Neues Urteil verharmlost sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz

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Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Dalia.

Dalia Hussein lebt in Berlin, studiert seit 2010 Jura an der Humboldt-Univerität und steht kurz vor ihrem ersten Staatsexamen.

In Deutschland wird sexuelle Belästigung bagatellisiert – auch am Arbeitsplatz. Einmal an die Brust fassen, einmal in den Po kneifen, einmal zu lange in den Ausschnitt starren – alles nicht so schlimm. Die Überschreitung weiblicher Grenzen ist in unserer Gesellschaft offenbar so sehr Normalität, dass selbst RichterInnen großzügig ein Auge zudrücken und fragwürdige Urteile fällen.

Das zeigt aktuell ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts, das vor kurzem vielfach in den Medien besprochen wurde. In dem entschiedenen Fall geht es um einen Kfz-Mechaniker, der einer Reinigungskraft, Frau M, unter vier Augen sagte, dass sie schöne Brüste habe und ihr dann ungefragt an diese fasste. Der Arbeitgeber hat dem Mechaniker aufgrund dieses Vorfalls außerordentlich – das heißt fristlos – gekündigt. Das Bundesarbeitsgericht hat die Kündigung Anfang Februar wieder aufgehoben.

Der rechtliche Hintergrund

Um dieses Urteil angemessen bewerten zu können, sind zumindest grundlegende juristische Kenntnisse unerlässlich. Die hat leider nur eine kleine Gruppe von Menschen. Damit wir alle auf Augenhöhe diskutieren können, möchte ich zunächst die notwendigen juristischen Grundlagen durchgehen. Das ist zwar ein bisschen anstrengend, aber es lohnt sich!

Zunächst eine kleine Einführung in das Arbeitsrecht (aber wirklich nur die wichtigsten Dinge): ArbeitgeberInnen sind nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) dazu verpflichtet, seine oder ihre ArbeitnehmerInnen vor Schaden und dementsprechend auch vor sexuellen Übergriffen zu schützen. Es steht in seiner/ihrer Pflicht, Maßnahmen zu ergreifen, die eine Wiederholung des betreffenden Vorfalls verhindern können.

ArbeitnehmerInnen haben also ein Recht darauf, dass ihr Arbeitgeber reagiert. Eine solche Reaktion kann insbesondere eine Abmahnung, eine ordentliche Kündigung oder eine außerordentliche Kündigung sein. Eine ordentliche Kündigung ist die „mildere“ Kündigung, da ArbeitgeberInnen eine Kündigungsfrist einhalten müssen. Eine außerordentliche Kündigung ist das schärfste Mittel, da sie keiner Frist bedarf.

Deshalb hat die außerordentliche Kündigung die höchsten rechtlichen Hürden. Das hat auch seinen Sinn: Denn bevor ArbeitnehmerInnen von heute auf morgen ihre Arbeitsplätze verlieren, sollen die ArbeitgeberInnen alle Alternativen ausgeschöpft haben.

Eine ordentliche Kündigung oder eine Abmahnung sind solche Alternativen und insofern darf der/die ArbeitgeberIn erst fristlos kündigen, wenn ihm oder ihr nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis mit dem/der ArbeitnehmerIn fortzusetzen, zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist.

Dafür braucht es einen „wichtigen Grund“. Die Feststellung, ob ein wichtiger Grund vorliegt, ist immer der erste Schritt der Prüfung durch das Gericht. Danach wird überprüft, ob auch im konkret vorliegenden Fall eine fristlose Kündigung gerechtfertigt ist.

Wie es zum Urteil im konkreten Fall kam

Das Bundesarbeitsgericht urteilte, dass eine fristlose Kündigung unverhältnismäßig sei. Der Arbeitgeber hätte seinem Arbeitnehmer auch eine Abmahnung erteilen können. Denn nach Überzeugung des Gerichts hätte dies als Reaktion zur Unterbindung des Verhaltens in der Zukunft gereicht. Das heißt also, dass keine außerordentliche, also fristlose und auch keine ordentliche Kündigung möglich ist. Der Mechaniker darf weiter arbeiten, er bekommt nur eine Abmahnung.

So begründet das Gericht seine Entscheidung:
Für eine fristlose Kündigung brauchte der Arbeitgeber, wie gesagt, einen „wichtigen Grund“. Grundsätzlich kann sexuelle Belästigung ein solcher sein. In der Welt der Rechtswissenschaft liegt eine sexuelle Belästigung (im Sinne des § 3 Absatz 4 AGG) vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes (i.e. „sexuell gemeintes“) Verhalten bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird. Dazu gehören auch körperliche Berührungen sexuellen Inhalts.

Eine sexuelle Belästigung ist auch nach Auffassung des Gerichts im vorliegenden Urteil an sich ein „wichtiger Grund“. Das Gericht stellt fest, dass Frau M. durch die Handlungen des Mechanikers sexuell belästigt wurde und sie somit in ihrer Würde verletzt und zum Sexualobjekt erniedrigt wurde. Ein an sich „wichtiger Grund“ liegt also vor.

Es kommt jetzt darauf an, wie sich die Umstände des Einzelfalls darstellen. Das Gericht geht nach folgenden Kriterien: Wie schwer wiegt die Vertragspflichtverletzung des Mechanikers, als die die sexuelle Belästigung auch gilt? Wie sehr hat der Arbeitnehmer diese Belästigung verschuldet? Wie groß ist die Wiederholungsgefahr? Wie lange arbeitete er vor dem Vorfall für den oder die ArbeitgeberIn?

Im Urteil wird zunächst festgehalten, dass eine sexuelle Belästigung durch den Täter oder die Täterin ein steuerbares Verhalten ist. Es sei daher davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Mechanikers schon durch Abmahnung beeinflusst werden könne. Eine Abmahnung wäre nur dann zu „überspringen“, wenn schon abzusehen wäre, dass er sein Verhalten auch nach der Abmahnung nicht ändern würde. Oder aber, wenn die Verfehlung des Arbeitnehmers so schwer wiegt, dass es auch einmalig für den Arbeitgeber bzw. die Arbeitgeberin nicht zumutbar wäre.

