„Modern Romance“ von Aziz Ansari

Foto , by Penguin Press

Die ersten Notizen für diesen Text über „Modern Romance“ von Aziz Ansari beginne ich auf meinem iPhone. Das ist erwähnenswert, weil der kleine Computer, den wir in unseren Taschen mit uns herumtragen und mit dem wir mittlerweile Stunden unseres Tages verbringen, Dreh- und Angelpunkt in Ansaris Buch ist. Darin geht es eigentlich um ein auf den ersten Blick recht universales und zeitloses Thema: Die Liebe. Doch der US-Amerikaner, dessen Eltern in den 70er Jahren aus Indien in die USA kamen, will mit seinem Erstlingswerk mehr liefern, als eine abstrakte Abhandlung übers Anbandeln. Ausgehend von einem Erlebnis, bei dem er nach einem romantischen Abend mit einer Frau auf seine Textnachricht nie wieder etwas von ihr hörte, fragt er sich, wie es mit unserem Paarungsverhalten in Zeiten der modernen Technologie bestellt ist.

Der Gender Pay Gap am Beispiel von Beyoncé

Zu Gute zu halten ist Ansari, dass sein Buch nicht zu einer Abrechnung mit Frauen wird, die ihn abblitzen ließen oder auf andere Art plump mit Geschlechterklischees spielt. Das war bei seiner Vorgeschichte aber auch nicht zu vermuten. Ansari wurde bekannt als Tom Haverford in Parks and Recreation, trat aber schon vor seinem Durchbruch als Stand Up-Comedian auf. Seine Programme sind gespickt mit Komik, die geschlechterspezifische Diskriminierung als Realität ansieht und nicht als billige Pointe, für die eine “Meine Freundin is so, alle Frauen sind so, kennste?Kennste?!”-Masche eines Mario Barth steht. Ansari tickt anders und sein Humor ist intelligenter. Das wurde auch bei seinem Auftritt in der US-Lateshow mit David Letterman deutlich, bei dem er auf den Gender Pay Gap einging (damit wird der Betrag bezeichnet, den Frauen weniger als Männer verdienen, auch wenn sie gleich qualifiziert sind und die gleichen Jobs machen).

“Du bist Feminist, wenn Du auf ein Konzert von JayZ und Beyoncé gehst und nicht glaubst, dass Beyoncé 23 Prozent weniger als JayZ verdienen sollte.”

Recherchen auf der ganzen Welt. Und auf Reddit.

Ansari macht gleich zu Beginn von „Modern Romance“ klar, dass er kein Comedy-Buch schreiben wollte, sondern ein unterhaltsames Sachbuch, das uns hilft, ein bisschen besser zu verstehen, warum wir ticken wie wir ticken und was Technologie mit Partnersuche macht. Dafür hat er sich mit einem Co-Autor sowie vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammengetan und hat “Betroffene” auf der ganzen Welt befragt – also Menschen, die Online miteinander reden, flirten und alles andere machen. Von einigen hat er sogar ganze SMS-Dialoge und anderen Kurzmitteilungen analysiert, um zu ergründen, wie genau Kommunikation im “Paarungsverhalten” abläuft, wo sie schief läuft und was sie zum Funktionieren bringt.

Ein weiterer Stützpfeiler von Ansaris Untersuchungen für das Buch war ein Subreddit zu dem Thema, in dem er Freiwilligen auf Reddit Fragen darüber stellte, wie sie online kommunizieren und auf Partnersuche gehen. Sexting, Tinder, Seitensprung-Websites: Zu allen möglichen, auch sehr privaten Themen, antworteten die Leute. Die Tatsache, dass auf Reddit niemand Klarnamen benutzen muss, half sicherlich, Antworten zu erhalten. Allerdings ist wichtig festzuhalten, dass Ansari und seine Helferinnen und Helfer durch die “Offline”-Befragungen in den USA, Frankreich, Indien, Argentinien, Katar und Japan eine Kontrollgruppe für die online getätigten Aussagen hatten.

