Grace and Frankie oder der Beweis, dass intelligentes Fernsehen über alte Menschen möglich ist

Foto , by Netflix

Wenn alte Menschen in Fernsehserien auftreten, haben sie meist eine klare Funktion: Sie sind der leicht vertrottelte Stichwortgeber der unter 40jährigen Hauptrollen. Beispiele dafür reichen von Arthur Spooner in King of Queens bis zu den Eltern von George Costanza in Seinfeld. In Glücksfällen wird der Stichwortgeber dann wenigstens wie in den zitierten Beispielen von Jerry Stiller gespielt – er spielt die in diesen Formaten standardmäßig auftretende Rolle des alternden Cholerikers mit weichem Herzen wenigstens nuanciert und mit großartiger Körpersprache und Timing.

Dennoch sind die Rollen für Schauspieler jenseits der sechzig im Fernsehen, ganz zu schweigen von Hauptrollen, rar gesät. Noch spärlicher wird die Auswahl, wenn es um weibliche Hauptdarstellerinnen im Fernsehen geht, die über 60 sind. Bei der Recherche für diesen Post fielen mir eigentlich nur die Golden Girls als Beispiel für eine Serie ein, die diese Kriterien erfüllt. – Und Waiting for God, eine britische Serie aus den Neunzigern, der wir großartige Momente verdanken wie diesen, als Diana Trent erklärt, was die Ehe wirklich ist.

Seit Diana Trent von meinem Bildschirm verschwunden ist und Dorothy Zbornak mit Sophia, Rose und Blanche mir keine Weisheiten aus Sankt Olaf mehr im RTL-Nachtprogramm verkünden (“Wo du herkommst lieben sich die Menschen zu Polkamusik in Windmühlen, Rose.” – “Hör auf, du machst mir Heimweh, Dorothy!”), sind sie rar geworden, die coolen, smarten, witzigen Frauen über sechzig, oder gar über siebzig im Fernsehen. Kein Wunder, bei einer Branche, die Frauen schon mit 37 für zu alt hält, um die Freundin eines 55-jährigen Mannes zu spielen, so wie es unlängst Maggie Gyllenhall erging.

Althippie trifft Geschäftsfrau

Ein Lichtblick in dieser Wüste ist seit diesem Jahr Grace and Frankie. Heldinnen der Serie, die in Deutschland und den USA auf Netflix läuft, sind die von Jane Fonda gespielte Grace sowie die von Lily Tomlin gespielte Frankie. Wem jetzt angesichts dieser Besetzung noch keine Tränen der Freude in die Augen gestiegen sind, sollte sich auf Präsident Bartlet gefasst machen. Ja, Martin Sheen, der POTUS des Aaron Sorkin-Serienklassikers The West Wing, spielt auch in Grace and Frankie mit. Er ist Robert, Graces Ehemann. Vierter im Bund der Hauptdarsteller ist Sam Waterston in der Rolle von Frankies Ehemann Sol, der für die Hauptrolle in The Killing Fields einst für den Oscar nominiert war und zuletzt auch Ensemblemitglied einer Sorkin-Serie (The Newsroom). Sol und Robert sind Partner in einer Anwaltskanzlei, ihre Frauen sind verschieden wie Tag und Nacht und hassen es, einander deswegen ab und zu über den Weg zu laufen. Das ist die Ausgangssituation der Serie.

Grace and Frankie ist großartig, weil es eine Fernsehserie ist, die zu neunzig Prozent aus der Pespektive älterer Menschen erzählt, ohne ihre Lebenswelt auf das Thema Alter zu reduzieren. Natürlich sind Grace, Frankie, Sol und Robert auch mal krank oder brechen sich die Hüfte. Aber in Wahrheit haben sie ein viel schwerwiegenderes Problem: Sol und Robert haben sich ineinander verliebt. Mehr als das: Sie sind seit 20 Jahren ein Paar, wollen sich nun von ihren Frauen scheiden lassen und einander, da es in Kalifornien nun endlich legal ist, heiraten.

Als sie ihren Ehefrauen dies eröffnen, bricht für diese eine Welt zusammen. Beide Frauen müssen damit leben, dass ihre Männer seit 20 Jahren ein Doppelleben führen. Beide Frauen stellen nicht nur ihre Ehen in Frage, sondern auch sich selbst. Selbst Frankie, die als waschechter Althippie auf Meditation und spirituelle Praktiken der Selbsthilfe schwört, kann mit Sols Geständnis nichts anfangen und stürzt in eine Krise. Die pragmatischere, eisern disziplinierte Grace hält mit ihrer blanken Wut und ihrem Hass nicht hinterm Berg. Im Gegensatz zu Frankie verliert sie nicht ihren besten Freund, aber den Zugang zur gehobenen Mittelschicht und den dort selbstverständlichen Zeitvertreiben für die Frauen jener Männer, durch die diese Szene erst entsteht.

