Gender Party Trouble – Warum wir die Nightingrrrls ins Leben gerufen haben

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Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Constanze.

Constanze Haas ist Lehrerin und wohnt seit drei Jahren in Berlin. Vorher studierte sie Englisch und Philosophie in Münster. Dort fand sie sich schon bald in feministischen Lesekreisen wieder, fing an, als Maggie May in Bars und Clubs Indiemusik aufzulegen und gründete mit drei Freund_innen die Punk/Pop-Band Alarmstufe Ocker. Bevor es nach Berlin ging, lebte sie ein Jahr in Edinburgh, wo das DJ-Hobby weiter ausgebaut wurde und sie mit einem Freund zusammen eine kleine Partyreihe rund um Wave, Synthie Pop und Elektro veranstaltete.

Eine Partyreihe in Berlin zu organisieren, ist wie Blumengießen bei Regen. Braucht diese Stadt tatsächlich noch mehr Tanzangebote? Sie braucht eine. Das merke ich, weil meine innere Stimme “Juchuu!” ruft, als ich ganz unverhofft Co-Organisatorin der Nightingrrrls Party werden soll. Meine Reaktion? Natürlich bin ich dabei. So überarbeitet kann ich gar nicht sein, um ein Herzblutprojekt wie dieses auszuschlagen:

Unsere Partyreihe will nicht-männliche Präsenz hinter den DJ-Pults der Clubs dieser Stadt stärken. Mit dieser Intention unterscheidet sie sich von den meisten anderen Veranstaltungen mit DJs. Da sieht es meistens so aus: Neben dem Techno-Floor gibt es einen zweiten Floor, auf dem Hip Hop Beats und 80s Hits aufgelegt werden – und schon bedarf es keiner weiteren Rechtfertigung für mangelnde Vielfalt mehr.

Wir – das Organisationsteam der Nightingrrrls – treffen uns zum Mittagessen in Kreuzberg, um die Details zu besprechen. Die Planung ist schon weit voran geschritten: Das Line-up, also die Reihenfolge der gebuchten DJs, steht. Bis auf das Warm-up auf dem zweiten Floor und den Headliner, dem wichtigsten Act des Abends auf dem Techno-Floor, ist alles klar. Der Plan: Vorrangig Frauen als DJs. Männer höchstens für das Warm-up*.

Sobald Frauenköpfe unter den Kopfhörern stecken,
wird es politisch

Schon bald sind auch die letzten Lücken erfolgreich geschlossen. Bevor wir das Event online stellen und überall ankündigen können, braucht es noch einen passenden Beschreibungstext – der Punkt, an dem das Herzblutprojekt erst Kopfschmerz, dann Bauchschmerz wird. Ich starre auf den Bildschirm. Und schreibe sofort los. Zögere. Lösche. Warte. Gucke. Tippe. Lösche. Raufe mir die Haare. Warum kann ich nicht einfach zu einer Partynacht mit hervorragender DJ-Auswahl laden? Sobald Frauenköpfe unter den Kopfhörern stecken, wird es politisch. Die Schreibblockade kommt aus meiner Zerrissenheit: Einerseits sehe ich die dringende Notwendigkeit einer feministisch motivierten Party, andererseits nervt mich eben diese Betonung – gerade aus dem Grund, dass sie immer noch notwendig ist.

Ich ertappe mich dabei, wie ich selbst die Clubs scanne, um das Verhältnis von männlichen und weiblichen DJs zu errechnen. Das führt in den meisten Fällen zu großer Enttäuschung, da Männer die Musik in Clubs und auf Festivals dominieren. Dieser Eindruck deckt sich auch mit den Zählungen von female:pressure, einem internationalen Netzwerk von Künstlerinnen im Bereich elektronischer Musik.

Während der Zählung von in Clubs und auf Festivals auflegenden Frauen und Männern ergreift mich unweigerlich Freude über ein Frauengesicht hinterm Plattenteller, so dass ich am liebsten sofort ganz vorne am DJ-Pult ausflippen würde, um die Frauen der Nacht zu feiern, weil wir eine so „seltene Spezies“ sind.

Das DJ-Matriarchat in der Gedankenschleife

Das ist allerdings nicht auf allen Parties so. Mittlerweile spiele ich immer häufiger auf kleinen unkommerziellen Veranstaltungen, wo ich sehr selten als einzige Frau auflege. Tatsächlich war die letzte Nightingrrrls-Party die erste Party, bei der nur Frauen spielten, ein großer Erfolg für uns. Die Tatsache, vor, nach und während meinem Gig nur weibliche Acts anwesend zu wissen, löst an diesem Abend eine verrückte Mischung von Euphorie und Entspannung in mir aus. Ich übernehme gegen 01:00 Uhr das DJ-Pult von meiner Vorgängerin, nachdem ich ihr ganzes Set durchgetanzt habe. Wir stoßen mit unseren Cocktails im Plastikbecher an, sie tanzt noch den Übergang neben mir mit und flitzt dann auf die Tanzfläche. Später komme ich auf den anderen Dancefloor, wo eine andere DJ ihr Technoset spielt. „Uhuuu ein DJ-Matriarchat!“, blitzt es in meiner angedudelten Birne auf.

