“Als Schwarze Frau die Frechheit zu besitzen, sich auf eine deutsche Bühne zu stellen” – Theatermacherin Simone Dede Ayivi im Gespräch

, by Juliane Kremberg

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Stefan.

Stefan Mesch ist Autor und Kulturjournalist für u.a. Deutschlandradio und die ZEIT und schreibt an seinem ersten Roman, „Zimmer voller Freunde“. Er führt oft lange Interviews und Künstler*innengespräche, z.B. mit Ayelet Waldman, Hans Hütt und Patricia Smith.


Blog von Stefan @smeschmesch

Simone Dede Ayivi inszeniert und schreibt, meist am Theater. Sie studierte Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis in Hildesheim und lebt heute in Berlin. In ihrer Performance Krieg der Hörnchen verhandelte sie in Soundcollagen und Videoprojektionen Deutschtümelei und Fremdenfeindlichkeit – am Beispiel amerikanischer Grauhörnchen, die sich in Europa ausbreiten.

In ihren Inszenierungen am Ballhaus Naunynstraße, u.a. Der kleine Bruder des Ruderers  – ein Erzähltheaterstück des togoischen Autors Kossi Efoui – arbeitet sie mit Schauspieler_innen of Color gegen Rollenbilder und Zuschreibungen an. 2014 hatte Performing Back Premiere, eine Erinnerungsperformance zur deutsch-togoischen Kolonialgeschichte. 2016 entwickelt sie ihre neue Show FIRST BLACK WOMAN IN SPACE, die u.a. in Berlin, Hannover, Hamburg und Frankfurt zu sehen sein wird.

Das Interview führte Stefan Mesch.

Stefan:Wer war die ‚First Black Woman in Space‘ – und wann hast du von ihr erfahren?

Simone: Die erste Schwarze Frau im All war die afroamerikanische Astronautin Mae C. Jemison. Fragt man sie, was ihre erste Inspiration war, den Beruf zu ergreifen, erwähnt sie Nichelle Nichols in „Star Trek“. Es gab also mit Lieutenant Uhura schon eine fiktive first black woman in space als Ideengeberin. Das finde ich interessant. Denn es bringt uns zu Fragen von Repräsentation, Sichtbarkeit und Vorbildern. Es gibt immer mehrere erste Schwarze Frauen, überall.

Shonda Rhimes [„Grey’s Anatomy“, „Scandal“ u.a.] sagte mal in einer Rede, sie wolle nicht dafür gefeiert werden, eine Glasdecke durchbrochen zu haben. Denn das würde all die Frauen vergessen machen, die sich zuvor daran den Kopf stießen und die ersten Sprünge ins Glas machten. Es geht mir nicht darum, eine bestimmte Schwarze Frau zu ehren. Sondern, unsere gemeinsamen Durchbrüche zu feiern. Das Aufbrechen von Glasdecken, das Besetzen von Positionen und die Möglichkeit, großartige Erfahrungen zu machen – wie sie lange nur weißen Männern vorbehalten waren.

Stefan: Was hat dich selbst zuletzt empowered? Wie?

Simone: Community-Events empowern mich. Veranstaltungen, bei denen viele Schwarze Menschen oder People of Color zusammenkommen und ich mich über Kunst, Politik und Freundschaft austauschen kann. Daraus ziehe ich Kraft für meine Arbeit und den Alltag. Das kann ein Konzert sein, eine Lesung oder einfach eine Party. Einer dieser besonderen Abende war ein Auftritt des US-amerikanischen Stand-up-Comedians Hari Kondabolu. Eine Stunde lang mit anderen Rassismus-Betroffenen über diese absurde Scheiße zu lachen, ist ein sehr ermächtigendes Gefühl. Es befreit, gibt Energie und macht Mut.

Stefan: Wen/wie empowerst du – und: wie erfährst du davon: Dass du oder deine Arbeit empowert?

