Über verschüttete Milch weinen

Nahaufnahme von einem großen Glas gefüllt mit Tee und einem Löffel, einem Beutel Stillstee, der auf der dazugehörigen Packung liegt, einem Glas Selt und einer Flasche Malzbier
CC BY-NC-SA 4.0 , by Nicole von Horst

Ich hätte nie gedacht, dass ich darüber mal einen Text schreiben würde. Ich hätte nie gedacht, dass mich das so mitnehmen würde. Die Milch zum Mitnehmen, die wohltemperierte, kostenlose, übertrieben gesunde Milch. Das ist ein Text zum Thema Stillen und ich hätte nicht gedacht, dass ich ihn mal schreiben würde.

Seit ich klein war, sah ich mich eines Tages als Mama. Kindsein fand ich gut, Mama sein, um gut zu einem Kind zu sein, fand ich gut. Stellte mir gerne vor, selbstgemachte Kinder großzuziehen. Sah mir in Büchern Bilder von Geburten an (gerne auch blutig), fuhr Puppenwagen herum, fragte meine Cis-Mutter, ab wann ein Baby was kann. Und fütterte meine Puppen und Kuscheltiere. Womit? Mit Fläschchen. Als Kind kam mir Stillen nicht in den Sinn. In allenallenallen Vorstellungen von “Ich, irgendwann, mit Kind” gibt es keine Brüste, halte ich niemandem einen Nippel hin. Flaschen fand ich immer super und sogar sinnlich. Kleine Flaschen aus dünnem Plastik mit Zuckerperlen drin und weichen dunkelgelben Saugern, die man bröselig beißen konnte. Die Glasflasche mit Marienkäfern, aus der ich als Baby Milch bekam. Viel später selbstgekaufte Babyflaschen, die ich als Trinkflasche mit in die Schule nahm, das Saugloch vergrößert. (Noch später an ihrer Stelle eine Absolutflasche für das Wasser im Sportunterricht. #yoloswag)

Stolperte schwanger über Stillaufforderungen in Zeitschriften, in Werbung, auf Packungsbeschreibungen ÜBER-fucking-ALL und dachte jaja. Las Erfahrungsberichte und Expert_innenratschläge, in denen erwähnt wurde, warum Stillen halt manchmal nicht geht, und die trotzdem nicht ohne ein “Stillen ist das BESTE!!!!” auskamen.

Und dann? Stillte ich mein Kind, stillte es aus Versehen ab, versuchte eine Relaktation und gab auf. Es war das Beste, was ich tun konnte. But still. (Haha.)

Breast is best – fuck the rest?

Was meine Cis-Mama erlebt hat, damals, mit mir: da kommt nicht genug Milch von der Brust ins Kind (mich), aus welchem Grund auch immer, es wird grau, das Kind, im U-Heft ist ein Haken bei “untergewichtig”. Schließlich füttert sie Pulvermilch, schreibt drei Monate eine Tabelle, auf der sie bei Uhrzeit und Milchmenge Kreuze macht und die miteinander verbindet, 76 DIN A4-Blätter lang. Plötzlich prosperiert das Baby. Bei meinem Bruder ließ sie das Stillen gleich sein. No big deal.

Kariertes DIN A4-Papier, darauf ein mit Bleistift eingezeichneter Graph, dessen horizontale Leiste Stunden markiert und dessen vertiklae Leiste ml markiert. Mit Kugelschreiber sind einzelne Punkt innerhalb des Graphen markiert und zu einer Linie verbunden. Links oben am Rand steht ein Datum und ein Gewicht. Mehrere solcher Blätter liegen aufgefächert auf dem Boden.
 

Als ich das erste Mal schwanger war, hat sich die Frage nach dem Stillen schnell von selbst erledigt, infauste Diagnose für den Fötus. Meine Brüste wuchsen trotzdem. Meine schönen, kleinen Brüste, von Bindegewebsrissen zerfurcht für nichts und wieder nichts. Da hätte ich in der Schwangerschaft gerne ein Opt-out gehabt, für einzelne körperlichen Features. Nach der Geburt gab es zwei kleine Tabletten zum Abstillen. Nach einer Totgeburt auch noch kalten Kohl um meine Brüste zu wickeln zu müssen, sie abzubinden und darauf zu hoffen, dass schmerzhaft volle Brüste aufhören, schmerzhaft voll zu sein, ist mir erspart geblieben. Es gibt aber eine Tendenz, wegen Nebenwirkungen von der Vergabe dieser Tabletten abzuraten. Andere Mütter nutzen die Gelegenheit und pumpen nach der Geburt eines toten Kindes Milch ab, um sie einzufrieren und an Krankenhäuser und Milchbanken zu spenden, und damit der scheiß Situation Sinn zu geben.

Bei der nächsten Schwangerschaft war vieles viel weniger eindeutig. Ich war indifferent, aber neugierig gegenüber der Idee zu stillen. Weil mir überall ins Gesicht sprang WIE GUT MUTTERMILCH IST OMG ES IST DAS BESTE, habe ich Ratgebebücher für die Zeit nach der Geburt darauf kontrollgelesen, wie un_dogmatisch das Thema Stillen verhandelt wurde. Was keine respektvolle Haltung zur Gabe von Pulvermilch beinhaltete, delegitimierte sich als Quelle von Rat. Viel mehr als gesundheitliche Fragen und die Superkraft-Inhaltsstoffe von selbstgemachter Milch beschäftigte mich die Frage nach der Arbeitsteilung. Ist das nicht doof für eine gleichberechtigte Elternschaft, wenn ich diesen Fütterbondingteil allein übernehme? Stillen sei schließlich ein One-(Wo-)Man-Job. Das Buch von Stefanie Lohaus und ihrem Partner Tobias Scholz zu gerechter Zeit- und Arbeitsteilung in früher Elternschaft heißt nicht umsonst Papa kann auch stillen. (Ja, übrigens, auch Cis-Männer können Milch aus ihren Brüsten geben). Mein Freund sah meine Sorge lässig, meinte, er werde auch ohne Füttern genug Bondinggelegenheiten haben.