Am Ende der Nacht drehe ich immer meine gedanklichen Kurven in der Metaschleife: Erlebnisse wie oben beschrieben machen mich froh, weil sie zu den besonderen Partynächten zählen. Aber diese Momente machen mich auch sauer, weil sie viel zu selten sind. Die Nacht hinterlässt mich euphorisch, weil ich fühle, es geht voran mit der nicht-männlichen Präsenz hinterm Plattenteller. Ich resigniere, weil das Vorankommen nur mit winzigen Schritten geht. Außerdem ist da immer das schlechte Gewissen, ob das alles so der richtige Weg ist: Kann ich nicht auch mit einem männlichen DJ bei der Übergabe auf einer wackeligen Holzbank tanzen? Das geht doch wohl, nichts spricht dagegen.

Einerseits. Andererseits fehlt mir aber oft die Leichtigkeit bei männlich dominierten Events. Dann schäme ich mich für Kabelsalat und versuche unsaubere Übergänge beim DJ-Wechsel angestrengt zu vermeiden. Oft werde ich von Technikern betreut und unterstützt, die meistens besser als ich wissen, wie die von mir mitgebrachten Geräte angeschlossenen werden. Ein Umstand, den Männer am Pult auch erleben – keine Ahnung, ob sie das auch als Druck empfinden.

Überaus „beruhigend“ auch, wenn sich außer mir noch jemand anderes während des Gigs für das Mischpult zuständig fühlt und nach Lust und Laune vor sich hinregelt. Das Gefühl, andere Frauen als Verbündete zu empfinden, Männer hingegen als Widersacher, führt mir die Verfahrenheit der Situation vor Augen: Kann ich Veranstalterin einer feministischen Party sein, wenn mein Denkmuster solche klaren Gegensätze macht?

Hinterfragen wir die Norm!

Was die Werbung für die Nightingrrrls angeht, führen diese Überlegungen nicht dazu, meine Schreibblockade zu lösen. Immer noch bin ich unentschieden, ob ich explizit auf die Frauenveranstaltung hinweisen soll oder kein Wort über die DJ-Geschlechter fallen lassen soll. Der beste Beweis dafür, dass ich mein Unbehagen noch nicht verdaut habe und wissen muss, was dahinter steckt.

Vielleicht fühlen sich meine Gedanken und mein Ringen abgestanden an für alle, die Geschlechterbinarität überholt finden. Trotzdem halte ich die Party für wichtig, vor allem für die, die mich immer noch strinrunzelnd fragen, warum ich mich um ein weibliches Line-up kümmere. Es ist ganz simpel: Nur, wenn wir zeigen, dass es uns gibt, zeigen wir, was bisher nicht die Norm ist. Wenn wir zeigen, dass Veranstaltungen auch nur mit weiblichen DJs erfolgreich bestritten werden können, machen wir sichtbar, dass es eine Alternative zu dem gibt, was derzeit die Regel ist. Trotz Bauchschmerz und Kopfschmerz bleibt für mich die Wahrheit: Solange ein Line-up wie das der Nightingrrrls nicht dem derzeitigen Standard der Musikszene entspricht, müssen wir es anbieten. Jetzt erst Recht.

*Die Absicht dieses Artikels ist keinesfalls, die Geschlechterdichotomien weiter zu verfestigen, indem ich von Männern und Frauen spreche. So erstrebenswert ich es auch finde, diese gesellschaftlichen Konstrukte zu reflektieren und perspektivisch aufzulösen, kann ich mich hier nur mit dem Problem befassen, das sich auf die fehlende weibliche Präsenz in der Partyszene in Berlin beschränkt.

 

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Eine Antwort zu “Gender Party Trouble – Warum wir die Nightingrrrls ins Leben gerufen haben”

  1. MUSCHIMIEZE sagt:

    Schöner Artikel! Ich muss sagen, dass ich es in der Techno und House-Szene hier in Berlin das Geschlechterverhältnis wesentlich „ausgeglichener“ wahrnehme, als in manch anderen Szenen. Aber das mag wie gesagt in anderen Genres oder auch in anderen Städten anders sein. Ich finde es auf jeden Fall wichtig, auf diese Problematik hinzuweisen, da Frauen einfach viel seltener dazu ermutigt werden, sich hinters DJ-Pult zu stellen und wenn dann in der Öffentlichkeit lediglich als nicht ernstnehmbare „Promi DJane“-Witzfiguren bekannt werden (die guten und ernstnehmbaren weiblichen DJs hingegen eher weniger).