Vom Druck, magisch zu sein – Warum wir mehr #BlackMediocrity brauchen

Foto , by Kal Loftus

[Inhaltshinweis: Erwähnung rassistischer Stereotype, Erwähnung von Stillgeburt]

Für People of Color in Deutschland gibt es viele erste Male. Vor allem für Frauen of Color – und ganz besonders für: Schwarze Frauen. Wenn es darum geht, dass sie zum ersten Mal einen Minister*innenposten besetzen, zum Beispiel. Wenn sie zum ersten Mal Chef*in eines Medienhauses sind. Wenn sie zum ersten Mal eine Hauptrolle in einem deutschen Kinofilm bekommen.

Doch es geht voran.

Mittlerweile sitzt Karamba Diaby als einziger Schwarzer Mensch im Bundestag und bald wird Florence Kasumba als erste Schwarze eine Tatortkommissarin spielen. Außerdem dürfen BIPoC (Anmerkung: diese „>englische Abkürzung steht für Schwarze Menschen/Indigene Menschen/People of Color) im deutschen Fernsehen mittlerweile manchmal als Expert*innen auftreten und nicht ausschließlich, um über ihre Herkunft zu sprechen oder um Unterhalter*in zu sein. Nicht, dass es problematisch ist, wenn sie über ihre Herkunft sprechen oder für Unterhaltung sorgen. Ich will nur sagen: BIPoC können mehr als nur das. Es regt sich langsam – ganz langsam – etwas. Zwar führen diese Mini-Erfolge auch dazu, dass vor allem die Rechten mit extremen Angriffen auffahren, z.B. wenn ein Schwarzer Mann mit einer weißen Frau auf einem Werbeplakat zu sehen ist oder wenn ein Schwarzer Mann die Mr. Schleswig-Holstein-Wahl gewinnt – aber darum soll es in dieser Kolumne nicht gehen.

Wer Erfolg haben will, muss sich anstrengen

Repräsentation ist wichtig. Denn viele Menschen ziehen nur Dinge für sich in Betracht, mit denen sie sich identifizieren können. Ein Mann kann sich aufgrund der vorherrschenden Geschlechterrollen nur selten vorstellen, Grundschullehrer zu werden. Eine Frau kann sich dagegen nur selten vorstellen, einmal DAX-Vorstandsmitglied zu werden. Und Schwarze Menschen können sich erst einmal ohnehin nur wenige Karrieren vorstellen, die außerhalb von Sport, Mode, Unterhaltung und Kunst liegen. Denn nur das, wo man Vorbilder hat und sich selbst damit dort wiederfinden kann, kommt oft auch für eine*n selbst in Betracht.

Dort hinzukommen, wo vor allem viele weiße Männer sitzen, ist nicht leicht. Jede*r kennt die gläserne Decke, jede*r weiß, sie hält sich eher stabil – und ein Gefühl sagt mir, dass wenn noch nicht mal weiße Frauen angemessen repräsentiert werden, BIPoC und vor allem die Frauen unter ihnen noch weitaus länger warten können, bis sie überhaupt die Plätze einnehmen dürfen, die sie eigentlich verdient hätten. Für diejenigen, die nicht mehr warten wollen heißt es also: Anstrengen. Richtig anstrengen. Besser sein, als alle anderen.

Doppelte Leistung, halb so fair

Und genau deshalb lieben wir Erfolgsgeschichten von Frauen so sehr, gerade auch wenn sie Schwarze oder People of Color sind, queer sind oder auch einer anderen Religion als dem Christentum angehören. Deshalb freuen wir uns zum Beispiel auch hierzulande, dass im US-Repräsentant*innenenhaus seit den letzten Zwischenwahlen erstmalig indigene Frauen, muslimische Frauen und mehr Schwarze Frauen und Latinas sitzen.

Mich erfüllt es mit Stolz, wenn ich Menschen sehe, die trotz struktureller Diskriminierung etwas gerissen haben. Fragt man sie aber, wie sie es geschafft haben, ist die Antwort oft: „Ich musste doppelt so hart arbeiten, wie alle anderen.“

Das sagen schon weiße Frauen – und die sind nicht mal von Rassismus betroffen. Heißt also, je stärker die Diskriminierung, desto schwerer ist es Erfolg zu haben – logisch. Heißt also auch, man muss umso mehr Arbeit reinstecken, um diese Diskriminierung „auszugleichen“.

