Kind und Krankenhaus (3)

Zu Kindern gibt es viel interessantes Zeug zu erzählen. Das Glück, dass ich mit einem Kind zusammenwohne und Zeug erzählen kann! Ein neuer Teil unserer Kinderkolumne.
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Ein kleines Kind großziehen, oder zumindest dem Kind beim Wachsen die Hand hinhalten, beinhaltet manchmal blöde Überraschungen. Besonders blöd, also richtig super duper blöd ist, mit Kind ins Krankenhaus zu müssen.
Nichts sehr Schlimmes jedenfalls, aber trotzdem blöd: Arschlochbakterien von der letzten Bronchitis des Kindes sind in den Lymphkanal gewandert. Der Arzt empfahl, das Antibiotikum intravenös zu verabreichen, und weil es so einen Venenzugang nicht To-Go gibt, war Krankenhaus angesagt. Partey.
Wir wurden gefragt, in welches Krankenhaus mit Kinderstation wir möchten, die wurden gefragt, ob sie noch ein Bett frei haben, perfect Match. Wie ich in einer wunderlichen Fernsehsendung lernte, die ich nur zuende sah, weil sie so wunderlich war: wir fuhren direkt in eine der frühen Wirkungsstätten von Michaela Schaffrath. (Nicht, was ihr denkt.)
Von Schlaf, der Arbeit ist, und anderem Glück
Das Glück, in der Gegenwart zu leben beinhaltet nicht nur Internet und Wahlrecht sondern auch mit Kind im Krankenhaus bleiben zu dürfen. Standardmäßig ein Bett zu bekommen und sogar extra Frühstückmittagessenabendbrot. Als der Papa des Kindes klein war und operiert wurde, durften seine Eltern nur zu Besuchszeiten zu ihm und ich kann nur denken: Abow, wie gemein. Angesichts der Arbeitsbelastung von Kinderkrankenpfleger_innen* kann ich mir überhaupt nicht vorstellen, wie die neben ihrer eigentlichen Arbeit noch eine Station voller Kinder betreuen sollten. Aber nach den anderthalb Wochen mit Kind im Krankenhaus und der Arbeitsbelastung bloß Begleitperson zu sein, komm ich noch viel weniger darauf klar; wir Erwachsenen haben im Prinzip nur den Raum verlassen, wenn andere Erwachsene mit Erziehungsverantwortung am Start waren. Noch nicht mal zum Stricken war Zeit, außer nachts. Und da war Schlaf wirklich notwendig. Aber im Krankenhaus schlafen ist Arbeit. Hören, ob das Kind weint, hoffen, dass es das Nachbarkind nicht weckt, Piepsdingsis ausschalten, das verkabelte Kind ins eigene Bett holen, ohne, dass sich alles verheddert und dann legt es sich quer ins Einzelbett. Trotzdem – danke Gegenwart, in der ein Kind nicht allein im Krankenhaus bleiben muss und Eltern nicht allein zuhaus.
Danke auch an das Glück in einer Großstadt zu wohnen und zum Duschen um die Ecke nach Hause gehen zu können, auch wenn das Krankenhaus Duschen auf jedem Zimmer hat. So gut es ist, 24/7 beim Kind sein zu können, so gut und wichtig ist es, auch mal rauszukönnen. Durchatmen. Zuhause den Süßigkeitenschrank sortieren. Was man halt so macht. Oder, für die Eltern, die rauchen: mal eine rauchen zu können. Gut, so richtig schön war es zuhause nicht, mir war meistens schlecht und ich hatte ein Uniabgabedatum im Krankenhauszeitraum. Ich wollte auch lieber ins Bett gehen mit dem Wissen, dass da ein Baby das Laken vorgewärmt hat. Aber trotzdem. Zuhausepause for the win. Auch um die Außenwelt greifbarer zu haben.