Die RichterInnen kommen zum Ergebnis, dass eine Wiederholungsgefahr nicht vorliegt, denn der Kläger, also der Mechaniker, sei fähig , sein Verhalten zu än dern. Er selbst sagt dazu, dass er einen unerklärlichen „Blackout“ hatte und es sich lediglich um einen einmaligen Ausrutscher handelte. Er hat sich eingebildet, angeflirtet worden zu sein. Das Gericht interpretiert die Aussage des Mechanikers so, dass seine Handlungsweise ihm wesensfremd sei und er sich nicht noch einmal auf diese Weise verhalten werde.

Das sei schon daran zu erkennen, dass er augenblicklich von Frau M abgelassen hat. Der Kläger sei niemand, der notorisch Grenzen überschreite. Zudem war er langjährig Mitarbeiter in dem Unternehmen und es gab nie einen derartigen Vorfall. Er hätte sein Verhalten auch abstreiten können, da es sich um eine Vier-Augen-Situation handelte. Und er habe alles zugegeben, das müsse ihm angerechnet werden, so die Richterinnen.

Frau M. erhielt auch Schmerzensgeld und ein Entschuldigungsschreiben, woraufhin sie keine weitere Strafverfolgung verlangte. Das Gericht erkennt zwar, dass der Mechaniker dieses „Nachtatverhalten“ erst zeigte, als ihm die Kündigung drohte. Das machte eine Berücksichtigung dieser Gesten bei der Prüfung von Wiederholungsgefahr schwierig. Aber die RichterInnen sehen darin eine Fortsetzung seines reuigen Verhaltens, das er ihrer Auffassung nach zeigte, als er von Frau M. abließ.

Die RichterInnen stellen dann nur noch kurz fest, dass der Übergriff des Mechanikers für seine ArbeitgeberInnen nicht unzumutbar war, da er zum ersten Mal passierte, es sich um eine einmalige Entgleisung handelt und der Arbeitnehmer keinen Belästigungswillen hatte.

Unterm Strich heißt das: Eine Abmahnung für einmal unerwünschtes Brüste anfassen.

Soweit zum rein juristischen Teil.

Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Die Würde der Frauen schon.

Recht und Rechtsprechung sind immer auch politisch und abhängig von sozial etablierten Annahmen und dem allgemeinen Konsens.

Das Urteil sagt aus verschiedenen Gründen sehr viel über unseren gesellschaftlichen Umgang mit sexueller Belästigung aus.

Sehr bemerkenswert ist, dass das Gericht zwar feststellt, dass Frau M. in ihrer Würde verletzt wurde. Aber das genügt ihm nicht, um jede weitere Abwägung zu stoppen und zu dem Schluss zu kommen, dass dieses Verhalten des Mechanikers hinzunehmen seinem Arbeitgeber auch nicht ein einziges Mal zuzumuten ist. Dann wäre eine fristlose Kündigung nämlich gerechtfertigt.

In unserem (tatsächlich) sehr wunderbaren Grundgesetz steht gleich im ersten Artikel: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das bedeutet für JuristInnen, dass sobald festgestellt wird, dass die Würde verletzt ist, jede weitere Überlegung, ob die Verletzung gerechtfertigt sein konnte, untersagt ist. Es gibt quasi kein „ja, aber!“. Artikel 1 GG ist ein absolutes Heiligtum. Ich als Jurastudentin kann daher dieses Urteil schlicht nicht nachvollziehen.

Ist die Würde der sexuell belästigten Frau nicht das Gleiche wie die Würde in Artikel 1? Benutzt das Gericht das gleiche Wort, meint aber inhaltlich etwas anderes? Wenn es so sein sollte, warum? Und wie sollte wiederum das gerechtfertigt sein? Es scheint, als mache das Gericht hier eine Rechnung auf, die die Menschenwürde der Frauen potentiellen Missverständnissen in der Kommunikation zwischen Männern und ihnen komplett unterordnet.

Was wäre gewesen, wenn er sie geschlagen hätte?

Ich habe mich gefragt, wie die (FYI drei) Richter und die (eine) Richterin entschieden hätten, wenn der Mechaniker Frau M. eine kräftige Ohrfeige verpasst hätte, mit der Entschuldigung, dass er geglaubt hat, dass sie es wollte, und er nur die Zeichen falsch gelesen hat. Ich vermute, dass das Gericht zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre: ist ja auch vollig absurd, wer will schon geschlagen werden! Dieses Missverständnis kann es gar nicht geben. Wohingegen laut Auffassung der RichterInnen eine eingebildete Aufforderung zum Brust anfassen im Bereich des Möglichen liegt. Aber warum? Warum wird Männern hier offensichtlich nicht zugetraut, dass sie Grenzen wahrnehmen und einhalten?

Können unabsichtliche sexuelle Belästigungen immer auf die „zwischenmenschliche Grauzone“ geschoben werden? Durch das Urteil wird Männern signalisiert: Achte gar nicht erst auf die Grenzen von Frauen, du darfst dich bei deiner Einschätzung sowieso irren. Frauen werden dazu verurteilt darauf zu warten, noch einmal belästigt zu werden, damit Wiederholungsgefahr vorliegt und eine Kündigung durchgeht. ArbeitgeberInnen bekommen das Signal, dass sie lieber erstmal nur abmahnen, bevor sie sich eventuell noch die Kosten eines Rechtsstreits aufhalsen.

Es muss genau anders herum sein: Der Appell sollte vielmehr an die Belästiger gehen, dass es an ihnen liegt, ihre Aufmerksamkeit für ihr Gegenüber zu schärfen. Die Botschaft muss sein: Sei vorsichtig im Umgang mit anderen und belästige sie nicht sexuell. Respektiere die Grenzen anderer. Nicht: Solange du nur einmal übergriffig wirst, kommst Du schon davon.

