Selina Meyer for President – Eine Liebeserklärung an VEEP

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Eine perfekt frisierte brünette Frau blickt fassungslos um sich und schlägt mit ihrer Hand auf einen teuren Schreibtisch. Während sie das macht, richtet sie folgende Worte an das um die um sie herum stehende, fassungslose Gruppe: “The level of incompetence in this office is stag-ge-ring.” – Das Ausmaß an Inkompetenz in diesem Büro ist bo-den-los. Wenig fehlt, und das Publikum erinnert sich an Nikita Chruschtschow, der einst als Regierungschef der Sowjetunion mit dem Schlag seines ausgezogenen Schuhs die Vereinten Nationen zum Zuhören bringen wollte. Ob er ihr Vorbild ist, erfahren wir nicht, aber naheliegend wäre es, denn auch die weibliche Wiedergängerin des Russen ist Politikerin: Niemand geringeres als  Selina Meyer, die fiktive Vizepräsidentin der Vereinigten Staaten von Amerika, genauer gesagt.

Seit diesem Monat erleben wir in der inzwischen vierten Staffel der Serie Veep, wie Selina ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter anschreit, drangsaliert und sich durch politische Scharmützel kämpft. Dabei sollten sich Außenstehende nicht täuschen lassen: Die von Julia Louis Dreyfus (Elaine aus Seinfeld), dargestellte Selina ist zwar ein Monster in Menschengestalt: Laut, gemein und mit einem Schimpfwortarsenal, das schmutzigsten Gossen entstiegen ist. Aber sie ist genau die Richtige für das Umfeld aus politischen Eintagsfliegen, Speichelleckern und Posern, in dem sie sich bewegt. Das gilt auch für ihr Team. Das Level an Inkompetenz dort IST nämlich wirklich bodenlos. Als Selina wie oben beschrieben die Fassung verliert, hat sie gerade herausgefunden, dass ihre Mitarbeiterin Amy die Kondolenzkarte für einen hochrangigen Parlamentarier mit ihrem eigenen Namen unterschrieben hat, statt wie vereinbart Selinas Unterschrift zu fälschen. Das wird Selina schlecht bekommen, denn auf ihrer politischen Flughöhe darf sie sich solche Fehler nicht leisten.

Selina Meyer ist so etwas wie der “Anti”-Jed Bartlet, fiktiver US-Präsident in The West Wing, und Veep entsprechend das Negativ der immens erfolgreichen Aaron Sorkin-Serie The West Wing. Sie lief von 1996 bis 2006. Während in The West Wing Spitzenpolitikerinnen und Spitzenpolitiker sowie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter total idealistisch und selbstlos waren, selbst die Waffenlobbyisten mit blitzgescheiter Intelligenz glänzten und Gewissenskämpfe den politischen Alltag überschatteten, regiert in Veep der blanke Opportunismus. Selina hat keine politischen Überzeugungen, Selina will an die Macht. Glücklicherweise ist sie zu ungeschickt, um dafür skrupellos über Leichen zu gehen und ihr Team zu unfähig, um ihr den Weg dorthin zu ebnen.

Da wäre Mike, ihr Pressesprecher, der lieber an Buffets herumsteht, als mit Journalisten und Journalistinnen zu sprechen und stets als letzter von den neuesten Insiderinformationen erfährt. Oder eben Amy, die Stabschefin Selinas. Die von Anna Chlumksy (My Girl) gespielte junge Frau ist ehrgeizig – so sehr, dass sie ihren Kolleginnen und Kollegen beweisen will, wie entspannt sie ist, eine Dinnerparty gibt, und am Ende alle entnervt rausschmeißt, weil sie eben alles andere als entspannt ist. Und weil Mike zwischen den Gängen auf ihrem Klo in Röhrchen masturbiert, da er seine Ehefrau künstlich befruchten will – aber das ist eine ganz eigene Geschichte. Sue, die Sekretärin von Selina, ist in der Gruppe ein gewisser Lichtblick. Sie hat den Überblick und weiß auf das tägliche “Did the president call? (Hat der Präsident angerufen?) nüchtern und souverän mit dem vorhersehbaren “No” zu antworten.

