Wie gehe ich mit Online-Belästigungen um? Wie helfe ich Menschen, die online belästigt werden?
Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Ashe Dryden. Der Text ist die deutsche Version ihres englischen Posts (den ihr hier nachlesen könnt) und den wir mit ihrer Erlaubnis veröffentlichen.
Ashe ist Programmierin, Diversity-Aktivistin, Autorin, Speakerin.
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Dieser Text behandelt zwei ähnliche Fragen.
Vor kurzem wurde ich das Ziel einer Hasskampagne im Netz. Hast du irgendwelche Tipps, wie sich damit umgehen lässt?
Mit Online-Belästigungen umzugehen ist emotional und körperlich auslaugend, und genau das ist das Ziel der Belästiger_innen. Um die Auswirkungen solcher Angriffe möglichst klein zu halten und dich gleichzeitig davor zu schützen, gibt es verschiedene Möglichkeiten.
Als jemand die regelmäßig mit Belästigungen konfrontiert ist, habe ich mittlerweile einen Text verfasst, der Leuten erklärt, wie sie sich am besten verhalten können, wenn sie mitbekommen, dass ich mal wieder angegriffen werde. Durch ein Tastaturkürzel auf meinem Telefon und meinem Computer (!trollresponse, ruft dann automatisch diesen Link zum Text auf) kann ich andere Menschen auf diese Weise schnell darüber informieren, was ich von ihnen brauche und warum – ohne es bei jedem Vorfall jeder Person einzeln erklären zu müssen. Ich verlinke außerdem von meiner Kontaktseite und im Footer meiner Website auf diesen Text. Damit ist er schnell zugänglich für alle Leute, die mich sonst deswegen anschreiben würden.
Überlege, ob es eventuell sinnvoll ist, wichtige Menschen in deinem Leben darüber zu informieren, was gerade bei dir los ist. Belästiger_innen werden auch immer wieder versuchen dich zu treffen, indem sie Menschen aus deinem Umfeld (Familie, Freund_innen, Arbeitgeber, Auftrageber_innen) attackieren. Denk daher darüber nach, wie du dieses Risiko ggf. am kleinsten halten kannst. Das ist allerdings nicht allen Menschen möglich, da manche ihre Online-Identität oder dortige Arbeit auch vor den Menschen in ihrem Leben geheim halten müssen. Tu daher einfach, was für dich am besten ist. Dir nahestehende Menschen über die Belästigungen und Drohungen in Kenntnis zu setzen, kann verhindern, dass sie Belästigern_innen unbeabsichtigterweise irgendwelche Informationen geben oder dich weiteren Risiken aussetzen.
Vielleicht besprichst du dich auch mit deine_r Therapeut_in oder Ärztin/Arzt, da Belästigungen eine unglaubliche Menge zusätzlichen Stress in deinem Leben bedeuten. Das “Geek Feminism Wiki” hat eine praktische Übersicht für Therapeut_innen zusammengestellt, die mit (Geek-)Feminist_innen arbeiten, deren Alltag von Bedrohungen betroffen ist.
Nutze die Blockfunktion in sozialen Netzwerken großzügig. Nimm Belästiger_innen die Möglichkeit, einfach so mit ihren Angriffen auf dich weiterzumachen. Meine persönliche Regel lautet: wenn ich merke, dass mein Puls ein Stück hochgeht, sobald ich etwas lese was mir jemand geschickt hat, blocke ich diese Person sofort. Leuten, die uns beleidigen oder bedrohen, schulden wir weder unsere Zeit noch unsere Aufmerksamkeit.
Auf Twitter kannst du die Nutzung des “The Block Bot” [Anm.: bisher keine Version für die dt. Twittersphäre] in Erwägung ziehen. Ein Service, der einzelnen Nutzer_innen die Möglichkeit bietet, eine Blockliste für allgemeinere Beleidigungen und Bedrohungen zu nutzen. Wenn jemand etwas aggressiv sexistisches, cissexistisches, transphobes oder anderweitiges gegen Menschen in diesem Netzwerk sagt und sie fügen ihn_sie zum “Block Bot” hinzu, ist die Person automatisch auch für mich geblockt. Es ist eine Art Präventivschlag gegen Hater.
Checke auf Facebook regelmässig deine Privatsphäre-Einstellungen. Ich habe eine Benachrichtigung im Kalender eingestellt, die mich alle 2 Monate daran erinnert, mir eine halbe Stunde Zeit zu nehmen um zu prüfen, dass sie keine neuen Features eingeführt haben, die meine Privatsphäre beeinträchtigen.
Schau, dass du vielleicht eine nahestehende Person deine Mails, @replies auf Twitter oder andere Nachrichten auf beleidigende/bedrohende Inhalte überprüfen lässt. Bitte sie, alles für sich zu behalten, aber alles abzuspeichern und zu dokumentieren. Diese Person kann Leute blocken, E-Mails archivieren und an eurer Stelle Belästigungen melden (aber sei dir dessen bewusst, dass nur der Account der_des Betroffenen missbräuchliches Verhalten melden darf :/).