Simone: Ich weiß nicht, ob meine Arbeit andere empowert. Zunächst mal empowert sie mich. Als Schwarze Frau die Frechheit zu besitzen, sich auf eine deutsche Theaterbühne zu stellen und zu sagen „Jetzt bin ich hier. Jetzt mache ich, was ich will!“, und dabei eben nicht zuerst die Interessen, das Vorwissen und die Sehgewohnheiten eines weißen Publikums im Blick zu haben – sondern in mich reinzuhören und zu versuchen, Theater zu machen, das ich gern sehen würde – das ist ein Akt der Befreiung, bedeutet Selbstbestimmung und Selbstliebe. Und das scheint sich als Botschaft zu transportieren. Zumindest höre ich von Zuschauer_innen, dass sich sich lange nach genau solchen Arbeiten sehnten, und bekomme viel Zuspruch. Ich kann das gut nachvollziehen. Denn mir geht es genauso.

Ich war schon immer ein großer Theaterfan. Aber stellte irgendwann fest, dass all das eigentlich gar nicht für mich gemacht ist. Selbstverständlich werde ich als Zuschauerin geduldet. Aber ich bin definitiv nicht Teil der Zielgruppe. Ich freue mich, wenn das mal anders ist und ich Kunst aus Schwarzer Perspektive sehe. Vielen meiner Zuschauer_innen geht es wohl genauso.

Stefan: Machst du Theater, um Menschen Kraft zu geben?

Simone: Ich mache in erster Linie Theater, um Menschen zu unterhalten. Das denken die Leute nicht von mir. Ist aber so: Ich habe Spaß an dem, was ich tue. Mir gefallen die Bilder, die ich auf der Bühne produziere und mich interessieren die Themen, die ich verhandle. Und ich finde, dass man diesen Themen eine Bühne geben muss.

Stefan: Hast du einen idealen Zuschauer im Kopf – oder mehrere Publikumsteile, die jeweils andere Dinge mitbringen und mitnehmen sollen? Gibt es zwei verschiedene Gruppen für deine Arbeit: Sollen Privilegierte umdenken/verunsichert werden, und Zuschauer*innen of Color gestärkt?

Simone: Weiße Menschen können sich mein Programm anschauen wie alle anderen auch. Es geht dabei aber nicht um sie. Zumindest nicht, soweit ich es verhindern kann. Ich bin so lange in diesem weißen deutschen Theaterbetrieb, dass das Umdenken oft nicht so einfach ist. Mich selbst als Zuschauerin ernstzunehmen war lange für mich nicht selbstverständlich. Wenn es um meine Position und Perspektive, meine Erfahrungen als Schwarze Frau in Deutschland ging, dann bin ich lange viel mehr davon ausgegangen, dass ich das einem weißen Publikum verständlich machen muss, als dass ich darauf geachtet habe, mich an Menschen zu richten, die diese Erfahrungen mit mir teilen. Ich bin also automatisch von einem weißen Publikum ausgegangen. Das passiert mir zum Glück immer seltener.

Stefan: Gibt es dumme Fragen oder Vermutungen/Annahmen über dich, die du nicht mehr hören kannst/willst?

Simone: Ach nee. Sollen sie doch fragen, dann antworte ich halt oder auch nicht. Interessant wird’s, wenn Leute überrascht feststellen, dass ich ja richtig Ahnung von Theater habe. Mir stellt man ja gern mal nur Fragen zu Rassimus. Dabei habe ich zu dem Bereich nur am Rande gearbeitet. Ich würde schon sagen, dass ich mich da inzwischen auskenne – und auch viel zum Thema recherchiert habe – aber in erster Linie habe ich eben diesen Theaterstudiengang hinter mir, und verbringe den größten Teil meiner Zeit mit Theater. Okay – und mit Rassismus, weil der ist ja immer irgendwie da. Egal, ob du gerade essen gehst oder ins Büro oder ins Theater. Aber professionell bin ich eben keine Rassismusforscherin, sondern Theatermacherin.

