Warum „Melde dich wenn was ist“ für depressive Menschen nicht ausreicht

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[Inhaltshinweis: Suizid/Selbstmord, Depression, alles rund um psychische Erkrankungen, keine grafischen Beschreibungen oder Abbildungen]

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Deanna. Der Text ist die deutsche Version ihres englischen Posts (den ihr hier nachlesen könnt) und den wir mit ihrer Erlaubnis veröffentlichen. Die Übersetzung kommt von kleinerdrei und Deanna.

Deanna wechselt zwischem dem Dasein als Künstlerin, Strategieberaterin und Autorin. Sie macht den Podcast „League of Awkward Unicorns“, ist ein durchweg unterhaltsamer Mensch und sie spricht Deutsch – WARUM?!


Webseite von Deanna @deanna Podcast „League of Awkward Unicorns“

Nach den Todesfällen von Kate Spade und Anthony Bourdain, die beide jeweils kürzlich durch Selbstmord gestorben sind, gibt es da draußen eine Menge Leute, die dazu gut gemeinte Sachen in sozialen Netzwerken posten. In unserer Kultur sind wir schnell am Boden zerstört, wenn sehr geliebte, berühmte und renommierte Menschen sich dazu entschließen, ihre Existenz auf diesem Planeten zu beenden. Es ist absolut in Ordnung deswegen verletzt zu sein, traurig und wütend. Mir geht es genauso.

Mittlerweile kann ich ganz gut sagen, wer in meinen Feeds bislang keinerlei Erfahrungen mit Depression, Suizidgedanken und dem Spektrum an Gefühlen, die mit psychischen Erkrankungen einhergehen, hatte – weil ich viele Posts dieser Art sehe:

“Du wirst geliebt.”

“Wenn du Hilfe brauchst, ich bin da.”

“Bitte melde dich, wenn du solche Gedanken haben solltest.”


Ich verstehe natürlich, was damit beabsichtigt wird und der Wunsch hinter diesen Äußerungen ist aufrichtig und total wichtig. Trotzdem möchte ich euch ein paar Alternativen vorschlagen, was ihr mit dieser Absicht anfangen könnt.

Wie wir Depressionen und psychische Erkrankungen erleben, ist selbstverständlich keine einheitliche Erfahrung, aber ich möchte gerne teilen, wie es sich für viele von uns innen drin anfühlt, die wir in düsteren Gewässern schwimmen und solche Situationen mitbekommen. Ich beziehe auch Gedanken und Erfahrungen mit ein, die meine Freund_innen unter meinem ursprünglichen Facebook-Post zu diesem Thema geteilt haben. Ich bin keineswegs eine professionelle Expertin was psychische Erkrankungen angeht, sondern meine Perspektive besteht einfach darin jemand zu sein, die mit ihrer eigenen Depression und Angstzuständen seit über 20 Jahren zu tun hat. Hier also, was du wissen solltest, bevor du dich in Social Media an Menschen mit Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen wendest:

1. Die Person die damit zu kämpfen hat, kann sich oft nicht melden. Wenn es bei mir bergab geht, dann bin ich auch gleich ganz raus. Meine depressiven Episoden waren bis vor fünf Jahren üblicherweise eine verheerende Mischung daraus, einerseits nicht zu wissen, dass was mit mir geschieht nicht normal ist (ich dachte immer, ich bekäme mein Leben einfach nicht so auf die Reihe wie alle anderen) und mich gleichzeitig total dafür zu schämen. Ich wusste oft gar nicht, wie ich dann ein Notsignal schicken oder andere kontaktieren sollte und wenn ich es doch tat, dann verharmloste ich die Symptome gegenüber meinen Freund_innen. Ich war bereits seit Jahren in Therapie und erzählte aber nicht mal dort was von diesen Symptomen, denn ehrlich gesagt, wusste ich überhaupt nicht, dass andere Menschen die Welt nicht so erfahren wie ich.


