Wie ich spreche
Viele Menschen wachsen mit einem Dialekt auf. Doch was passiert mit ihrer Sprache und der damit verbundenen Identität, wenn sie in eine andere Region ziehen? Maike hat ihre persönlichen Erlebnisse aufgeschrieben.
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Ich bin im Südwesten Deutschlands aufgewachsen. Dort, wo es Menschen gibt, die vor Fußballspielen das Badnerlied singen und Autoaufkleber mit dem Schriftzug “Es gibt badische und unsymbadische” durch die schöne Gegend fahren. Ich lebte in einer Region, die inzwischen mit den Worten “Wir können alles. Außer Hochdeutsch” für sich wirbt, und ich kann bestätigen, dass zumindest der zweite Satz auch auf mich zutraf. Selbst wenn ich mich ausnahmsweise einmal darum bemühte, keinen Dialekt zu sprechen, scheiterte ich immer an einer übertriebenen Betonung der Vokale und am ‘Sch’, das sich dennoch immer breit machte. So wurde aus “Kannsch’ mir des mal bidde gebbe?” allenfalls ein “Kannscht du mir daas mal bitte geeeben?”
Das war jedoch nicht schlimm, denn es gab eigentlich gar keinen Grund, keinen Dialekt zu sprechen. Es redeten ja fast alle so und Menschen, die nördlich von Frankfurt wohnten, bezeichneten wir gerne als „Fischköppe“. Wir unterstellten ihnen bereits aufgrund ihrer präzisen Aussprache, sie seien überheblich.
Isch werd’ Liebelein
Das hielt mich nicht davon ab, mit 23 Jahren nach Köln zu ziehen, weil ich das Leben in der mir zu kleinen Stadt Freiburg nicht mehr ertrug. Hier erinnerte mich alles an schwierige Zeiten, begegnete ich seit Jahren immer wieder überall den gleichen Menschen, fühlte ich mich eingeschränkt, denn nichts schien sich zu verändern – auch ich nicht. Aber so, wie man seine persönlichen Konflikte mit in eine andere Stadt nimmt, verhielt es sich damals bei mir auch mit meinem Dialekt. Auf meiner neuen Arbeit wurde ich immer wieder darauf angesprochen, woher ich denn käme und täglich wurde mein ‘lustiger Singsang’ kommentiert.
Ich neige dazu, um mich herum gesprochene Dialekte zumindest stellenweise zu imitieren. Dieser Impuls ist besonders ausgeprägt, wenn ich Hessisch höre, für das ich eine absurde Schwäche habe, und bei Sächsisch, das mich jedoch ziemlich gruselt. Vielleicht ist es Talent, vielleicht ist es auch nur feige Angepasstheit. Ich weiß nicht mehr, wie lange es in Köln dauerte, bis ich, ohne mich bewusst darum zu bemühen, das ‘Sch’ abgelegt hatte, die langgezogenen Vokale verschwunden waren und nur noch eine nicht mehr genau zuzuordnende Sprachmelodie daran erinnerte, dass ich nicht mit Hochdeutsch aufgewachsen war. Irgendwann wurde diese durch eine rheinländische Färbung ersetzt und ich ging dazu über, manche Wörter vorsätzlich übertrieben auf Kölsch auszusprechen. Was dazu führte, dass dies irgendwann ohne mein bewusstes Zutun geschah. Ich war assimiliert und würde insgesamt vierzehn Jahre im Rheinland bleiben.
Selbstverständlich bin ich während dieser Zeit immer mal wieder nach Freiburg gefahren, wo ich mich besonders darum bemühte, keinen badischen Dialekt zu sprechen. Ich wollte auf diese Art unterstreichen, wie sehr ich mich verändert hatte, wie viel besser es mir nun ging und dass ich Rheinländerin geworden war. Das junge Mädchen von damals gab es schließlich nicht mehr und ich machte meine Veränderungen nicht so sehr am Alter und der zunehmenden Reife, sondern sehr stark an der Region und der Großstadt fest, und wie die Menschen in Köln miteinander umgingen.
Ein Beispiel verdeutlicht dies besonders gut: In Freiburg fing ich während des Studiums an, in einem Tonträgergeschäft zu arbeiten. Es dauerte ein Vierteljahr, bis sich die meisten Kollegen und Kolleginnen mir gegenüber offen und herzlich verhielten. Später in Köln arbeitete ich in einer Filiale der gleichen Firma und bereits an meinem ersten Arbeitstag waren die Menschen so aufgeschlossen wie die in Freiburg erst nach mehreren Monaten. Ich wurde (von Frauen) “Liebelein” genannt, alle waren interessiert an mir, und ich fühlte mich von Anfang an willkommen. Ich mag das, weil es mich selbst offen und herzlich macht. Ich tue mich schwer mit verschlossenen Menschen, da ihre Distanz und Undurchschaubarkeit mich verunsichert. Ich werde dann zu jener verschlossenen Person, die ich gar nicht sein möchte und auch in Freiburg deshalb oft genug eben doch war.