Pumping sucks

Wie stark ein Säugling saugen kann, merkte ich erst, als ich ihm einen Tag nach der Geburt mal den Finger in den Mund hielt. Im Krankenhaus keine Gelegenheit zu stillen, oder Hilfe. Kurz darauf zuhause klappte es auch nicht, die Hebamme übers Wochenende weg und ich naiv vertrauensvoll, das Kind würde schon nicht verhungern. Ein befreundetes Elternpaar fuhr für uns in die Apotheke, brachte Stillhütchen vorbei und rettete den Tag (und die Nacht). Stillhütchen sind durchsichtige Silikonaufsätze in Nippelform mit Loch, die legt man sich auf die Brust, und weil sie länger sind als eine handelübliche Brustwarze, fällt es einem Säugling leicht, daran zu saugen. Im Geburtsvorbereitungskurs wurde uns davon abgeraten, aber warum, daran erinnerte ich mich nicht mehr. Nur an das überhebliche Gefühl, dass ICH es auch ohne schaffen würde. Schließlich kam die Hebamme und machte sich Sorgen, wir wiederum besorgten eine elektrische Milchpumpe und fütterten das Kind aus einer Spritze, vier Milliliter pro Mahlzeit. Verdammt viel Arbeit. Und kein Spaß. (Spaßig ist dafür das.)

Last night a Fläschchen saved my life

Die ersten Tage und Wochen waren jedenfalls eine Katastrophe. Serious Shit mit im Bett liegen, weinen, das Kind verweigern. Der Freund kaufte Pulvermilch, ohne was zu sagen, fütterte das Kind, sprang zwischen weinendem Horsti und weinendem Horstbaby hin und her. Als ich das mit dem Fläschchen checkte, fühlte ich mich verraten und als hätte ich versagt. Die eine Aufgabe, für die exklusiv ich qualifiziert gewesen wäre? You had one Job. Aber er erklärte und verkaufte es mir damit, dass es mich entlasten sollte. Auch wenn ich wusste, dass er Recht hat, auch wenn sein Interesse mein Wohlbefinden war; nämlich dass ich ausschlafen können, und freier sein sollte. Ich fühlte mich trotzdem blöd, weil überflüssig, und das verstärkt durch die Erinnerung an superfiese Krankenhauserfahrungen. Auch wenn das Anliegen war, dafür zu sorgen, dass es mir nicht schlecht geht – was, wenn es mir schlecht ging, weil es mir ein schlechtes Gewissen machte? Und wo zur Hölle kam dieses schlechte Gewissen her? Warum bockte mich das plötzlich so?

All die Texte, die ich gelesen hatte, in denen sehr eindringlich oder nur nebenbei beschrieben wurde, dass Stillen das Geilste sei und alles andere Iiihbäh, haben einen Eindruck hinterlassen. Während es mir egal sein konnte, als ich es nur von außen betrachtete, steckte ich plötzlich drin und fühlte mich kaputt. Nicht gut genug. Und insgesamt nicht richtig. Entgegen all meinen Prinzipien.

Die Stillzeit selbst war meistens zäh, auch als meine Tage nicht mehr voller Heulipopeuli waren. Stillen ist Arbeit, die man erst mal lernen muss, Kind und stillende Person. Stillen tat (mir) oft weh, stechende Blitze in der Brust beim Milcheinschuss. Oft war es langweilig, und dauerte. Ich hatte mehrmals gelesen, dass man sich beim Stillen auf das Kind konzentrieren sollte, für die Bindung, ja nicht fernsehen zum Beispiel. Doch der Versuch, verliebt mit dem Blick ins Kind an der Brust zu versinken war die ödeste Arbeit. Ich scrollte meist an meinem Smartphone rum, weil ich davon nicht als explizit verboten gehört hatte. Und hätte mir gewünscht, irgendjemand hätte mir die Erlaubnis erteilt, zu machen was mir gut tut. Weil ich das nicht konnte. Wünschte, irgendjemand hätte gesagt, es ist okay, beim stundenlangen Stillen auch stundenlang Filme zu gucken, oder es ist okay, auf Pausenmodus zu gehen, und dass man sich nicht ins Aus katapultiert, wenn man für ein paar Monate nichts nebenbei macht und chillt.

Aber ich ging einen Monat nach der Geburt des Kindes wieder in die Uni, Vollzeit. Manchmal saß ich in Seminaren und spürte meine Brüste anschwillen und hart werden, dachte LOL in Anbetracht dessen, das niemand mitbekam, was mein Körper machte, und zuckte mit den Schultern. Abends las ich Uni-Texte am Computer, Kind an der Brust und Krampf im Arm, der es hielt, der andere Arm an der Maus. Weil die Nachfrage das Angebot regelt, hatte es sich bald mit dem Stillen. Klammheimlich ausgeschlichen. Und ich war überhaupt nicht einverstanden damit.

Muttermilchmarathon

Aber warum überhaupt stillen? Ich fand’s schon cool, mit meinem Körper Nahrungsmittel produzieren zu können. Jetzt mal abgesehen von Nasenpopel. Wollte aber vor allem stillen für die Bindung. Wollte stillen, damit es mir gelingt, aus Prinzip, weil es doch unkompliziert und so praktisch sein soll, wenn man sich nur eine Weile Mühe damit gäbe. Weil ich mich nützlich fühlen wollte, und nicht fehl am Platz. Und so steckte ich meine Mühen in den Versuch einer Relaktation. Mietete erneut die Pumpe aus der Apotheke, aber diesmal auf eigene Kosten, pumpte stundenlang auf stärkster Stufe, für zehn bis 20 ml. (Die Verzweiflung, als mir ein Fläschchen mit diesem Inhalt umkippte.) Besorgte mir einen speziellen BH, um wenigstens freihändig pumpen und nebenbei noch was anderes erledigen zu können (Hier sind 1, 2, 3, 4, 5, 6 realistische Bilder dazu). Trank täglich Stilltee und Malzbier, versuchte meist erfolglos das Kind anzulegen. Bestellte ein Brusternährungsset. Ging zu einer Heilpraktikerin, die mir für viel Geld nicht zuhörte. Traute mich nicht mit Kind zu Treffen der La Leche Liga, weil ich Angst hatte, währenddessen eine Flasche fürs Kind zubereiten zu müssen und komisch angeschaut zu werden. Ich fühlte mich sehr müde, unzufrieden und allein, musste plötzlich weinen bei Texten wie diesem von Jessica Valenti:

I was too busy at the pump, and too miserable. It took me a long time to realize that what Layla needed more than breast milk was a mother who wasn’t exhausted and stewing in shame.

Ich hatte aber keine Angst, dass Pulvermilch Gift sei und ungesund fürs Kind. Angesichts der Menge von Leuten, die aufgrund des Milchskandals von 2008 die Milchpulverpackungen in den Drogerien dieser Stadt leerkaufen, bin ich voll bescheidener Dankbarkeit, was die Qualität der hier angebotenen Ersatzmilch betrifft. Und weiß, dass die Geschichte von Kindersterblichkeit im 19. Jahrhundert auch eine von gepanschter Milch ist.

