Zwei Herzen an zwei Orten: Vom Leben in einer Fernbeziehung

Foto , CC BY-SA 2.0 , by ny156uk

Jeden Sonntag schleicht er sich an. Er lauert schon in der Ecke, wenn ich aufwache. Guckt rüber, schleicht mir um die Beine, während ich Kaffee koche. Und wenn ich mich zum Frühstücken hinsetzen will, setzt er sich dick und fett auf den Tisch und guckt mir ins Gesicht: Der Abschiedsschmerz.

Seit anderthalb Jahren lebe ich in einer Fernbeziehung. Ich habe Glück, es dauert nicht so lange, die Distanz zwischen meinem Freund und mir zu überbrücken. Der Zug braucht zwei Stunden, das Auto drei. Dennoch ist es zu weit, um sie täglich zu überbrücken – wenigstens glaube ich das. Manchmal, wenn ich dem Wochenende noch ein paar Stunden abtrotze und erst Montag morgens zurück in die Stadt fahre, in der ich arbeite, sehe ich diejenigen, die es anders machen: Die Glücksritter mit der BahnCard 100, die ihnen in der zweiten Klasse für knapp 4.100 Euro jährlich die unbegrenzte Fahrt auf allen Bahnstrecken erlaubt, nehmen jeden Tag die Strecke in Angriff, die ich nur einmal in zwei Wochen fahre. Täglich vier Stunden auf Gleisen zu verbringen, stelle ich mir hart vor – vom hohen Preisfaktor ganz abgesehen.

Power-Pendler und Akustikduscher

Vor ein paar Jahren bekam ich eine Ahnung davon, was tägliches Pendeln bedeutet. Mein Arbeitsort war knapp zwei Stunden von meinem Wohnort entfernt. Das war die Zeit, die ich von meiner Haustür bis ins Büro brauchte und umgekehrt. Nicht eingerechnet waren die Zeiten, die ich dank verpasster S-Bahnen aufschlagen durfte. Damals begriff ich, dass beim Pendeln Lebenszeit drauf geht. Natürlich gibt es diejenigen, die erst im Zug zur Hochform auflaufen, 6:52 Uhr 15 Telefonate erledigen, drei wichtige Besprechungen koordinieren und 34 Papiere verfassen, mit denen sie ihr Unternehmen revolutionieren. Ich vermochte das nie. Zunächst mal kann ich im Zug nicht lesen oder schreiben, denn dann wird mir sofort schlecht. Das gleiche passiert mir in Bussen. Das Telefonieren in der Öffentlichkeit steht auf meiner Liste der Dinge, die ich hasse, nur kurz hinter Zahnschmerzen. Ich fühle mich beim Bahnfahren manchmal in Wartezimmer versetzt, in denen die Sprechstundenhilfen in Bahnhofslautstärke Vorerkrankungen abfragen und nach der letzten Regel fragen. Ich bekomme ungefragt die Details irgendwelcher Bürokriege oder Privatfehden mit. Ich für meinen Teil mag diese Akustikduschen mit den Privatangelegenheiten fremder Menschen absolut nicht und ich möchte sie meinerseits niemanden aufzwingen.

So bedeutet die Zeit im Zug für mich in erster Linie Warten. Das ist im Grunde ok und manchmal sogar gut, um die Arbeitswoche langsam hinter sich zu lassen. Früher schwitzte ich, wenn das Telefonnetz sich beim Durchqueren der mecklenburgischen Pampa verabschiedete, weil mich dadurch manche Arbeitsanweisungen nicht mehr erreichen konnten. Heute weiß ich: Neun von zehn dieser in den Feierabend gesendeten Arbeitsanweisungen können getrost bis Montag warten.

Die Fahrerei zu der oder dem Liebsten bietet den Langstrecken-Liebenden also einerseits Gelegenheit zur Muße – wenn sie die nutzen mögen und können – andererseits ist es Zeit, die von ihrer Zweisamkeit abgeht.

48 Stunden für drei Phasen

Immerhin haben wir heute Whatsapp, SMS und unzählige andere Wege, um miteinander in Verbindung zu bleiben, auch wenn uns Kilometer trennen. Aber the real deal – das Zusammensein, das einander in die Augen schauen und den Tag miteinander teilen; das Gefühl dafür zu bekommen, wie es dem oder der anderen gerade geht, ob er oder sie Trost braucht oder einfach nur eine Umarmung: Da hilft kein Telefon und keine E-Mail.