Die einzige Person, die im Chaos aus Abneigungen und persönlichen Karrieregelüsten so etwas wie Loyalität beweist, ist Gary, Selinas “Coat Man”. Der von Tony Hale (Buster Bluth aus Arrested Development) gespielte Gary ist so etwas wie ein menschgewordener Fußabtreter. Er hilft Selina in den Mantel, reicht ihr den Kaffee an, weiß, welche Handcreme sie benutzt und welche Medikamente sie wann braucht. Alles, was er dafür bekommt, ist Selinas sekundenlange Aufmerksamkeit, gefolgt von totaler Indifferenz. Gary verehrt Selina abgöttisch und hat kein anderes Ziel, als Selina zu dienen. Sie wiederum ist hoffnungslos auf ihn angewiesen. Das zeigt sich bei Veranstaltungen, auf denen sie Leute trifft, mit denen sie Smalltalk halten soll. Gary ist es, der sich mehr oder weniger erfolgreich Informationen über die im Gespräch für Selina zu gewinnenden Menschen einfallen lässt. Ständig steht er hinter ihr und flüstert ihr Informationen ins Ohr wie “Seine Tochter spielt Saxophon”. Macht er das nicht, ist Selina auf sich selbst angewiesen, und das kann sehr schlimme Folgen haben. Beispielsweise, als sie auf einem Volksfest einer Frau mit Zuckerwatte gegenüber steht und nur sagt “Sehen Sie sich an! Sie sind eine erwachsene Frau mit Zuckerwatte! So rosa wie ihre Wangen!”

Selina hat keine Überzeugungen, sie hat Projekte. Das wichtigste: Die lähmende Machtlosigkeit als Vizepräsidentin zu überwinden. Ihre Strategien, dieses Ziel zu erreichen, sind mal mehr, mal weniger erfolgreich, meistens enden sie in totalem Chaos. So zum Beispiel, als sie aus Imagegründen für umweltfreundliches Besteck aus Maisstärke eintreten will und damit nicht nur die erdölverarbeitende Industrie gegen sich aufbringt, sondern sich auf einer Lobbyveranstaltung zum Thema die Besteckteile aus Maisstärke beim ersten Kaffeeumrühren verbiegen und auflösen. Was Veep so brillant macht, ist, dass es in diesen Momenten der Unbehaglichkeit draufhält und dranbleibt. So kommen wir in den Genuss, Selina dabei zu beobachten, wie die den Schein wahren muss und innerlich völlig ausrastet.

Genau das ist auch der Fall in der eingangs beschriebenen Szene, als Selina, kurz nachdem sie ihr Team aufs Übelste verflucht hat, die Tür in ihr Büro öffnet und ihrem Besucher mit Engelsmiene und sanfter Stimme versichert, sie sei nun ganz für ihn da. Selina ist, bei aller Unfähigkeit, eben doch erfolgreich. Sie vermag es, ihre Unfähigkeit hinter Worthülsen zu verstecken und schlicht mit Zähigkeit durchzuhalten. Genau das bringt sie in der neuesten Staffel an ihr Ziel: Selina ist auf einmal Präsidentin. Nicht, weil sie sie Beste ist. Sondern weil sie übrig geblieben ist. Der gewählte Präsident tritt ab, weil seine Frau erkrankt und Selina kommt als seine Vizepräsidentin zu unverhofften Ehren.

Es wird spannend sein, zu sehen, ob Selina ihre neue Position verteidigen kann. In Staffel vier führt sie Wahlkampf, um bei den Neuwahlen auch tatsächlich als Präsidentin gewählt zu werden. Schon den Auftakt dieses Projekts versemmelt sie, als sie mit einem Kurzhaarschnitt vor die Menge tritt (“Der Haarschnitt, den mein Kopf immer wollte, aber den er sich nie traute, zu tragen”) und damit die goldene politische Regel, um jeden Preis wiedererkennbar und verlässlich zu erscheinen, bricht. Und wenn ihr glaubt, diese Regel sei Bullshit, dann erinnert euch an einen deutschen Bundeskanzler, der einst mit Klagen drohte, weil ihm nachgesagt wurde, er würde seine Haare färben, um immer gleich auszusehen. Oder die Schlagzeilen nach Rudolf Scharpings Rasur.

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Ich lege euch Selina und Veep ans Herz, weil ihr vier Staffeln einer kompromisslos machthungrigen Frau zuschauen dürft, die keine Angst davor hat, unsympathisch oder ungerecht zu sein. Selina ist eine grandiose Fernsehfigur, weil sie genauso fies und unberechenbar sein darf wie es sonst nur männlichen Politiker-Figuren vorbehalten ist, siehe zum Beispiel Frank Underwood in House of Cards. Sie darf Kinder nicht mögen, sie darf Menschen nicht mögen, sie darf eine rein vom Machterhaltungstrieb geleitete Meinung zu Abtreibung haben. Selina darf ein schlechter Mensch sein, scheitern und dennoch die Kurve kriegen. Veep ist deswegen eine der besten Serien unserer Zeit. In Deutschland läuft sie auf Sky und auf Englisch könnt ihr sie z.B. via iTunes gucken.

 

 

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