Das Ende der selbstbestimmten Geburt?
Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Anett.
Anett arbeitete als Autorin und Producerin für audiovisuelle und digitale Medien in Deutschland, Argentinien und Norwegen. Sie konzipiert Filme, Medien und Programme über Arbeit, Kapitalismuskrise und gesellschaftliche Transformation. Die Geburt ihres Sohnes verschaffte ihr intensive Begegnungen mit dem Karriereknick, dem Gender Pay Gap und dem intersektionalen Feminismus, regte zu mehr Aktivismus und Engagement für gerechte Lebens- und Arbeitsbedingungen an.
[Inhaltswarnung: Beschreibung von Gewalt/Achtlosigkeit unter der Geburt]
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Mein erstes Kind habe ich in einer Klinik entbunden, denn hier glaubte ich mich sicher. Heute würde ich mich stattdessen für ein Geburtshaus, die Hausgeburt, mindestens aber die Einzelbetreuung durch eine Beleghebamme entscheiden. Doch die selbstbestimmte Geburt steht vor dem Aus.
Es scheint mir so, als solle der uralte Hebammenberuf sukzessive abgeschafft werden. Immer weniger Hebammen stehen für die Einzelbetreuung in den Krankenhäusern zur Verfügung. Die Suche nach einer Hebamme für die Vorsorge und Wochenbettbetreuung gestaltet sich immer schwieriger, Geburtshäuser schließen. Freiberufliche Hebammen geben auf, weil die hohen Beiträge für die Berufshaftpflicht, kaum noch zu erwirtschaften sind. Sie müssen ihre Arbeit mit Jahresprämien von bis zu 6.274,32 Euro versichern lassen, um eventuelle Schadensfälle ausgleichen zu können. Kleinerdrei hatte bereits im Mai ausführlich darüber berichtet. Bis zum Juli 2015 haben die Krankenversicherungen die kostspielige Haftpflichtversicherung bezuschusst. Das ist jetzt immer eingeschränkter der Fall.
Die Entscheidung einer Schiedsstelle über strittige Fragen zwischen dem Deutschen Hebammenverband (DHV) und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV-SV) sorgt für weitere Verunsicherung. Es wurden u. a. die Ausschlusskriterien für die Entbindung in einem Geburtshaus und für die Hausgeburt bei schwerwiegenden medizinischen Problemen angeglichen. In die Kritik geriet dabei die Festlegung, dass eine geplante Hausgeburt nur nach einer weiteren verbindlichen ärztlichen Untersuchung und ausdrücklicher ärztlicher Erlaubnis möglich ist, sobald der Geburtstermin um drei Tage überschritten ist.
Auf den ersten Blick erscheint die Sache sinnvoll, steht hier doch scheinbar die Sicherheit der schwangeren Frau im Fokus. Zudem können Schwangere wählen, welcher Arzt oder welche Ärztin die Untersuchung vornehmen soll. Der DHV betrachtet die Entscheidung jedoch mit Sorge. Zum einen gibt es keine wissenschaftliche Begründung für die gewählte Frist. Zum anderen sehen viele Hebammen die Gefahr, dass sich Ärzt*innen eher für die Entbindung in einem Krankenhaus aussprechen könnten, um sich abzusichern. Treten nämlich Komplikationen bei diesen Hausgeburten auf, könnten die Haftungsansprüche der Kassen für eventuelle Folgekosten direkt gegen die Hebamme und die behandelnden Ärzt*innen geltend gemacht werden. Dazu kommt, dass abseits von großen Städten die freie Ärzt*innenwahl sowie die Wahl des Geburtsortes schon jetzt nur noch eingeschränkt möglich ist. Ein “Nein” der behandelnden Ärzt*innen kann hier dazu führen, das Hebammen sich, um rechtlich auf der sicheren Seite zu sein, dagegen entscheiden müssen, eine Hausgeburt bei überschrittenem Termin zu begleiten. Die Entbindung müsste dann in einem Krankenhaus stattfinden. Die Hebammen befürchten weitere Einschnitte in ihr Berufsrecht und dass es in der Praxis noch weniger Hebammen und Hausgeburten geben könnte. Sie sehen dadurch das Recht auf selbstbestimmte Geburt in Gefahr.