Deutschland braucht einen Kulturwandel am Arbeitsplatz. Das zeigt sich in diesem Urteil deutlich. Es darf nicht allgemeiner Konsens sein, dass Frauen aushalten müssen und Männer mal daneben liegen dürfen. Es darf nicht so tief in den Köpfen unserer RichterInnen sitzen, dass die Würde der Frau verhandelbar und zur Abwägung freigegeben ist, wenn es doch nur ein „kleines Missverständnis“ war.

Discounter-Pfandautomaten – für deutsche Gerichte
ein höheres Gut als die Würde von Frauen

In der Diskussion um „Arbeitsplatzkultur“ wird bei diesem Thema oft stirnrunzelnd auf die USA gezeigt. Die dortigen Verhältnisse werden als komplett absurd wahrgenommen. Meist folgt das obligatorische „Männer und Frauen können ja nicht mal mehr in einem Fahrstuhl zusammen fahren, ohne dass gleich Vergewaltigungsvorwürfe kommen. So was dürfe in Deutschland nicht passieren, also schweigt still ihr FeministInnen!”

Doch wenn man sich die Kommentare aus dem Ausland über Sexismus am Arbeitsplatz in Deutschland ansieht, wird einem schnell klar, dass es die deutsche Sicht der Dinge ist, die völlig absurd ist. Den Menschen, die eine andere Arbeitsplatzkultur kennen, fällt in Deutschland auf, dass Frauen oft nicht ernst genommen werden, dass über sie hinweggegangen wird, dass ihnen mit weniger Respekt begegnet wird.

Der Status Quo in Deutschland ist nicht besser, nicht fairer, nicht menschlicher als anderswo und er ist nicht erhaltenswert.

Zum Abschluss möchte ich das Urteil noch in einen weiteren juristischen Kontext stellen. Eine andere Entscheidung (Landesarbeitsgericht Aktenzeichen 5 Sa 420/14), die ebenfalls vor kurzem in den Medien besprochen wurde, ist im Bezug zu dem bereits besprochenen Urteil aussagekräftig.

In diesem Fall ging es um einen Elektriker, der manipulierte Plastikflaschen in einen Pfandautomaten seines Arbeitgebers (ein Discounter) steckte, um sich dann den Wertbon in Hohe von 8 Euro an der Kasse auszahlen zu lassen. Dazu kam es nicht mehr, da den anderen Mitarbeitern der Vorgang aufgefallen war und sie ihn meldeten. Ein wirtschaftlicher Schaden entstand also nicht. Der Elektriker hatte zudem angenommen, dass nicht sein Arbeitgeber, sondern der Getränkehersteller, dessen Etiketten er fälschte, Schaden nehmen würde. Dem Elektriker wurde ohne Abmahnung sofort gekündigt.

Das Gericht hat die ordentliche Kündigung hier nicht gekippt.

Ein milderes Mittel, also eine Abmahnung war hier nicht notwendig. Die Argumentation bekommt in diesem Urteil einen anderen Schwerpunkt. Es wird nicht darauf eingegangen, dass das Austricksen eines Pfandautomaten ein steuerbares Verhalten ist und deshalb doch eigentlich abgemahnt werden muss. Das Gericht berücksichtigt stattdessen, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich handelte und unterstellt ihm eine hohe kriminelle Energie. Die Wiederholungsgefahr wird hier ohne weiteres angenommen.

Mir ist besonders aufgefallen, dass sogar schon die Gefährdung des Vermögens des Arbeitgebers laut Gericht ausreichte, um nachhaltig das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu stören.

Das bloß gefährdete Vermögen des Arbeitgebers erhält in diesem Land mehr Schutz durch Gerichte, als die Menschenwürde einer Arbeitnehmerin.

31 Antworten zu “Neues Urteil verharmlost sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz”

  1. Pamela sagt:

    Super Beitrag, der viele gute Argumente liefert, die ich in Diskussionen brauchen kann. Danke!

  2. praetor sagt:

    Leider entwerten Sie Ihren Beitrag mit dem Vergleich zum Pfanfdbon-Fall. Das lässt Zweifel daran zu, ob Sie verstanden haben, was bei der Kündigung aus wichtigem Grund erforderlich ist. Der Vergleich mit dem Schlagen hingegen ist treffend. Nur etwas unjuristisch. Dazu hätte sich bestimmt etwas finden lassen.

    • Bene sagt:

      Wieso entwerten? Ich stehe nach Ihrem Kommentar etwas auf dem Schlauch…was ist denn bei einer Kündigung aus wichtigem Grund erforderlich? Erklären Sie’s mir!

      • praetor sagt:

        Entwerten, weil das Argument aus – meiner Sicht – nicht zu mehr als einer guten Schlagzeile taugt. Was aber – insgesamt – außer Acht gelassen wird, ist folgendes: die Kündigung aus wichtigem Grund ist das schärfste Schwert des Arbeitsrechts.

        Es darf nur dann eingesetzt werden, wenn eine negative Prognossse besteht, nach der aus einer konkreten Pflichtverletztung im Einzelfall der Schluss zu ziehen ist, dass der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflicthten erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzten werde: die Kündigung soll die künftige Verletzung erheblicher Pflichten vermeiden und nicht die Pflichtverletzung sanktionieren.

        Das BAG hat im Entscheidungsfall dargelegt, warum es nicht glaubt, dass der Kläger in Zukunft erhebliche Pflichtverletzungen begehen wird, weshalb der Anwendungsbereich der Kündigung aus wichtigem Grund nicht eröffnet war.

        • Dalia sagt:

          Es darf auch fristlos gekündigt werden, wenn bereits eine einmalige Hinahme der Pflichtverletzung nicht zumutbar ist. Das wäre meiner Ansicht nach hier zu diskutieren gewesen. Aber dazu sagt das Gericht sogut wie nichts.

