Kostümspiele – Unter Cosplayern
Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Fionna.
Fionna lebt in Hildesheim und studiert Kreatives Schreiben. Sie liebt Narrativen aller Art; Bücher, Filme, Serien, Videospiele. Das Schreiben und Zocken hat sie von ihrer Mutter gelernt. Medien konsumiert sie jetzt am liebsten mit ihrer Mitbewohnerin. Sie arbeitet neben dem Studium als freie Lektorin und hat außerdem schon mal einen Roman geschrieben.
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Wir scheinen sehr erwachsen und vernünftig auszusehen, trotz unserer abenteuerlichen Verkleidung. Eine von uns ist sogar voller Kunstblut. Dennoch trauen sich an den beiden Tagen, die meine Freunde und ich auf der Frankfurter Buchmesse sind, einige ältere Damen uns anzusprechen: „Dürften wir mal fragen: Wieso macht ihr das?“
Mit „das“ meinen sie unser Kostüm. Mit „ihr“ meinen sie all die Menschen, die verkleidet auf der Frankfurter Buchmesse rumlaufen, manche in ausladenden Kleidern, andere in extrem hohen Absatzschuhen, einige trotz spätherbstlicher Temperaturen mit freiem Oberkörper oder kurzem Rock.
Ja, wieso machen wir das eigentlich? Es ist ja nicht mal Karneval oder Halloween. Und zwischen den Anzug tragenden Messe-Offiziellen fallen wir ganz besonders auf.
Was wir tun, nennt sich Cosplay. Das setzt sich zusammen aus den Begriffen Costume und Play, ist also wörtlich ein Spiel mit Verkleidungen. Und wie so vieles, was abgefahren und bunt und auffällig ist, kommt es aus Japan. Anfänglich ging es darum, Kostüme aus Mangas (japanische Comics) so gut wie möglich nachzunähen, mittlerweile hat sich das auf Serien, Filme und Videospiele ausgeweitet. Je näher man dabei dem Original kommt, desto besser, dabei gilt es nicht nur, jede Schleife und Spitze am Kleid richtig wiederzugeben, sondern auch die Haare perfekt zu stylen und das richtige Make-Up zu tragen. Bis ins kleinste Detail werden Stickereien und Tattoos nachgebildet, Anhänger und Broschen gebastelt und Perücken meist entgegen aller physikalischen Gesetze in Form gebracht. Das ist ziemlich viel Aufwand und in den meisten Fällen nicht gerade billig. Da können schon mal mehrere 100 Euro für Stoff, Leder, Pappmaché und andere Materialien draufgehen.
Insgesamt ist sie also berechtigt, die Frage nach dem Warum. Und weil die Damen so nett fragen, versuchen wir auch, eine Erklärung abzugeben.
Das hat etwas mit Fansein zu tun. Damit, dass wir mit einer Sache nicht abschließen, nachdem wir sie konsumiert haben. Sei es eine Serie oder ein Film oder ein Buch, es lässt uns nicht mehr los, und das wollen wir zeigen. Wir wollen diese Begeisterung nach außen hin tragen, wie ein Plakat unserer Lieblingsserie, das in unserem Zimmer hängt, oder ein T-Shirt mit unseren Heldinnen und Helden, das wir stolz zur Schule oder Uni tragen.
Cosplay ist lediglich eine Erweiterung dieses offenen Fanseins und erfordert zudem wesentlich mehr Arbeit als das Tragen eines gekauften T-Shirts. Oft stecken hinter den Kostümen Stunden und Tage und Wochen an Arbeit, und das für ein oder zwei Tage im Jahr, an denen die Kostüme tatsächlich getragen werden. Dafür gibt es sogenannte Conventions, aber leider in Deutschland nicht besonders viele. Daher behelfen sich deutsche Cosplayer, indem sie ihre Kultur überall dorthin tragen, wo Fansein zelebriert wird: auf Videospielmessen wie der Gamescom oder eben den beiden großen Buchmessen in Leipzig und Frankfurt, wo sie regelmäßig den „normalen“ Besucher irritieren.
Die drei Stufen des Cosplay
Ich bin nicht einfach eines Tages aufgewacht und hatte plötzlich Lust, ein kompliziertes Kostüm nachzuschneidern. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt eine Nähmaschine nur von weitem gesehen und sonstige Kenntnisse beschränkten sich auf das gelegentliche Stopfen von Socken. Aber irgendwann war mir das bloße Konsumieren einer Serie oder eines Films nicht mehr genug. Ich bin ein Nerd, und frei nach John Green heißt das, dass ich Dinge unironisch lieben darf. Ich darf mich begeistern, so here I am.
