Mehr ist mehr

Foto , CC BY 2.0 , by Alan Light

Wenn du dich im Berliner Admiralspalast wiederfindest, wie du mit einem Wildfremden im feinen Zwirn um die Armlehne rangelst und vor dir Rosa von Praunheim mit einem Spitzhut sitzt, der dir die Sicht blockiert, gibt es zwei Möglichkeiten. Die eine ist, dass du träumst, betrunken zu sein. Die andere ist, dass du betrunken bist und Gast der Vorpremiere von “Behind the Candelabra”, dem Liberace-Biopic von Steven Soderberg. Das ist seit Anfang des Monats eine Lektion, die ich vom Leben gelernt habe.

 

 

 Den meisten Menschen in deutschsprachigen Gefilden unter 30 dürfte Liberace kein großer Begriff sein. Ich stieß das erste Mal in der Twitter-Biographie von @ankegroener auf ihn: “I cried all the way to the bank” stand da. Als ich den italienisch klingenden Namen googelte und auf “Bilder” klickte, verstand ich, warum.

Aus Prinzip Bling-Bling

Streng genommen war Władzio Valentino Liberace, wie er mit bürgerlichem Namen hieß, ein Pianist. Aus etwas größerem Abstand betrachtet war Liberace der Inbegriff des Too Much, eine verzuckerte Discokugel des Kitsches, eine strassgewordene, diamanten- und pelzbehangene Glitterbombe hinter einem Flügel. Liberace war mitnichten der beste Pianist der Welt, aber er war wohl der auffälligste und strahlendste Interpret eingängiger klassischer Musik. Wie ernst er seinen Ausspruch  “Zu viel des Guten ist wunderbar!” nahm, zeigt der Film, der in all seiner Ausstattungspracht nur wiedergibt, was das menschliche Gesamtkunstwerk aus Pomp tatsächlich lebte. Da fährt der Künstler mit einem Rolls Royce auf die Bühne – pardon, wird gefahren, von seinem Chauffeur und Liebhaber Scott Thorson, der nicht nur die Uniform, sondern auch das Gesicht nach den Vorstellungen seines Arbeitgebers gestaltet bekommen hat. Da schreitet der Pianist in einem Pelzmantel mit meterlanger Schleppe auf die Bühne – natürlich muss Scott dafür sorgen, dass die Pracht auch richtig liegt – um sich an ein mit Strass und Spiegeln verziertes Klavier zu setzen. Da führt er durch ein Haus mit Wandmalereien, die an die sixtinische Kapelle erinnern sollen, und so echt wirken, wie es die Las Vegas-Version des Eiffelturms tut. Seine Kleidung, seine Klaviere, seine Shows, sein Haus: Alles sieht aus wie das Leben eines Menschen, der den Gelsenkirchener Barock schätzt und zu Geld gekommen ist.

Paare am Rande des Nervenzusammenbruchs

 Dabei nicht zu vergessen ist die Menge an Geld, an die er gekommen ist. Liberace war einer der bestverdienenden Entertainer seiner Zeit mit ausverkauften Shows in Vegas bis in die frühen 1980er, Jahrzehnte nach dem Gipfel seines Erfolgs in den späten Fünfzigern, in denen zu seinen Tourneen Auftritte in TV-Shows und Filmen kamen. Doch der Pomp und zur Groteske verrutschte Glamour seiner Auftritte ist nur eine Seite von Soderberghs Film. Wahres Zentrum der Geschichte ist die Beziehung des Künstlers zu seinem Chauffeur Scott, die Liebe, die sie trägt, und die nicht hält, weil Walter – so wird Liberace von seiner Mutter genannt – irgendwann andere junge Männer schöner findet und weil Scott das Leben als heimlicher Freund eines Mannes, der bis zu seinem Tod jeden verklagte, der ihn öffentlich als schwul bezeichnete, nur mit Pillen und Koks erträgt.

Die Tragik unter dem Kitsch

 Was Soderbergh gelingt, ist, nicht nur den alternden Hollywood-Star Michael Douglas mit einem Casting gegen seinen Typ als Haudegen und Frauenschwarm komödiantisch und warm glänzen zu lassen, wie es dem Darsteller zuletzt nur in „Wonder Boys“ gelang, wo er einen zerzausten, von Liebeswirren umtobten Literaturprofessor spielte. Er schafft es auch, mit einem Thema, das nur nach Persiflage und Komödie schreit, eine ernsthafte, tragische Liebesgeschichte zu erzählen, die ihre Protagonisten in all ihrer lachhaften Staffage nie verrät und das Werden und Vergehen einer Beziehung ernsthaft darstellt, bei der die Umstände zum Gegenteil einladen.

So atmet das Publikum scharf ein und kichert unwillkürlich, wenn der zur Unkenntlichkeit operierte Chirurg Jack Startz, gespielt von Rob Lowe (oder Sam Seaborn, wie wir „West Wing“-Afficionados ihn nennen) von Liberace Aufträge für Scotts (gespielt von Matt Damon) neues Gesicht entgegen nimmt. Aber es transportiert sich in aller Abgehobenheit der Umgebung die Verletzlichkeit dieser Beziehung, Scotts Abhängigkeit vom wohlhabenden, älteren Partner und sein Selbsthass dafür; der Seiltanz der beiden durch Walters Angst vor Entdeckung seiner Homosexualität in der Öffentlichkeit; Die Gier nach einem anderen Leben und das Aneinanderhängen, das bis zum Tod Walters reicht, Jahre, nachdem er den süchtigen Scott verlassen und aus seinem Leben geworfen hat. “Ich bin frei” sagt Walter irgendwann als seine Mutter stirbt und der Zuschauer das erste Mal einen Liberace sieht, der ein Stück seiner Angst verliert, von denen, die er liebt, für das gehasst zu werden, was er ist.

Hollywoods Angst, Deutschlands Fragen

 Umso unangenehmer wirkte die Frage, die Michael Douglas bei der Berliner Premiere des Films gestellt wurde: Ob es schwierig gewesen sei, einen Mann zu küssen? Mal davon abgesehen, dass man genauso gut fragen könne, ob es schwierig sei, jeden anderen Menschen außer den eigenen Partner vor einer Kamera zu küssen (was man mit Schauspielerinnen und Schauspielerinnen deswegen nicht macht, weil unter anderem genau das ihr Beruf ist), zeugt diese Frage von einer Heteronormativität, die der Film selbst längst abgelegt hat. Nichts wäre leichter, als Walter und Scott der glitzernden „Schwuchtellächerlichkeit“ preiszugeben. Nichts dergleichen findet im Film statt.

„Liberace – Behind the Candelabra“ startet am 3. Oktober in den deutschen Kinos. In den USA lief er nur im Fernsehen, da sich aufgrund des Gegenstands keine Kinofilmproduzenten finden ließ, der das unternehmerische Risiko tragen wollte, Michael Douglas und Matt Damon als Paar mit – oh Schockschwerenot – schwulem Sex zu zeigen. Das brachte Michael Douglas vielleicht um den Oscar, die Welt bringt es um die Gelegenheit, Walter posthum zu zeigen, dass es nichts gab, dessen er sich hätte schämen müssen. Außer vielleicht der Liebe zum Echtpelz.

Eine Antwort zu “Mehr ist mehr”

  1. die_krabbe sagt:

    Ja, der ist toll. Wird von der herausragenden Ausstattung, MakeUp und den beiden Hauptfiguren getragen. Der dritte Akt ist etwas langweilig.