Es gibt dazu ein Experiment, wo sich unterschiedliche Menschen an einer Startlinie aufstellen müssen. Dann werden eine Reihe Privilegien aufgesagt (z.B. „Wer von euch musste sich nie Sorgen um Geld machen?“) und wer sich angesprochen fühlt, darf einen Schritt vor gehen. Meist ist es dann so, dass die weißen Männer auf einmal ziemlich weit vorne stehen und BIPoC weiter hinten. Dann wird ein Wettrennen gestartet und über die unterschiedlichen Startpositionen in der Übung wird klarer, welche Startpositionen man selbst im Leben und vielleicht bisher nicht reflektiert hat.


Aushalten, Ertragen, Anpassen

Natürlich ist dieses doppelt und dreifach kämpfen nicht genau abzumessen. Deshalb werden viele, die nicht von Diskriminierung betroffen sind sauer, denn es hört sich so an, als ob sie es „leicht gehabt“ hätten. Hatten sie aber auch oft (sorry not sorry). Aktivist*in Janaya Future Khan hat es in einem Vortrag gut auf den Punkt gebracht:

„Privilege is not about what you’ve gone through, it is about what you haven’t had to go through“ („Privilegien beschreiben nicht das, was du durchgemacht hast, sie beschreiben das, was du nicht durchmachen musstest.“)

 

 


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Und das ist es auch, was die Arbeit für marginalisierte Gruppen oft doppelt, dreifach oder viermal so schwer macht: Die Mikroaggressionen, der ständige Kampf darum, gesehen zu werden, zu erkämpfen etwas zugetraut zu bekommen und eine Anpassung an ein Umfeld, das auf weißen patriarchalen Strukturen besteht.

Das nennt man auch „Code-Switching“. Die Sprache, der Habitus, die Umgangsform ist oftmals anders in einer meist akademischen, männlichen, weiß-deutsch geprägten Welt, als die Ausdrucksformen, die man selbst gelernt und gewählt hat. Diese Sprache, dieses Verhalten muss man erst einmal durchschauen und aneignen. Das führt nicht selten zu Identitätskrisen und Selbstzweifeln. Die Extra-Arbeit bezieht sich also nicht nur auf die tatsächliche Leistung, sondern auch darauf, dass man mehr aushalten muss. Man ist also zäher, als die anderen.

Zwischen Stereotyp und harter Realität

Was bedeutet das also, wenn es doch eine BIPoC „geschafft“ hat? Der einzelnen Person, steht dieses Narrativ natürlich gut. Doppelt so hart gearbeitet, um (hoffentlich) das Gleiche zu bekommen heißt ja eigentlich: Sie ist besser als die anderen.

Nur die Botschaft dahinter, für diejenigen, die es ebenfalls schaffen wollen, die ist erschütternd: Wenn man nicht besser ist als alle anderen, wenn man einbricht unter den zusätzlichen Herausforderungen und Belastungen, wird man es nicht schaffen.

Gleich gut zu sein, reicht nun mal nicht aus. Doch es bleibt eben nicht nur eine Botschaft, nicht nur ein Narrativ und die Wissenschaft bestätigt das: Studien zeigen, dass PoC in der Schule und im Studium schlechter bewertet werden. Bei Frauen werden bestimmte Charaktereigenschaften negativer interpretiert, als bei Männern.

Die Annahme, dass BIPoC härter im Nehmen sind, als ihre weißen Freund*innen, reflektiert sich oft auch in der Literatur und Filmen. Nicht selten hat die weiße Hauptfigur ein*e Schwarze*n Freund*in, die wenig eigene Bedürfnisse hat, aber stets ein offenes Ohr für die Probleme der Hauptfigur. Auch geliebte Schwarze Frauenfiguren, wie Annalise Keating (Viola Davis) in „How to get away with Murder“ oder Olivia Pope (Kerry Washington) in „Scandal“ repräsentieren Formen des Stereotyps der starken Schwarzen Frau. Diese zwei Frauen haben permanent Stress, niemanden, auf die sie sich verlassen können, regelmäßig Nervenzusammenbrüche.