Zunächst waren das Kleinigkeiten, die ich gekauft habe, wie Halsketten oder Anstecker, weil sie mich an Seriencharaktere erinnert haben, oder aber ich habe Zitate aus “Doctor Who” auf meine alten Chucks gekritzelt, in der Hoffnung, dass irgendein Fan sie erkennt. Man stelle sich meine Begeisterung vor, als genau das an einem Bahnhof passiert ist. („Hey, ich mag deine Schuhe.“ Betretenes Schweigen, dann: „Wegen der Farbe?“ „Neeee…“ „Oh, achso!“)
Ich wollte mehr. Der nächste Schritt war daher das sogenannte Schrank-Cosplay oder auch Casual Cosplay. Wie nah komme ich einem Kostüm mit den Dingen, die ich schon im Schrank habe? Und kann ich die Dinge anziehen, wenn ich nach draußen gehe, ohne komisch auszusehen? Damals in der Schule haben wir uns gerne „angelehnt an Harry Potter“ angezogen und den Mathematikunterricht nur noch „Zaubertränke bei Snape“ genannt.
Und dann kam irgendwann der Tag, an dem mir klar wurde, wie unendlich cool ich in einem “Assassin’s Creed” Cosplay aussehen würde. Da reichte es mir dann nicht mehr, eine Jacke anzuziehen, die fast genauso, aber nicht ganz aussah wie das Original. Ich wollte das ganze Paket. Und obwohl ich keine Ahnung von Schnittmustern, Nadelstärken oder Körpermaßnehmen hatte, fing ich an, mein erstes Cosplay zu nähen.
„Wir wollen gesehen werden!“
Es steckt teilweise unvorstellbar viel Arbeit und Geld in den Kostümen, unzählbare durchgemachte Nächte, durchstochene Finger und Tobsuchtsanfälle, weil es nicht immer möglich ist, Kostüme perfekt nachzumachen, da in Comics oder Videospielen andere physikalische Gesetze gelten. Ja, ich habe geweint, als die Kapuze auch nach dem fünften Mal Umnähen nicht saß, ich habe Videogame-Hersteller verflucht und Kekse futternd Bilder von anderen Cosplayern geguckt.
Aber in dem Moment, in dem ich das Cosplay das erste Mal trage, ist all das vergessen. Auf Conventions kommen Menschen auf mich zu, erkennen das Kostüm und loben mich für meine Arbeit. Ich treffe andere Assassinen und tausche Bastelabenteuer wie Kriegsgeschichten aus, schimpfe über nur spärlich vorhandenes Referenzmaterial und kann selbst den einen oder anderen Trick verraten.
Und dann posiere ich mit Freunden für Fotos, obwohl es kaum etwas Schlimmeres für mich gibt, als Bilder von mir selbst zu sehen. Ob sie das Bild auf ihre Facebook-Seite laden dürfe, fragt die ältere Dame schüchtern und wundert sich über unser begeistertes Kopfnicken. Cosplay ist da, um gesehen zu werden, sage ich. Wenn wir nicht wollten, dass man unsere Kostüme, unsere harte Arbeit daran, sehen kann, dann hätten wir sie im Schrank gelassen.
Anfassen verboten – Cosplay Creeps
In der Tat geht es beim Cosplay sehr viel um Sehen und Gesehenwerden. Conventions sind eine Modeshow, Cosplayer zeigen, was sie geschaffen haben und vergleichen sich mit anderen, die ähnliche oder gleiche Kostüme genäht haben. Allerdings ist diese Aufmerksamkeit nicht immer positiv.
Cosplay Creeps sind ein Problem, mit dem beinahe ausschließlich Frauen zu kämpfen haben. Viele Kostüme sind freizügig. Das liegt meist daran, dass Frauen in den Medien häufig nicht besonders viel anhaben, besonders in Comics oder deren Verfilmungen, aber das ist eine gänzlich andere Diskussion. Frauen, die diese Figuren dennoch cosplayen, sind durchaus zu bewundern, haben sie doch genug Selbstbewusstsein und freiwillig entschieden, diese Kleidung zu tragen. Kudos for that!
Viele Männer sehen das häufig allerdings als Einladung. Mit dem Argument „Die wollen die Aufmerksamkeit doch!“ rechtfertigen sie alles von billiger Anmache, sexuellen Anspielungen und heimlichen Bildern primärer Geschlechtsorgane, bis hin zu tatsächlichem Berühren. Problematisch ist das nicht nur, weil es schlicht sexuelle Belästigung ist, das Ganze ist auch symptomatisch für einen noch immer von privilegierten weißen Männern dominierten Teil der Nerdkultur. Besonders in den Bereichen Comics und Videospiele werden Frauen nur geduldet, wenn sie a) attraktiv sind und sich b) in knappe Superheldinnenkostüme zwängen. Dass diese Frauen das für sich selbst und nicht etwa für Männer machen, wird nicht einmal in Erwägung gezogen. Daher versuchen weibliche Cosplayer immer wieder auf die Problematik hinzuweisen, beispielsweise mit Aktionen wie “CONsent” auf der diesjährigen Wondercon.