          Das habe ich keineswegs außer Acht gelassen, im Gegenteil, genauso erkläre ich in meinem Text die fristlose Kündigung.

    • Dalia Hussein sagt:

      Der Vergleich sollte vor allem die unterschiedliche Argumentationsweise bezüglich der Erforderlichkeit der Abmahnung aufzeigen. Mit ist klar, dass es sich in den Fällen um unterschiedliche Kündigungsarten handelte. Eine Abmahnung wäre aber auch im Pfandbon-Fall ein denkbares Mittel gewesen, welches aber abgelehnt wurde.

      Der Artikel sollte nicht durch und durch juristisch sein.

      Beste Grüße, Dalia Hussein (Autorin)

      • praetor sagt:

        Das Problem in den Pfandbon oder Brötchen-Fällen ist anders gelagert. Hier wird direkt und unmittelbar in die Vermögenssphäre des Arbeitgebers eingegriffen. Und aufgrund dieses Eingriffs muss – damit ein wichtiger Grund vorliegt – das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstört (so die Rspr.).
        Daher bleibe ich dabei, dass dieser Vergleich Ihre Position nicht stärkt.

        • Dalia sagt:

          Ich sehe den Unterschied zwischen den beiden Fällen. Sie würden wahrscheinlich den Fall erst als vergleichbar ansehen, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitgeberin sexuell belästigt hätte, oder? Meiner Ansicht nach sollte aber schon der mittelbare Vertrauensbruch reichen, gerade weil das Rechtsgut Würde so verdammt wichtig ist!

  3. Kinch sagt:

    Danke für den Artikel. Insbesondere der juristischen Ausleuchtung; aber einiges kann ich leider noch nicht nachvollziehen, vielleicht hilfst du mir da auf die Sprünge:

    Das bedeutet für JuristInnen, dass sobald festgestellt wird, dass die Würde verletzt ist, jede weitere Überlegung, ob die Verletzung gerechtfertigt sein konnte, untersagt ist.

    Zu keinem Zeitpunkt, so wie ich das verstehe, war die Frage, ob die Verletzung der Würde gerechtfertigt ist, sondern, ob die Kündigung verhältnismäßig ist, oder? Das Gericht ist ja sehr explizit auf die Umstände des konkreten Vorfalls eingegangen, wie du selbst geschildert hast, und hat damit eben keinen Grundsatz a la „Einmal Grapschen ist grundsätzlich erlaubt“ erteilt.

    Es hat geurteilt, dass die sexuelle Belästigung eine Verletzung der Würde war und ferner, dass in diesem konkreten Fall, eine Kündigung ungerechtfertigt war. Hätte er ihr nach der Arbeit aufgelauert und dann sexuell belästigt, wäre das Urteil vermutlich demnach anders ausgefallen.

    Du stellst das ja einem anderen Fall gegenüber, der den Unterschied zwischen geplant und ungeplanten Taten illustriert. Die Tat des Meschanikers war eine augenblickliche, spontane Tat, die nach Auffassung des Gerichts ihm wesensfremd war. Beim Fall des Eletrikers der Etiketten flälschte, ist das doch eben anders gelagert: Er hat bewusst einen Betrug geplant und versucht durchzuführen. Wesenfremd scheint mit das dann nicht zu sein.

    Findest du nicht, dass man bei Schuldzumessung abwägen muss, ob etwas eine spontane oder geplante Tat war? Und dass man auch bei Verletzungen der Würde irgendwo abgwägen muss? Oder anders herum gefragt: Ist nur eine Kündigung deiner Meinung nach gerechtfertigt oder auch eine Haftstrafe?

    • Dalia sagt:

      Ich finde nicht, dass bei einer Verletzung der Würde abgewogen werden muss oder darf. Gerade hier darf es keine schwammigen Grauzonen geben.
      Natürlich muss berücksichtigt werden, ob vorsätzlich gehandelt wurde oder nicht. Aber es muss eben auch das verletzte Rechtsgut bzw die Schwere der Pflichtverletzung berücksichtigt werden (Verletzte Würde/ Gefährdetes Vermögen).
      Es geht hier gar nicht um eine Haftstrafe, das würde ins Strafrecht fallen und ist ein ganz anderes Thema.

      beste Grüße, Dalia Hussein (Autorin)

  4. Jurazombie sagt:

    Hm. Ich denke, der Unterschied des ersten zum letztgenannten Fall ist vielmehr, dass es sich beim letzteren um eine Rechtsgutsverletzung zulasten des Arbeitgebers handelt bzw. gesagt wird, dass eine Abmahnung nicht mehr sinnig ist, da das für die Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauensverhältnis endgültig zerstört ist. Dann kann man sich natürlich fragen, ob das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nicht auch zerstört wird, wenn der Arbeitnehmer übergriffig gegenüber Kolleginnen war. Die Aussagen des Arbeitnehmers klingen natürlich gekünstelt, aber dabei waren wir auch nicht. Letztlich finde ich das Urteil nicht unbedingt überraschend oder außer der Reihe. Wenn man überlegt, dass das ganze Arbeitsrecht Arbeitnehmerschutzrecht ist, ist meiner Meinung nach konsequent, erst mildere Mittel zu erwägen. Dass sexuelle Belästigung im Gegensatz zum Diebstahl für sich nicht strafbar ist, hilft ja auch nicht unbedingt. Unterm Strich kann man sich moralisch daneben benehmen, ohne direkt fristlos seinen Job zu verlieren. Ich finde schon, dass man das vom Arbeitsrecht erwarten kann. Interessant wäre tatsächlich, sich anzusehen, wie bei anderen Taten zulasten der KollegInnen entschieden wird, was wahrscheinlich die lohnendere Vergleichsgruppe wäre.