Vielleicht erwidern viele Frauen und Mädchen jetzt: “Ich möchte sowieso lieber in einer Klinik entbinden. Das erscheint mir sicherer.” Heute muss ich darauf antworten, was ich mir nie hätte träumen lassen: Nach der Geburt meines Sohnes in einer sehr guten Geburtsklinik würde ich mich gegenwärtig aus freien Stücken nicht mehr dafür entscheiden. Die Gründe dafür sind nicht so sehr in der Arbeit der Hebammen, Ärzt*innen und Pfleger*innen zu suchen, sondern in den sich stetig verschlechternden strukturellen Rahmenbindungen der klinischen Geburt. Es häufen sich die Fälle, in denen in Krankenhäusern aus Kosten- und Personalgründen gute, sanfte und sichere Geburtshilfe nicht mehr gewährleistet werden kann. Das beklagen mittlerweile Hebammen wie auch Ärzt*innen. Ich habe die Erfahrung selbst gemacht.
Nicht die Geburt hat mich verletzt,
sondern der Geburtsort Krankenhaus.
Eine Hebamme, die mich im Wochenbett betreuen würde, habe ich 2012 noch gefunden. Für die Entbindung wählte ich eine Klinik mit exzellentem Ruf und Kreißsaal. Außerdem hatte ich mich vorbereitet auf die “Urgewalt” der Geburt, so gut das eben möglich ist. Ich versuchte zu entspannen und loszulassen, war auf Chaos und Kontrollverlust eingestellt.
Eine Doula hatte mir zudem gezeigt, wie ich den Wehenschmerz durch gute Positionen und “richtiges Tönen” bewältigen kann. Das war meine absolute Rettung. Kurz vor Mitternacht, am Tag vor dem errechneten Geburtstermin, setzten nämlich meine Wehen ein – mit voller Wucht und sofort geburtswirksam. Das war mir allerdings überhaupt nicht bewusst, denn es heißt ja, das erste Kind lasse sich Zeit. So war ich zunächst nur geschockt und dachte: “Okay, eigentlich bin ich hart im Nehmen, aber wenn das jetzt zwölf Stunden so weitergeht und sich noch steigern soll – dann halte ich das nicht durch.” Mein Freund war natürlich bei mir und hatte alles liebevoll bis ins Detail vorbereitet. Seine Müsliriegel, Traubenzuckerpakete und die warmen Socken kamen jedoch leider nie zum Einsatz. Die diensthabende Pflegerin, welche uns 30 min später in der Klinik in Empfang nahm, dachte zunächst ich würde einfach simulieren und ließ mich das sehr klar durch ihren missbilligenden Blick spüren. Sie kündigte an, wir würden direkt noch einmal eine Stunde spazieren gehen dürfen. Da konnte ich eigentlich schon kein Bein mehr vor das andere setzen, weil die Abstände zwischen den heftigen Wehen so kurz waren. Natürlich hatte ich ihr nichts entgegenzusetzen, schließlich war sie ja die Expertin. Als ihr dann aber klar wurde, wie ernst es mir war und dass ich wirklich nicht mehr laufen konnte – mein Muttermund hatte sich in 15 min um 5 cm geöffnet, besorgte sie uns kommentarlos ein Zimmer.
