Macht’s euch selbst!

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Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Jana.
Jana zelebriert feministische Blickwinkel in ihrem Alltag, ihrem sozialen Umfeld und im politischen Aktivismus.
Sie interessiert sich für emanzipatorischen Rap. Witch ist für sie ein Kompliment. Sie lebt und witcht in Berlin.

witch.berlin

Die Ereignisse rund um Köln lösten eine mediale Debatte aus, die glücklicherweise nicht nur in den Tastaturen von Rechtspopulist_innen verhaftet blieb. Der Hashtag #ausnahmslos ist entstanden, Menschen gehen auf die Straße und demonstrieren gegen Sexismus und Rassismus. Die besorgte Feministin atmet kurz erleichtert auf und wünscht sich, dass der Sturm dieser Entrüstung genug Schlagkraft besitzt und den entscheidenen Druck auslöst, der die Gesetzeslage endlich zugunsten von Betroffenen sexualisierter Gewalt umgestaltet, Täter_innen bestraft werden und die Entstehung von Sexismus auseinander gepflückt und er gesamtgesellschaftlich abgebaut wird.

Viele weiße cis-Männer solidarisieren sich und sind schnell dabei, die Taten von Köln zu verurteilen und sich von den körperlichen Übergriffen gegenüber Frauen* abzugrenzen. Das ist erfreulich einerseits – denn im öffentlichen Raum, der sich für Frauen* aufgrund von Belästigungen, Blicken und durch die Prägung „Du sollst doch nachts nicht allein auf die Straße gehen!“ oft als erlebter Angstraum gestaltet, ist jeder einzelne Mann gern gesehen, der dieses Gefühl nicht unterstützt. Andererseits kann ein weißer cis-Mann sich sehr einfach vom Kern des Übels abgrenzen. Gewalt hat, wie hinlänglich bekannt ist, viele Ebenen – körperliche Gewalt und Vergewaltigung sind zum Beispiel zwei von diesen.
Klar, es ist bequem mit den Fingern auf „Andere“ zu zeigen und sich so wieder in seine Männlichkeitskuschelecke zu verziehen. Konsequenter wäre es dagegen, gerade für weiße cis-Männer, zu fragen: Habe ich eigentlich etwas damit zu tun, dass in Deutschland ein Klima herrscht, welches Übergriffe vor allem gegenüber Frauen* begünstigt?

Denn der Grundgedanke, Frauen* wären verfügbar und dem weißen cis Manne untergeordnet, hat eine lange Tradition und bietet bis heute gesellschaftliche Orientierungen dafür, wie welches Geschlecht wahrgenommen und welches Verhalten von welchem Geschlecht erwartet wird. So schrieb der einflussreiche, bekannte Philosoph Jean-Jacques Rousseau zur Begründung der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern als Naturgesetz 1762:

„In der Vereinigung der Geschlechter tragen beide gleichmäßig zum gemeinsamen Zweck bei, aber nicht auf die gleiche Weise. Daraus ergibt sich der erste bestimmbare Unterschied in ihren gegenseitigen moralischen Beziehungen. Der eine muß aktiv und stark sein, der andere passiv und schwach: notwendigerweise muß der eine wollen und können; es genügt, wenn der andere wenig Widerstand leistet. Steht dieser Grundsatz fest, so folgt daraus, daß die Frau eigens geschaffen ist, um dem Mann zu gefallen.“