Alle Drohungen und Belästigungen, die du erhältst, sollten dokumentiert werden. Sei dir im Klaren darüber, dass Tweets, Facebook Posts etc. alle von der Person gelöscht werden können, die sie gepostet hat (oder entfernt werden, wenn sie gesperrt wird), also mach auf jeden Fall Screenshots, speichere Links und Texte, und alle Namen oder Pseudonyme, die der_die Belästiger_in benutzt. Wenn sich das Verhalten dieser Person verschlimmert, kann es hilfreich sein, das Muster ihres anhaltenden und übertriebenen Verhaltens nachweisen zu können.
Pass auf dich auf. Selbst wenn es dir eigentlich gut geht, ist es schwer, mit solchen Angriffen klarzukommen. Sprich mit Vertrauten über deine Sorgen, was du von ihnen brauchst, und wie sie dir helfen können. Iss, mach Sport und schlafe so normal wie du es sonst auch tun würdest. Nimm dir Zeit für dich, um Sachen zu machen, die dich entspannen – Lesen, Games spielen, Rausgehen, Zeit mit Freund_innen verbringen.
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Ich weiß, dass du und andere Diversity-Aktivist_innen online viel beleidigt und bedroht werden. Was kann ich tun um zu helfen, wenn das passiert?
Wie eine Person mit der Tatsache umgehen möchte, dass sie online angegriffen wird, ist unterschiedlich. Für Betroffene von solchen Attacken gibt es leider mehr als nur die offensichtlichen Risiken. Die Wünsche der betroffenen Person zu respektieren, ist das Mindeste, was du tun kannst, um den ganzen unerwünschten Reaktionen, die diese Person eh schon bekommt, nicht noch deine eigenen aufzubürden.
Wenn du nicht mit der Art und Weise einverstanden bist, wie Betroffene mit den Belästigungen umgehen, vergiss nicht, dass es dir nicht zusteht und nicht hilfreich ist, sie darüber zu belehren. Respektiere, was sie wollen und brauchen.
Gib so wenig Informationen über das Leben der betroffenen Person preis wie möglich:
- Frag, bevor du ein Bild von jemandem machst und ob es ok ist, es “öffentlich” zu posten; sag Bescheid, wenn du es postest. Vergiss nicht, noch mal zu fragen, ob du die Person taggen darfst.
- Frag, bevor du jemanden auf Foursquare, Facebook oder ähnlichen standortbezogenen sozialen Netzwerken eincheckst. Check nicht bei Leuten zuhause ein.
- Plane private Verabredungen nicht öffentlich. Frag nach, wie ihr diese am besten Planen könnt – per E-Mail? SMS? DMs? Telefonanruf?
- Wenn du Leute zu kleineren Veranstaltungen einlädst, gib ihnen die Möglichkeit, dich privat zu kontaktieren, damit sie dir etwaige Sorgen bezüglich Anwesenden oder des Orts mitteilen können.
- Frag jedes Mal, bevor du eine private Information weitergibst: Telefonnummern, E-Mail-Adressen, Anschriften, Informationen zur Online-Identität, Arbeitsstelle, gesundheitliche Informationen, Gender/Sexualität/andere Informationen zur Identität, etc. Wenn du Zweifel hast, biete an, die Kontaktdaten der_des Anfragenden weiterzugeben, damit die Person entscheiden kann, ob sie ihre Informationen direkt weitergibt.
- Versprich niemals etwas stellvertretend für die betroffene Person.
Sei dir dessen bewusst, dass Menschen, die dieser Art von Angriffen ausgesetzt sind, unterschiedliche Gefühlslagen durchmachen können – Ärger, Depression, Traurigkeit, Angstzustände, Hoffnungslosigkeit, Erstarren. Sprich ihnen niemals ab, diese Gefühle zu empfinden.
Betroffene benötigen unter Umständen auch bei der Planung von sozialen oder beruflichen Events besondere Rücksichtnahme, sei dir dessen bewusst und geh einfühlsam mit ihnen um.
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Weiterführende Links und Texte (Englisch)
• The Risk in Speaking Up
• The Smart Girl’s Guide to Privacy, Violet Blue
• Cybersexism: Sex, Gender, and Power on the Internet, Laurie Penny
• Social and Technical Means for Fighting On-Line Harassment, Ellen Spertus
• Harassment, Geek Feminism Wiki
• Resources for Therapists, Geek Feminism Wiki
• „Internet Famous“: Visibility As Violence on Social Media, Shanley Kane (Triggerwarnung: gewaltvolle Bilder, Thematisierung von Vergewaltigungsdrohungen)
• Abuse by Reddit: Proxy Abuse in Tech, Betsy Haibel
• Abuse by Proxy and Abuse by Stalking, Dr. Sam Vaknin
• Online Harassment, Defamation, and Hateful Speech: A Primer of the Legal Landscape, Alice E. Marwick and Ross W. Miller
• Still ‚Searching for Safety Online‘: collective strategies and discursive resistance to trolling and harassment in a feminist network, Frances Shaw
• Why Women Aren’t Welcome on the Internet, Amanda Hess (Triggerwarnung: gewaltvolle Sprache und Bilder, Thematisierung von Vergewaltigungsdrohungen)
• Anita Sarkeesian at TEDxWomen 2012 (Video, kein Transkript / Untertitel)
• The Experience of Being Trolled, PBS Idea Channel (Video, kein Transkript / Untertitel)
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