Die Magie des Aufräumens

Foto , CC BY-NC-ND 4.0 , by Lena Reinhard

„Aber was ich, aber was ich weiß, … alles, alles was du siehst gehört dir“, singt Peter Licht. Als ich an einem sonnigen Märztag in meiner Wohnung stehe und um mich blicke, muss ich an diese Zeilen denken. Was in dem Lied wie ein Versprechen voller Zuversicht klingt, erfüllt mich gerade vor allem mit Beklemmung.

Seit über vier Jahren wohne ich nun hier, in dieser Hinterhauswohnung in Berlin. Eingezogen bin ich mit einer Matratze, einem Küchentisch und ein paar Umzugskartons. Jetzt, wo ich so um mich blicke, sehe ich überall Zeug. Und es kommt, was jedes Frühjahr kommt: ich habe das große Bedürfnis auszumisten und groß aufzuräumen.

Aber diesmal muss das anders werden. Damals bin ich in diese Wohnung eingezogen, weil sie so hell und geräumig ist. Doch aus den wenigen Möbelstücken und meinen paar Sachen, mit denen ich damals einzog, ist eine Masse an Zeug geworden, die sich erdrückend anfühlt und ein wenig, als hätte sie ein Eigenleben entwickelt. Ich fühle mich als ob ich in meiner eigenen Wohnung überflüssig geworden bin. Ich brauche dringend Veränderung.

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Wie konnte das passieren?

Zufällig habe ich gerade ein paar Tage Zeit, also fange ich einfach an. Während ich all meine Kleidungsstücke auf einen großen Haufen werfe und zu sortieren beginne, denke ich nach, wie es überhaupt so weit kommen konnte, dass aus meinen wenigen Sachen so viele wurden. Ich kann mit recht großer Sicherheit verneinen, dass meine Bücher und Tassen sich von alleine vermehrt haben, auch Paarung ist eher ausgeschlossen. Vermutlich habe ich also selbst etwas damit zu tun.

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Ich habe mich eigentlich immer eher wenig für meine Wohnung interessiert. Häufig war alles, was ich von ihr gesehen habe, die Dusche und das Bett. Am häufigsten habe ich mich hier aufgehalten, als ich eine Zeit lang von zuhause gearbeitet und einen Arbeitsplatz hier eingerichtet habe. Über die Jahre hat mein Leben sich verändert – ich hatte Arbeit, keine Arbeit, ging wieder zur Schule, arbeitete nebenher, ich hatte Beziehungen und keine Beziehungen.

Über die Zeit hat meine Wohnung sich mit mir verändert: mein Kleidungsstil änderte sich, ich las andere, neue, spannende Bücher, legte Briefe und Dokumente ab, sammelte allerlei Kabel für allerlei technische Geräte. Nach und nach hatte ich mehr und mehr Dinge. Dann sparte ich ein wenig Geld zusammen und kaufte ein paar Möbelstücke, um die Dinge in ihnen zu verstauen, und allmählich wuchs aus der spärlich eingerichteten Wohnung das Ungetüm, das sie jetzt geworden war.

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Hinzu kamen Dinge, die mir noch nicht einmal selbst gehören. Zwei Mal lagerten Bekannte ihre eigenen Möbelstücke und Umzugskartons über längere Zeiträume bei mir. Einmal klappte das gut, ein andermal liegen diese Dinge heute noch bei mir – inzwischen seit bald drei Jahren. Viele Dinge können schon seltsam werden, wenn sie einer selbst gehören. Bei fremden Dingen wird das über die Zeit sehr unangenehm, selbst wenn sich eine Tür hinter ihnen zumachen lässt.

Zwar habe ich über die Jahre jede Woche aufgeräumt, mal gründlich, mal eher oberflächlich, aber eben oft aus Bequemlichkeit auch einfach Sachen in Ecken verräumt, in denen ich ihre Existenz gut vergessen konnte – ein Konzept, das in dieser Wohnung hier über längere Zeit wirklich gut funktioniert hat.

