Zahlenspiele
Die Videospielzunft ist eine von Messen bestimmte, um nicht zu sagen getriebene, Branche. Man sollte denken, dass in Zeiten von Internet, Streaming und Social Media derartige Veranstaltungen an Bedeutung verlieren, aber fast scheint das Gegenteil der Fall zu sein. Eine grosse Bühnenpräsentation reiht sich an die nächste, neue Titel werden angekündigt, vor einem Jahr angekündigte Titel werden angespielt.
So auch dieses Jahr auf der E3 in Los Angeles. Sony, Microsoft, Nintendo, EA, Ubisoft und andere veranstalten Shows vor riesigen Leinwänden oder mit Muppet-Einlagen und versprechen dem gespannten Publikum das nächste, noch realistischere, noch Action-reichere, noch bombastischere Spiel. Oftmals mit einer Zahl im Titel, die anzeigt, dass hier etwas Erfolgreiches noch erfolgreicher werden soll. Halo 5, Forza 6, Persona 5.
Ja, ich gebe zu, auf so manches was dort angekündigt wurde freue ich mich. Tacoma, Firewatch, aber auch “Zahlenspiele” wie Dark Souls 3. Dennoch reicht ein Blick auf andere Zahlen um zu verstehen, dass Videospiele als Medium sich nur langsam entwickeln und vielleicht sogar auf der Stelle treten. Dass immer noch dreimal mehr Spiele mit einem männlichen Protagonisten ersonnen werden, als solche mit eine Frauenhauptrolle wundert ja schon fast nicht mehr.
Auch, dass drei von vier Spielen nicht ohne Gewalt und Kampf auskommen. Und dass dieses Verhältnis, wenn man Sport- und Rennspiele ignoriert, noch extremer wird: Das Medium scheint gefangen in traditionellen Mustern von denen sich gerade mal drei von zwanzig Spielen rudimentär zu entfernen anfangen.
Spiele die neue Pfade betreten, haben es schwer. Auch und vor allem in kommerzieller Hinsicht. Vor einer Weile erschien zum Beispiel mit “Sunset” ein Spiel, dass in einem fiktiven lateinamerikanischen Land am Vorabend einer Revolution spielt. Die Protagonistin Angela Burnes ist Haushälterin eines wohlhabenden und politisch einflussreichen Museumskurator und kümmert sich um dessen Wohnung. Im Laufe des Spiels erledigt man Hausarbeiten, man kocht, putzt und räumt auf. Hat man dann noch Zeit, erkundet man die Wohnung, sieht aus dem Fenster wie die Welt draussen langsam im Chaos versinkt und tauscht auf Notizzetteln Nachrichten mit dem Arbeitgeber aus. So entfaltet sich, im Zusammenspiel des inneren Monologs der Protagonistin mit der sich ändernden Wohnung, eine Geschichte.
Auriea Harvey und Michaël Samyn haben unter dem Studionamen “Tale of Tales” dieses und andere – noch weiter vom Mainstream entfernte – Spiele veröffentlicht. Letzte Woche haben sie verkündet, dass „Sunset“ ihr letztes Spiel sein wird. Trotz guter Presse, einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne und einer Preisaktion hat sich der Titel lediglich 4000 Mal verkauft. Also bei weitem nicht genug, um die Investition in das Spiel aufzufangen. In ihrem Abschieds-Artikel ziehen die beiden Resüme mit der Spieleindustrie und tun ihre Enttäuschung kund.
Ob “Sunset” jetzt dem persönlichen Geschmack entspricht oder nicht, meinetwegen auch ob es verdient oder unverdient sein Publikum nicht finden konnte, ist dabei für mich zweitrangig. Die Geschichte von Tale of Tales ist symptomatisch. Wer ein neues Spiel entwickelt, wird es als Datenpunkt in die Kalkulation einbeziehen, die zwischen finanzieller Machbarkeit und Kreativität abwägt. Der Spielraum für wirklich Neues, das auch kommerziell erfolgreich sein kann, scheint wieder ein wenig kleiner.
Ich denke als Spielende muss uns wichtiger werden ein Medium zu fordern, das sich in alle Richtungen weiterentwickelt. Ein diverses Medium, das sich nicht nur technisch alle 10 Jahre neu erfindet, sondern vielleicht auch erzählerisch oder spielemechanisch. Und bis wir etwas Besseres finden, heisst das auch sich einen Markt für Experimente und ganz neue Ideen zu wünschen. So etwas wie Indie Fund, der das gerade erschienene und hervorragende Spiel “Her Story” finanziert hat, ist da ein erster kleiner Schritt. Aber vielleicht bedeutet der Wunsch nach mehr Expermenten auf persönlicher Ebene auch, eher mal drei “Sunsets” zu kaufen als das nächste “Zahlenspiel”.
Naja, die Spieleindustrie hat halt das Ei-Henne-Problem. Es gibt zuwenig weibliche Entwickler, insofern werden nachwievor (noch immer) ein Grossteil der Spiele für männliche Spieler erzeugt. Dementsprechen kaufen mehr männliche Spieler sie. Wenn Frauen mehr Spiele mit „weiblicherem“ Inhalt haben möchten, dann müssen auch mehr Frauen in diesen Bereichen arbeiten. Als Spiele-Entwickler mit 15 Jahren Erfahrung kann ich bisher aber kein grösseres Interesse feststellen. Die Zahl an weiblichen Entwicklern, mit denen ich zusammengearbeitet habe, hat nichtmal die 10er-Marke erreicht. Und ich hab in 100-Mann-Studios (Pun intended) gearbeitet.