Und doch stehen sie jeden Tag wieder auf, sehen perfekt aus und machen sich an die Arbeit.

Auch eine Beyoncé ist quasi Symbolbild für eine Frau, die alles schafft, ohne sich irgendwelche Fehler zu leisten. So fördern der Begriff „Strong Black Women“ und die Hashtags #Blackgirlmagic, #Blackexcellence auf der einen Seite Empowerment für Schwarze Frauen. Sie fassen die bittere Wahrheit auf, dass Schwarze Frauen es schwerer haben und feiern sie dafür, dass sie sich trotz aller Umstände immer mehr durchsetzen. Zum anderen manifestieren sie diese Annahme auch.

Es wird Teil unserer Identität, eine Erwartung von und an uns selbst. Die Botschaft: Wenn du nicht exzellent bist, bist du nicht gut genug.

Der Komplex, „faul“ zu sein

Das führt zu einer weiteren Sache: dem Hochstapler*innen-Syndrom. Denn ganz ehrlich, ich weiß nicht, ob ich wirklich doppelt so viel geleistet habe, wie meine weißen Kolleg*innen. Ich habe weder ein super Abitur, noch einen exzellenten Studienabschluss oder gar einen straighten Karriereweg. Ich bin mit 29 weder besonders alt, noch besonders jung, für das, was ich mache.

Aber ja, ich musste auch schon während des Abiturs arbeiten und habe nach der Schule Klamotten gefaltet im Einzelhandel, anstatt zu lernen, weil ich mich bereits früh selbst finanzieren musste. Während des Studiums stand ich vor und nach Vorlesungen im Café oder in der Bar. Ich habe immer mehr gearbeitet, als meine weißen Freund*innen – und ich habe ihnen trotzdem geduldig zugehört, wenn sie meinten, alles sei zu viel.

Und dieses Schicksal habe ich oft mit meinen Freund*innen mit Migrationsgeschichte geteilt. In meinem Freundes- und Familienkreis beobachte ich auch, dass BIPoC sich tendenziell mehr verausgaben, denken sie seien nicht genug, wenn sie nicht mehr machen, als von ihnen erwartet würde.

Meine Schwestern und ich arbeiten alle unglaublich viel und haben trotzdem alle den Komplex, dass wir „faul“ sind. Uns fällt es schwer Schwäche zu zeigen oder Hilfe anzunehmen.

Wir reden oft darüber, bestätigen und bestärken uns gegenseitig, aber trotzdem kriegen wir dieses Denken nicht weg.

Das Super-Woman-Syndrome

In den USA hat die Psychologin Jazz Keyes einen Namen für diesen Komplex Schwarzer Frauen gefunden: Super-Woman-Syndrome.


 

Dabei hat sie auch festgestellt, dass dieser Umstand auch gesundheitliche Folgen haben kann: Schwarze Frauen in den USA gehen seltener zu ärztlichen Untersuchungen, leiden öfter an Bluthochdruck und gehen weniger in Therapie, obwohl ihnen diese helfen könnte. Die Quote der Todesfälle bei Geburten ist bei afroamerikanischen Frauen enorm hoch und das sogar unabhängig von ihrem sozialen Status. Das alles kann einen Zusammenhang mit den krassen Anforderungen an Schwarze Frauen haben und dem Stress, der deshalb für sie entsteht.

Natürlich bin ich nicht die einzige, die dieses Dilemma erkannt hat. Im Netz machen sich einige Stimmen neben #blackexcellence auch für #blackmediocrity stark. Doch diese Bewegung findet leider noch nicht ganz so vieler Anhänger*innen. Es ist eben nicht einfach, Schwäche zu zeigen. Auch wenn es ein politisches Statement gegen die Leistungsgesellschaft und für Gleichberechtigung sein kann – und das gilt übrigens für uns alle! –, fühlt sich eine solche Aussage immer noch riskant an.

Doch wirklich „geschafft“ haben wir es erst, wenn marginalisierte Gruppen genauso mittelmäßig in ihrem Job sein dürfen, wie so manche ihrer weißen männlichen Kollegen.

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