Diese Aussage wird vielen als veraltet erscheinen. Leider wird Rousseau bis heute gern viel gelesen, beispielsweise an deutschen Universitäten. Dadurch werden seine Ansichten verbreitet und am Leben erhalten. Das Zitat gibt Auskunft darüber, wie er sich Geschlechterbeziehungen vorstellte. Erstmal geht er davon aus, dass es nur zwei Geschlechter gäbe. Dann legt er fest, welches der beiden Geschlechter was zu tun hat und wie sie sich gegenseitig zueinander in Beziehung setzen. „Wenn der andere wenig Widerstand leiste“, also Frauen*, erlaubt es weißen cis-Männern auf die Körper dieser zuzugreifen, ihnen nachzupfeifen oder an den Po zu grabschen. Die Begründung liegt in der Natur der Sache: „Der eine muß aktiv und stark sein“ – das ist eben einfach so. Du darfst das, dein Verhalten ist ok, weil du ein Mann bist. Du bist als Mann zur Welt gekommen und genießt deswegen „Naturrechte“. Diese Rechte zu haben impliziert, das Verhalten von Frauen* zu beobachten und zu beurteilen, sie kontrollieren zu können. Frauen* haben sich diesen Rechten unterzuordnen und müssen „gefallen“. Das heißt, sie sollen nach männlichen Maßstäben lieb, brav sein und weiße cis-Männer unterhalten. Die jeweiligen Verhaltensweisen sind notwendig dafür, dass Menschen überhaupt in „Mann“ und „Frau“ eingeteilt werden können. Nur eben nicht „auf die gleiche Weise“. 89 Jahre später wird Rousseau von Schopenhauer unterstützt, wenn dieser in „Über die Weiber“ schreibt:

„§ 364 Zu Pflegerinnen und Erzieherinnen unserer ersten Kindheit eignen die Weiber sich gerade dadurch, daß sie selbst kindisch, läppisch und kurzsichtig, mit Einem Worte, Zeit Lebens große Kinder sind: eine Art Mittelstufe, zwischen dem Kinde und dem Manne, als welcher der eigentliche Mensch ist […]

Die Denktradition, Frauen* stünden unter weißen cis-Männern und wären Menschen zweiter Klasse, wird hier also nicht gebrochen, sondern aufrechterhalten. Es wird von Schopenhauer untermauert, dass Frauen* weißen cis-Männern körperliche und emotionale Geborgenheit bieten. Dies setzt voraus, dass Frauen* rund um die Uhr verfügbar sind und ihr Lebensinhalt darauf gerichtet wird, weiße cis-Männer zu bedienen und ihren Wünschen nachzukommen. Dass diese erwarteten Verhaltensweisen gebrochen, abgelehnt und von unterschiedlichen Geschlechtern praktiziert werden, können wir alle sicherlich in unseren Freund_innenkreisen beobachten. Die unterschiedlichen Gefälle zwischen den Geschlechtern schwingen bei diesen Verhaltensnormen jedoch unvermittelter mit und sind nicht so schnell bewusst zu erfassen. Wenn Frauen* aus der Rolle fallen, sich ähnlich wie weiße cis-Männer anderen gegenüber verhalten, fällt diese Übertretung schneller und negativer auf. Diese nach Geschlecht geordneten unterschiedlichen Ansprüche an Verhaltensweisen und die Machtbeziehungen, die sie begleiten, bestimmen unser Alltagshandeln und unsere zwischenmenschlichen Beziehungen.

Selbstverständlichkeiten hinterfragen

Anstatt sich also gänzlich abzuwenden, wäre das erst recht ein guter Zeitpunkt für weiße cis-Männer selbst mal zu schauen, wie sie mit Freund_innen, Bekannten und Sexualpartner_innen umgehen. Umarmen sie diese ohne vorher zu wissen, ob sie dies wollen? Wer spricht am Kneipentisch am meisten und legt Themen fest? Wer löst Probleme in Freundschaften? Wer fragt zuerst nach dem Wohlbefinden? Wenn weiße cis-Männer mit mehreren Frauen* gleichzeitig schlafen – wie fühlt sich das dann für diese Frauen* an? Fragen sie die Frauen* zurück, ob das für sie okay ist und was ihre Vorstellungen und Bedürfnisse in der Ausgestaltung promisker oder Polybeziehungen sind? Denken sie empathisch für ihre Freund_innen mit – oder nehmen sie sich einfach nur was sie brauchen, und merken weiter nichts?