In Babykurszusammenhängen bekam ich zu hören, dass in der Stillzeit zu rauchen nachweislich besser sei als Flaschenmilch. “Studien belegen” my ass. Erst werden Mütter beschämt, wenn es ihnen schwer fällt, mit dem Rauchen aufzuhören, weil Rauchen so schlimm fürs Kind sei, und dann soll ausgerechnet Pulvermilch schlimmer sein? Außerdem diese falsche Dichotomie von Stillen vs. Flasche. Auch als ein Schlachtfeld der sogenannten Mommy Wars. Als ginge beides nicht gleichzeitig. Als würde Brustmilch nicht auch in Flaschen verabreicht. Oder Pulvermilch an der Brust.

It’s capitalism, stupid

Ich bin jedenfalls milde genervt davon, dass selbst auf jeder Packung Pulvermilch Sachen stehen wie “Stillen ist die beste Ernährung für Ihr Kind”. Ich bin genervt vom Effekt, den das auf mich hatte, seit es mit dem Stillen Schwierigkeiten gab. Konstantes Piesacken. Klar ist, warum das da steht. Dass Marketing für Brustmilchersatz eine zweifelhafte Geschichte hat und dass es viel Engagement zu verdanken ist, dass Milchpulverhersteller_innen verpflichtet sind, auf ihren Packungen darauf hinzuweisen, dass ihr Produkt nicht gleichwertig mit Brustmilch sei, oder dass sie nicht mit niedlichen Babybildern werben dürfen. Auch wenn sie ihren Verpflichtung nicht immer nachkommen. Was sie dürfen und was nicht regelt der Internationale Kodex für die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten. Es ist gut, dass er das tut, aber wie das in echt aussieht, kommt mir oft absurd vor. Die immer wieder gleichen Phrasen. Muttermilch ist das Beste für Ihr Kind. Nur eine kann Germany’s Next Topmodel werden.

Aber auch Brustmilch steht nicht außerhalb eines kapitalistischen Systems. Darauf deutet allein die hohe Anzahl von Patenten auf Komponenten von menschlicher Milch hin. Es ist eine Sache, wenn Stillende ihre Milch an Krankenhäuser und Milchbanken spenden, auch wenn sie mehr haben, als ihr Kind verbraucht, und diese zum Beispiel Frühgeburten zugute kommt. Eine andere Sache ist sowas wie die erste deutsche Internet-Tauschbörse für Brustmilch. Auf ihr kann Milch nicht nur verschenkt sondern auch verkauft werden, für bis zu fünf Euro pro 100 ml. Reich wird man davon nicht, nehme ich an. Und es ist Arbeit. Trotzdem frage ich mich, wie okay es ist, daraus Profit zu schlagen. Und wie okay es ist, dass ich mir die Frage ausgerechnet bei einem Erzeugnis stelle, das vornehmlich von Frauen produziert wird. Was ist mit Samenspenden? Und Blutspende, Knochenmark- oder Organspende? Oder wenn kommerziellere Anbieter und Unternehmen dahinter stehen. Problematisch auch, wer sich das leisten kann und erst mal leisten können muss, Spendemilch zu kaufen. Oder, was es bedeutet, dass Medolac, ein Unternehmen bei dem Krankenhäuser und Privatpersonen Spendenmilch bestellen können, versucht hat, ausgerechnet in Detroit Schwarze und arme Frauen anzuwerben, ihre Milch zu verkaufen. “Das Beste für Ihr Kind” ist nicht umsonst. Wenn Stillen oder ‘Muttermilch’ positive Auswirkungen auf Gesundheit, Erfolg und Wohlstand haben soll, aber Wohlstand die Vorraussetzung ist, um sich Gesundheit und Wohlstand leisten zu können, und oft bedingt, wer sich überhaupt für Stillen entscheidet und entscheiden kann – naja. Auch eines der Probleme in Sachen Aussagefähigkeit von Stillstudien. Und wo kein Milchpulver für Babys verkauft werden kann, versuchen Firmen sich daran, nahrungsergänzendes Milchpulver direkt an Stillende loszuwerden.

Let it go

Wann ich mit meinem Versuch aufgegeben hatte? Ausgerechnet bei der Lektüre eines Heftes der La Leche Liga, nämlich Stillen eines Adoptivkindes und Relaktation. Einerseits, weil mir die Anleitungen darin meinen Versuch weniger aussichtslos erscheinen ließen, ich endlich den konkreten Rat bekam, nachdem ich suchte. Andererseits, weil ich ausgerechnet da drin las, dass es okay ist, wenn es nicht klappt. Of all places!

“Wird dem Baby […] etwas Wesentliches für seine Gesundheit und sein Lebensglück vorenthalten[, wenn es nicht gestillt wird]? Wahrscheinlich nicht, besonders, was die psychologische Seite anbelangt. Das Stillen ist eine gute Möglichkeit, in die Mutterrolle hinein zuwachsen. Die Muttermilch ist am besten auf das Baby abgestimmt, aber gesunde und zufriedene Babys lassen sich auch mit der Flasche großziehen. Daß Sie das Stillen – sogar unter erschwerten Bedingungen – in Betracht gezogen haben, spricht dafür, daß Sie wahrscheinlich besonders empfindsam gegenüber den Bedürfnissen Ihres Kindes sind.”

BOOM. Der letzte Satz mitten hinter die wunde Brust. Ein Satz, der meine Mühen ernstnahm, mir das Gefühl nahm, nicht gut genug zu sein. Ich entspannte mich, ließ los und hatte den Mut, aufzugeben. Und es war genau richtig so.

Bilanz

Zum Abschluss eine kleine Rechnung. Die Argumente, die für die Vorteile vom Stillen werben lauten: Immer dabei. Immer wohltemperiert. Superduper gesund. Und kostet nichts, wie praktisch. Oder?

Pumpe mieten (wenn die Krankenkasse das nicht übernimmt): 2€ am Tag
Doppelpumpset (bezahlt die Krankenkasse nur bei Zwillingen für beide Brüste): ca. 20€
Stilleinlagen: 5€ für 36 Stück
Brusternährungsset: ca. 35€
Bockshornklee: ca. 12€ für 90 Kapseln
Stilltee ohne Bockshornklee: 2€ für 20 Beutel
Stilltee mit Bockshornklee: 4€ für 20 Beutel
Milchpumpen-BH: 40€
Stillhütchen: ca. 8€ für zwei Stück
Muttermilchsauger: 13€
Heilpraktikerin: 80€ pro Stunde
Relaktationsbroschüre: 7€
Kleidung, mit der Stillen kein Krampf ist: 15€ bis open end

Chillen statt stillen: unbezahlbar.

24 Antworten zu “Über verschüttete Milch weinen”

  1. Rosalie sagt:

    Ein wirklich ganz unglaublich toller Text, der es so gut trifft, wie kein anderer zuvor! Danke dafür!