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Die Magie des Aufräumens

Über all die Dinge, die wir besitzen und mit denen wir uns in unserem Zuhause umgeben, und vor allem das Aufräumen dieser Dinge, hat die Japanerin Marie Kondo Bücher geschrieben. Kondo ist Beraterin für Ordnung und Aufräumen, und ihr bisher erfolgreichstes Buch trägt den Titel „The Life-Changing Magic of Tidying: A simple, effective way to banish clutter forever“ („Die lebensverändernde Magie des Aufräumens: ein einfacher, effektiver Weg, überflüssiges Zeug für immer zu verbannen“).

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Erst als ich mit meinem ersten Kleiderstapel fertig bin, macht mich ein Freund auf das Buch aufmerksam. Er hat es gerade gelesen, daraufhin all seine Sachen entrümpelt, und empfiehlt es mir sehr.

Kondos Methode zum Entrümpeln nennt sie KonMari-Methode. Die Idee dahinter ist: wir besitzen zu viel und haben oft gar keine Ahnung, wie viel es eigentlich ist, weil wir gerne Dinge verstreuen – beispielsweise drei Schubladen haben, in denen sich Kugelschreiber befinden, und drei Regale mit Büchern in mehreren Räumen.

Die KonMari-Methode basiert auf mehreren Grundprinzipien:

  • Einmalig aussortieren und aufräumen. Kondo rät, nicht täglich ein Teil wegzuwerfen oder für jedes neue Ding, das man anschafft, ein altes zu entsorgen, sondern einmal eine radikale Ausräumaktion zu machen. Die darf dann gerne sechs Monate dauern, sollte danach aber beendet sein.
  • Aussortiert wird nicht nach Ort, sondern nach Kategorie – also nicht erst das Wohnzimmer und dann das Schlafzimmer, sondern erst alle Kleidungsstücke, alle Bücher, usw.
  • Zunächst mit den einfacheren Kategorien beginnen und sich dann zu den schwierigen vorarbeiten. Kondo schlägt als Reihenfolge vor: Kleidung, Bücher, Unterlagen, Kleinkram, und ganz zum Schluss Erinnerungsstücke.
  • Was bleiben darf und was nicht, entscheidet sich darüber, was eine_n glücklich macht. Alles was dieses Kriterium nicht erfüllt fliegt raus.
  • Erst wenn klar ist was bleibt und was nicht, werden die Dinge wieder eingeräumt. (Was bedeutet, dass man je nach Aufräumgeschwindigkeit durchaus ein paar Tage lang um Stapel von Dingen herumgehen muss, bis alles sortiert ist.)
  • Alles wegwerfen was seinen Zweck erfüllt hat. Darunter fielen bei mir zum Beispiel Kreditkartenabrechnungen aus dem Jahr 2010 und die Bedienungsanleitung für meinen ersten Laptop, der seit 6 Jahren kaputt ist.

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Ich lese das Buch immer mal wieder in meinen Aufräumpausen. Manches daraus wende ich an, anderes lasse ich sein: während ich ihre Anleitungen zum Zusammenlegen von Kleidungsstücken sehr praktisch finde, schaffe ich es einfach nicht, mich wie von ihr angeraten bei jedem weggeworfenen Stück zu bedanken und persönlich zu verabschieden. Ich versuche auch, im Gegensatz zu ihrem Ratschlag, nicht alles einfach in Müllsäcke zu stecken und wegzuwerfen, sondern suche nach Dingen, die ins Recycling oder anderweitig wiederverwendet werden können.

Dann ist da auch noch die Sache mit dem Glück, das einem die Dinge bringen sollen, die man behält. „Glück“ ist ja doch ein recht großer Begriff. Ich erwarte weder von meinen Steuerunterlagen vom letzten Jahr noch von meiner Käsereibe, dass sie mich glücklich machen. Aber beide habe ich behalten, an gute Orte verstaut und bin darüber jetzt froh – weil Steuerunterlagen leider doch sein müssen, und ich ohne Käsereibe nunmal keinen Käse reiben kann.