Je mehr der weiße cis-Mann sich mit diesen Fragen beschäftigt, desto kleinteiligere Antworten wird er finden. Die eigene Komfortzone zu verlassen bedeutet auch zu lernen Selbstverständlichkeiten zu beachten. Wer redet am lautesten über sich, wird dabei nicht unterbrochen und nimmt damit anderen Sprechraum – und Zeit? Solche Verhaltensweisen werden bei weißen cis-Männern meistens toleriert oder es fällt vielen Menschen auf, aber es führt nicht zu Unterbrechungen. Agieren Frauen* ähnlich, werden sie darauf hingewiesen, was sie doch für ein lautes Sprechorgan besäßen, oder ein Zeigefinger auf Lippen ermahnt sie* und erinnert an einen anzustrebenden geringeren Geräuschpegel. Damit stehen sich Frauen* und Männer in einem asymmetrischen Verhältnis gegenüber. Rousseau und Schopenhauer lassen grüßen. Weiße cis-Männer profitieren vom allgemeinen Schweigen in solchen Situationen und sichern sich damit ihre Privilegien. Also das „naturgegebene Recht“ laut und Platz einnehmend zu sein, Aufmerksamkeit auf sich und ihre Befindlichkeiten zu lenken.

Oftmals finden solche Auseinandersetzungen mit der eigenen Männlichkeit erst dann statt, wenn frau* mehrmals auf sexistisches Handeln hinweist. Selbst in links(-radikalen) Umfeldern, in denen Freiräume geschaffen werden sollen, fehlt die selbstinitiierte, tiefergehende Auseinandersetzung „von weißem cis-Mann zu weißem cis-Mann“ zu patriarchatskritischem Verhalten oder wie es der Aktivist Chriss Crass in seinem Essay „Wieso soll ich sexistisch sein? Ich bin Anarchist“ von 1999 auf den Punkt bringt: „Auch wenn das Bewusstsein und Engagement unter AktivistInnen generell höher ist, soviel höher ist es auch wieder nicht.“ Weiter schreibt er:

„Es ist viel einfacher für mich, in der Klasse, beim Schreiben oder auf Plena das Patriarchat zu kritisieren, als in meinen persönlichen Beziehungen mit FreundInnen, der Familie oder PartnerInnen feministische Inhalte zu praktizieren. Das ist speziell dann schwierig, wenn politisch aktive Männer, wie ich, sich so wenig Zeit dafür nehmen, miteinander darüber zu reden.“

Von weißem cis-Mann zu weißem cis-Mann

Deswegen: Nehmt euch diese Zeit – geht auf andere weiße cis-Männer zu, sucht nach Gruppen, die sich damit auseinandersetzen oder gründet welche. In Berlin wäre ein Anlaufpunkt die Gruppe „Neue Zustände ermöglichen“, die 2014 ein Workshopwochenende zu Antisexismus veranstaltete, das sich von Männern an Männer richtete. Im Rahmen des Internationalen Frauentags diesen Jahres organisierte das Bündnis Frauenkampftag Thüringen einen Workshop zu kritischer Männlichkeit in Jena.

Nicht zuletzt bietet das Internet Raum und Platz, Blogs oder Onlineforen zu starten, in denen ihr euch annonymisiert über Gefühle und eigene Ängste austauschen könnt. Ihr habt die Chance, die autonome_profeministische Männergruppenszene, die sich in Deutschland anknüpfend an die Frauenbewegung ab den 1970er Jahren ausformte, zu erneuern. Es gab sogar Männercafés, Zeitschriften und Treffen. Da es in den damaligen Diskussionen leider nicht weiter ging als die eigene Ohnmacht in Männlichkeitsentwürfen festzustellen, sich selbst als Opfer von Männlichkeit zu entdecken, anstatt Privilegien anzugehen und Männlichkeit als Rahmenbedingung zu ändern, ebbte diese Bewegung Anfang der 2000er Jahre schnell wieder ab. Berechtigterweise war dieses Abflauen von einer frauen*perspektivischen Kritik begleitet, die nicht so leicht von der Hand zu weisen war. Denn „nur“ die eigene Männlichkeit zu bemitleiden hieß, die Herausforderungen, Vor- und Nachteile der Selbtsbezeichnung als „Mann“ in den Fokus zu rücken. Das Verhältnis zu Frauen* und anderen Geschlechtern und die Dominanz über diese verlor damit an Wichtigkeit und Interesse.