    Mir hat das Lesen fast weh getan, wie man Mütter tritzt und foppt – als würde eine mutwillig ihr Kind misshandeln! Als würden wir nicht alle versuchen, die beste Mutter für unser Kind zu sein! Und es erschreckt mich zutiefst, wie viele Frauen man mit der Zeit trifft, denen es schlecht geht oder ging, weil irgendwelche irren Fanatiker ihnen Dogmen um die Ohren schlagen, statt Eltern und Kind mit ihrer individuellen Beziehung zu unterstützen. Es ist reine Rechthaberei und Machtgehabe.
    Zum Glück werden die meisten Frauen irgendwann wütend und emanzipieren sich von den Allesbesserwissern und leben ihr eigenes Leben, so wie du. Nur der Weg dorthin, der ist nicht schön und anstrengend und lenkt viel zu sehr davon ab, dass man ja eigentlich mit Familiengründung beschäftigt ist. Und die Mütter, die auf dem Weg steckenbleiben, was ist mit denen? Soll man die einfach in diesem Sumpf von ‚Wer ist die perfekte Mutter‘ stecken lassen? Hier wäre ein guter Einstiegspunkt für wahre Müttersolidarität und mit deinem Post machst du wunderbar vor, wie man anderen das schlechte Gewissen nehmen kann!

  2. Ach mensch. Und immer, immer wenn ich diese Texte in solcher Form lese, frage ich mich:

    He, wo ist die Hebamme? Die Stillberaterin? Der *Mensch* hinter all den Ratgebertexten und Hinweisschildern, der auch mal sagt: Mensch, läuft jetzt alles total doof. Guck, was du willst und dann mach das so. Ich weiß ja nicht, ob die da waren. Vielleicht stehen die nur nicht im Text, weil sie auch nicht weiter geholfen haben, wer weiß das schon.

    Als Stillberaterin fallen mir hier zig Sachen auf, die man hätte besser machen können. Beim heimlich Fläschchen gebenden Mann direkt angefangen, da werd ich schon sauer. Männer können super unterstützen, aber ausgerechnet das ist echt das Tröpfchen im Faß, das eh schon überläuft.

    Aber von „hätte besser machen können“ wird auch keiner glücklich oder satt.

    Der Punkt ist: Kannst du loslassen / hast du losgelassen?

    • fröken von Horst sagt:

      Ja, kann ich und konnte ich.

      ich habe zu der Zeit leider keine Stillberaterin vor Ort gefunden, die Onlineberatung konnte meine Schwierigkeiten nicht lösen. Die Erfahrung, die ich dann mit der mir empfohlenen Heilpraktikerin (die auch Hebamme war) gemacht habe, hat zu viel Zeit und Kraft gekostet.

      Eine komplizierte Kette von ‚Pech gehabt‘, mit der ich mittlerweile meinen Frieden gemacht habe.

  3. teresa bücker sagt:

    Ein ganz wunderbarer Text, danke Nicole! Ich habe selber großes Glück mit dem Stillen gehabt, weil ich gleich am Anfang tolle Hebammen und Krankenschwestern hatte, die geholfen haben, und trotzdem waren die ersten Tage hart, weil es nicht auf Anhieb klappt, man eh schon erschöpft ist, und Stillen ja nun mal zusätzlich erschöpfend ist. Vielleicht ist das noch ein Zusatzpunkt: Geburt und das Eingewöhnen mi dem Kind, der Schlafmangel etc. sind schon für sich genommen eine riesige Herausforderung, körperlich und seelisch, das Stillen kann da wirklich ein Overkill sein. Hier kann also Druck weggenommen werden und es kann wirklich schon viel helfen, wenn eine andere Person einfach mal ein Fläschchen gibt.

    Und ja: Die unglaubliche Langeweile. Es gibt Menschen, die können das gut, einfach nichts tun, andere können das nicht. Ich bin auch ‚Team Twittern‘ oder ‚Team Serien schauen‘ beim Stillen. Ich hab in den letzten Monaten während des Stillens so viele Serien geschaut. Wenn ihr also eine Person beim Stillen unterstützen wollt: Gern mit Serientipps, DVDs, whatever … das reguläre Fernsehprogramm lässt Mütter im Wochenbett jedenfalls allein (liebe Öffentlich-Rechtlichen …) Dem Baby ist nämlich wirklich egal, wohin die Stillende gerade schaut, es interessiert sich zumindest in den Wochen eh nur dafür, satt zu werden. Interaktion zwischen Mutter und Kind ist nun mal mehr, als es anzuschauen ;)

    Der Vater meines Babys hat schon ein Kind aus einer anderen Beziehung, das vorrangig die Flasche bekam und ihm hat es bei unserem Kind regelrecht gefehlt, es nicht von Anfang an mitfüttern zu können. Wir hatten also bei etwas davon, dem Baby auch mal die Flasche zu geben. Ich, weil ich andere Dinge tun konnte und mal ein paar Stunden frei hatte, er, weil er es einfach sehr genossen hat sein Kind auch füttern zu können.

    Stillen kann aber auch praktische Vorteile haben, die ich zumindest genieße und die für mich ausschlaggebend sind, noch ein wenig länger zu stillen. Ich bin faul und habe keine Lust, dauernd Fläschchen zu spülen, und es reduziert dann noch mal das ganze Babygepäck, was man eh immer so dabei hat, wenn man die Nahrung in den Brüsten dabei hat.

    Ich seh es beim Thema Stillen ähnlich wie bei dem Zeitpunkt, ab wann die Eltern wieder mehr andere Dinge tun möchten und das Kind von anderen Menschen mitbetreuen lassen: Es sollte allen möglichst gut dabei gehen. Und Babys geht es dann gut, wenn es den Bezugspersonen gut geht. Der Preis, ein Baby überhaupt oder möglichst lange zu stillen, darf nicht Aufopferung und völlige Erschöpfung sein. Von daher wünsche ich allen, dass Familienmitglieder, Hebammen, Ärzt_innen und Freund_innen mit Rat und Support so helfen, dass gute und flexible Lösungen gefunden werden. Die beste Lösung ist immer individuell, die beste Lösung heißt nicht Stillen bis zum Umfallen.

  4. HumanMind sagt:

    Könntest du vielleicht kurz erläutern, warum es „einfach so“ ohne Technik, Aufsätze, Tees etc. nicht geht? Ich dachte immer, man braucht zum Stillen nichts weiter, sofern überhaupt Milch kommt.