Stefan: Du bist… Erzählerin? Künstlerin? Aktivistin? Oft nennst du dich ‚Theaterarbeiterin‘: Woher kommt der Begriff, und was bedeutet er dir?

Simone: Ich mache mir nicht so viele Gedanken über meine Berufsbezeichnung – manchmal muss ich eben eine angeben oder Dinge über mich in eine Kurzbio schrieben. Künstlerin bin ich wohl: Ich verdiene ja mein Geld mit Kunst. Und Aktivismus ist etwas Selbstverständliches. Wir leben auf diesem Planeten, zusammen mit anderen Menschen. Ich verstehe nicht, wie Leute sich nicht darum kümmern können, dass das funktioniert. In meiner Familie waren alle irgendwie politisch aktiv. Ich bin mit der Selbstverständlichkeit aufgewachsen, dass jeder Mensch Verantwortung trägt und die Gesellschaft prägt, in der er lebt. Im Kleinen wie im Großen. Ich könnte mich nie einfach hinsetzen und mich beschweren. Ich würde mir immer zuerst die Frage stellen, was ich zur Veränderung der Situation beitragen kann. Das ist nur leider nicht immer leicht rauszufinden. Auf jeden Fall bringe ich das mit ein, was ich am besten kann. Und dazu gehört das Theater. Denn darin bin ich ausgebildet.

Stefan: Wer ein Stück VON dir sieht… sieht immer auch ein Stück MIT dir? Ja?

Simone: Ich mache gerade hauptsächlich Shows, bei denen ich selbst auf der Bühne stehe. Das sind auf jeden Fall Stücke von mir und mit mir, ja. Aber sie sind auch von anderen: Ich arbeite sehr eng mit meinen Kolleginnen zusammen. Da ist viel Diskussion und Austausch. Alle sind Expertinnen in ihrer jeweiligen künstlerischen Disziplin. Ich habe eine Vorstellung, die teile ich mit. Aber unsere Arbeitsprozesse sind kollektiv. Nicht in dieser Alle-machen-alles-Manier, sondern: Jede bringt ihre eigene Expertise und die Ansprüche für das eigene Gewerk mit ein. Dann führen wir das gemeinsam zusammen.

Es gibt auch Stücke, da bin ich einfach nicht auf der Bühne – wenn ich Regie führe zum Beispiel. Oder bei Projekten mit Jugendlichen. Die sind mir wichtig, und ich sollte das viel öfter machen: Da läuft es so, dass wir gemeinsam diskutieren, denken und auch einzelne Texte schreiben. Aus diesem Material schreibe ich dann ein Stück, und damit gehen die jungen Leute auf die Bühne. Ein großer Spaß – aber weder richtig von mir, noch mit mir. Aber irgendwie doch schon.

Stefan: In meiner Jugend war Theater nicht besonders präsent: Theaterbesuche, Theater-AGs gehörten dazu… doch fast alle anderen Kunstformen schienen mir alltäglicher und wichtiger. Wie war das für dich? Warum Theater?

Simone: Bühnen und den Live-Moment mochte ich schon immer. Ich habe mich gern vor Leute gestellt und etwas performt. Ich bin auch eine großartige Witzeerzählerin. Es ging als Kind oder Jugendliche für mich nicht darum, was ich im Theater gesehen habe. Das meiste hat mich schrecklich gelangweilt. Ich wollte immer selbst auf diese Bühne.

Als Zuschauerin hat mich besonders interessiert, wie die Leute auf der Bühne unterhalten. Ich wollte immer sehen, wie das gemacht ist: Wie bewegen sich Personen vor Publikum, wie ist ihre Körperhaltung, wie setzen sie ihre Pointen? Was performen sie? Ich will sehen, wie sie sich Mühe geben, Leichtigkeit auszustrahlen, wie sie dafür arbeiten, ihr Publikum mitzunehmen. Deswegen sind Performance- oder Showformate oft interessanter für mich als das traditionelle deutsche Sprechtheater, wo Schauspieler Rollen spielen. Ich kenne wenige, die da noch diese Metaebene drin haben:

Ich will sehen, dass du weißt, dass du spielst und dass du weißt, dass ich weiß, dass du mir bewusst zeigst, dass du weißt, dass du spielst – weil du denkst, dass wir so dem Sinn der ganzen Sache näher kommen, und zwar: gemeinsam. Dass du nicht von mir verlangst, so zu tun, als würde ich dir abkaufen, dass du Franz Moor bist, und gerade voll gemein und gleichzeitig leidend.