Frauen* haben mit ihren eigenen verinnerlichten Ismen zu tun – für mich gilt das in jedem Falle. Wenn ich konflikthafte Auseinandersetzungen mit weißen cis-Männern führe und sie dann das Gespräch von sich aus mit mir suchen, verblende ich mich kurzzeitig selbst und bewerte das als besondere anerkennungswürdige Bemühung, während mir das bei Freund_innen als normaler respektvoller Umgang erscheint, der nicht weiter gelobt werden muss. Auch mein Gehirn ist auf Zweiteilung in „Frau“ und „Mann“ programmiert. Die Deinstallation passiert nicht von heute auf morgen. Gleichzeitig versuche ich meiner Stimme, meiner Position als weiße Frau mehr Anerkennung und Wertschätzung zu verschaffen. Das müsst ihr, liebe weiße cis-Männer nicht im gleichen Maße tun. Es ist nicht meine Aufgabe euch zu motivieren, mich im Staub zu wälzen oder vor Dankbarkeit in euren Armen zu zerfließen. Diesen Zwischenschritt vom Abbau jahrhundertealter Ungleichheiten zum utopischen universellen „Wir“ müsst ihr als privilegierteste Gruppe mit besonderer Verantwortung angehen, indem ihr euer Mannsein und die damit verbundene Machtausübung in all ihren Schattierungen und Zwischentönen (an-)erkennt.

Ich bin gern eure stille Zuleserin, wenn ihr jetzt anfangt fleißig coole Blogs zu produzieren, bis es zu dem Punkt kommt, an dem wir gleichberechtigter, befreiter aufeinander zugehen und es uns gemeinsam schön machen können.

2 Antworten zu “Macht’s euch selbst!”

  1. Pinguinlöwe sagt:

    Auf so einen Beitrag habe ich lange gewartet. Großartig! Schade das es hier in Hamburg noch kein äquivalent zu „Neue Zustände ermöglichen“ gibt, denn da wäre ich sehr gerne dabei. Und ja, die Selbstkritik ist wichtig. Am Anfang dachte ich, es wäre ein leichtes Feminist zu sein und das ist es auch, solange bis man bemerkt das alles nur ein schales Lippenbekenntnis ist, wenn man nicht seine eigene direkte Umwelt in Augenschein nimmt und guckt was sich anders machen lässt. Viele Antisoziale Verhaltensweisen sind irgendwie so drin und es wirkt so normal, dass es viel zu leicht einfach unter geht.
    Gleichzeitig aber auch so gefährlich normal, dass gar keine Kritik geäußert wird, wenn sich jemand wie der letzte Arsch verhält. Es war ja schließlich immer so.

    Und es fühlt sich noch immer komisch an und erfordert Überwindung solche Dinge die falsch laufen in der Situation anzusprechen. Da wäre es manchmal gut, wenn solche Sachen mit anderen Leuten besprochen werden können.

    Es würde mich sehr freuen wenn sich auch in meiner Nähe entsprechende Gruppen gründen.

  2. mcflurry28 sagt:

    Leute die sich als männliche Feministen bezeichnen habe ich immer nur für Leute gehalten, die auf Mädels mit Nasenpiercing stehen.
    Wichtigtuer die sich einen genuinen Kampf zu eigen machen.