In diesem Zimmer angekommen, interessierte sich eigentlich niemand für uns und das blieb auch erst einmal so. Niemand begrüßte uns. Niemand kam, um zu schauen, ob alles in Ordnung war. Niemand erklärte uns, wie wir uns am besten in dieser vollkommen ungewohnten Situation zu verhalten hätten. Natürlich war mein Freund bei mir. Aber in einer Situation wie dieser hätte ich einen Menschen gebraucht, der sich besser als er und ich mit den Umständen auskannte. So “arbeitete” ich mit dem, was mir die Doula beigebracht hatte, versuchte mich auf alles einzulassen. Ich blieb stehen, atmete, ließ los, bewegte mich kreisend, krümte mich, stöhnte tief nach unten und kotzte schließlich einfach in den Mülleimer, weil ich es nicht mal mehr auf die Toilette schaffen konnte. Ich fühlte mich allein, ich war allein – mit diesen überwältigenden Schmerzen, den Wehen ohne Pause, ohne Durchatmen, nur Übelkeit und immer wieder Wehen. War eine Stunde vergangen oder mehr? Ich wusste, dass für eine Periduralanästhesie (PDA) nicht sehr viel Zeit blieb, weil die Wehen so regelmäßig, schnell und stark kamen. Ich hatte keine Ahnung wie lange das noch so weiter gehen sollte, merkte aber ganz klar, dass ich das auf diese Art nicht bewältigen konnte. Am Ende meiner Kräfte befahl ich meinem Freund, dass jetzt eine Hebamme kommen müsse. Er befolgte meine Anweisungen natürlich und es gelang ihm auch eine ausfindig zu machen. Eine sympathische, wohlwollende Frau erschien, begrüßte mich, entschuldigte sich bei mir, machte mir ein Kompliment, versuchte mich aufzubauen. Ich bat um eine PDA und sie stimmte zu, musste aber direkt wieder los, weil es jetzt an anderer Stelle soweit war. Eine Pflegerin legte mir eine Kanüle. Der Anästhesist tauchte kurz auf und verschwand wieder. Ich fand mich schließlich damit ab, dass ich das jetzt hier allein machen musste: Stehen, Kreisen, tief nach unten Tönen, die Schwerkraft unterstützen. Atem- und Denkpausen gab es sowieso keine mehr. Mein Freund war bei mir, sprach mir gut zu – mehr konnte er nicht tun. Der Wehenschmerz nahm mir jegliches Zeitgefühl.
Die sympathische Hebamme kam genau zu dem Zeitpunkt, als das Kind zu rutschen begann. An ihrer Seite war eine junge Ärztin in der Ausbildung, die sich mir kurz vorstellte. Ich spürte das Kind in meinem Geburtskanal stoppen. Die Hebamme brachte mich in Position. Hinter meiner Nebelwand der Schmerzen erinnere ich eine Diskussion über Herztöne, die Nabelschnur, meine Fruchtblase war noch nicht geplatzt. Ich biss meinem Freund in die Hand. Die Hebamme verschwand wieder und kam zurück, diesmal begleitet von weiteren Ärzt*innen. Ich musste mich hinlegen, drehen und wurde betastet: “Sie müssen jetzt ganz schnell in den OP für alle Fälle – .”, sagte ein mir fremder Mann, den ich nie zuvor gesehen, mit dem ich noch kein einziges Wort gewechselt hatte. Ich wurde gehoben, gefahren, auf den OP-Tisch verfrachtet. Als ich da lag und mir die Beine gespreizt wurden, musste ich zum ersten Mal einfach nur schreien – schrill und laut. Ich fühlte mich unglaublich einsam, traurig und ausgeliefert. Der Mann schrie mich an, ich solle doch jetzt einfach mal mitmachen. Ihm war scheinbar entgangen, dass ich hier alles mir Mögliche ziemlich einwandfrei und allein getan hatte, dabei konstruktiv laut und kooperativ war, bis auf einen einzigen Schrei. Natürlich war ich unentspannt und unerfahren im Umgang mit der Situation. Dazu war mein Freund irgendwo auf den Krankenhausfluren verloren gegangen.
Als ich dann schließlich zurück schrie, dass ich nicht genau wüsste, wie ich mich verhalten solle und mir irgendwer jetzt einfach mal genau sagen müsse, was ich zu tun habe, beugte sich zum Glück diese junge Ärztin, die eigentlich in dieser Nacht nur hospitieren sollte, über mich und führte mich durch den Geburtsprozess. Grell, kalt, ein tiefer Schnitt, Pressen, Atmen, Leute um mich herum, die sich auf mich warfen, Routine und Geburtsmedizin, am Ende dann fast eine “natürliche” Geburt. Mein Adrenalin gab mir die notwendige Betäubung, die Worte der jungen Ärztin beruhigten mich. Dann war das Kind da, war okay, schrie ordentlich. Ich bekam meinen Sohn in den Arm, mein Freund kam endlich dazu und der fremde Mann kommentierte die auf den Boden fallende Nachgeburt mit einer Kopfbewegung und einem: “Klatsch.” Dann nähte er mich, versuchte mit ungelenk witzigen Kommentaren für Entspannung zu sorgen und musste direkt weiter. Ich hätte einfach nur noch heulen können und fror entsetzlich.