Ich mag die Ruhe in einem leeren Theatersaal, die vielen Stühle. Ich mag das Surren von Scheinwerfern und das Brummen aus den Boxen, das die Tonleute immer wahnsinnig macht. Es gibt keinen Ort, an dem ich mich ruhiger und sicherer fühle als in einer Blackbox, und nirgends liege ich besser als auf Tanzteppich. Das fing in der Uni an.

Ich machte ein Praktikum bei der technischen Abteilung und hatte einen Schlüssel zu den Probebühnen. Immer, wenn dort niemand war, bin ich rein und habe dort meine Hausarbeiten geschrieben. Ich konnte mich viel besser konzentrieren. Ich habe oft Konzentrationsschwierigkeiten, bin generell eher der nervöse Typ und entscheidungsunfreudig. Ich frage mich ständig, was richtig oder falsch ist, was gut ist oder besser gewesen wäre. Besonders im Umgang mit anderen Menschen. Sobald ich eine Blackbox betrete, ist das weg. Fensterlose, schwarz gestrichene Räume tun mir anscheinend gut.

Stefan: Sind Theater solidarisch? Oder: solidarischer als andere Orte im Kulturbetrieb? Ich frage, weil ich öfter Facebook-Diskussionen mit Journalisten und Zeitungsmenschen habe. Du hast neulich gesagt, das Sich-Gegenseitig-Öffentlich-Kritisieren, in das sich Zeitungsmenschen im Netz oft steigern, würde unter Theaterschaffenden so nicht passieren…?

Simone: Nein. Theaterleute kritisieren sich und ihre Arbeit sehr hart. Nur weniger prätentiös, arrogant und spießig, als das in deinem [Journalisten- und Literaturkritiker-]Newsfeed passiert. Das ist nicht lösungsorientiert, sondern das dumme Gewäsch weißer Männer, die nicht wissen, was sie gerade mit ihrem Penis machen sollen. Das macht mich wütend. Oder was meinst du? Ich hasse es, wenn Leute reden, nur weil sie auch mal etwas sagen wollen. Dafür interessieren mich die Dinge viel zu sehr, die auf dieser Welt passieren.

Stefan: Ist dir wichtig, mit dem Publikum im selben Raum zu sein? Live zu spielen? Warum diese – eigentlich: krass unzeitgemäße, krass exklusive – Art, dem Publikum zu sagen: Kommt bitte hierher?

Simone: Ich glaube, genau das ist der Grund, warum ich Theater mache: Ich will diesen direkten Austausch. Mit anderen Menschen einen Raum teilen und ins Gespräch kommen. Irgendeine anonyme Leser_innenschaft reicht mir oft nicht. Findest du das so unzeitgemäß? Leute treffen sich ja auch in Kneipen, um „Tatort“ zu schauen. Ich verlasse immer noch gern meine Wohnung, gehe ins Theater oder auf Konzerte.

Als Künstlerin brauche ich die direkte Reaktion, im besten Fall das Gespräch. Meine Shows richten sich ja gerade an Menschen, die dieses Bedürfnis teilen: Sie sind immer auch Community-Events. Auch, wenn „Community“ in diesem Fall sehr weit gefasst ist und nicht nur die Black Community meint. Wenn ich mich auf eine Theaterbühne stelle, nehme ich ja auch immer einen Raum ein. Im physischen und im übertragenen Sinn. In diesem Raum waren und sind Frauen und POC massiv unterrepräsentiert. Wenn ich also auf so einer Theaterbühne stehe, dann ist das ein politischer Akt. So oder so. Und ich versuche, dadurch marginalisierte Positionen zu stärken und ein Forum zu bieten.