    • Dalia Hussein sagt:

      Sexuelle Belästigung einer Kollegin ist eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, er ist ja gerade dazu verpflichtet seine ArbeitnehmerInnen zu schützen. Insofern sehe ich das Vertrauensverhältis durchaus verletzt.
      Genau, das Arbeitsrecht ist Arbeitnehmeschutzrecht. Unter diesen Schutz fällt aber auch der Schutz der Arbeitnehmerin, die belästigt wurde.

      Beste Grüße, Dalia Hussein (Autorin)

  5. kami sagt:

    Warum die Autorin durch die Entscheidung des Gerichts zu dem Schluss kommt, die Würde der Frau würde durch ihn nicht geschützt werden, erschließt sich mir nicht. Das Arbeitsgericht kam zu dem Schluss, dass die Würde der betroffenen Frau beeinträchtigt wurde, urteilte aber, dass es zum Schutz dieser Würde ausreichend sei, einen Warnschuss zu geben und nicht gleich die berufliche Existenz des Belästigers zu zerstören. Wenn man in Betracht zieht, dass es sich bei der Tat des Mechanikers um eine Ersttat handelte, konnte das Gericht guten Gewissens davon ausgehen, dass dieser Warnschuss, also die Abmahnung, seine Wirkung nicht verfehlt.

    Der Fall mit dem Bon erscheint hier als Vergleich unangebracht, da er, wie auch von anderen schon erwähnt, das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstört. Ich bin mit der Art, wie es gehandhabt wurde, nicht einverstanden (ähnlich wie bei bekannteren Fällen, die sich ebenfalls um Kassenbons oder übriggebliebene Brötchen drehten), und würde deswegen ungern diese Ungerechtigkeiten als Präzedenzfälle benutzen, um mehr Härte bei dem aktuellen Fall einzufordern.

    • Dalia Hussein sagt:

      Mir ging es vor allem darum zu fragen, wie es sein kann, dass das Gericht feststellt, dass die Würde der Frau verletzt wurde und dann nicht zu dem Schluss kommt, dass eine schwere, nicht hinehmbare Verfehlung des Arbeitnehmers vorliegt. Das erschließt sich mir nach wie vor nicht. Ich habe bisher gelernt, dass sich die Werte das Grundgesetzes auf alle Rechtsgebiete auswirken. In dem Urteil wird aber relativ lapidar über eine Würdeverletzung hinweg argumentiert. Das ist meiner Meinung nach inkonsequent. Ich hätte an der Stelle einen sehr viel größeren Argumentationsaufwand erwartet. Es geht immerhin um die Würde! Insofern finde ich Ihre Gegenüberstellung „Beeinträchtigung der Würde“ und „Zerstörung der beruflichen Existenz“ ähnlich schwierig. Auch hier hätte ich Würde höher eingestuft als berufliche Existenz.

      Bezüglich des Vertrauensverhältis zwischen AG und AN habe ich mich in einem anderen Kommentar bereits geäußert. Der Belästiger hat eine Pflicht gegenüber seinem AG verletzt. Das kann das Vertrauensverhältnis durchaus stören.

      Beste Grüße, Dalia Hussein (Autorin)

      • kami sagt:

        Würde ist doch ein höchst abstrakter Begriff, der in dieser Gesellschaf regelmäßig sehr zweifelhaft ausgelegt wird, wenn man sich z.B. anschaut was sozial Benachteiligten teilweise widerfährt. Ob seiner Platzierung im Artikel 1 des GG könnte man natürlich annehmen, dass es hierzulande das wichtigste Gut eines Menschen ist, praktisch zählen existenzielle Bedürfnisse aber zurecht höher.
        Wenn es das Ziel war, Gerechtigkeit zu schaffen, dann wurde diese in diesem Fall doch erreicht. Das Verhalten des Täters führte zu Sanktionen und hoffentlich zu einer Änderung seines Verhaltens, die Klägerin erhielt Schmerzensgeld und kann erwarten, dass ihr Gleiches nicht wieder passiert.
        Den Mann jetzt unbedingt gefeuert zu sehen, hat imo mehr mit einem Wunsch nach Rache als nach Gerechtigkeit zu tun. Bei einem Wiederholungsfall sieht das aber natürlich schon wieder ganz anders aus, weil es eben deutlich machen würde, dass die Sanktionen nicht das gewünschte Resultat erziehlt haben.

        • Dalia sagt:

          Es geht nicht darum, wie der Begriff in dieser Gesellschaft ausgelegt wird. Es geht darum, was unsere Rechtsprechung damit macht. Der Begriff ist viel zu wichtig, als dass die Gerichte anfangen könnten, irgendwie damit umzugehen.

          • kami sagt:

            Gesellschaft und Rechtsprechung interagieren doch aber, und gerade bei einem Begriff wie Würde gibt es einen weiten Interpretationsraum, der von dieser Interaktion geprägt wird, sei es durch Zeitgeist, sei es durch aktuelle Ereignisse.

      • praetor sagt:

        Vielleicht noch ergänzend. Ich meine, Sie überdehnen den Anwendungsbereich der Grundrechte. Grundrechte dienen zunächst der Abwehr hoheitlicher Eingriffe. Sie erstrecken jetzt die Wirkung auf ein Schuldverhältnis zwischen Dritten.

  6. julianeleopold sagt:

    Danke für diesen Beitrag, Dalia! Ich habe dadurch etwas erfahren, das ich vorher nicht wusste. Mich schockiert, dass ein deutsches Arbeitsgericht einen Grabscher an den Busen letztendlich als zumutbar beurteilt. Ich empfinde das als unangemessen und falsch. Ich stimme dir zu, dass dies ein fatales Signal an Männer gibt.

    • praetor sagt:

      Das Gericht hat nicht gesagt, es sei zumutbar einer Frau an den Busen oder die Brüste zugreifen. Es hat hier in dem entschiedenen Einzelfall gesagt, das Verhalten des Delinquenten spricht nicht dafür, dass er in Zukunft wieder erhebliche Pflichtverletztungen begehen wird. Und daher war die (fristlose) Kündigung eben nicht wirksam.