Zu den spannendsten Aspekten in „Modern Romance“ zählt die Tatsache, dass die Suche nach Freundschaft, Sex und Liebe mit Hilfe des Internets sehr davon geprägt ist, in welcher Umgebung wir leben. Ich fand es faszinierend zu lesen, wie eine App wie Tinder, die in Deutschland oder den USA vor allem als Werkzeug für schnellen Sex angesehen wird, in Katar ein wichtiges Instrument ist, um überhaupt in Kontakt miteinander zu kommen.

So schreibt Ansari über Katar:
“Flirting in public places gets a young person in serious trouble, and its especially dangerous for young women, who are expected to be chaste until marriage and risk bringing terrible shame to themselves and their parents if they are caught courting a man.” (“Wenn Du in der Öffentlichkeit flirtest, bringt dir das als junger Mensch richtig Ärger. Vor allem von den jungen Frauen wird erwartet, keusch in die Ehe zu gehen und sie riskieren es, Schande über die Familie zu bringen, wenn sie erwischt werden, wie sie Interesse an einem Mann zeigen.”)

Wer miteinander in Beziehung tritt, das entscheiden in Katar oft nicht die Partner selbst, sondern die Eltern. “The mothers of boys go from one house to the other. They´re looking for women who are suitable based on family background and education.” (“Die Mütter der Jungs gehen von Haus zu Haus und suchen eine Frau, die zu ihrem Sohn passt. Bedingung ist, dass ihre Familie ihr gefällt und der Bildungsstand der Frau.”) , sagt eine 27jährige namens Amirah aus Katar im Buch. In dieser Umgebung helfen Tinder und Snapchat Leuten, sich zunächst mal kennenzulernen und zu treffen, ohne dass ihre Eltern es merken: “The technology is making people more ballsy. It gives people a way to connect.” (“Die Technologie macht Leute mutiger. Sie verbindet sie.”)

Die guten alten Zeiten waren auch nicht besser

Doch nicht nur zwischen unterschiedlichen Staaten gibt es die Unterschiede in der Bedeutung von Technologie für die Liebe. Ansari zeigt, dass beispielsweise Tinder und was Benutzerinnen und Benutzer damit verbinden, total davon abhängt, ob sie auf dem Land oder in der Stadt wohnen. Auf dem Land gibt es deutlich weniger Menschen, also weniger Optionen, das Erhoffte buchstäblich zu erwischen. Auch spielt soziale Kontrolle eine größere Rolle: Wer in dünner besiedelten Gegenden lebt, kennt sich womöglich eh aus der Schule, der Uni oder vom Arbeitsplatz. Die Anonymität, die Online-Dating reizvoll machen kann, fällt für diese Menschen weg.

Ansaris Verdienst ist es, Technologie als Mittel zum Zweck weder in den Himmel zu loben, noch zu verdammen. Er zeigt auf, wie komplex unser Verhältnis dazu inzwischen ist. Und er schafft es, einen historischen Bogen zu spannen, der klar macht, das auch vor dem Beginn von Online-Dating und SMS Partnersuche kein Kinderspiel war. Es ist etwas komplizierter, als zu sagen: Früher war alles besser. Denn das Ziel, bei der Partnersuche die große Liebe zu finden, ist eine Erfindung, die jünger ist als Coca Cola. Das schreibt Ansari:

“Before the 1960s, in most parts of the United States, single women simply didn´t live alone, and many families frowned upon their daughters moving into shared housing for “working girls”. Until they got married, these women were pretty much stuck at home under fairly strict adult supervision (…) For women in this era, it seemed that marriage was the easiest way of aquiring the basic freedom of adulthood.” (“Vor den 60ern lebten die meisten alleinstehenden Frauen in den USA einfach nicht alleine. Viele Familien wollten nicht, dass ihre Töchter in Wohnheime ziehen, wenn sie anfingen, zu arbeiten. Diese Frauen standen unter strenger elterlicher Aufsicht, bis sie heirateten. Hochzeit war die einfachste Art, Grundrechte einer Erwachsenen zu bekommen.”)