    • fröken von Horst sagt:

      Weil das Kind Gewicht verliert statt zuzunehmen zum Beispiel. Da kommen Hilfsmittel ins Spiel die Milchbildung anregen oder dem Kind das Trinken erleichtern sollen.
      Oder, weil es nach einer Stillpause nicht mehr von einfach so von selbst geht oder die Menge nicht mehr reicht.
      Selbst wenn alles ohne Technik etc. gelingt, braucht man trotzdem noch Zubehör wie Einlagen für die tropfenden Brustwarzen, die passende Kleidung (nicht zu vergessen Still-BHs) oder Lanolin gegen rissige Haut. Oder eine Pumpe, um mal für ein paar Stunden alleine das Haus verlassen zu können. Und Pumpe ohne die dazugehörigen Flaschen funktioniert auch nicht.

    • Anj sagt:

      Weil manche Babys am Anfang auch recht dünn und schlapprig sein können und dann beim anstrengenden Saugen an der Brust zB einschlafen. Dadurch nehmen sie zu wenig Milch auf und werden noch dünner und schlappriger, schlafen beim nächsten Mal noch schneller ein und so geht es dann weiter. Mit abgepumpter Milch oder Pulvermilch zufüttern hilft dann, aus diesem Kreislauf herauszukommen (weil man mit Spritze oder Becher (extrem niedlich!) füttert, was nicht so anstrengend fürs Kind ist).

    • dörte sagt:

      mein sohn hat an der brust meist nur geschrieen, hat erst die eine brust, dann die andere komplett verweigert. es war emotional extrem belastend für mich. zwischendurch hatten wir auch phasen, in denen er den ganzen tag an der brust hing und ich völlig fix und fertig war. für mich waren die stillversuche der reinste psychoterror, alle stillberatungen, stilltees und sonstige mittelehen bis zur teuren punpe brachten keine besserung, es wurde nur immer noch schlimmer. auch das fläschchen trinken funktionierte lange nicht gut, er war ein etappentrinker, der nie viel, aber dafür sehr häufig trank.

  5. Giliell sagt:

    Ach, das Stillen.
    Ich möchte, dass wir den Satz „Stillen ist das Beste für ihr Kind“ begraben. Mit Musik und Blümchen. Das Beste für ein Kind ist eine gesunde Ernährung und glückliche Eltern die sich liebevoll um es kümmern können.
    Oh ja, ich hab gestillt. Und das erste Mal hat es mich fast den Verstand gekostet.
    Ich hab all die schönen Bücher, Broschüren und die DVD der Krankenkasse studiert. Ach ist Stillen toll. Klappt auch ganz toll. Und man hat immer genug Milch!
    Dann kam das Baby und verhungerte fast an meiner Brust. Und das Loch in das ich fiel war tief. Schließlich hatte ich emotional viel in dieses „Stillen is das Beste“ und „ganz natürlich“ und „Mutterrolle“ „bonding“ etc. investiert. Nachdem meine erste Schwangerschaft schon völlig danebn lief hatte ich gerade wieder ein wenig Vertrauen zu meinem Körper gefasst und dann das!
    Was war ich denn für eine Mutter, die ihr Kind nicht ernähren konnte? Die ihrem Kind „das Beste“ vorenthielt? Und irgendwo musste ich ja der Freak sein, schließlich gab es meinen Fall laut all der Literatur nicht.
    Glücklicherweise hatte ich eine kompetente und pragmatische Hebamme die einfach zum Auto ging und mit einer Packung Milch wiederkam. Und dann wurde fleißig gepumpt und angelegt und zugefüttert und siehe da, das Baby gedieh. Und mit dem Baby ging es auch mir besser, auch wenn es noch lange dauerte bis ich der Welt, welche mich permanent auf das Untergewicht des Kindes ansprach selbstbewusst und ohne das Damoklessschwert „Kindesvernachlässigung“ entgegentreten konnte (nur so zur Info: Das Kind ist fast 8, immer noch dürr wie eine Bohnenstange und frisst wie ein struppiges Rind).
    Später wurde ich wütend. Wütend darüber, dass man diesen wohlgemeinten Psychoterror mit Schwangeren macht, dass sich Frauen rechtfertigen müssen, wenn es mit dem Stillen nicht klappt.
    Das zweite Kind wurde trotzdem wieder gestillt. Das zweite Kinde dachte sich ein neues Set an Stilproblemen aus (auch nichts, was es laut all den netten Broschüren gibt). Der Unterschied: dieses Mal war ich relaxt. Dieses Mal war die Milchpackung schon vor dem Baby zuhause. Dieses Mal waren Stillprobleme kein persönliches Versagen und Zeichen meiner mangelnden Eignung zur Mutter, sondern einfach eine der vielen möglichen Schwierigkeiten als Eltern.
    Gedauert hat es in etwa genau so lange woe beim ersten Kind bis wir ein „Stillteam“ wurden, aber die Zeit war besser.
    Seither habe ich mich viel mit dem Thema beschäftigt. Habe mir die wissenschaftliche Literatur angeschaut und festgestellt: Viel Rauch, wenig Feuer. Die tollen Effekte des Stillens haben ein recht kleines Cohen’s d und vieles scheint Korrelation zu sein: Sprich, wer stillt hat die Zeit dazu, ist sozial besser gestellt, besser gebildet. Jo, das ist ein ganz guter Start ins Leben.
    Mein persönliches Fazit: Stillen hat keine moralische Dimension.
    Wir müssen die Unterstützung für stillende Menschen nicht mit super-duper Vorteilen für Babies rechtfertigen können. Stillende Menschen sind keine Milchmaschinen sondern Individuen mit individuellen Lebenslagen und Bedürfnissen für die sie Unterstüzung verdienen. Ich muss nicht Menschen die Fläschen geben under the bus kicken um das rechtfertigen zu können.

  6. Kia sagt:

    Liebe Nicole,

    wieder einmal DANKE für den Text.

    Meine Erfahrungen kommen aus der anderen Richtung. Ich wollte nicht stillen, gar nicht, niemals, Ein Kind an meiner Brust? Ich konnte es mir nicht vorstellen. Ich wollte nicht.
    Aber dann die Broschüren und die Mütter im Netz, selbst der Kindsvater und Partner. Wie kannst du nur? Stillen IS THE FUCKING BEST! Ich wollte nicht. Und haderte mit diesem Gefühl.
    Mein Kind habe ich zweimal angelegt, das erste Mal funktionierte es ohne Probleme, das zweite Mal gar nicht. Eine Krankenpflegerin starrte auf meine Brust, sagte „Mit den Warzen kann das ja nichts werden.“ und drückte mir ungefragt und trotz „nein“ ein Stillhütchen auf die Brust. Ich konnte mich nicht wehren, denn ich hatte mein Kind im Arm.
    Ich warf das Hütchen in den Müll, verbannte die Frau aus meinem Zimmer und stillte ab.
    Einfach, weil ich nicht wollte. Und nicht wollen, das ist oke. Egal aus welchem Grund.