Genau das macht ja dann im besten Fall das Wiedersehen so schön. Endlich Zeit ohne Kommunikationskrücken! Die läuft dann meiner Erfahrung nach in drei Phasen ab:

Freitag Abend: Großeuphorie gepaart mit Arbeitswochenstress. Beide freuen sich tierisch, einander zu sehen, müssen aber auch erst einmal in den Beziehungsmodus kommen. Das, was man am anderen so liebt, ist sofort wieder da. Und das, was am anderen nervt, auch. Die Erwartungen an das Wochenende sind riesig: Es soll erholsam sein, das brachliegende Sozialleben soll gepflegt werden und dann ist da noch der Papierkram, der die ganze Woche liegen geblieben ist … Was soll da schon schiefgehen?

Samstag: Der einzige von An- und Abreisen unbelastete Tag einer Fernbeziehung. Die Freude ist groß, die To Do-Listen erfahrungsgemäß auch. Als Fernbeziehungsveteranin empfehle ich das Vernichten der Listen und die Konzentration aufs Wesentliche: Zeit miteinander verbringen. Das, was zu tun ist, kann meistens auch zu zweit erledigt werden. Kritisch kann es werden, wenn die Freundeskreise sich wenig überschneiden und beide ihre Freundschaften pflegen wollen. Das kann dann zum Klassiker des Samstag-Abend-Streits führen: „Ich habe die Party von xx zugesagt.“ – „Aber ich dachte, wir gehen zu y.“ Stressfrei leben die, die 1. klare Absprachen treffen (ja, das killt Spontanität und wer das wichtig findet, sollte sich nicht an diesen Ratschlag halten), 2. damit leben können, dass auch mal ein paar Stunden der wertvollen Wochenendzeit getrennt verbracht werden können, ohne dass damit die Beziehung kaputt sein muss und 3. daran arbeiten, die Freundeskreise strategisch zusammen zu führen. „Lass uns doch y einfach zu x´ Party mitnehmen!“, wäre hier eine Option.

Sonntag: Der Abschiedsschmerz setzt beim Morgenkaffee ein. Zu ihm gesellt sich das schlechte Gewissen, weil wieder nichts „Wichtiges“ erledigt wurde (Stichwort Steuererklärung). Bestes Rezept gegen die ungebetenen Gäste: Reden. Nicht so tun, als wäre alles fein, wenn es beiden elend ist. Pläne schmieden für das nächste Wiedersehen. Möglichst viel Zeit miteinander verbringen. An Bahnsteigen winken und schniefen. Sich irgendetwas Schönes vornehmen fürs Nachhausekommen und Alleine-Sein. Lieblingsserie, Lieblingsessen, Badewanne. Telefonieren mit dem besten Freund oder der besten Freundin. Früh ins Bett gehen. Tage zählen bis zum Wochenende. Und daran arbeiten, dass es anders wird. Irgendwie, irgendwo, irgendwann. Den Kopf nicht hängen lassen und dankbar sein für diesen wunderbaren Menschen, auch wenn er ein paar Stunden entfernt ist. Denn wenigstens ist er da.

Das Gute im Schlechten

Ein Gutes hat die Fernbeziehung übrigens: Sie sorgt dafür, dass unter der Woche Zeit bleibt, die Freundschaften zu pflegen, die am Wochenende manchmal leiden müssen – wenigstens an einem Abend. Das schöne daran, dass niemand zu Hause wartet, kann auch sein, dass Zeit für Self Care bleibt. Ausgiebig Yoga machen oder was auch immer gut tut und Kraft gibt: Dafür gibt es auf einmal die Abende unter der Woche.

Und noch etwas hat die Fernbeziehung an Gutem zu verantworten: Sie inspirierte den Gossip Song “Love Long Distance”. Anmachen, aufdrehen, tanzen. Im Zweifel den Abschiedsschmerz dabei so lange an sich drücken, bis er verreckt.

11 Antworten zu “Zwei Herzen an zwei Orten: Vom Leben in einer Fernbeziehung”

  1. egal sagt:

    Der Artikel trifft mich sehr.
    Meine Fernbeziehung dauert nun schon ca. 3 Jahre. Bei jeder einzelnen Zeile hatte ich so viele Situationen im Kopf, bei denen das alles zutraf.
    Danke für den Text.