      • Dalia sagt:

        solange eine unabsichtliche sexuelle Belästigung vorliegt, muss die Frau diese zunächst hinnehmen. Erst beim zweiten oder dritten Mal kann sie darauf hoffen, dass dem Arbeitnehmer wirksam gekündigt werden kann. Das lässt sich nicht abstreiten, oder? Was soll das anderes heißen, als dass offenbar eine einmalige sexuelle Belästigung (und die damit einhergehende Pflichtverletzung gegenüber dem AG) nach Auffassung des Gerichts zumutbar? Oder wie würdest du es formulieren?

        • praetor sagt:

          An drei Stellen suggerieren Sie etwas unzutreffendes:
          1.) Die Zumutbarkeit bezieht sich nicht auf den wichtigen Grund, sondern auf die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses. Das BAG hat hier angenommen, es sei dem Arbeitgeber hier zumutbar das Arbeitsverhältnis fortzuführen, weil nicht erkennbar sei, dass es in Zukunft zu ähnlichen Vorfällen kommen wird. Nur eine solche Prognose rechtfertigt die Kündigung aus wichtigem Grund.
          2.) Sie sagen, es sei nicht möglich dem Arbeitnehmer zu kündigen. Das ist unzutreffend, weil die ordentliche Kündigung im Grundsatz nicht ausgeschlossen ist (ohne Berücksichtigung des KSchG, dazu ist im Fall nichts gesagt).
          Beste Grüße

          • Dalia sagt:

            Hmm.. 1) Ich hatte mich eigentlich auf die Zumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnissen bezogen. Aber dann war das offenbar missverständlich, ich versuche es noch einmal: Die Pflichtverletzung (gegenüber dem AG) ist laut Gericht für den Arbeitgeber einmal hinzunehmen, also das Arbeitsverhältnis muss fortgesetzt werden, das eine schließt das andere ja mit ein. Das bedeutet doch, die Pflichtverletzung ist nicht besonders schwerwiegend. Wäre sie das, wäre eine Fortsetzung auch nicht zumutbar. Ich finde diese Pflichtverletzung aber extrem schwerwiegend, weil sie tief in die Rechte der vom Arbeitgeber zu schützende Rechte seiner Arbeitnehmerin greift. Das ist zwar einmal um die Ecke gedacht, ist mir klar, aber ich finde das nachvollziehbar.

            2.) Das Gericht hat festgestellt, dass auch eine ordentliche Kündigung nicht möglich ist, weil zunächst abgemahnt werden musste. Klar, nach der Abmahnung, bei einmal wiederholten Vorfall kann DANN ordentlich gekündigt werden. Aber das Gericht hätte doch auch feststellen können, dass zwar eine fristlose Kündigung nicht geht, aber eine ordentliche, oder nicht?

            Ich erwähnte schon an anderer Stelle: ich hatte nicht vor einen einwandfreien, perfekten juristischen Text zu schreiben. Es ging mir vor allem darum gerade nicht ausschließlich in den Grenzen der Rechtswissenschaft über das Urteil nachzudenken.

            Mir fehlt gerade die Zeit, um weiter zu diskutieren (Examen), aber vielen Dank für die ausführlichen Beschäftigung mit meinem Artikel!

            Beste Grüße.

  7. mitm sagt:

    Die Darstellung des Falls ist leider unvollständig und im Endeffekt grob falsch. Es gab hier 2 Prozesse:

    1. einen Strafprozeß, der nur ganz an Rande erwähnt wird.

    2. einen Arbeitsgerichtsprozeß

    Der Strafprozeß endete mit einem Vergleich (das hätte auch härter ausfallen können) und Zahlung von Schmerzensgeld (vermutlich in Höhe eines Monatsgehalts) und eventuell auch mit einer Eintragung ins Vorstrafenregister. Hinzu kommen die Prozeß- und Anwaltskosten und der Aufwand, ferner die soziale Ächtung. Vor diesem Hintergrund zu behaupten, „sexuelle Belästigung würde bagatellisiert“, ist absurd.

    Der Arbeitsgerichtsprozeß ist keine Neuauflage des Strafprozesses, denn in Deutschland wird jedes Vergehen nur einmal bestraft. Im Arbeitsgerichtsprozeß geht es nur darum, ob der Arbeitgeber geschädigt wurde (Rufschädigung) und ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar war. Es geht also NICHT um die erneute Bestrafung der Belästigung, das war Thema des Strafprozesses und ist dort abgehandelt worden. Insofern gehen auch alle Erörterungen zu verletzten Grundrechten der Frau am Thema vorbei.

    Das Urteil des Arbeitsgerichtsprozesses ist im übrigen völlig in Ordnung und lesenswert.

    PS: mich würde interessieren, ob die Autorin auch die fristlose Entlassung einer Frau fordern würde, die einem untergebenen männlichen Mitarbeiter an die Wäsche greift. Sowas kommt durchaus vor.

    • Dalia sagt:

      Mir ist völlig klar, dass es hier nicht um die weitere Bestrafung der Belästigung geht. Da haben Sie mich gänzlich falsch verstanden.

      Zur Drittwirkung von Grundrechten, siehe Kommentar weiter unten.

      Ich fordere vor allem eine ausreichende Beschäftigung des Gerichts mit der Pflichtverletzung des Arbeitnehmers wenn es um die verletzte Würde geht. Natürlich verlange ich das auch, wenn eine Frau einen männlichen Mitarbeiter sexuell belästigt.

  8. praetor sagt:

    Ich hole dann mal etwas weiter aus:

    Sie haben ja zutreffend erkannt, dass ein Tatbestandsmerkmal des § 626 I BGB das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist. Diesen wichtigen Grund hat das BAG in dem Verhalten des Klägers gesehen. Dazu hat es ausgeführt, dass eine Verletzung der Würde der Mitarbeiterin verletzt worden sei.