Nerdkulturbereiche wie Serien, Anime oder Bücher werden allerdings von weiblichen Fans dominiert und bilden daher ein wesentlich sichereres Gelände für Cosplayer. Das hat auch damit zu tun, dass die Mädchen in diesen Bereichen meist erst zwischen 14 und 18 Jahren alt sind.
Wer darf was?
Gender Swap, Body Types, Black Facing
(Illustration: Sarah Satrun, zu kaufen bei Etsy.)
Kein Popkulturbereich bleibt ohne Kontroverse, und so hat auch Cosplay seine eigenen, immer wiederkehrenden Diskussionen. Kernfrage dabei ist, ob jeder grundsätzlich alles cosplayen darf. Schnell ist man versucht, mit einem schlichten „Natürlich“ auf diese Frage zu antworten, und dennoch werden immer wieder Grenzen aufgezeigt, manche durchaus vernünftig, andere weniger.
Darf man als Frau einen Mann, und als Mann eine Frau cosplayen?
Die einfache Antwort lautet hier: Klar. Ein Großteil der Cosplayer sind Mädchen und Frauen, und die Medien sind voller Männerfiguren. Da behilft man sich mit Kurzhaarperücken, bindet die Brüste ab oder setzt auf hautfarbene Oberteile. Männer, die Frauen cosplayen sind eher selten, wenn auch von der Community gerne gesehen. Manche gehen aber auch einen Schritt weiter und interpretieren ihreFigur kurzerhand neu, machendaraus eine Genderbent-Version, tauschen also das Geschlecht der Figur, so dass es zur eigenen Identität passt.
Darf ich außerhalb meines Körpertyps cosplayen?
Body Shaming macht auch vor Cosplay nicht halt und so kommt es immer wieder vor, dass Menschen mit großartigen Kostümen sich anhören müssen, dass sie nicht schlank genug, nicht groß genug, nicht hübsch genug sind für bestimmte Charaktere. Leider sind auch das meist Männer, die mit solchen Beschimpfungen großartige Cosplayer demotivieren. Grundsätzlich ist sich die Community aber einig: Cosplaye was und wen immer du willst, egal wie du aussiehst.
Darf ich People of Colour cosplayen obwohl ich selbst weiß bin?
Diese Frage sorgt noch immer für rege Diskussionen in diversen Foren. Grundsätzlich ist man sich einig, dass zumindest Black Facing, sprich sich schwarz oder braun anzumalen, um People of Colour zu mimen, ein absolutes Tabu ist.
Eine riesige Kontroverse bezüglich dieser Problematik löste einst der professionelle Cosplayer Rick Boer aus. Videogamehersteller Ubisoft beauftragte ihn, auf Conventions Hauptcharaktere aus ihrem Bestseller „Assassins Creed“ zu cosplayen. Dabei stellte Rick Boer unter anderem den Native American Connor Kenway dar, teilweise mit durch Make-Up sichtlich gedunkelter Haut.
Fandom Double Standards
Insgesamt gesehen ist Cosplay jedoch eine friedliche Unterkategorie der Nerdkultur. Für viele ist es eine Möglichkeit, für kurze Zeit in die Rolle einer Figur zu schlüpfen und plötzlich jegliche Berührungsängste zu verlieren. Nicht nur, dass ich offen auf Menschen mit ähnlichen Interessen zugehen kann, ich bin geschützt durch den Charakter, den ich darstelle. Und so treffe ich auf den Conventions oftmals junge Menschen, die nach eigenen Angaben im normalen Leben eher introvertiert und ängstlich, hier aber wie ausgewechselt sind. Sie spielen eine Rolle, die sich stetig mit der eigenen Persönlichkeit vermischt, und können so freier mit anderen interagieren.
Grundsätzlich ist Cosplay jedoch nur fürs Angucken gemacht und weniger für tatsächliches Rumlaufen, Klettern oder Kämpfen. Die Kostüme sind meist sehr fragil, unpraktisch und unbequem. Um toll auszusehen, leiden wir meist mehrere Stunden, frieren in viel zu leichter Kleidung oder bleiben immer wieder mit Flügeln oder gigantischem Kopfschmuck hängen.
Viele schütteln irritiert den Kopf. Wenn wir im Kostüm zur Buchmesse fahren, hören wir immer wieder gemurmelte Kommentare. „Also ich kann sowas ja gar nicht verstehen“, heißt es aus einer Ecke, aus anderen Ecken kommen wesentlich schlimmere Worte.