Alle waren so freundlich wie möglich
und überfordert aus gutem Grund.
Später stellte ich fest, dass der ganze Zauber nur drei Stunden gedauert hatte. Ein kleiner Rekord. “Das war keine schöne Geburt. Sie haben das so gut gemacht.” meinte die sympathische Hebamme und die junge Ärztin pflichtete ihr bei. Die Hebamme bot mir an, dass ich jederzeit mit ihr Kontakt aufnehmen könnte, um die Situation noch einmal zu besprechen. Gerade dann, wenn ich noch ein zweites Kind bekommen wolle, sei das wichtig, sagte sie. Auch der fremde Mann, der sich mir im Nachhinein als Oberarzt vorstellte, entschuldigte sich ausdrücklich bei mir, betonte, dass diese Entbindung mit selbstbestimmter, sanfter Geburt nichts zu tun gehabt hätte. In den Gesprächen mit der Hebamme und dem Arzt erfuhr ich dann, dass ich in einer “gefährlichen Nacht” entbunden hatte. Das sind die Nächte, in denen so viele Kinder, so schnell geboren werden, dass es für die diensthabenden Hebammen und die Ärzt*innen schwer wird, alle Geburten gut zu bewältigen, anwesend zu sein, um richtig einschätzen zu können, was gerade geschieht und welche Schritte, wann und wie einzuleiten sind. Im Bemühen darum Geburtsschäden zu vermeiden, muss schnell gehandelt werden und zwar in personeller Besetzung, die das gerade bei hohem Geburtenaufkommen nur bedingt in guter Form zulässt. Fehler sind dann vorprogrammiert. Mir war klar, dass alle getan hatten, was sie konnten, nur eben überfordert aus gutem Grund.
Dennoch begleiten mich meine Erlebnisse bis heute und haben mich nachhaltig geprägt. Das Gefühl der Einsamkeit, des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit kann ich nicht vergessen. Natürlich: Ich lebe noch. Mein Kind ist gesund und dafür bin ich dankbar. Dennoch komme ich nicht umhin, meine Erfahrungen noch einmal in einem ganz anderen Licht zu betrachten. Auf der einen Seite widerspiegeln sie nämlich “nur” mein individuelles Erleben. Auf der anderen Seite aber ist dieses in einen strukturellen Rahmen einzubetten: Die gegenwärtige Systematik der klinischen Geburt. Denn das Krankenhaussystem als hoch technisierter Wirtschaftsbetrieb mit effizienter Personalausstattung gibt der Unvorhersehbarkeit jedes einzelnen Geburtsverlaufs und seiner individuellen Problematik nicht genügend Raum. Schichtbetrieb und hohes Geburtenaufkommen lassen eine intensive Geburtsbetreuung und personalisierte Geburtshilfe nur eingeschränkt, wenn überhaupt zu. Die Geburtshilfe ist wie der gesamte Gesundheits- und Pflegebereich von den mit der Privatisierung der Krankenhäuser einhergehenden Umstrukturierungen und Kosteneinsparungen betroffen. Eine Eins-zu-eins-Betreuung unter der Geburt durch eine ausgebildete Hebamme ist gar nicht mehr möglich und auch nicht vorgesehen. Geburtshilfe unter diesen Umständen ist Stress für alle Beteiligten.
