wie kann es sein, dass als ich schlussendlich meinen Platz in dieser Welt angenommen und meine Stimme erhoben habe zu den Themen, die ich immer geliebt habe, ich mehr Boshaftigkeit und Feindseligkeit erlebt habe als jemals in der Welt der Vorstädte und Sportler, die ich hinter mir ließ? Und warum verhöhnt eine Community, von der ich immer annahm, dass es meine ist, diese Sorgen als lästig und optional?”)

Allein für dieses Kapitel (das ich am liebsten in voller Länge zitieren würde) lohnt sich die Lektüre. Ganz zu schweigen von Leighs Rückbesinnungen, die so lebendig sind, dass man das Modempiepsen und Lüfterrauschen zu hören meint.

Erhältlich bei amazon, iBooks, Google Books.

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2 Antworten zu “„Breathing Machine“ – eine Netz-Adoleszenz”

  1. Lea sagt:

    Und da haben wir sie wieder, die alte Rauferei zwischen Freiheit und Sicherheit! Das Netz ist eben nicht bloß ein Buch, ein Zeitungsartikel oder eine Fernseh- oder Radiosendung. Es ist auch eine offene Bühne. Jeder Mensch kann sich äußern, ob in einem Tweet, einem Blogbeitrag oder einem YouTube-Video. Im Netz rauchen wir einander filterlos. Wir lesen böse, beleidigende, gehässige, herablassende Kommentare. Wir ärgern uns. Aber haben wir den Kampf verloren? Nein, wir wollen ihn doch! Wir müssen und wollen uns den Idioten stellen! Hier im Netz haben wir die Chance mit Idioten ins Gespräch zu kommen, sie zu bekämpfen. Dass wir uns über dumme Kommentare ärgern, offenbart uns auch: Wir haben die Gelegenheit zur Meinungsäußerung! Hinein in die Foren voller Seximsus, Rassismus und Co.! Aufgemuckt, Ihr guten Menschen des Netzes! Freiheit heißt nicht Ignoranz! :)

  2. spicollidriver sagt:

    hat zwar mit dem Kern des Textes (und des Buches) nur bedingt zu tun, aber ich als jemand, der auch zu denen gehörte, die die „digitale Revolution“ mitbekommen habe, finde die Vorstellung immer wieder faszinierend, daß heutige Kinder und Jugendliche bspw. keine Welt mehr ohne Internet kennengelernt haben. es hat Zeit ihres Lebens einfach schon immer existiert.

    (dementsprechend ist auch klar, daß sie die Art wie „wir“ – sprich: alle, die diesen Wandel mitgemacht und z.b. mit großen Augen ihre erste Webseite geöffnet oder ihre erste eMail geschrieben habe – das Internet wahrnehmen, niemals völlig begreifen werden können. und umgekehrt übrigens dasselbe)