    Nun ziehen Sie aus dem Vorliegen des wichtigen Grundes den Schluss, dass eine fristlose Kündigung erfolgen dürfe. Aber § 626 I BGB geht weiter und verlangt eine Unzumutbarkeit das Dienstverhältnis fortzusetzen. Sie aber indzieren aus der Verletzung der Würde, dass eine Abwägung nicht mehr erforderlich sei. Damit setzen Sie sich in Widerspruch zum Wortlaut. Selbst wenn man dem inidzielle Wirkung beimessen will (so verstehe ich Ihre Argumentation), so müssten Sie doch Sinn und Zweck des § 626 I BGB berücksichtigen und letztlich eine Art Gegenbeweis zulassen. Denn § 626 I BGB will die fristlose Kündigung nur insoweit zulassen, wie der Betriebsfrieden es erfordert.

    Für die Kündigung aus wichtigem Grund ist es nach dem Wortlaut also maßgelich, ob die Fortführung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber zuzumuten ist. Das ist nicht der Fall, wenn der Arbeitgeber aus der Pflichtverletzung den Schluss ziehen kann, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft in erheblicher Weise seine Pflichten verletzen wird. Die Unzumutbarkeit bezieht sich nicht auf die konkrete Pflichtverletzung, sondern darauf, ob eine Abmahnung oder ordentliche Kündigung ausreicht, d.h. zu prüfen ist, ob die Fortführung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber bis zum nächsten Termin für eine ordentliche Kündigung zugemutet werden kann. Hier hat das BAG keinen Anhaltspunkt dafür gehabt, dass der Kläger auch in Zukunft seine Pflichten als Arbeitnehmer in erheblichem Maße verletzten wird. Dafür sind aus dem geschilderten Sachverhalt auch keine Anhaltspunkte ersichtlich. Eine Pflichtverletztung – und sei sie noch so unakzeptabel und missbilligenswert – indiziert nicht, weitere solcher Pflichtverletztungen.

    Sie hingegen machen – so scheint es mir – den Kunstgriff / die Suggestion, die Zumutbarkeit auf den wichtigen Grund zu beziehen. Das ist – ausweislich des klaren Wortlauts – aber nicht der Fall. Und das lässt sich auch dem Urteil des BAG nicht entnehmen.

    Was noch den Vergleich zu den Vermögensdelikten angeht: es kommt auf die Sphäre und die gefährdeten Rechtsgüter an, nicht auf die Rechtsgutsinhaber. Wobei es für den Betriebsfrieden eine andere Rolle spielen kann, wer verletzt wird. Das ist zB zu Persönlichkeitsrechtsverletzungen so entschieden. Dies würde freilich dazu führen, dass bei der sexuellen Belästigung des Arbeitgebers eine außerordentliche Kündigung möglich ist, während dies bei einer Reinigungskraft nicht der Fall sein muss.

    Ein Lapsus ist Ihnen freilich unterlaufen. Sie schreiben, man hätte dem Kläger nicht ordentlich kündigen können. Da sollten Sie nochmal kurz drüber nachdenken ;-)

    Wenn ich das Urteil allgemein leitsatzartig zusammenfassen würde, dann so:

    1. Die Bemerkung, eine Kollegin habe schöne Brüste, und das nicht einvernehmliche Anfassen der Brüste einer Kollegin stellen – jeweils für sich – einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 I BGB dar.
    2. Auch beim Vorliegen einer sexuellen Belästigung bedarf es der Feststellung im Einzelfall, dass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nach den Umständen des Einzelfalls für den Arbeitgeber unzumutbar sein muss.
    3. Die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses ist dem Arbeitgeber dann zuzumuten, wenn aufgrund der Umstände der Pflichtverletzung und des Nachtatverhaltens zu erwarten ist, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft erhebliche Pflichtverletzungen begehen wird.
    4. Lässt das Verhalten des Arbeitnehmers hingegen erwarten, dass er auch in Zukunft in erheblichem Maße seine Pflichten verletzt (insbesondere durch sexuelle Belästigungen), so ergibt die Abwägung, dass die Fortführung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist.

    • Dalia sagt:

      Also wirklich toll, dass Sie sich so mit meinem Artikel auseinander setzen! (Ganz ernsthaft!) Ich habe zu einem anderen Kommentar von Ihnen schon was zur Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Dienstverhältnisses und zur ordentlichen Kündigung gesagt.

      Nochmal grundsätzlich: Eine fristlose Kündigung ist doch aber nicht nur bei Wiederholungsgefahr gerechtfertigt, sondern auch wenn schon die erstmalige Pflichtverletzung eine Weiterführung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar werden lässt. Und genau diesen Punkt hat das Gericht in einem Satz abgelehnt. Das hat mich gestört, und darin sehe ich das Problem.

      Ich ermuntere Sie, auch mal out of the law-box zu denken und sich zu überlegen, ob das denn alles auch wirklich so gut ist, wie es ist. Das sollte mein Artikel nämlich eigentlich bewirken. :) Juristen argumentieren fast immer nur gesetzespositivistisch. Das wollte ich gerade nicht.

      Ich kann jetzt leider, wie gesagt, nicht mehr weiter diskutieren, ich muss mich auf mein Examen vorbereiten, Sie wissen ja sicherlich wie zeitraubend das ist!

      Beste Grüße!

  9. Dalia sagt:

    Ja, da gebe ich Ihnen völlig Recht, ich habe nicht ausreichend differenziert bezüglich der unmittelbaren Drittwirkung von Grundrechten. Nichtsdestotrotz hat das BAG die Würde ins Spiel gebracht. Und ich bin immer noch der Meinung, dass nach der Feststellung, dass die Würde verletzt wurde noch weiter hätte argumentiert werden müssen. Denn Würde ist einfach ein sehr wichtiges Rechtsgut, das lässt sich doch aus Artikel 1 GG ableiten, oder nicht? Selbst wenn er nicht direkt anwendbar ist. Außerdem ist doch ein „wichtiger Grund“ auch auslegungsbedürftig, sodass da die Grundrechte ihre Wirkung entfalten könnten, oder nicht?