Sender wie RTL verurteilen immer wieder in Berichten eine ganze Fankultur, machen die Cosplayer zu „Freaks“, stellen das Hobby als “nicht normal” dar; ein wunderbares Beispiel für die Double Standards der Medien. Denn es gibt da noch ein anderes Hobby, das durchaus mit Cosplay zu vergleichen ist. Auch hier wird sich verkleidet und geschminkt und anschließend zu Hunderten und Tausenden getroffen. Aber wenn Fußballfans Fahne schwenkend in Stadien 22 Männern zujubeln, schütteln nur wenige Menschen den Kopf und stattdessen berichtet das Fernsehen freudestrahlend über die neusten Ergebnisse.
„Ihr macht das aber schon freiwillig, oder?“
Ich habe mit dem ernsthaften Cosplayen vor etwa zwei Jahren angefangen. Seitdem war ich schon als Ohngesicht aus dem Film „Chihiros Reise ins Zauberland„, als fem!Eleven aus der britischen Serie „Doctor Who„, Altaïr Ibn-La’Ahad aus der Videospielreihe „Assassin’s Creed“ und Cecil Gershwin Palmer aus dem Podcast „Welcome to Night Vale“ unterwegs.
Mich für Dinge, besonders Medien, zu begeistern, fiel mir schon immer leicht. Filme, Serien und Videospiele mag ich besonders, weil sie mir stellenweise das Gefühl geben, Teil von etwas Größerem zu sein. Aber ich konsumiere nicht nur. Gerade als Autorin bin ich es gewöhnt, auch neuen Content zu erschaffen, und so ist das Schneidern von Kostümen und das Interagieren mit anderen Cosplayern auf Messen mein Versuch, meine Begeisterung für ein bestimmtes Medium aktiv zu zeigen.
Das Spannende an Cosplay ist, dass Menschen hier ihre Interessen für alle sichtbar nach außen tragen. Ich sehe sofort, wer auf dieselben Serien und Spiele steht wie ich, und plötzlich kann ich wildfremde Menschen anquatschen und mich mit ihnen unterhalten, als würden wir uns schon seit Jahren kennen. Ich umarme mir unbekannte Cosplayer wie beste Freunde, weil sie ein “Free Hugs”-Schild in die Höhe halten.
Nirgends wurde ich bisher so warm aufgenommen wie in der Cosplayer-Szene. Umarmungen sind hier eine Währung, Lob und Beifall gibt es umsonst. Vielleicht ist es das noch immer existierende Stigma, das uns zusammenrücken lässt. Von außen bekommen wir genügend Kritik, und wenn wir dann ein Mal im Jahr an einem Ort zusammenkommen, an dem wir nicht verurteilt werden, macht das frei.
In der Mitte des Frankfurter Messegeländes gibt es einen künstlichen Bachlauf mit einigen Brücken, drumherum ein bisschen Wiese und einige Bäume. Trotz gerade mal 8°C Außentemperatur findet man hier während der Messe die meisten Cosplayer, für Fotos posierend oder auf Picknickdecken zusammengekuschelt, die Schuhe mal ausgezogen, den Kopfschmuck abgelegt, das Korsett gefaltet daneben liegend. Wir haben uns hier unser Refugium geschaffen, vielleicht auch aus Rücksicht auf die Messebesucher, die wegen der Bücher hier sind.
Solltet ihr euch im nächsten Jahr doch einmal hierher verirren, sprecht uns ruhig an. Denn selbst die Blutverschmierten unter uns sind vollkommen harmlos.
Das ist so schön geschrieben… mir kamen tatsächlich die Tränen. Und der Vergleich mit den Fußballfans, diesen stell ich auch jedes Mal auf, wenn mir jemand sagt, Cosplay sei doch total doof. Die Antwort die ich dann meistens bekomme ist so etwas wie „Das kann man gar nicht vergleichen!“….wobei ich mich frage, sagst du das nur, weil du merkst, dass dein Hobby genauso dämlich in den Augen anderer ist, wie mein Hobby in deinen? ;D
Netter Artikel, vor allem, weil er grundsätzlich einen guten Überblick erlaubt, in dieses doch sehr diverse Hobby und die Szene. Obwohl ich selbst wohl aus dem Alter raus bin, finde ich die Cosplayer und ihr Hobby sehr sympathisch und auf ihre Weise fantasievoll gegen den Mainstream, obwohl sie sich an Figuren aus dem Mainstream anlehnen.
danke für den Artikel :) Finde die ganze Arbeit, die CosplayerInnen investieren echt beeindruckend! Cosplay finde ich toll, obwohl ich es selber nicht mache. Warum eigentlich nicht? Das frage ich mich gerade ernsthaft :D
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