Kaugummiblase mit Nachgeschmack
Was mich zu Beginn zernagte, war wie zäh die Zeit verging, wie abgeschnitten die Welt war. Kaugummiblase mit Desinfektionsgeschmack, ein Tag wie eine Woche. Ein Gefühl, für das ich vorher keinen wirklichen Begriff gehabt hätte, auch wenn mir wer davon erzählt hätte. In diese Blase platzte das mobile Internet mit den Nachrichten um die Terroranschläge von Paris. Absurd unwirklich. Hast du schon mitgekriegt? Ist das echt? Was geht denn da? Während ich in meiner alternativen Realität dachte, na, irgendwas Witziges hier? Irgendeine interessante Krankenhausbeobachtung? Irgendwas mit einer sympathischen Pointe, das sich twittern lässt, na? Aber es war alles doof, wie in diesem doofen Schafcomic. (Haha.) Und schal. Und unwitzig vom Rest der Welt entrückt. Der Selbst gerade mit was anderem beschäftigt war.
Und eigentlich hatte das Kind Grund für Mimimi, nicht ich. Ich bleibe diesbezüglich vor allem mit Fragen zurück.
Krankenhaus vs. Consent
Zum Beispiel: Was ist der Versuch einer Erziehung zu Einvernehmlichkeit, zu Respekt vor eigenen Grenzen und den Grenzen anderer Leute, zur Bedeutung von Neins, was ist das im Lichte eines Krankenhausaufenthalts? Wenn die Kinderkrankenpflegerin* mit ihrem ganzen Oberkörper das Kind fixiert, damit ihm eine Infusion am Kopf gelegt werden kann und am Wenigsten schreit es beim eigentlichen Einstich, sondern vor alllem, weil es so festgehalten wird. Ich will, dass das Kind darauf vertrauen kann, dass es respektiert wird, wenn es ausdrückt “Nein, ich will nicht angefasst werden”. Damit es es das gegenüber anderen sicher durchsetzen kann. Damit es selbst loslässt, wenn andere sagen “Nein, fass mich nicht an.” Ein Krankenhausaufenthalt macht einen Strich durch diese Rechnung. Aber mit einem Kind, das noch nicht sprechen kann, verhandeln, was gleich passiert und drauf vertrauen, dass es von selbst still sitzen oder liegen bleibt? Ich würde mich ja auch schütteln und winden und wegdrehen. Und so, wie ich es als Erwachsene scheiße finde, wenn ich von Eingriffen überrumpelt werde (#Geburt), wie viel mehr scheiße muss das für ein kleines Kind sein?
Die Ironie, dass ich zum letzten Krankenhaustag auf einer interdisziplinären Tagung zum Thema Kindeswohl war. Und wie alles, von dem irgendwie klar ist, dass es kein cooles Verhalten gegenüber Kindern ist und ihr Wohl nicht im Fokus hat, und Sachen, die in anderem Kontext Gewalt sind, im Krankenhaus ausgerechnet zum Wohl des Kindes gemacht werden müssen. “Das muss sein, damit du wieder gesund wirst.” Ist ja nicht gelogen. Trotzdem. Wenn die Kinder Nein sagen konnten, war es das, was ich sie in den Zimmern am Häufigsten rufen hörte. Immer “Nein!” sagen, wenn die Tür aufgeht, egal ob das eine Ärztin mit einer Spritze, eine Kinderkrankenschwester mit Fieberthermometer oder die Frau, die die Zimmer reinigt, ist. Neinneinnein. Oder όχι. (Und die Krankenschwester denkt, das Kind sage Ohrchi, weil sie Fieber im Ohr misst.) Kindeswillen vs. Kindeswohl. Ich kann nicht sagen, dass das keinen Eindruck hinterlassen hat. Und frage mich, wie es besser geht, ob sich das lösen lässt.
Krankenhaus macht jedenfalls keinen Spaß. Soll es auch nicht, ich weiß. Krankenhausserien haben mir kein realistisches Bild von Müdigkeit vermittelt. Oder Behaglichkeit. Nicht, dass wir nicht gut betreut wurden. Klingeln, nur um sich eine Milch fürs Kind zu wünschen. Geht ja auch nicht anders, wenn man nicht aus dem Zimmer kommt. Aber klar, Krankenhaus ist kein Hotel. Ich erwarte keinen Room Service (er ist mir sogar eher unangenehm, lieber würd ich selbst wischen), am Essen hab ich nichts zu meckern, sondern bin froh, dass ich als erwachsene Begleitperson überhaupt welches bekam. Ulkig war nur, dass das Kind und ich mittags das gleiche Essen in der gleichen Portionsgröße bekamen. Wenn ich es lecker fand: Jackpot!