  2. lou prinz sagt:

    Ich lebe seit knapp vier Jahren in einer Fernbeziehung und das ist selbst gewählt. Mein Freund lebt in einer Stadt, ich in einer anderen und seit einem Jahr arbeite ich in einer dritten. Ständig werde ich gefragt, warum ich denn noch in X wohne, wo „mich doch dort nichts mehr hält, wo der Job doch jetzt woanders ist“. Warum ich denn nicht zu meinem Freund ziehe und von dort aus in die dritte Stadt pendle. Das einzige, was mich an Fernbeziehungen nervt, ist die nur allzu oft (auch ungefragt) geäußerte Sicht von außen, dass das nicht zusammen wohnen ein leidvolles Zwischenstadium ist, das aber früher oder später in einem gemeinsamen Haushalt aufgehen wird. Nein, wir möchten jetzt nicht zusammen leben. Nein, das heißt nicht, dass wir Angst vor „zu viel Nähe“ oder vor Verantwortung haben oder erst noch „erwachsen werden“ müssen. Ich brauche die Zeit für mich und meine Freund_innen, meine eigene Wohnung und Raum allein. Eine Fernbeziehung ist deshalb gerade für uns beide die beste Lösung.
    Es gibt viele verschiedene Beziehungsformen, die leider allzu oft an einer Norm gemessen werden. Die Norm für Fernbeziehungen lautet: ihr leidet, wenn ihr euch nicht seht, und tut alles dafür, um bald zusammen zu leben. Manchmal habe ich ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht traurig bin, weil er am Sonntag fährt. Bis mir wieder einfällt, dass es gerade der durch die Fernbeziehung erlaubte Freiraum ist, der Nähe entstehen lässt.

    • julianeleopold sagt:

      Das ist ein guter Punkt! Fernbeziehung ist nicht für Alle ein notwendiges Übel. Danke für diese Ergänzung.

    • maj sagt:

      Ich unterschreibe das. Ich versuche, meine Beziehungen außerhalb
      Rolltreppen-Norm zu gestalten
      http://solopoly.net/2012/11/29/riding-the-relationship-escalator-or-not/
      Vor allem den Teil, der sagt, dass Liebste eigentlich früher oder
      später alles andere zugunsten (räumlicher und zeitlicher) Nähe aufgeben
      oder anpassen (wollen müssen).
      Es ist eben auch nur eine – wie ich
      finde sehr einengende – Norm, die darüber hinaus absolut keine Aussage
      über Tiefe, emotionale Nähe, Reife oder Ernsthaftigkeit der Beziehung
      macht. Weshalb Abschiedsschmerz, Vermissen und endlose Zug- und
      Busfahrten zumindest bei mir auch zum Alltag gehören.

  3. Kathi sagt:

    <3 Toller Text! Trifft den Nagel auf den Punkt.

  4. Giliell sagt:

    Ich bin Fernbeziehungsexpertin.
    Schließlich dauert die unsere nun schon über 15 Jahre. Irgendwann wurde aus der Beziehung eine Ehe mit Kindern. Yep, das geht auch. Das ist aber auch wahnsinnig Stress. Ich scherze immer mal, ich seie Teilzeit-Alleinerziehende. Manchmal weil lachen doch einfacher ist als weinen.
    Aber irgendwie gewöhnt man sich auch daran, es ist nunmal das eigene Normal.
    Hat auch Vorteile, wie die herrliche Ruhe, die ab ca. 21:00 Uhr herrscht, wenn ich nur dann kommuniziere wenn ich Bock habe.
    Aber die Nachteile sind natürlich riesig. Der ganze Erziehungsstress bleibt ganz klassisch weitestgehend an mir hängen (wobei ich meinem Mann zu Gute halten muss, dass er sich in den 2.5 Tagen mehr um seine Kinder kümmert, als viele, die die ganze Woche daheim sind), eine Studienreise meinerseits erfordert detaillierte Planungen und die Hilfe vieler anderer. Das führt auch zu Resentiments gegenüber dem Partner. Schließlich kann er einfach mal abends mit den Kollegen ausgehen, ein Luxus der mir verwehrt bleibt (und weil ich so bin, wie ich bin, würde ich nie meine Schwiegermutter bitten auf die Kinder aufzupassen NUR weil ich Spaß haben will).
    Aber auch Zusammenziehen wäre nicht ohne Nachteile, denn das ginge nur in EINE Richtung, die seines Jobs.
    Raus aus dem sozialen Umfeld, weg von Freunden, weg von der Familie und der Unterstützung die sie bieten.
    Sprich, six one way, half a dozen another….