Klar funktionieren die organisierten Routinen oft relativ reibungslos. Allerdings zeigte sich für mich im Nachhinein in den Gesprächen mit Frauen, die gerade entbunden hatten, ganz ähnliche Erfahrungen. Viele Geburten widerlegten die in der Geburtsvorbereitung prophezeiten zeitlichen Abläufe der ersten Entbindung. Viele Frauen fanden sich nicht ausreichend beraten und betreut, auch wenn am Ende alles irgendwie gut gegangen war. Viele wurden in Krankenhäusern mit Kaiserschnitten entbunden und konnten oft nicht mehr nachvollziehen, wie es dazu kam und ob das auch tatsächlich notwendig war. Natürlich ist meine informelle Umfrage nicht repräsentativ, das Argument der Sicherheit immer überzeugend und du bist nur froh, wenn ein Kind gesund geboren wird. Entscheidungen können deshalb kaum in Frage gestellt werden, wenn niemand sichtbaren Schaden genommen hat. Allerdings wurde klar, dass viele Frauen unter den Erlebnissen der Entbindung litten, ihre Geburtsverletzungen schlecht behandelt worden waren, Entscheidungen konnten oft nicht eingeordnet und im Nachhinein besprochen werden.
Wie viele Frauen Gewalt unter der Geburt erleben und darunter leiden, war mir vorher nicht bewusst. Die Initiative für eine gerechte Geburtshilfe in Deutschland widmet sich diesem Thema intensiv und bietet Austausch, Diskussion und Information. Hier geht es um alle Formen körperlicher (physischer) aber auch mentaler (psychischer) Gewalt in der Geburtshilfe. Als physisch gewalttätig gelten Akte wie das Festhalten oder Festschnallen der Beine, keine freie Wahl der Geburtsposition, grobe Behandlung, medizinisch nicht indizierte Untersuchungen, ohne medizinische Notwendigkeit und Abstimmung einen Dammschnitt oder einen Kaiserschnitt zu machen aber auch Schläge, Ohrfeigen, Kneifen oder der Zwang unter Wehen still zu liegen. Als psychische Gewalt gelten Anschreien, verbale Gewalt wie z. B. zu sagen: „Wenn sie jetzt nicht mitarbeiten, dann stirbt ihr Baby!“, Beschimpfen, Druck ausüben oder Erpressung, Gebärende unter Geburt allein lassen, keine (echte) Wahlfreiheit bei medizinischen Interventionen lassen, Machtmissbrauch, Nötigung, sexualisierte Gewalt in Form von Sprache, Witzen, das Verbot zu essen, zu trinken oder sich zu bewegen, Willkür und Zwang. Dabei entscheiden oft die Umstände darüber wie gewaltsam Akte der Geburtshilfe empfunden werden.
Der Roses Revolution Day, 2013 auf der Human Rights in Childbirth Konferenz in Belgien ins Leben gerufen, möchte für das Thema Gewalt und Geburtshilfe sensibilisieren. Er betont das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Aufklärung, Information und Einverständniserklärung für schwangere Frauen und Gebärende. Am 25. November, dem internationalen Tag gegen Gewalt gegen Frauen, ermutigt er dazu, eine rosafarbene Rose “vor die Tür zu legen, hinter der Frauen Schlimmes während der Geburt ihrer Kinder erfahren mussten – ob es die Kreißsaaltür, der Flur davor oder die Krankenhauslobby ist.” Wer mag, legt eine kurze Nachricht oder einen Geburtsbericht dazu oder beauftragt eine vertraute Person, das zu tun und die Welt wissen zu lassen: Jede Frau verdient Respekt und Achtsamkeit! Fotos der Rosen können unter dem Hashtag #rosrev – auf FB und auf Twitter veröffentlicht werden.
Für eine sichere und selbstbestimmte Geburt.
Meinem Kind das Leben zu geben, war überwältigend für mich. Dieses Gefühl die Entstehung eines neuen Menschen zu spüren, ihn auf die Welt zu bringen und nach und nach besser kennenzulernen ist einmalig. Hier kollidieren die kontroversesten menschlichen Gefühle in großer Intensität: Ungewissheit, Angst, Schmerz, Verlust, Gewinn, Glück und Erleichterung. In welchem Verhältnis jedoch diese Zustände erlebt und verarbeitet werden, hängt auch ganz entscheidend von den Rahmenbedingungen der Geburt und von der Art der Unterstützung ab, die man in der Vorbereitung, währenddessen und danach erlebt.