Sorglosigkeit, wie es sie nur im Fernsehen geben kann

Hier gibt es die Verbindung zu dem Punkt in Grace and Frankie, der mich nachhaltig nervt: die wirklich penetrante reiche, weiße Sorglosigkeit, die in der Serie zum Ausdruck kommt. Es gibt kein Problem für die Frauen, sofort in ein schönes Haus zu ziehen, nachdem ihre Männer ihre neue Situation verkündet haben. Das gleiche gilt für die Sicherung des komfortablen Lebensstils als Anwaltsgattin, an den sich jede der Frauen gewöhnt hat. In der Serie sind die beiden finanziell abhängig von ihren Männern, was sich zeigt, als ihnen im Zuge des eingeleiteten Scheidungsprozesses die Kreditkarten gesperrt werden. Aber es braucht nur ein wütendes Aufstampfen mit dem Fuß und ein klärendes Gespräch mit den Männern, um dieses Problem zu lösen. Von den sehr realen Verteilungskämpfen, die Trennungen nach sich ziehen, und den Verletzungen, weil sich die ehemaligen Partner gegenseitig nicht gewertschätzt von der anderen Person fühlen, ist in Grace and Frankie keine Rede.

Das ist umso bizarrer, als dass in der Realität rund um Grace and Frankie sehr wohl Kontroversen über Gerechtigkeit in Sachen Geld und die Frage nach Diskriminierung eine Rolle spielen. Eigenen Aussagen zufolge verdienen Fonda und Tomlin, die beiden Hauptdarstellerinnen, genauso viel wie die beiden Nebendarsteller Sheen und Waterston, was Tomlin mit den Worten kommentierte “Die Serie heißt nicht Sol und Robert, sondern Grace und Frankie”.

Geschlechterbedingte Unterschiede im Einkommen, die durch Diskriminierung und Ungleichbehandlung entstehen, finden aber in der Serie nicht statt.

Alt zu sein ist normal und keine Krankheit

Abgesehen von dieser Schwäche ist sie aber ein Sehvergnügen. Da sind die ersten Gehversuche Graces in der Welt des Online-Datings. Großartig, wie sie sich mit einem selbsternannten “Yacht-i-tekten” verabredet, der sich als schmerbäuchiger Typ mit peinlicher Kapitänsmütze entpuppt. Oder nach 20 Jahren in einer lieblosen Ehe einfach mal leidenschaftlich wildfremde Männer küsst. Die Tatsache, dass Jane Fonda mit über 70 besser aussieht, als ich (oder 99 Prozent der Restmenschheit) es jemals mit unter 70 tun werden, ist auch wundervoll.

Grace and Frankie macht Mut für ein Leben über 70 und jenseits der Geriontopsychatrie. Vielleicht ist es nur ein Haufen rosarot gemalter Hollywoodzuckerwatte. Aber wenn wir rosarote Hollywoodzuckerwatte über das Leben mit 20 bis 30 gießen, warum dann nicht eigentlich auch über das, in dem wir viel länger stecken – das Alter? Grace and Frankie macht alte Gesichter im Fernsehen zur Norm, nicht zur Freakshow. Die Normalisierung von Sex im Alter, die in der Serie zum Ausdruck kommt, mag da dem einen oder anderen als Wiedergänger der Alterssexualität in Wolke 9 von Andreas Dresen vorkommen. Der Unterschied liegt sicher darin, dass – ganz US-amerikanisch – in Grace and Frankie keine Nacktheit gezeigt und somit auch kein letztes Tabu über das Aussehen alternder, nackter Körper in einem Zusammenhang jenseits von Krankheit und Tod gebrochen wird. Dennoch verschafft Grace and Frankie einen unterhaltsamen, ehrlichen Zugang zum Thema Alter. Nicht mit Käsekuchen am Küchentisch, aber mit Martinis auf dem Fernsehsofa. Es könnte mir schlechteres passieren als so zu altern wie diese Ladies.

Die Serie ist in Deutschland auf Netflix verfügbar. Demnächst auch mit der zweiten Staffel!

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