2. Deswegen liegt es an euch darauf zu achten, wenn etwas nicht stimmt – wenn ihr von jemandem schon länger nichts gehört habt oder wenn jemand Sachen postet, die bei euch die Alarmglocken klingeln lassen. Fühlt sich das komisch an? Jepp. Habt ihr Angst, dabei so rüberzukommen als würdet ihr übertreiben? Sicher. Aber was ist das Schlimmste was passieren kann, wenn ihr die Person anstupst, der es vielleicht schlecht geht? Zu den möglichen Nachteilen sage ich gleich noch mehr, aber der Punkt hier ist, dass nicht die betroffene Person sich kümmern muss, sondern alle um sie herum.

Hier kommt ein echtes Beispiel dazu wie das aussehen kann. Anfang Mai hatten mir die Nachwirkungen einiger #MeToo-Enthüllungen in progressiven politischen Kreisen ziemlich zugesetzt und ich hatte auch gerade erst meine eigene, komplexe Geschichte bei “This American Life” geteilt. Ich kotzte meine Gefühle bei Twitter raus und wollte mich eigentlich nur noch irgendwo zusammenrollen und verstecken. Da schickte mir @Atrios eine Direktnachricht:

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Übersetzung:

Hi Deanna. Wir haben uns vermutlich das letzte Mal gesehen… ähm, keine Ahnung wann. Ich seh noch das Treffen vor mir, aber weiß nicht mehr genau wo das war. Auch wenn wir uns gar nicht so oft getroffen und miteinander zu tun hatten, denke ich “meine Freundin, Deanna”, obwohl das ein bisschen komisch ist, so wie die meisten Online-Beziehungen ja ein bisschen komisch sind und ich gerade nichts anbieten kann (wenn es was gibt, frag!), merke ich gerade, dass du verletzt bist und das tut mir leid – das Leben kann scheiße sein. Falls es irgendwie hilft – ich habe gut eine Million Menschen bei komischen Konferenzen wie Yearly Kos und so getroffen und mein Hirn ist zu einer Walnuss geschrumpft so dass ich mich nur noch an wenige von ihnen erinnere, aber an dich erinnere ich mich immer.

Du musst übrigens nicht hierauf antworten. Mir ist klar, dass diese Pflicht zu antworten… eine Last sein kann.

Ach Duncan, danke dir dafür und dass du damit genau den richtigen Ton getroffen hast. Das bedeutet mir sehr viel und besonders der Walnuss-Lacher war nötig. Ich hoffe es geht dir gut, mein Freund.

Pass auf dich auf. Selbst nahezu fremde Menschen lieben dich.

Dieser Austausch hat in dem Augenblick so viel für mich verändert – meinen Gefühlen wurden damit die scharfen Kanten abgeschliffen. Ich litt immer noch, aber ein kleines bisschen dieser Verzweiflung wurde dadurch gelindert. Was war da passiert? Duncan war an dieser Stelle einfach menschlich. Er wusste zwar nicht, was er sagen sollte, aber er bemerkte meine Posts, machte ein paar Witze und vor allem: mit seiner zweiten Nachricht signalisierte er, dass es nicht meine Verantwortung war, ihm seine Sorgen zu nehmen. An diesem Vorbild können sich meiner Meinung nach viele Menschen orientieren.

3. Darum geht es mir hauptsächlich, wenn ihr überlegt, bei jemandem nachzuhaken. Macht immer klar, dass eure Sorgen um diese Person nicht ihr Problem sind. Hier geht es NICHT um euch. Mich erinnert das immer an die Silk-Kreistheorie: spendet der betroffenen Person Trost – und dann teilt euren eigenen Schmerz und eure Bedürfnisse wiederum mit Menschen, die von der Situation weniger stark betroffen sind als ihr selbst.