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Kondos Arbeit und ihr Buch sind an einigen Stellen stark von ihrem kulturellen Hintergrund geprägt und nicht immer eins zu eins für mich und meine (Wohn)Situation anwendbar. Dennoch habe ich einiges an Inspiration und Ideen daraus für mich gezogen. Ich finde viele ihrer Ansätze für mich gut anwendbar – unter anderem die Idee, eben nicht wöchentlich aufzuräumen, sondern eine große Aufräumaktion durchzuführen und danach alles einfach immer dahin zurückzuräumen, wohin es gehört.

Ich habe aus dem Buch vor allem viel über Achtsamkeit gelernt: Achtsamkeit gegenüber den Räumen, in denen ich mich bewege, den Dingen, mit denen ich mich umgebe, und allem, was ich mir neu kaufe (oder dann eben auch nicht kaufe). Und am Ende auch viel Achtsamkeit mir selbst gegenüber.

Ausmisten und Räumen

Ich räume, räume, räume. Stundenlang vergrabe ich mich in Sachen, sortiere, fülle eine Tüte nach der anderen. Am Ende bin ich bei über vierzig 50-Liter-Säcken mit Dingen, die ich entsorgen kann. Ich stelle alles zur Entsorgung in meinen Flur und komme nach kurzer Zeit bald schon kaum mehr durch. Ein Besucher, der meine Wohnung im „Vorher-Zustand“ kennt und nun kaum zur Wohnungstüre hineinkommt, wundert sich, woher denn all das Zeug kommt – es habe doch bisher eigentlich immer recht leer ausgesehen bei mir.

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Ähnlich wie ihm geht es mir auch. Ich räume das Schränkchen unter der Spüle aus – ein 50-Liter-Sack kann weg. Ich sortiere ein paar Unterlagen – ein riesiger Sack Altpapier ist voll. Und so geht es immer weiter. Je länger ich sortiere, umso mehr wird mir bewusst, wie viel ich eigentlich hatte.

Wohin mit all den Sachen?

Als ich meinen ersten großen Berg mit Dingen zum Entsorgen betrachte bin ich froh, dass ich von Anfang an halbwegs sortiert habe, statt alles nur in Säcke zu stopfen. Und nun, wohin mit all dem Zeug?

Für Berlin bietet die Stadtreinigung eine Liste karitativer Einrichtungen, die Verwendung für Spenden wie Baby- und Kindersachen, Spielzeug, Bücher, Haushaltswaren, Kleidung und mehr haben. Für die meisten Einrichtungen ist aufgelistet, was mit den Sachen passiert, ob sie beispielsweise weiterverkauft oder kostenlos weitergegeben werden.

All die Säcke mit noch brauchbarer Kleidung und Schuhen bringe ich schließlich zur Caritas, die unter anderem Kleiderkammern betreibt.

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Bei Büchern fällt mir der Abschied etwas schwerer. Ich gebe sie schließlich zum Berliner Büchertisch, wo Bücher weiterverschenkt, verteilt und teils auch verkauft werden.

Die großen Berge Altpapier, Kartons, Plastik, Glas und Kram landen schließlich im Recycling, und der Rest kommt in den Müll.

Was nun?

Gerade habe ich all meine Schreibsachen, Dokumente und Unterlagen zu Ende sortiert und verräumt. Bis auf die letzten Kisten mit Altpapier habe ich inzwischen auch alles entsorgt, was in den letzten Tagen meinen Flur blockiert hat. Nur in meinem Wohnzimmer stapeln sich gerade noch an einer Wand Bücher, Noten, Kamerazubehör und alte Notizbücher auf dem Boden und warten auf das Regal, in dem sie bald untergebracht werden.

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Kondo erzählt an einer Stelle in ihrem Buch von einer ihrer Klientinnen, die nach dem Aufräumen erzählte, die Luft in ihrer Wohnung fühle sich ganz anders an. So geht es mir gerade auch. Die Räume sind freier, offener, heller. Gleichzeitig ist meine Wohnung wieder bewohnbarer und fühlt sich nicht mehr an wie ein Ort, an dem ich von den Dingen um mich bedroht werde. Ich habe durch das Sortieren mehr gelernt als ich für möglich gehalten hätte – über mich, meine Bedürfnisse, und darüber was mir wirklich wichtig ist.