Ich gehe also zusammen mit meinem Publikum in diese weißen bürgerlichen Räume – und wir verbringen dort gemeinsam eine gute Zeit und verhandeln Themen, die für uns relevant sind. Das ist mir das Wichtige. Das kann kein Buch und auch kein Blog.

Stefan: Du arbeitest mit Schüler*innen und Student*innen of Color. Was passiert da – für dich?

Simone: Ich hätte mir mit 16 und auch noch mit 25 gewünscht, jemanden wie mein heutiges Ich zu kennen und an solchen Projekten mitarbeiten zu können. Deshalb sehe ich es als meine Pflicht, dieses Angebot zu machen. So funktioniert einfach generationenübergreifende Communityarbeit: Gib denen, die jünger sind als du das, was du dir in dem Alter gewünscht hast, damit sie sich etwas anderes, Besseres wünschen können. Und das können sie dann für die nachfolgenden Generationen realisieren.

Außerdem habe ich in solchen Projekten viel Spaß: Ich mag es, mit Gruppen Stücke zu entwickeln, uns auszutauschen über das, was wichtig ist. Und auch festzustellen, dass Dinge, die du dir selbst hart erkämpft hast, für POC, die nur ein paar Jahre jünger sind als du, selbstverständlich sind. Das ist so geil, das mitzukriegen. Denn es gibt allem viel mehr Sinn.

Stefan: Wer war für dich in Schule und Studium Mentor? Wobei half die Community?

Simone: Ich hatte sowas nicht. Aber das verstand ich erst spät: Man vermisst ja nicht, was man nicht kennt. Schwamm drüber. Mit Ende 20 bin ich nach Berlin gezogen. Jetzt habe ich ein Umfeld, in dem ich ich sein und arbeiten kann. Beides gleichzeitig. Und ja: auch Menschen, die ich um Rat fragen kann.

Stefan: Was würdest du einer 18jährigen raten, die heute Theater machen will?

Simone: Mach einfach! Schau nicht, was die anderen machen, sondern höchstens wie. Was du machen willst, bestimmst du selbst. Deine Themen sind immer wichtig genug, deine Perspektive zählt. Solltest du aber vom Theater leben können wollen, geht das mit dieser Einstellung nur als weißer heterosexueller Mann. Alle anderen müssen große Kompromisse machen – um zumindest einen Teil ihrer eignen Ansprüche im Kulturbetrieb unterzubringen.

Stefan: Du kennst mehrere Freie Szenen in deutschen Städten. Welche passt am besten zu dir? Ist Berlin die “beste”?

Simone: Sind das unterscheidbare Szenen? Ich bin mir nicht sicher: Ich arbeite ja auch in Niedersachsen und Hessen, mit Kolleginnen, die in Berlin, Frankfurt, Hamburg und Hannover wohnen und arbeiten. Ich denke, das ist alles vernetzt und verzahnt. Berlin bietet mir gerade die besten Möglichkeiten zum Arbeiten, weil ich hier die zuverlässigsten Partner_innen habe, was Spielstätten, Infrastruktur, Förderung und Kolleg_innen angeht. Und hier läuft einfach sehr viel. So viel, dass ich eigentlich das Gefühl habe, nichts zu sehen, im Verhältnis zum Angebot.

Mir sind die Menschen wichtig, mit denen ich meinen Alltag teile und die allgemeine Stimmung in der Stadt. Über diesen Theatermikrokosmos hinaus. Denn dort kannst du auch nicht deine ganze Zeit verbringen. Das macht dich fertig! Die gleichen Menschen bei der Arbeit, in deiner Freizeit, in deinem Bett, immer wieder. Und du wirst sie nicht los! Du triffst alle immer wieder, denn dann ist die Szene doch eher klein. Und dann reden wir immer über Anträge, Kritiken und Intendanten – und darüber, dass wir so überarbeitet sind, dass wir eigentlich keine Zeit zum Reden haben. Da könnte ich ausrasten. Die meisten Kolleg_innen, mit denen ich zu tun habe, allerdings auch. Das soll jetzt kein Szenediss sein. Passiert eben, wenn Leute zusammenkommen, deren kleinster gemeinsamer Nenner der Beruf ist. Ich brauche noch anderes um mich rum.