Aber Essen, gar nicht so leicht. Wenn das Kind nicht isst und trinkt nämlich. Da kann ein Krankenhaus Leibspeisen auffahren, das eigene Essen wird fad, wenn das Kind nichts will und nur weint und den Löffel wegwirft. Da wollt ich selbst weinen und den Löffel wegwerfen. Aber wenn es wieder trinkt, und das von selbst, Konfettikanonen und High Fives all around. Was für ein Fest! Ohne Mist, vor Erleichterung heulen ist eine Option.
Zwei Krankheiten zum Preis von einer oder:
Hallo Isolationszimmer!
Und dann stellt sich raus, dass das Kind einen Grund dafür hat, nichts zu essen und trotzdem rumzuwürgen. Ohai Rota-Virus, Nice to meet you. (Nice to shit you. Not.) Wo ich auf dem Weg nach draußen noch an den Zimmern mit extra Anweisungszetteln und Spezialpiktogrammen an der Tür vorbeilief, saßen wir plötzlich selbst in einem. Abreise verzögert, dafür zu jedem Windelwechsel Handschuhe und wer zu uns ins Zimmer kam, musste sich mit einem Schutzmantel verkleiden.
Auch wenn mir nicht wirklich was Witziges zum Krankenhaus ein- oder aufgefallen ist, auch wenn es vor allem schlauchte und das sehr, Raum zum Gedankenmachen gab es trotzdem. Zum Beispiel bei Raumwechseln. Sich selbst und andere beobachten, und dabei beobachten, miteinander auf engem Raum auszukommen, wenn man sich noch nicht kennt. Wo ich anfangs nervös war, wie diese Sozialgefüge funktionieren, war ich überrascht, wie leicht es ging, dass alle es sich gegenseitig leicht machen wollten. Wann hängt man sonst auf so engem Raum mit fremden Familien ab? In einem Zimmer, in dem vier Betten so dicht nebeneinander stehen, dass dazwischen kein Spalt frei ist, ist ein Lagerkoller so effektiv wie die intravenöse Antibiose. Aber meistens ging es. Ich habe die anderen Eltern jedenfalls darum beneidet, wenn sie sich mit ihrer Muttersprache extra Privatsphäre schaffen konnten.
Und klaro, Gedanken machen zum Thema Geschlecht. An der mit unterschiedlicher Geschlechtszuweisung verbundenen Kleidung des Kindes und wie unterschiedlich es adressiert wurde, merken, welche Schwester noch wusste, wer das Kind überhaupt ist. Kleidung trumpft Akte. Aktuelle Kleidung trumpft alte Kleidung/Anrede. Außerdem: ein Hoch auf die geschlechtsneutrale universale Anrede “Maus” oder “Mäuschen” für alle Kinder.
There’s no place like home
Krankenhaus kam mir meistens vor wie Schullandheim ohne Spaß. Nur, dass ich Schullandheimbesuche schon nicht geil fand. An Familien denken, die länger mit Kind in Krankenhäusern sein müssen als wir mit unserer popeligen Woche, und wie blöd das ist. Können Kindern nicht einfach heil bleiben? Puh-lease!? Ich hab mich auch gefragt, wie es für den Arbeitsalltag der Krankenpfeger_innen* oder Ärzt_innen ist, wenn bestimmt die Mehrheit der Leute, mit denen oder für die sie arbeiten, denkt: “Ich will wieder nach Hause. Bloß weg hier.” Ich meine, hey, auch Micheala Schaffrath zog es anderswo hin. Und wenn das Kind anfängt, Händedesinfektion nachzuspielen, ist es Zeit, nachhause zu gehen. Gut, wenn man darf. Und gut, dass es Krankenhäuser gibt. Echt jetzt.
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WTF-Momente
• Der Postbote, der mich auf dem Weg ins Krankenhaus belästigt und auslacht.
• Wenn das Kind, weil es nicht weint, Indianer genannt wird. Der Kontext von Verfolgung und Genozid macht den Spruch, dass ein Indiander keinen Schmerz kenne, übertrieben unangebracht.
• Die Blutspritzer am Bett. (Die sich als Kakao-Flecken herausstellen.)
• Wie Krankenhauspersonal “das Antibiotika” sagt
• Das Antibiotikum, das, oral verabreicht, nach gebrauchten Tampons riecht. (sorry, Kiddo.)