Als ich ein paar Freunde treffe, sprechen sie mich darauf an, dass ich so befreit und gelöst wirken würde und viel mehr Energie ausstrahlen würde. Und egal inwieweit das nun dem Ausmisten zuzuschreiben ist – ich bin sehr, sehr froh darum. Und dafür dass hier nun alle Räume wieder hallen finde ich auch noch eine Lösung.

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3 Antworten zu “Die Magie des Aufräumens”

  1. Mona sagt:

    „unter anderem die Idee, eben nicht wöchentlich aufzuräumen, sondern eine
    große Aufräumaktion durchzuführen und danach alles einfach immer dahin
    zurückzuräumen, wohin es gehört.“

    Ist das nciht der Normalfall?

    Was kann man machen, wenn mat mit jemandem zusammenwohnt, der unglaublich viele Sachen hat? Die Dinge sind weder sortiert, noch aufgeräumt. Das ist sehr erdrückend. Man kann ja schlecht die Dinge einer anderen Person wegwerfen. Zwingen geht auch nicht richtig.

    Ich find den Text sehr schön geschrieben, außerdem ist er informativ und motivierend.

    • Fox sagt:

      Dankeschön!

      Wie das funktionieren kann, wenn man mit einer oder mehreren anderen Personen zusammenwohnt, weiß ich nicht. Vielleicht lässt sich da gemeinsam eine Lösung erarbeiten, die für alle Beteiligten funktioniert, in jedem Fall ist übergriffiges Verhalten natürlich auch keine Lösung.

      Zu dem „unter anderem die Idee …“-Satz: es gibt da zwei Ebenen – die eine ist, einmal nicht nur aufzuräumen, sondern groß auszumisten. Die andere ist das „alles dahin zurückräumen, wohin es gehört“. Ich vermute, dass du das mit dem „Normalfall“ meinst. Es ist super, wenn das für dich so funktioniert, dass es „normal“ ist, für mich hat das in den letzten Jahren meistens eher nicht so gut geklappt, besonders nicht über lange Zeiträume hinweg.

  2. Sarah Whahn sagt:

    Vielen Dank für Deinen sehr motivierenden Artikel! Ich habe ihn zwar etwas später entdeckt, als er geschrieben wurde, aber der Inhalt ist ja immer noch und immer wieder relevant, und das für uns alle. Du sprichst mir in einigen Passagen aus der Seele :)
    Dein Problem mit dem Bücher weggeben kann ich nur teilen – ich tu mir da auch echt schwer. Wir haben auch hier in München eine Bücherkiste, an die ich oft gespendet hab, und ich tu auch wirklich gerne mal etwas Gutes. Wenn man selber noch etwas damit verdienen möchte, würde ich Dir Ankaufportale wie rebuy, regalfrei oder momox empfehlen. Den besten Preis kann man heutzutage über kostenlose Preisvergleichsportale erzielen. Mir hat da z.B. folgendes geholfen:
    https://www.bonavendi.de/verkaufen/gebraucht.html . Der Preisvergleich über die Seite funktioniert einwandfrei und schnell, und man kann dann doch noch etwas Gewinn rausholen. Zwar nicht so viel wie auf dem Flohmarkt oder ähnlichem, aber dafür bedeutet das viel weniger Aufwand! Das aber nur zum Thema Bücher..
    Apropos Bücher: Super, dass Du eine Liste an weiterführenden Büchern und Artikeln zum Thema hier beigefügt hast. Werde das mal durchforsten und vielleicht ist ja was Passendes für mich dabei; ich versuche nämlich momentan meiner Mutter dabei zu helfen, unser Familienhaus auszumisten – wir sind 6 Kinder und da hat sich im Laufe der Jahre so einiges angehäuft…