Stefan: Du machst ein Konzept für ein Stück… suchst dir eine Bühne… bemühst dich um Förderung… und arbeitest dann mit den Mitteln, die bewilligt wurden, ein paar Monate, um ein Stück zu schreiben, zu besetzen, zu inszenieren: Ist das der Prozess? Werden Theaterstücke heute so gemacht?

Simone: Ich habe – wie alle, die ich kenne – eine Schublade mit Ideen. Wobei: bei mir sind es eher Post-its an der Wand. Irgendwann ist Antragszeit und ich muss entscheiden, was ich im nächsten oder übernächsten Jahr machen will. Dann fange ich an, über die Idee zu schreiben: Was mich daran interessiert, wonach ich forschen will, ob ich schon Bilder dazu im Kopf habe. Ich schreibe ein erstes Kurzkonzept und stelle es den Häusern vor, mit denen ich arbeite. Mit den Sophiensaelen und dem Theater im Pavillon habe ich da gerade zum Glück sehr interessierte und zuverlässige Partnerinnen, mit denen ich mich auch gerne über meine Arbeit unterhalte. Das muss ich dazu sagen – denn ich weiß auch, wie es sich anfühlt, wenn man überhaupt nicht weiß, ob es Theater gibt, die prinzipiell an das glauben, was du machst. Meine Situation jetzt ist um vieles einfacher.

Das sind nicht meine einzigen Spielstätten. Aber eben die ersten, an die ich mich mit einer Idee wende. Davor habe ich meist schon mit einem Großteil meines Teams gesprochen – in der Hotelbar, einer Theaterkantine oder bei einer Fahrt im Sprinter. Auch da entstehen Ideen. Dann schreibe ich die ersten Anträge. Bevor die endgültige Förderung feststeht, mache ich Proben- und Aufführungstermine fest – das lässt sich nicht anders organisieren. Recherchieren und mich mit den Kolleginnen austauschen läuft immer parallel. Nur verschiebt sich der Anteil von Orga zu Kunst mit der Zeit: Ich gebe das Organisatorische immer mehr an meine Produktionsleitung und meine Assistentin ab. Aber erst, wenn ich weiß, wieviel Geld es gibt. Ich hasse die Vorstellung, dass jemand am Ende umsonst für meine Idee gearbeitet hat.

Wenn das Geld da ist, geht es richtig los: Dann nehme ich mir Zeit zum Schreiben und Planen und Konkretwerden. Mit der Bühnenbildnerin über den Raum sprechen, mit der Musikerin über Klänge. Dann kommt der eigentliche Probenzeitraum, zu dem alle zusammenkommen: etwa zwei Monate vor der Premiere. Ab dann gibt es nichts Anderes mehr. Ich weiß, dass Kolleginnen in ihrer Probezeit noch andere Verpflichtungen haben. Ich kann das nicht. Ich bin schlecht im Themenwechseln. Ich bleibe lieber an einer Sache dran – sonst werde ich nervös und übellaunig.

Stefan: Wie sieht dein Alltag aus, in diesen Monaten vor einem Stück? Wann sagst du: “Ich weiß genug. Die Recherche ist abgeschlossen”, oder “Der Text ist fertig. Ich schreibe nicht mehr um”?