    Insofern, auch wenn unsere Erfahrungen so vollkommen unterschiedlich waren: Ich verstehe das Alleinsein, das Scheitern, die mangelnde Hilfe, das mangelnde Verständnis und ich liebe das Zitat aus deiner Broschüre. Und ich liebe deine Rechnung.

    Liebste Grüße und Bis Bald!

  7. fröken von Horst sagt:

    Chillen & Stillen, das klingt superfantastisch. Ich bin froh zu hören, dass es mit größerem Kind gelingen kann.

  8. Wachkatze sagt:

    Ach du Schei… Äh Schande!

    Gibt es eigentlich irgendein Thema ums Frausein, wo man uns nich wuschig macht?

    Wenn meine Mutter den Text noch lesen könnte(Hat sich leider schon zur allerletzten Wohnstätte verabschiedet.) würde sie wohl erst die Hände übern Kopp zusammenschlagen und dann mal gepflegt ins Essen brechen.
    Anfang der 70er war die allgemeine Docempfehlung, gerade im Ruhrgebiet, „Gib den Lüttjen lieber mal die Flasche!“
    Begründung: Zuviel Umweltgifte in der Muttermilch.
    Nach der heutigen Logik, müssten wir alle in der Gegend um 70 geborenen, verkümmerte Zwerge sein.
    Und nen ordentlichen psychischen Knacks haben…

    Hmm, *umgucks* Nope!

    Ich muss bei dem ganzen Thema immer an den Rat meiner Großmutter denken.
    „Oben Nahrung rein, inder Mitte liebhaben und unten die Abfallentsorgung nich vergessen.“
    „Dann wird das schon!“
    Perfektion gibs nur bei Maschinen…

    Dieses schlechtes Gewissen machen, ist echt furchtbar.
    Kein Lebewesen funktioniert nach Schema F, warum soll es dann ein Mensch?

    Ich denke mal, wenn es dir gut geht und du deinen eigenen Weg gehst, dann wirds auch deiner/m Lüttjen auch prima gehen!

    Ich wünsche dir die Kraft, allen schlechten Gewissenmachern, den ausgestreckten Mittelfinger zu zeigen und einfach dein eigenes Ding zu machen.

    Liebe Grüße

  9. Alex sagt:

    Bilanz zu diesem Text:

    Gute Gedanken, die sich gegen Eltern-Dogmen wehren. Ein Text geprägt von schlechten Stillerfahrungen. Ein Ausdruck des Wunsches, Still- oder Nichtstill-Entscheidungen frei von Schuld und Meinungen anderer treffen zu können.

    Was für mich nicht ok ist, ist das Bild, dass du in deinem Text erzeugt. Nämlich jenes, dass Stillen für neun von zehn Frauen vor allem mit Problemen verbunden ist. Das ist es aber nicht. Wenn du die Frage, ob es in Ordnung ist, Müttern ein schlechtes Gewissen zu machen, wenn sie nicht stillen, mit nein beantwortest, sollte die selbe Antwort auch auf die Frage folgen, ob es in Ordnung ist, ein scheinbar differenziertes Bild an werdende oder zukünftige Mütter heran zu tragen, dass doch die Realität leider nicht darstellt, es aber vortäuscht. Doch genau das machst du mit diesem Text, schade.

    Verständnis für die individuelle Situation habe ich. Großes sogar als Elternteil, das ich selbst bin. Den eigenen Kampf mit dem Stillen zu einer fragwürdigen Botschaft an die Welt werden zu lassen, dafür nicht.

    • fröken von Horst sagt:

      Das ist eine interessante Schlussfolgerung. Die einzige Textstelle, die ich gefunden habe, in der Stillerfahrungen verallgemeinert werden, ist der Satz, dass Stillen Arbeit sei und der, dass Stillen etwas sei, dass man erst lernen müsse. Das ist nicht unbedingt ein Problem, viele Tätigkeiten, die Arbeit sind und erst erlernt werden müssen, können durchaus sinnstiftend sein, u. a. Stillen. Aber dass es Arbeit ist, ist ein Sachverhalt, der Anerkennung verdient.
      Der Rest des Textes, in dem es um schwierige Stillerfahrungen geht, beschreibt meine persönlichen, stellt meine Realität dar. Die ist nicht vorgetäuscht, versprochen.

      Dass du meinen Text als „Ein Ausdruck des Wunsches, Still- oder Nichtstill-Entscheidungen frei von Schuld und Meinungen anderer treffen zu können“ beschreibst (dem würde ich zustimmen), aber als „fragwürdige Botschaft an die Welt“ kritisierst, ist jedenfalls wenig kohärent.

    • Giliell sagt:

      Huh? Wo steht dass „9 von 10 Frauen“ Probleme haben?
      Wahr ist allerdings, dass eine große Menge an Frauen Probleme haben, über die vorher nicht ausreichend geredet wird. Die Zahlen belegen, dass in D 90% der Babies anfänglich gestillt werden. Aber bereits nach 2 Monaten sind es nur noch 70%, sprich fast jede vierte Frau gibt auf. Sicher nicht, weil das Stillen so super klappt. Nach 6 Monaten hat fast jede zweite aufgehört zu stillen, sprich sie hat für sich beschlossen, dass die Vorteile die Nachteile und Probleme nicht aufwiegen. Und die 50% die „durchhalten“ sind nich alles die glücklichen Stillmamis die nie ein größeres Problem als tropfende Milch hatten.
      Und das sollte man mal ehrlich ansprechen und diskutieren, statt es als „fragwürdige Botschaft“ abzutun.
      Ich persönlich hatte den Eindruck, dass mir die möglichen Probleme bewusst verschwiegen wurden damit Frau auch ja mit dem Stillen anfängt, weil wenn man ihr die Wahrheit sagt könnte sie ja gleich „nein“ sagen, was ich als Bevormundung und Unmündigkeit empfinde.
      Und nebenbei auch nicht für zielführend halte: Die Person, deren Erwartungen so gar nicht mit der Realität übereinstimmen wird möglicherweise eher aufhören als die, die sich bewusst für etwas entschieden hat das Arbeit ist.