Geburt ist so intim, so körperlich, so extrem, so grundsätzlich verändernd, dass sie immer anders, immer als besonders aber auch immer nur in guter Begleitung zu ertragen und durchleben ist. Ein sicheres, vertrauenserweckendes Umfeld inklusive der professionellen individuellen Betreuung durch eine Hebamme sind dabei elementar. Was eine angemessene, achtsame und professionelle Geburtsbegleitung ausmacht, scheinen unser Bundesgesundheitsminister Herr Hermann Gröhe aber auch der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen nicht wahrhaben zu wollen. Die zunehmende Privatisierung des Gesundheitssystems, der Wirtschaftlichkeitsgedanke in der Geburtshilfe und der Wettbewerb zwischen den Krankenhäusern und Krankenkassen behindern die konstruktive und kostenunabhängige Auseinandersetzung mit den Kriterien der sicheren, sanften und selbstbestimmten Geburt.
Die Entscheidung der Schiedsstelle führt vor diesem Hintergrund nicht gerade zur Entlastung der Ärzt*innen und Hebammen, der verunsicherten Schwangeren und werdenden Eltern. Hausgeburten werden durch die gegenwärtige Entscheidung schnell zu grob fahrlässigem Handeln von Ärzt*innen und Hebammen. Dabei entbehrt die Zuschreibung Hausgeburten seinen per se unsicherer jeder empirischen Grundlage. Klar, macht es Sinn, Schwangere in ein klinisches Geburtsumfeld zu überstellen, wenn medizinische Versorgung notwendig ist. Doch das machen Hebammen eben auch, wenn es zu Problemen kommt. Und ist das Krankenhaus als Geburtsort tatsächlich so viel sicherer?
Die Erlebnisse meiner Entbindung habe ich mit der mich im Wochenbett betreuenden Hebamme, durch Gespräche mit anderen Müttern, die Ähnliches erlebt haben und einer Doula aufgearbeitet. Inzwischen sind sich immer mehr Hebammen, Ärzt*innen, Schwangere und Eltern einig, dass gerechte, sichere und sanfte Geburtsbegleitung, ob in der Klinik, im Geburtshaus oder bei der Hausgeburt, gemeinsam eingefordert werden muss. In einem offenen Brief beklagen Ärzt*innen das Auseinanderbrechen der klinischen und außerklinischen Geburtshilfe und machen Verbesserungsvorschläge. Sichere Geburt ist dort längst nicht mehr möglich, wo es weder freie Hebammen noch Kreißsäle gibt, wie auf Föhr oder Sylt. Selbst dort wo Krankenhäuser sowohl mit schicken Kreißsälen und modernster Technik aufwarten, ist aufgrund von Engpässen bei hohem Geburtenaufkommen und dünner Personaldecke umfassende Betreuung oft nicht realisierbar. Auch die Vorsorge und Wochenbettbetreuung kann nicht mehr gesichert werden, wo es nicht mehr genug Hebammen gibt.
“Es wird Tote geben.” prophezeite die Hebamme Sabine Schmuck vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages. Die gibt es leider bereits. In den USA sind inzwischen fast keine Hebammen mehr tätig; die wirtschaftlich optimierte Geburt in den Kliniken erfolgt überwiegend durch ärztliches und pflegerisches Personal. 2013 starben dort 1.200 Mütter während der Geburt. Um das hierzulande zu vermeiden, engagiert sich deshalb deutschlandweit ein breites Bündnis für die Rettung des uralten Hebammenberufes und die sichere, gerechte und selbstbestimmte Gestaltung der Geburt, ob im Geburtshaus, im Krankenhaus oder in den eigenen vier Wänden. Dieses Bündnis braucht jede Unterstützung.
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Weitere Links
• Wo willst du gebären? – Kommentar zur Entscheidung der Schiedsstelle
• Mother Hood e.V. (alias Hebammenunterstützung.de)
• Zur Petition gegen die wirtschaftliche Optimierung der Geburt
• Elend ohne Ende – Warum wir keine Lösung für die Geburtshilfe finden
• Roses Revolution
Danke für diesen Artikel. Es tut mir so furchtbar Leid, was du im Krankenhaus erleben musstest, und ich war erleichtert, zu lesen, dass du hinterher mit anderen darüber sprechen und das Erlebnis aufarbeiten konntest.