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4. Lasst diese passiven Formulierungen sein. Ernsthaft. Zu sagen “Du wirst geliebt”, ist nicht nur unpersönlich – “Ist jetzt niemand bestimmtes, aber irgendwer mag dich sicher irgendwie!”  – sondern es kann genau diesen beschissenen wunden Punkt treffen, von dem ich vorher schon sprach.  Menschen, die eine akute emotionale Krise durchmachen, können dadurch den Eindruck bekommen, dass ihr Schmerz auch ihren Liebsten weh tut – und das schmerzt dann umso mehr. Teufelskreis und so. Suizidgedanken sind außerdem meistens nicht das Ergebnis davon, dass jemand sich ungeliebt fühlt. Sie sind eine akute und gefährliche Antwort auf den Wunsch, sich selbst weiteres extremes Leiden zu ersparen – in der Annahme, dass es keinen anderen Weg gibt um das zu erreichen. (Mir ist klar, dass dies wiederum nicht für Menschen gilt, die aufgrund ihrer Erkrankungen Stimmen hören, welche ihnen sagen, sie sollten verletzende Dinge tun, sowie andere psychische Erkrankungen die zu Selbstmordgedanken führen.) Meine Erfahrung sah ganz einfach so aus, dass ich nicht auf diesem Planeten bleiben wollte, wenn hierzubleiben gleichzeitig bedeutete, diesen Schmerz zu spüren.


5. Überlegt euch mit euren engen Freund_innen welche Vorsorgemaßnahmen ihr ergreifen könnt. Wartet nicht darauf, dass diejenigen mit den psychischen Problemen das tun. Fangt jetzt an. Eine wichtige Sache die ich schon vor ein paar Jahren angefangen habe und die vieles für mich verändert hat, ist ein Nachrichten-System in dem ich mir mit meiner heterosexuellen Lebenspartnerin und besten Freundin Cyn schreibe. Wir leben beide gerne jeweils alleine und sind an unterschiedlichen Punkten in unserem Leben entweder Single oder auf nicht-traditionelle Weise in einer Beziehung. Wir habe beide Angst vor einem “New-York-Tod” (wo dir irgendwas zustößt und dich dann aber tagelang niemand findet, während deine Haustiere dein Gesicht fressen) und Cyn hatte besonders große Angstzustände nachdem sie einen Freund durch einen plötzlichen Tod mitten in der Nacht verloren hatte. Wir einigten uns darauf einander wirklich jeden Morgen zu schreiben und dass es bestimmte vorab vereinbarte Maßnahmen gibt, die wir einleiten, sollten wir nichts von der jeweils anderen hören. Seitdem haben wir das jeden Tag gemacht. Diese Art der Struktur zu haben, hat bei mir viel bewegt. Allein die tägliche Aufgabe an sich, als auch zu wissen, dass jemand, die mich liebt und ohne Vorurteile versteht, merkt, falls es mir nicht gut geht und etwas unternimmt: das gibt mir einen guten Anknüpfungspunkt im Hier und Jetzt.

Und das System funktioniert übrigens wirklich. Einmal machte die Technik Probleme und zu unserer verabredeten Zeit hatte ich immer noch nichts von Cyn gehört. Also fing ich gegen Mittag an ihren Freund_innen auf der Arbeit zu schreiben und sie anzurufen und war kurz davor auch ihre Nachbar_innen anzurufen, damit die nach ihr sehen würden. Da kriegte ich plötzlich eine ihrer Nachrichten: “Ähm, beruhig dich, ich bin in einem Meeting…” Danach haben wir uns kaputtgelacht. Es war schön zu wissen, dass Menschen sich um dich kümmern. Einfach aus Liebe überreagieren zu dürfen, ohne Schuld, Scham oder andere Belastungen, kann okay sein.


6. Zu guter Letzt, an alle die auch in den düsteren Gewässern mit mir schwimmen: Oh Mann, ich bin ganz bei euch. Ich bin sowas von bei euch. Diese Welt ist einfach… Ich weiß nicht mal, was ich an diesem Punkt dazu sagen soll. Fall es hilft, meine Freund_innen und ich haben ein kleines kostenloses Tool entwickelt, um andere Menschen dabei zu unterstützen, um Hilfe zu bitten und schwierige Sachen zu teilen. Es heißt „The Weather Report“. Was ich am meisten daran mag ist, dass es auch ermöglicht zu sagen, was man gerade braucht und was nicht.

Yesssssssss.

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