Videospiel-Entwicklung ist nachwievor eine Männerdomäne. Und mein bisherig bester Erklärungsversuch ist „Interessiert Frauen (grösstenteils) einfach nicht“.
Ich weiss ehrlich gesagt nicht warum du das auf „Männer“ und „Frauen“ reduzierst. Dachtest du vielleicht den Text hätte eine Frau* geschrieben? Und warum sollten nur Frauen* Interesse daran haben Videospiele als Medium weiterzuentwickeln?
Als Studio-Chef sehe ich die von dir angesprochenen Dynamiken ein bisschen differenzierter. Mit diesem Blogartikel haben die allerdings gar nix zu tun.
Öhm… Ich habe nichts reduziert. Ein Thema des Artikels ist ja unter anderem die Ungleichverteilung der Hauptrollen in Videospielen, oder? Nunja, es war ein Erklärungsversuch für die aktuelle Situation. Wenn mehr Männer Spiele schreiben, dann sind auch automatisch öfter Männer die Hauptprotagonisten. Köche interessieren sich weniger für die Sicht von Maurern, Italiener haben weniger Einblick in Norweger und Männer schreiben nunmal seltener Frauen-Hauptrollen. Wenn wir unser Medium entwicklen wollen, dann brauchen wir die feminine Perspektive dazu.
Diese fehlt mir jedoch und ich erkenne in meiner Umgebung klar weniger Ambition. Daher der Teufelskreis. Selbst wenn die Videospielindustrie eine relativ junge ist, so besitzt sie inzwischen doch ihre speziellen Wurzeln und Strukturen. Wie es zu diesen gekommen ist, ist eine eigene Diskussion, aber deren Existenz und Einfluss ist schwer zu leugnen.
Insofern versteh ich den Ansatz der Kritik nicht: Wenn ich fordere, dass mehr Frauen an der Entwicklungsarbeit teilhaben sollten, dann „reduziere ich auf Männer und Frauen“. Aber es ist akzeptabel zu fordern, dass der Konsument Einfluss bezüglich der Rollenverteilung auf die Entwickler nimmt? Das ist in meinen Augen einfach eine weitaus unrealistischere Forderung.
(Mir ist komplett egal, welches Geschlecht der/die AutorIn des Artikels hatte. Ich habe auf den Inhalt kommentiert. Klar will ich das Medium weiterentwickeln, wie und wohin ich es entwickle, sollte aber mir überlassen bleiben, oder?)
Wie siehts in deinem Studio aus bezüglich Mann/Frau-Verhältnis? Ist es da besser als das von mir beobachtete 10:1?
Es geht in meinem Artikel nicht um männliche oder weiblichen ProtagonistInnen. Ich denke du verbeisst dich hier in eine Randnotiz und die Diskussion gleitet zunehmend ins Offtopic ab.
Nur so viel, abschliessend: Dass Männer* am liebsten Spiele über Männerdinge™ mit Männern™ machen, halte ich für eine übersimplifizierte Perspktive. Dass Frauen sich für die Thematik „halt nicht interessieren“ ebenso. Zu einem Grund des Männerüberschuss in der Branche (und im Umkehrschluss auch Lösungsansatz) empfehle ich diesen Radiobeitrag: http://www.npr.org/sections/money/2014/10/17/356944145/episode-576-when-women-stopped-coding
Meine Aussage ist: Wenn sich das Medium weiterentwickeln soll, brauchen wir Menschen die Neues ausprobieren und ausprobieren können. Das fünfhunderste Action-Adventure und das dreihunderste Rennspiel auf ausgetetenen konventionellen Pfaden werden das nicht leisten können.
Und ja, das Verhältnis bei uns ist wesentlich besser als 10:1.
PS: Errant Signal verdeutlicht meinen Standpunkt wesentlich eloquenter als ich es konnte: https://www.youtube.com/watch?v=PS_J214SXWU
Beim Rest stimme ich dir vollkommen zu, keine Frage. Das Genderrollen-Problematik ist die erste grosse Grafik in deinem Artikel, deshalb mein Fokus.
Danke für den NPR-Link, macht einiges klar. Anscheinend gibts wenig ähnliche Programme hier in Europa, ansonsten wäre das Verhältnis hier sicherlich auch besser. Wie gesagt, es ist mein subjektives Empfinden, aber in 15 Jahren hab ich bisher mit 2 Programmiererinnen, 3 Testerinnen, 1 Projektmanager und keiner einzigen erfahrenen 3D-Grafikerin oder Game Designerin (hier und da eine Praktikantin) zusammengearbeitet. Daher erklärt sich diese eine Grafik für mich sehr gut.
Dank dem NPR-Bericht hab ich auch ein sehr interessantes Interview mit Elsie Shutt aufgetrieben:
http://ethw.org/Oral-History:Elsie_Shutt
Errant Signal ist natürlich exzellent. Leider hab ich Sunset noch nicht gespielt, werde es aber auf alle Fälle mal antesten.
Würden weibliche Geldbörsen entsprechende Protagonistinnen honorieren, der „Markt“ merkte es bestimmt.
Ob es dazu wirklich Entwicklerinnen braucht? Hinter den Laufstegen dieser Welt entwerfen ja auch haufenweise Modezaren die neuesten Objekte weiblicher Begierde.
Unsichtbarkeit dürfte auch kaum unüberwindbar sein, wenn es denn weibliche Akteure gibt, scheint denen der Sprung über den Tellerrand des Mediums hin zu den großen TVs in den Wohnzimmern und in die Retortenfeuilletons der Gazetten ebenso mühelos von der Hand zu gehen.
Hoffen wir das Medium wird die Rufe erhören und in intelligente Spielmechaniken eingekuschelt erwiedern.