Als Mensch, der Medizin studiert und sich für die Fachrichtung Gynäkologie entschieden hat, habe ich einige Kreißsäle von innen gesehen, Geburten miterlebt und war auch teilweise entsetzt von den Zuständen, der Hektik, dem „Abfertigen“ der Gebärenden, die wrklich so lange allein gelassen wurden, bis es wirklich losging, und alles, was vor Presswehen kam, wurde vom Personal völlig ignoriert.
Es gibt in Krankenhäusern auch die Regel, dass ab dem Platzen der Fruchtblase oder dem Einsetzen von Geburtswehen nur eine bestimmte Zeit vergehen darf, bis das Kind geboren ist. Gerade bei Erstgebärenden ist diese Zeitvorgabe aber ziemlich utopisch, denn erste Kinder lassen sich nunmal oft Zeit, und so kommt es dann trotz guter Herztöne des Kindes irgendwann zu einer Hektik, die selbst ich als außenstehende Person als unzumutbar traumatisch wahrnehme. Da wird das ganze Aufgebot aufgefahren, von Kristellern (also jemand wirft sich mit aller Kraft auf den Bauch drauf, sieht schrecklich aus und fühlt sich wohl auch schrecklich an), Saugglocke, Dammschnitt – alles, um diese Zeit einzuhalten. Der Gebärenden wird dann gerne vermittelt, „noch“ sei ja alles gut mit dem Kind und das solle doch auch so bleiben, deswegen…!
Und selbst, obwohl alle sich natürlich freundlich verhalten wollen und es dem Personal eigentlich völlig egal ist, wie die Gebärende sich selbst fühlt, tritt das hinter allem anderen in den Hintergrund.
Sehr empfehlenswert und empowernd finde ich persönlich zu diesem Thema auch den http://www.hebammenblog.de , in dem viele Geburtsberichte stehen und der (obwohl nicht predigend) deutlich durchblicken lässt, wie maßlos unterschätzt und unglaublich wichtig der psychische Aspekt bei einer Geburt ist.
Ich bin sehr dankbar für diesen Diskussionsbeitrag.
Liebe Anett, danke für deine ausführliche und schonungslose Beschreibung. Das Krankenhaus als Wirtschaftssystem habe auch ich erlebt, in einer der Top 3 Geburtskliniken Deutschlands. Um Kontrolle über den Geburtszeitpunkt zu erlangen, wird vielen Frauen eine medikamentöse Einleitung empfohlen. Frauen warten tagelang unter Wehen (eine meiner Zimmernachbarinnen 5! Tage). Sie denken, sie warten darauf, dass ihre Geburtswehen effektiv werden – tatsächlich warten sie auf einen freien Kreißsaal. Wenn viele spontane Geburten reinkommen, müssen die eingeleiteten Frauen eben länger warten. Die Dosis des Medikamentes wird entsprechend verringert und die Frau bekommt Opiate. Der Partner wird nach Hause geschickt. Nach mehreren Tagen unter Wehen fühlen sich viele Frauen außerstande zu gebären und stimmen einem Kaiserschnitt zu. In meinem Fall hatte ich „Glück“ und konnte nach 2 Tagen Wehen mein Kind „natürlich“ zur Welt bringen. Pech war die folgende massive Geburtsverletzung, die zu einem extrem hohen Blutverlust (Atonie lll) und einer Spontan-OP ohne Narkose führte. Dass das verwendete Medikament Cytotec in Verdacht steht, eine solche Geburtsverletzung auszulösen, wurde mir verschwiegen – den anderen Frauen sicherlich auch. Einsamkeit und Entmündigung sind existent. Besonders erschreckend finde ich aber, dass das Wohl des Patienten nicht im Mittelpunkt steht, sondern dessen wirtschaftliche Rentabilität. Die Kaiserschnittpatientinnen wurden übrigens zum Teil nach 48h in noch miserablem Zustand nach Hause geschickt – die Betten wurden gebraucht.
Wenn ich so etwas lese, wünsche ich mir, nie zu gebären. Schade, eigentlich hätte ich schon gerne Kinder…