  10. Almut Helvogt sagt:

    Auch ich muss DANKE sagen für diesen Text. Auch wenn ich weiß, dass die Entscheidung, am 10. Lebenstag meiner Tochter abzustillen richtig war und ich mich in der gleichen Situation wieder so entscheiden würde, nagt dieses „Versagen“ immer noch an mir. Und obwohl ich sicher bin, dass es ihr nicht geschadet hat. Sie ist inzwischen 6 und einfach fantastisch!
    Wir hatten einen schlechten Start nach Kaiserschnitt. Sie war zu schwach, um genug zu trinken, ohne Stillhütchen ging ohnehin nichts. Die brutale (!) Kinderkrankenschwester half da auch nicht weiter. Also abpumpen und das auch zu Hause und nachts. Stillen, abpumpen, abgepumpte Milch füttern, alles spülen und sterilisieren. Viel Zeit zum Schlafen blieb da nicht. Und dann kam die Brustentzündung mit Fieberanstieg im Minutentakt und Kreislaufkollaps. Ab zur Frauenärztin, Antibiotikum, Abstill-Medikation, Pulvermilch kaufen. 2 Tage pralle Brüste und Quark-Wickel. Und dann: Unendliche Erleichterung. Alles war auf einmal viel einfacher. Aber auch nach 6 Jahren habe ich immer noch das Gefühl, versagt zu haben. Als Mutter und als Ärztin, die ich bin. Wenn ich mich nur besser vorbereitet hätte, dann hätte es bestimmt so gut geklappt wie bei allen anderen (gefühlt zumindest). Deshalb DANKE! Für die Gewissheit, dass ich damit nicht allein bin.

  11. BCottin sagt:

    Danke für diesen Text! auch wenn ich gute Erfahrungen mit dem Stillen gemacht habe. Habe aber immer dabei gelesen. Umgekehrt haben mir Leute zum Abstillen geraten, weil das Kind so viel weinte … Es waren aber die Zähne.
    So oder so, Frau braucht Durchhaltekraft. Vom Baby abgucken … ?

  12. Ich konnte aus medizinischen Gründen immer „nur“ teilstillen und habe die Beraterinnen der LLL als sehr hilfreich und undogmatisch erlebt, die nach dem Motto „jeder Tropfen zählt“ sich darüber freuten, dass ich es überhaupt versucht habe.
    Ganz im Gegensatz dazu diverse Möchtegernexpertinnen in diversen Foren, die nach dem Motto „wenns nicht klappt hast du nicht genug probiert“ wildfremde verzweifelte Mütter runtermachen, obwohl es ihnen selber nicht nur an Fachkompetenz, sondern vor allem auch an Empathie und grundlegenden zwischenmenschlichen Sozialkompetenzen fehlte.

  13. Alice sagt:

    danke für diesen text, nicole!
    bei mir hat das stillen eigentlich unter bilderbuchvoraussetzungen begonnen: spontane geburt ohne intervention, hebammenunterstützung und ein kind das sofort an meinem nippel hing und saugte als gäbe es kein morgen. und trotzdem saß ich irgendwann heulend im bett, weil die schmerzen kaum aushaltbar waren. überall bekommt man nur zu lesen: wenn es weh tut, ist das kind falsch angelegt! also mich und das kind mit immer neuen anlegeversuchen genervt, dabei in tücher gebissen um nicht loszubrüllen. die hebamme gefragt warum mein kind so schwarzes zeug in der windel hat – das ist das blut der brustwarzen. irgendwann die kurzzeitige erlösung durch die überall verteufelten stillhütchen. ständig die plastikschoner auf den nippeln, um sie vor schubbernder kleidung zu schützen. dinge, die dir in keinem der rosafarbenen schwangerschaftsbücher erzählt werden.
    das schlechte gewissen beim stillen am laptop zu hängen oder serien zu schauen habe ich zum glück schnell überwunden, aber dennoch ständig diese werbebilder im kopf, wie sich mutter und kind beim stillen auf einer blumenwiese glücklich verliebt anstrahlen. dabei wäre blickkontakt beim stillen aufgrund brustanatomie eh nie möglich gewesen.
    später dann die milchpumpe, um endlich wieder mal ernsthaft das haus ohne kind verlassen zu können. du beschreibst es sehr treffend. irgendwann habe ich mir selbst das ok gegeben, dass pulvermilch während meiner abwesenheit genauso ok ist, ich glaube sogar ein tweet von dir hat mich überhaupt auf den gedanken gebracht. danke dafür, nochmal. :)

  14. zora_f sagt:

    Vorangestellt: als Flaschenkind (aus medizinischen Gründen, meine Mutter erzählt heute noch von den scheelen Blicken, die sie schon 1977 geerntet hat) ist aus mir doch auch was geworden. Und ich hatte das Glück, ein „stillfreundliches“ Krankenhaus und eine Hebamme darin zu haben, die sich nicht zu fein war, in den allerorten Tagen bei ersten Kind mit Abpumpen und Salbei-Tee einen kompletten Reboot zu initiieren. Das Stillen fiel mir dann schließlich leicht, sonst hätte ich es nicht gemacht.
    Dieser Unfug mit dem nicht fernsehen sollen… Oh Mann. Hätte die Zeit des Clusterfeedings meiner Ersten nicht ohne Filme und Serien und Prekariats-TV überstanden!! Bei unserem Zweiten war ich dann so abgebrüht, dass ich einen Tag in den ersten drei Monaten, an dem Mann (BB-Spiel) und Tochter (Großelternbesuch) außer Haus waren, dazu genutzt habe, alle drei Herr Der Ringe EXTENDED VERSIONS zu kucken. Von 11:00 bis 1:00 gab es nur: Stillen, Kind pennen lassen, Kind 10-30min. schuckeln und mitkucken lassen, essen, wieder stillen ff. War super und der Kleine hat soweit ersichtlich keine Bindungsstörung. (Rollin und LOST haben unserer Tochter auch nicht geschadet.)

  15. […] dann musste ich auch noch genäht werden. Und dann tat das Stillen weh. All das sind zwar Schmerzen, die pillepalle sind im Vergleich zum Geburtsschmerz. Doch auf den war […]

  16. amselle sagt:

    Herrlicher Text, danke! Eben wieder eine Stilldiskussion mit der besten Freundin durchgestanden: beim leidigen Thema werden wir uns einfach nicht einig.
    Ich hatte eine wunderschöne Kaiserschnittgeburt, war beim Thema Stillen bis dato völlig entspannt, denn naiv wie ich war dachte ich doch glatt, es gäbe eben Möglichkeit a) und b) und man entschiede sich eben für die, die man möchte. Pustekuchen!
    Ich wollte auf keine Fall Stillen, hatte die schönsten und besten Fläschchen und Sauger – klar, für das schönste und beste Baby der Welt! – lange im Voraus besorgt, gespült, sterilisiert und vakuumiert. Zwei verschiedene Milchpulver (jeweils einen Monatsbedarf) gekauft. Alles war bereit.
    Blöderweise hatte ich vergessen, meinen Brüsten meine Entscheidung mitzuteilen. Im 3. Monat hatte ich bereits zwei Körbchengrößen zugelegt, für mich das Schlimmste der ganzen Schwangerschaft, die zwar auch sonst objektiv recht ereignisreich (ständige Wehen/riesige Myome/Psychostress vom Feinsten) verlief, aber diese Dinger…schrecklich. Der Gedanke, dass da dieses wundervolle, heiß herbeigesehnte Wesen dran saugen sollte, ließ mich würgen. Meine letzte Hoffnung war, dass sich nach der Geburt und den Abstilltabletten alles ganz schnell legen würde.
    Da lag ich dann also, im Aufwachraum, Kind auf (nicht an) der Brust und ach ja, es ist alles wahr (wunderschön, unvergleichlich, weltbewegend und unbeschreiblich) und die Brüste waren vergessen. Zurück auf der Station bekam ich sofort die Tabletten, das Wesen ein Fläschchen und wir waren beide einfach glücklich. Leider hielt die Seligkeit nicht lange an: schon wenige Stunden später spürte ich, wie diese Dinger spannten. Dann fingen sie an, richtig weh zu tun. Und wuchsen. Und wuchsen. Und…ach, es war gruselig. Die schnell herbeigerufene Schwester sagte, ich solle doch die Tabletten…- hallo?! – dann brachte sie mir Pfefferminztee. Salbeitee. Kühlkompressen. Zwei weitere Körbchengrößen später gab’s eine neue Runde Abstilltabletten frei Haus. Ich weinte nur noch, aus den schmerzenden Brüsten lief es, wie es anno dazumal bei der großen Flut gewesen sein musste und alles war so, wie ich es mir beim Thema Stillen immer gedacht hatte: schrecklich.
    Und immer wieder der Halbsatz „…aber sie wollen ja nicht stillen…“ mit dem kleinen, leisen Fragezeichen am Ende. Nein. Wollte ich immer noch nicht verdammt noch eins!
    Am 5. Tag entließ ich mich auf eigene Gefahr nach Hause. Am 7.Tag gab ich dann auf und legte den Minimenschen an die Brust. Sein glücklich-zufriedenes Gesicht nach der ersten Mahlzeit – unbezahlbar. Die Hebamme schrie begeistert auf als ich ihr tags darauf berichtet, kontrollierte Saugverhalten, Milchmenge/Anlegzeit – alles perfekt. Vorbildliche Stillmami!
    Ich fühlte mich besch***. Gut, ich hasste das Winzi nicht, aber ich ekelte mich und außerdem tat es weh. Meine beste Freundin jubelte. Um mich zu unterstützen, schickte sie mir eigene Stillvideos. Es würgte mich wieder. Ich gab weiter die Flasche, aber so viel – oder richtiger: wenig – Brust, wie ich gerade so konnte, ohne dass die Gefahr bestand, dass meine Brüste platzten.
    Ich hasste es. Jedes Mal, jede Minute, jede Sekunde – die Zeit schien sich dann stets ins Unendliche zu dehnen; ohne Serien-Binge hätte ich das niemals überstanden! – hätte ich das Kleine am liebsten von mir gestoßen und wäre in die andere Richtung gerannt. Ich sah Serien, träumte mich ganz weit weg – so ging es die nächsten 5 Monate. Es tat einfach durchgehend weh, auch wenn die Hebamme/Kinderärztin/Stillberaterin mir immer wieder zu verstehen gab, es sei rein psychisch – geholfen hat es nicht. Dabei lief eigentlich alles traumhaft und ganz von allein: das Wichtelchen trank vorbildlich, ich hatte Unmengen von Milch, keine wunden Brustwarzen oder Milchstau, Milchspendereflex kam prompt und kitzelte nur ganz leicht und trotzdem: Baby schlief von Anfang an durch – jede andere Frau hätte mich beneidet und ich solle mich nicht so haben. Wenigstens abgeschwollen waren beide Seiten schnell, nach den ersten paar Wochen hatte ich meine alte Körbchengrößen wieder, Halleluja! Nach einem Hebammenwechsel wollte man eine Vollstillerin aus mir machen – die Milchpumpe brachte brav 150-200ml alle 2-3 Stunden – ich murmelte etwas von jaja und ließ es bei meinem Flasche-Brust-Mix, denn leider: mein Kind verlangte Brust. Nein, nicht nur Brustmilch, sondern: Brust. Ärgerlich. Aber man wollte ja nicht so sein – so eine Rabenmutter.
    Nachdem man sich (in der einen Hand die Flasche, im anderen Arm ein Baby) in der Prenzlberger Öffentlichkeit sogar von Männern in besorgt-belehrenden Ton fragen lassen musste: „Sagen Sie mal, stillen sie denn gar nicht? Sie wissen aber schon, dass Stillen das Beste für ihr Kind ist?“ war selbst ich soweit, alles runterzuschlucken, die Zähne zusammenzubeißen und naja: zu stillen.
    Bis zum ersten Zahn. Mit knapp 4 Monaten ging es los, wie zum Hohn. Dann folgte das erste Beißen und dann war gar keinen Hunger mehr – ich ergriff die Chance und stillte einfach mal eben ab. Der kleine Vogi hat es nichtmal gemerkt, so war er mit seinen Zähnchen beschäftigt.
    Ich jubilierte innerlich. Und merkt dann erst, wie sehr mich das Stillen belastet und von meinem Kind entfernt hatte. Endlich konnte ich ihn wieder liebevoll in den Arm nehmen ohne ständige Panik, er würde wieder nur nach meiner Brust suchen. Endlich kuscheln! Streicheln, im Arm wiegen – es war wunderbar. Gleichzeitig spürte ich aber auch die Herausforderung, die Beziehung nun aktiver gestalten zu müssen. Das Schema: Kindsregung, Brust in den Mund genügte nicht mehr. Aber diese Arbeit machte ich mir erstaunlicherweise lieber als den „einfachen“ Weg nonverbaler Kommunikation zu wählen.
    Natürlich ließen die Kommentare nicht lange auf sich warten: „Probier es doch nochmal“, „Aber für Dein Kind musst Du es doch versuchen“, „Du könntest doch, das ist so egoistisch“ und natürlich der meistgehasste Klassiker „Stillen ist einfach das Beste für Dein Kind – wenn Du das schon nicht schaffst, wie willst Du dann eine Mutter sein? Da kommen noch ganz andere Sachen auf Dich zu, da kannst Du Dich dann nicht so anstellen“. Lovely.
    Das nächste Kind kriegt Flasche. Es wird abgepumpt soviel wie geht, der Rest – geschenkt.
    Und zum Bonding: ich habe diese irren Glücksgefühle, die andere wohl beim Stillen empfinden, wenn ich meinem Kind die Flasche gebe – oder, mittlerweile, Gemüsestücke und anderes Fingerfood anreiche. Mein Kind dankt es mir mit glucksendem Lachen.
    Soll doch bitte jeder nach seiner Façon.