Mit dem Ablegen des badischen Dialekts hatte ich in Köln also weitaus mehr hinter mir gelassen als nur eine Sprache. Wenn ich mich während meiner Freiburg-Besuche so sehr darum bemühte, Hochdeutsch zu sprechen, wollte ich nicht zulassen, dass alte Verhaltensmuster und Gefühle wieder an die Oberfläche kamen. Sie waren direkt mit dem Dialekt verknüpft. Darüber hinaus regte mich mittlerweile der Tonfall auf: alles klang, als sei es vorwurfsvoll gemeint.
Dennoch konnte ich nicht immer verhindern, Badisch zu sprechen. Wenn ich mich besonders geborgen fühlte, wehrte ich mich nicht dagegen, wenn mir das erste ‘Sch’ zu entweichen drohte, und ich ließ weitere zu. Das kam selten vor. Meist, wenn ich mich mit meiner Schulfreundin traf und während ein zwei Weihnachtsfeiern mit der Familie. Dann hörte ich mir erst einmal eine ganze Weile irritiert zu, denn es war, als spräche eine Fremde mit meiner Stimme, und die Phasen, in denen sich das alles gut anfühlte, waren immer nur sehr kurz.
Keene Schrippen
Seit sechs Jahren wohne ich in Berlin. Hier treffe ich täglich auf viele unterschiedliche Menschen. Die meisten kommen nicht von hier, wenige sprechen den hiesigen Dialekt und ich kann ihn deshalb bis heute noch nicht einmal nachmachen. Ab und zu rutscht mir ein “Ick” raus, doch mir ist gar nicht so recht klar, wo es herkommt. Vielleicht ist es nur meine Form zu zeigen, dass ich hier lebe. Eine Art Berlin-Anstecker. Während ich damals in Köln ganz schnell anfing, “Tschö” zu sagen, wenn ich ein Geschäft verließ oder Menschen verabschiedete, habe ich in den letzten sechs Jahren vielleicht drei Mal “Tschüssi” gesagt und es hat mich dabei jedes Mal innerlich geschüttelt – obwohl ich den Berliner Dialekt mag. Ich will nur nicht so zur Berlinerin werden wie ich damals Rheinländerin werden wollte und ich brauche wohl keinen identitätsstiftenden neuen Dialekt mehr, um zu wachsen. Ich habe auch noch nie “Schrippen” gekauft.
Hebe un lupfe
Vor kurzem besuchte ich Freiburg für eine Familienfeier. Ich traf dort auch auf Nachbarn, die ich seit 25 Jahren nicht mehr gesehen habe. Meist waren sie so alt wie mein Vater, aber unter ihnen waren auch ehemalige Jungs in meinem Alter, sowie die Eltern eines Mädchens, mit dem ich mit elf befreundet war. Ich war darauf nicht vorbereitet und es fühlte sich im ersten Moment noch anstrengender an, als ich mir ein Klassentreffen vorstelle.
Ein paar Stunden später saßen wir noch in einer kleinen Runde zusammen und bis auf eine Person am Tisch sprachen und verstanden alle Badisch. Wir waren dazu übergangen, der Person bestimmte Wendungen und Begriffe synchron zu übersetzen oder zu erklären. Zum ersten Mal fiel mir auf, wie viele es davon gab, und wie schwer sie für Außenstehende zu verstehen waren.
Es lag bestimmt am Wein, daran, dass das Zusammentreffen mit den Menschen von früher doch gar nicht anstrengend war, und dass es mich auf einmal total entspannte, so zu sprechen, wie ich es als kleines Kind gelernt hatte und es immerhin zwei Jahrzehnte lang tat. Mir fiel auf, dass es Dinge gibt, die nur in meinem Dialekt genau so auszudrücken sind und ich vermisste diese vielen Formulierungen auf einmal sehr. Das Gefühl kannte ich sonst nur von kölschen Ausdrücken und wenngleich mir diese akustisch besser gefallen, habe ich sie mir als Erwachsene bewusst angeeignet und sie können niemals dieses urvertraute Gefühl in mir auslösen, dem ich mich so viele Jahre verweigert habe.
Ancora di più
Es fällt mir schwer, hier in Berlin Badisch zu sprechen. Ich habe es ab und zu mit einem ehemaligen Arbeitskollegen versucht, der ebenfalls aus Freiburg kam, doch es war nicht echt, klang bei mir vielmehr wie eine Karikatur. Aber ich glaube, ich kann meine badische Persönlichkeit bei meinen zukünftigen Freiburg-Besuchen nun zulassen, ohne mich zu sehr in der Vergangenheit zu verstricken. Ich hoffe, das ist dann einfach vielmehr so, wie bei meiner anderen Sprach-Persönlichkeit, die ich noch in mir trage: Nach dem Abitur war ich als Au-Pair in Rom und habe Italienisch deshalb anders gelernt als die Sprachen in der Schule. Ich mache zwar viele Grammatikfehler, aber ich spreche wie viele Menschen in Italien: ich bin sehr laut, sehr selbstbewusst und gestikuliere in einem sehr, sehr großen Ausmaß. Mir wurde das erst bewusst, als ich während der Zeit als Au-Pair an Weihnachten nach Hause fuhr und dort in Anwesenheit meiner Mutter und einer Freundin mit der italienischen Familie telefonierte. Die beiden starrten mich mit großen Augen an und machten mich anschließend auf den enormen Unterschied aufmerksam. Ich bin leider viel zu selten diese Italienerin.