    Es wird ihm unterstellt oder eher zugute gehalten, dass er sich vorgestellt hat angeflirtet worden zu sein. Insofern geht es sehr wohl um eine eingebildete Aufforderung. Hätte er sich diese Aufforderung nicht eingebildet, hätte das Gericht doch noch weiter den Vorsatz bezüglich der sexuellen Belästigung diskutieren müssen, oder nicht?

    Ich habe sehr wohl verstanden warum es das Rechtssystem gibt. Aber wieso meinen Sie denn, dass es hier nur um Moral geht? Es geht doch um verletzte Rechtsgüter! Unter verletzter Moral würde ich eher einen Fall sehen, in dem es nur um von der Gesellschaft für unsittlich anerkannte Handlungen geht und es schwer oder unmöglich ist ein verletztes Rechtsgut auszumachen. Das ist es hier aber eben nicht.

    Im Übrigen wollte ich vor allem Denkanstöße geben und keine perfekte juristische Abhandlung abliefern. Ich wollte auch nicht ausschließlich gesetzespositivistisch an die Sache ran gehen, sondern eben ein bisschen weiter denken.

    Verzeihen Sie mir, wenn ich nicht weiter diskutieren kann, meine Zeit ist knapp bemessen (Examen). Ich danke Ihnen aber für die ausführliche Antwort. Man lernt nie aus :)

    Beste Grüße.

  10. Luc sagt:

    Der von praetor bereits erwähnte Zusammenhang noch einmal in aller Deutlichkeit. Das BAG hat nicht geurteilt, die sexuelle Belästigung sei zumutbar. Es hat geurteilt, dass die Fortführung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber zumutbar sei.

    Es hat auch nicht geurteilt, dass das für jede sexuelle Belästigung gilt. Sondern explizit erwähnt, das gelte nur ganz speziell für den vorliegenden Fall. (Hier hat das BAG z.B. eine fristlose Kündigung nach sexueller Belästigung für rechtmäßig erklärt).

    Warum nun sagt das BAG, eine Fortführung des Arbeitsverhältnisses sei trotz sexueller Belästigung in diesem Fall zumutbar bzw. eine Abmahnung ausreichend?

    1. Der Täter hatte sich zuvor immer tadellos verhalten

    2. Er dachte, mit Einverständnis der Putzfrau zu handeln. Das Gericht stufte das als glaubwürdig ein, weil

    3. Er ließ sofort von ihr ab als sie widersprach, war geständig obwohl er hätte lügen können (es gab ja keine Zeugen), und zeigte Reue (Entschuldigung, Entschuldigungsbrief, Täter-Opfer-Ausgleich)

    4. Das Opfer selbst nahm seine Entschuldigung an und versicherte, die Angelegenheit sei damit für sie erledigt.

    Bei dieser Fallkonstellation kann man die Rechtmäßigkeit einer fristlosen Kündigung (wie bereits erwähnt ist das das schärfste Schwert des Arbeitsrechts!) nur bejahen, wenn man jede Form der sexuellen Belästigung als so schweres, unentschuldbares Vergehen ansieht, dass das Vertrauen in solch einen Arbeitnehmer automatisch irreparabel beschädigt ist. Darauf laufen Ihre Anmerkungen, liebe Daria, ja auch letztlich hinaus.

    Das aber wird sich nie durchsetzen. Der Arbeitsplatz ist nach wie vor, und das wird wohl auch so bleiben, Partnermarkt Nummer eins. Die meisten Menschen beiderlei Geschlechts nehmen das auch gerne an. Und auch wenn das sicher nicht Alltag in sämtlichen deutschen Büros ist, so kommt es selbstverständlich auch zu sexuellen Handlungen an Arbeitsplätzen, und darunter bei weitem nicht nur unfreiwillige. Solange sich Menschen beiderlei Geschlechts aber so verhalten, wird es immer auch zu Missverständnissen kommen, und wird es natürlich auch immer Menschen geben, die das ausnutzen und anderen böses wollen.

    Sie werden nie darum herum kommen, Raum für Abwägungen zu lassen und Unsicherheit aushalten zu müssen. Wenn Sie die Handlungsmöglichkeiten von Menschen (oder seien wir ehrlich, von Männern) so weit einengen wollen, dass es keine Missverständnisse mehr gibt, dann haben Sie sich diese Sicherheit mit einem Grad an Unfreiheit erkauft, die bei keinem Geschlecht, auch nicht Ihrem eigenen, jemals mehrheitsfähig sein wird.

    Zu Ihrem Gebrauch des Menschenwürde-Begriffs noch eine Anmerkung. Darauf, dass die Grundrechte des GG zuerst und vor allem Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat sind ist bereits hingewiesen worden. Aber auch generell ist es mit der Unverletzlichkeit der Würde des Menschen nicht so einfach. Auf der Straße betteln zu müssen empfinden viele Betroffene als würdelos. Trotzdem schenkt der Staat Betroffenen kein Geld, um ihre Würde wieder herzustellen. Art. 1 GG begründet eben keine Pflicht des Staates, jede denkbare Herabwürdigung eines Bürgers zu verhindern. Die moralische Kraft, das Grundgesetz für die eigene Sache ins Feld zu führen, ist sicher verführerisch. Inhaltlich sollte die Art, wie Sie als Examenskandidatin mit Art. 1 GG argumentieren aber eigentlich, nun ja, unter Ihrer Würde sein.

  11. Luc sagt:

    Sie heißen selbstverständlich Dalia, Verzeihung!