Voll schön
• Das große Fenster im Nachbarhaus, an dem eine Papier-Sonne klebte, auf der stand „Wenn du auf die Sonne schaust, wirst du wieder gesund“. Manchmal waren Teenie-Mädchen in dem Zimmer und tanzten, ab und zu tanzten sie durch den einsehbaren Flur. Oder winkten uns zu.
• Entspannt festzustellen, das ich total gut und angenehm fand, wie alle, mit denen ich hier abhing, mit ihren Kindern umgingen, dass niemand absichtlich oder aus Stress gemein war.
• Besonders schön war, in den ersten Tagen Kaffee mitgebracht zu bekommen, von der Familie des ersten Nachbarkindes, und dass die Eltern der folgenden Nachbarkinder den Kaffee von uns bekamen. Coffee-Chain, wie sie schöner nicht sein könnte. (Und was das ausmacht: guter Kaffee.)
Kram, der unbedingt in eine Kinderkrankenhausreisetasche gehört
• Seifenblasen!
• Guter Kaffee und Schokolade
• Wenn’s ein bisschen länger dauert und die entsprechenden Mittel nicht vor Ort oder kaputt sind: Wasserkocher
• Internetfähiges Gerät, darauf Tierbabyvideos etc.
• Taschenlampe oder Leselicht
*In einer früheren Version dieses Artikels war die Rede von Krankenschwestern- und Pflegern. Die korrekte Berufsbezeichnung lautet Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpfleger_in. Danke für den Hinweis!
Danke für den Einblick. Als Krankenpflegerin (die Bezeichnung -Schwester finde ich ja etwas veraltet: http://www.pflegenot2014.de/schwester/) befinde ich mich ja meist auf der anderen Seite des Bettes. Pädiatrie ist jetzt nicht mein Fachgebiet (ich kann keine Kinder leiden sehen), aber allgemein denkt man zu wenig daran wie sich Krankenhausaufenthalte für Patienten und ihre Angehörigen gebärden. Daher freue ich mich immer, wenn ich Gedanken und Anregungen von „der anderen Seite“ bekomme.
Danke für den wichtigen Hinweis. Ich ändere das gleich.
Kein Problem, das Wort hat sich ja leider eingeprägt und selbst Kolleginnen möchten es nicht so recht loswerden :(
Ich war vor über 20 Jahren selbst als (kleines) Kind im Krankenhaus, zwei Wochen lang.
Für mich ist es gerade einfach nur schön, zu lesen was sich alles verändert hat, denn diese zwei Wochen hab ich als alles andere als schön im Gedächtnis.
Oja, die Übergriffigkeiten fremder Leute auf die eigenen Kinder sind ein heisses Thema. Finde es selbst wahnsinnig schwer, dazu in den jeweiligen Situationen eine Position zu finden bzw einzuschreiten, wenn meine Grenze (und die des Kindes) überschritten ist. Gerade bei medizinischem Personal steht ja oft die vermeintliche Unabänderlichkeit und Dringlichkeit im Raum. Unsere tolle Kinderärztin zeigt uns aber immer wieder, dass alles auch ganz anders geht, die ist ein Ausbund an Respekt und versteht, was Angst macht, auch wenn es vielleicht nichtmal weh tut. Wenn es nicht gerade akut lebensbedrohlich ist, haben die Kinder meiner Meinung nach ein Recht auf respektvolle Behandlung und es liegt in Elternhand, das zu sichern, denn die Kinder selber können das ja (noch) nicht. Insofern, denke ich, müssen wir Eltern immer wieder neu abschätzen, was wirklich sein muss, und wo wir vielleicht doch einen anderen Umgang einfordern oder sogar gehen und uns neue Ärzte/Lehrer etc suchen. Und wenn trotzdem solche Übergriffigkeiten passieren, versuche ich meinen Kindern immer nachher zu sagen, dass das nicht in Ordnung ist und auch anders geht (gerade erst erlebt bei einer Zahnärztin, die nicht in der Lage war, zu verstehen, dass ihr Maschinenpark im Mund eines 3-Jährigen diesem wahnsinnige Agnst macht) und dass der Fehler nicht bei den Kindern liegt.
Ich war selber übrigens mit 5 mit einer Lungenentzündung 2 Wochen allein im KH, das war furchtbar.
Schön, dass ihr wohlbehalten draussen seid!
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