Simone: Ich habe Mühe, die Recherche abzuschließen. Es gibt immer etwas, das man noch lesen kann und immer eine Person, die ich gern noch befragen würde. Ich mache das wirklich bis kurz vor Schluss. Irgendwann ist dafür weniger Zeit, weil geprobt wird, weil Entscheidungen getroffen werden müssen, weil alles sich immer mehr verdichtet. Aber im Grunde klappe ich die Bücher immer erst nach der Premiere zu. Wenn ich selbst auf der Bühne stehe, schreibe ich bis zum Schluss.Und einzelne Textstellen ändere ich auch noch nach mehreren Aufführungen.

In „Performing Back“ ist der meiste Text, den ich spreche, improvisiert. Da kann ich je nach Stimmung im Raum abwägen, was ich gerade wie sage. Das ist mir eigentlich am liebsten. Anderen möchte ich das aber nicht antun: Gerade bei Jugendlichen versuche ich, mich zurückzuhalten und irgendwann Ruhe einkehren zu lassen. Damit sie einen verlässlichen Text haben, den sie lernen können.

Stefan: Hast du Begleiter, die immer wieder mit dir in Projekten arbeiten? Was für ein Verhältnis habt ihr zueinander? Bist du eine Chefin? Anführerin? Coach und Unterstützerin?

Simone: Ich arbeite immer wieder mit den gleichen Menschen. Ich habe mir eine kleine Familie aufgebaut: Du verbringst beim Theatermachen wahnsinnig viel Zeit miteinander – und ich arbeite nur gern mit Leuten, wenn ich weiß, dass ich mit ihnen auch gern Pause mache. Ich arbeite seit vielen Jahren mit Katharina Kellermann – wohl eine der besten Audiokünstlerinnen ihrer Generation und zum Glück auch eine gute Freundin. So bekomme ich sie trotz ihres engen Zeitplans immer wieder dazu, mit mir zu arbeiten.

Meine Theaterfamilie wächst. Ich bin da sehr treu, und auch ein bisschen anhänglich. Ich lasse ungern wen gehen, nehme aber gern neue Personen mit auf. So werden wir eben mehr. Alle meine Kolleginnen sind eigenständige Künstlerinnen mit eigenen Ansprüchen und Visionen, und Expertinnen auf ihrem Gebiet. Klar sage ich, was mich interessiert, was ich mir vorstelle und was ich brauche. Ich stelle den Kolleginnen alles vor, von der ersten Idee über das Konzept für den Antrag bis zu den ersten Umsetzungsideen. Und sie halten ja nicht einfach den Mund und nicken, sondern fragen nach und nörgeln gern auch mal rum – im produktiven Sinne. Von manchen Dingen, die ich mir überlegt habe, sind sie begeistert. Andere lehnen sie ab. Und deshalb ist es zu dem Zeitpunkt, zu dem man wirklich zusammenkommt, um zu proben, schon gar nicht mehr allein mein Projekt, sondern unseres.

Stefan: Magst du all deine Stücke? Sind alle gelungen?

Simone: Nein. Aber das meiste schon. Wo ich wirklich machen konnte, was ich wollte, bin ich auch mit dem Ergebnis zufrieden. Aus den anderen Sachen habe ich gelernt, dass ich nicht ständig Kompromisse machen kann und dass ich eben nur die Kunst machen kann, die ich auch machen will. Alles andere geht schief. Ich lasse mir nun also nicht mehr vorschreiben, mit wem ich arbeite und wie meine Proben strukturiert sein sollen. Seitdem läuft alles bestens. Die Ergebnisse werden besser, je mehr Spaß ich während des Prozesses habe.

Stefan: Ab welchem Stück sagst du: Das ist sehenswert. Wie viele Stücke brauchte es, um von der Anfängerin zur selbstbewussten Theatermacherin zu werden?

Simone: Bei mir hat das von Anfang an funktioniert, ehrlich gesagt. Ich machte schon als Schülerin Stücke, bei denen ich mich heute frage, wie ich das damals eigentlich hinbekommen habe. Auch die meisten Arbeiten aus meinem Studium finde ich gut. Ich würde jetzt andere Themen wählen und ich habe handwerklich mehr auf dem Kasten, aber ich hatte früh schon ein gutes Gespür dafür, was ich auf einer Bühne interessant finde und was nicht.