Weil ich amerikanische und englische Serien seit einiger Zeit im Original gucke, gibt es noch einen kleinen Sprachjoker, den ich in mir trage: Je nach dem, was ich gerade schaue, kann ich mich bei Bedarf hinter unterschiedlichen Charakterfärbungen verstecken. Im Sommer schaute ich gerade Dexter und hatte eine oberflächliche Verabredung, bei der Englisch gesprochen werden musste. Ich hörte mir dabei zu, wie ich zur Serienfigur Debra Morgan wurde und fand es angenehm, einfach mal eine vermeintlich andere sein zu können.
All diese „Sprachidentitäten“ wohnen in mir, ergeben erst in ihrer Gesamtheit, die, die ich bin. Lange habe ich nicht verstanden, dass ich gar keine Entweder-Oder-Entscheidungen treffen zu habe. Nun träume ich nur noch davon, einmal für längere Zeit in den USA oder England zu leben, so dass ich keine Serienfigur mehr imitieren muss, sondern meine eigene Englisch sprechende Identität habe. And it will be amazing.
Wie du mir aus dem Herzen geschrieben hast. Ich kenne das so gut, dieses „switchen“! Je nachdem welchen Dozenten ich in Englisch an der Uni hatte, war ich im British oder im American English! Hawa, a freid wars, des hier zum lesen, Schätzle!
Nur so aus Prinzip, weil ich aus der Ecke komme: In Freiburg spricht man allemanisch (ok eher bobbele-allemanisch) badisch ist dieses Merkwürdige Zeug was man in Karlsruhe spricht. ABer ja das mit unterschiedliche Dialekte kenne ich auch, vor allem auch das mit unterschiedliche Dialekte übernehmen.
Nur so aus Prinzip, weil ich finde, dass diese Differenzierung für den Text und Menschen, die nicht aus der Region sind, völlig irrelevant ist: Es ist völlig legitim, auch den Dialekt, der in Freiburg gesprochen wird, als Badisch zu bezeichnen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Badische_Dialekte
naja, Karlsruhe – ein Rhein-fränkischer Dialekt, Südbaden – alemannisch.
ich finde es irritierend, wenn ehemalige politische Kategorien für sprachliches heran gezogen werden.
Das mit den politischen Kategorien und dem Sprachlichen finde ich jetzt schon ein wenig irritierend. Sprechen denn z.B. die Menschen in Sachsen nicht sächsich? Und in Bayern bairisch? Alles „politische“ Kategorien. Dass sich an der Bezeichnung hier so aufgehangen wird, finde ich wirklich seltsam. Ich habe mehr als zwei Jahrzehnte in Südbaden gewohnt, und da war es völlig normal, von sich zu sagen, man spreche badisch. (Ja, manche sagten auch, sie sprächen allemannisch.) Aber es ist natürlich dufte, wenn mir Menschen im Internet meine Sozialisation neu erklären wollen..
Meine Dialektgeschichte ist auch kompliziert, aber vielleicht nicht so spannend wie deine: Aufgewachsen im Ruhrpott, Mutter aus Niederbayern. Sowohl Ruhrdeutsch als auch Niederbayrisch klingen fuer mich angenehm, ich kann sie auch beide ganz gut imitieren wenn ich will, aber eigentlich habe ich gar keinen Dialekt selbst. Hab in Hamburg und Bremen etwas norddeutsch aufgenommen, in Muenchen kaum Muenchnerisch (da war ich Hochdeutsch oder Niederbayer, nix dazwischen) und in Berlin dann noch etwas Berlinert, aber richtig geblieben ist nichts. Eine eigene Identitaet habe ich ausser im Deutsch nur im Englischen: Da klinge ich wie ein Amerikaner (den Akzent hab ich aus einer Beziehung und einem Auslandsaufenthalt, und der geht auch nicht mehr weg), habe aber in Singapur ind jetzt in London einige Ausdruecke uebernommen und die verseltsamen meinen Akzent.
Ich hab mal gehoert (genaugenommen von Stephen Fry, und dem glaube ich alles) dass der Akzent den man hat sich mit 17-19 setzt. Somit hatte ich Glueck dass mein Englisch noch wandelbar war (auch betrunken/muede bin ich noch Amerikaner) denn inzwischen aendert sich nichts mehr. Seit 2 Jahren bin ich in London und ausser ein Paar Vokabeln klinge ich immer noch nach US-Ostkueste.
Danke dafuer. Nur eins: England != Grossbritannien; und auch da kann die Breite der Dialekte verwirren und/oder Halt geben.
Ich recherchiere gerade für ein ganz besonderes Interview und bin durch Zufall auf Deinen Artikel gestoßen. Ich bin wahrscheinlich noch ein Stück südlicher als Du, am Hochrhein aufgewachsen, und vor 14 Jahren hat es mich in die Pfalz verschlagen ;)