  5. Linuil sagt:

    7 von 8 Jahren leben wir in einer Fernbeziehung. Manchmal hält man es nicht mehr aus – manchmal geniesst man den Freiraum und die eigene Zeitplanung. Streiten fällt bei uns nahzu flach, dazu bleibt keine Zeit (mag sein, dass das auch noch andere Gründe hat, aber die Fernbeziehung tut ihr übriges).
    Im August heiraten wir und jeder fragt, ob wir nun zusammenziehen. Dabei ändert sich am beruflichen Umfeld gar nichts. Noch maximal drei Jahre, vielleicht früher, wenn die Umstände passen. Unter Druck setzen lassen wir uns nicht.
    Danke für den tollen Text, der mir aus der Seele gesprochen hat. Musste zum Schluss heulend Gossip Girl hören ;)

  6. Mmmatze sagt:

    I feel you. Habe auch viele Jahre Fernbeziehung hinter mir. Mit einer Frau ein Jahr transatlantisch (mit einmal einen Monat lang sehen), mit der gleichen anderthalb Jahre innereuropäisch, bis es aus war. Nicht nur, aber auch wegen der Distanz. Seitdem weiss ich, wie sehr Fernbeziehungen stinken. Danach „nur“ noch fünf Jahre eine Wochenendbeziehung, immerhin mal im gleichen Land. Seit anderthalb Jahren wohne ich mit dieser Wochenendbeziehung zusammen, und es könnte nix besseres geben.

    Sehr viel von dem, was du beschrieben hast, kann ich nachvollziehen, vor allem – und ich glaube, das muss man deutlich machen – auch die Freiheit, die man hat.

    Mein Soundtrack zur Fernbeziehung, wo man sich nur mal ein Wochenende siehst, ist übrigens seit jeher David & The Citizens «48 Hours».

  7. Dirk sagt:

    Hervorragender Artikel. Da kann ich eigentlich nur drei Worte sagen: So ist es !

    Unsere Erfahrung nach drei Jahren Fernpendeln: es geht nicht unbegrenzt lange. Besonders meine Frau war irgendwann einfach platt und da musste eine Änderung her.

    Wir hatten allerdings dabei noch härtere Umstände, da es sich bei uns jeweils über fünfstündige Fahrten (Erkrath-München) handelte. Wenn meine Frau fuhr, konnte sie sich aufgrund des Stresses bei der Arbeit nicht erlauben freitags um zwei Uhr, oder so, Schluss zu machen, sondern erst ganz normal um vielleicht sechs Uhr. Dann kam sie mit Zug und Taxi erst mitten in der Nacht zu Hause an.

    Von diesem Reisestress und dem mangelnden Schlaf war sie irgendwann wirklich mitgenommen und tatsächlich gesundheitlich angegriffen.

    Ein Jahr lang hatten wir während dessen auch schon unsere Tochter, das machte es noch schwieriger. Sie blieb bei mir zu Hause, während meine Frau unter der Woche zu Ihrer Arbeit wegfuhr. Wochenendfahrten mit kleinen Kindern sind noch mal anstrengender, das ist jedenfalls meine Erfahrung. Wenn das kleine Kind die ganze Strecke von München aus nicht schläft, erst in Köln-Deutz einnickt, in Düsseldorf aber wieder aussteigen muss, sich dann lautstark beschwert und den ICE-Wagen zusammenbrüllt, während man den Buggy und das ganze Reisegepäck herausfingern muss, dann ist das etwa, was man nicht wirklich erleben will.
    Eines der anstrengendsten Dinge als Vater, die ich je gemacht habe.

    Ich will die Zeit gar nicht missen, wir haben eine der tollsten deutschen Städte in- und auswendig kennengelernt, fast wie ein ständiger Einwohner. Das war – so gesehen – auch eine spannende, tolle Zeit. Das hat sich gelohnt.

    Trotzdem würde ich allen mitgeben, wirklich auf sich zu achten, was man wirklich schaffen kann und inwieweit man mit der – auch rein physischen – Belastung klar kommt. Wenn dann noch Kinder hinzukommen, wird es noch viel schwerer.

    VG
    D.

  8. Tine sagt:

    Eine Fernbeziehung ist sicher nicht für jede und für jeden, ich denke ohne ganz viel Vertrauen geht es nicht. aber wir führen seit 15 Jahren eine Fernbeziehung und ja, es geht sehr gut. (nur mit Kindern wäre es schwierig
    Tine