Meine miese Zeit war am Anfang meiner Professionalisierung – als ich dachte, ich müsste jetzt alles anders machen, weil das in diesem neuen Kontext eben so läuft. Da habe ich an Selbstvertrauen verloren, bin künstlerische Kompromisse eingegangen, die im Grunde untragbar waren, habe beschissenen Arbeitsbedingungen zugestimmt. Ich war unsicher und kannte die Spielregeln nicht.

Stefan: Ich kenne – wahrscheinlich auch: durch die Freundschaft zu dir – viel mehr deutschsprachige Theatermenschen of Color als deutschsprachige Journalist*innen und Autor*innen of Color. Woran liegt das? Ist die Theaterszene inklusiver?

Simone: Ich glaube, es liegt an unserer Freundschaft. Es gibt ja auch die Neuen Deutschen Medienmacher – zum Beispiel. Mir sind eigentlich ziemlich viele Journalist_innen und Autor_innen of Color bekannt. Ich finde es auch großartig, wenn die über meine Arbeit schreiben!

Nichts gegen dich und unser Gespräch hier, aber die stellen andere Fragen, haben einen anderen Bezug zu meiner Arbeit und wir können besser diskutieren, sogar produktiv streiten. Mir macht das großen Spaß. Das ist ein Blick auf meine Arbeit, der mich besonders interessiert. Selbst, wenn sie meine Kunst scheiße finden. Und ich denke, ich bin auch offener im Gespräch und traue mich, mehr und ehrlicher von mir zu erzählen. Könnte damit zu tun haben, dass ich weniger auf der Hut bin, irgendeinen Exotismus zu bedienen. Ich weiß es nicht genau.

Stefan: Funktionieren deine Projekte alle gleich – nach einem Muster? Was kann man erwarten, wenn du ein Stück inszenierst – und was lernst neu dazu, wo probierst du dich aus?

Simone: Ich beginne immer mit dem Gedanken, etwas ganz Neues zu machen. Dann bekomme ich irgendwann Panik und denke mir: Okay – ich mache das genau wie letztes Mal, von der Struktur her, nur besser. Dann kann nix schief gehen. Dann fasse ich mich und werde wieder freier. Das Endergebnis ist dann eine Mischung aus Neuem und Altem, aus dem, was einfach mein Geschmack und mein Stil sind und dem, was ich gerade neu entdeckt oder dazugelernt habe.

Stefan: Wenn ich deine Stücke mag – welche Stücke anderer Deutscher soll ich mir ansehen?

Simone: Interessante Frage. Das kann ich schlecht beantworten, leider. Ich bin Fan des feministischen Performancekollektivs Swoosh Lieu aus Frankfurt. Sie denken Theater von der Technik her und machen kluge politische Performances. Und Talking Straight aus Berlin. Ich mag, wie sie Szene für Szene immer wieder den Finger auf gesellschaftliche Wunden legen.

Stefan: Handeln deine Stücke alle von deiner eigenen Identität?

Simone: Es geht eigentlich überhaupt nicht um mich, nein. Das ist ein häufiges Missverständnis. Es gibt Künstler_innen, die ihre Eltern mit auf die Bühne nehmen, sich künstlerisch mit ihrer prekären Situation als Kulturschaffende auseinandersetzen oder öffentlich ihre eigene Scheiße untersuchen. Das finde ich prinzipiell nicht falsch oder irrelevant: Wir können aus der Auseinandersetzung mit solchen individuellen Problemen, Biografien durchaus gesamtgesellschaftliche Fragestellungen ableiten. Was ich tue, ist aber viel weiter von mir entfernt als das, was viele weiße Kollegen im Theater machen. Doch da sie aus einer Mehrheitsperspektive sprechen, erscheinen ihre Geschichten und Erfahrungen universeller. Das haben wir so gelernt.

„First Black Woman in Space hat am 20.10.2016 in Berlin an den Sophiensaelen Premiere“.

hh—

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