Die Ausführungen erinnern an die Aussagen aus Katar über den Einfluß elterlicher Kontrolle auf die Partnersuche junger Menschen. Hier unterstreicht Ansari damit, dass die Verschiebung des Heiratsalters nach oben und der Zuwachs an Scheidungsraten in den USA eben nicht auf Technologie zurückzuführen sind, sondern auf eine gesellschaftliche Veränderung, die über technologische Innovation hinaus ging. Durch mehr Teilhabe am Arbeitsleben und die Erkämpfung von mehr Rechten in den 1960ern und 1970ern war es für Frauen nicht mehr notwendig, eine Ehe als finanzielle Versorgung und Möglichkeit, von den Eltern unabhängig zu werden, einzugehen. Die älteren Frauen, die Ansari in seinem Buch darüber befragt, ob sie ihre Entscheidung, mit 19 oder 20 zu heiraten, bereuen, sagen, dass sie gerne ihre Freiheit genossen und sich erst später gebunden hätten.

Das von Forschrittsskeptikern gern benutzte Narrativ, dass Tinder und Co. verdammenswert sind, weil dadurch das Festlegen auf einen Partner verzögert wird, widerlegt Ansari damit auf elegante Art. Vielleicht bringt uns das Netz dazu, neue Freiheiten auch auszunutzen – aber das ist nichts, was unsere Omas und Opas nicht auch gemacht hätten, wenn sie die Chance gehabt hätten.

Einen Haken hat die Sache

Hinter jeder Technologie stehen Menschen, die entscheiden, was sie damit anfangen und was nicht. Das war für mich eine zentrale Botschaft in Ansaris Buch. Ich mochte, dass es kein Schwarz-Weiß-Bild zeichnet, die Vergangenheit nicht glorifiziert und, anstatt über Leute zu schreiben, sie lieber selbst zu Wort kommen lässt.

Natürlich kann „Modern Romance“ kein allumfassendes Bild über den Stand der Dinge in Sachen Liebe in Zeiten des Internets auf der ganzen Welt geben. Aber es liefert gute Denkanstöße, interessante Perspektiven und nicht zuletzt Ansaris witzigen Blick auf die Welt und uns seltsame Wesen. Persönliche Anekdoten aus seinem eigenen Liebesleben machen das Buch noch zugänglicher. Wer „Modern Romance“ gelesen hat, wird einige der geschilderten Szenen in Ansaris neuer Netflix-Serie “Master of None” wiedererkennen, das nur als kleiner Spoiler.

Wenn ich einen Mangel an „Modern Romance“ nennen soll, dann ist es die Tatsache, dass sich das Werk vor allem auf heterosexuelle Beziehungen und eine Mittelschicht bezieht. Ansari sagt selbst, dass er mit „Modern Romance“ kein Buch vorlegt, dass sich noch einmal explizit mit der LGBT-Community oder armen beziehungsweise reichen Menschen und ihrer Partnersuche beschäftigt hat. Er sagt, das Projekt wäre damit für ihn zu groß geworden.

Sieht man von diesen Schwächen ab, ist „Modern Romance“ wirklich empfehlenswert. Für alle, die von Tinder genervt sind. Für alle, die noch nie auf Tinder waren. Und für alle, die Tinder echt einen Scheißdreck interessiert.

Eine Antwort zu “„Modern Romance“ von Aziz Ansari”

  1. Pinguinlöwe sagt:

    Das gefährlichste bei Tinder und Co, so empfinde ich es, ist die Tendenz immer weiter zu klicken, schließlich könnte ja jemand noch besser, noch idealer sein. So entgeht einem möglicherweise der Kontakt mit einem Menschen, der vielleicht nicht zu 100% in die eigene Vorstellung passt, aber trotzdem eigentlich ideal ist :)

    und dann bleibt Mensch am Ende der Tage eben allein, weil es könnte ja.. doch irgendwo da draußen..

    Aber die Technologie zu verteufeln ist natürlich unsinn. Es hat seine Vor- und Nachteile.