So kann das nicht bleiben – zur Reform des Sexualstrafrechts

Foto , CC BY-NC-SA 2.0 , by Urban Explorer Hamburg

Triggerwarnung: Beschreibung sexualisierter Gewalt, u.a. gegen Kinder

Wir haben ein Problem. Wer in Deutschland vergewaltigt wird, muss damit rechnen, dass eine Anzeige nichts bringt. Zum Beispiel wenn die Strafverfolgung mit einem Einstellungsbescheid endet, ehe sie richtig angefangen hat. Oder sogar schadet. Weil man von Polizei und Justiz nicht ernst genommen oder in der Beweisaufnahme behandelt wird, als sei man selbst Angeklagt_e statt Geschädigt_e. Weil man wieder und wieder durch alle Details der Vergewaltigung gehen muss, um zu beweisen, dass man sich ausreichend gewehrt hat.

2012 wurden von allen angezeigten Vergewaltigungen nur 8,4 Prozent der Täter_innen verurteilt. Die Falschbeschuldigungsquote liegt bei etwa 5 Prozent. Und der Rest der angezeigten Fälle, immerhin über 80 Prozent der Verfahren, können wegen Geringfügigkeit, gegen Auflagen oder weil kein hinreichender Tatbestand besteht eingestellt werden oder nach Beginn eines Strafverfahrens auch mit einem Freispruch aus Mangel an Beweisen enden. 85-95 Prozent aller Menschen, die vergewaltigt wurden, zeigen übrigens gar nicht erst an (Quelle für die Zahlen). Was persönliche Beweggründe dafür sein können, nicht anzuzeigen, haben Menschen 2012 unter #ichhabnichtangezeigt geteilt.

Aber warum konkret werden Verfahren vorher eingestellt? Und warum gibt es so oft keine Verurteilungen? Die Verurteilungsquote bei Vergewaltigung ist, mit Blick auf vergleichbare Straftaten wie Körperverletzung, ja bemerkenswert gering. Das hat auch viel damit zu tun, wie das Gesetz, das Vergewaltigung unter Strafe stellt, gebaut ist. § 177 des Strafgesetzbuches (im 13. Abschnitt, der seit 1973 “Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung” heißt) sieht nämlich vor, dass sich der Vergewaltigung oder sexuellen Nötigung strafbar macht, “(1) Wer eine andere Person

1. mit Gewalt,
2. durch Drohung mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder
3. unter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwirkung des Täters schutzlos ausgeliefert ist,

nötigt, sexuelle Handlungen des Täters oder eines Dritten an sich zu dulden oder an dem Täter oder einem Dritten vorzunehmen”. Als besonders schwerer Fall der Nötigung gilt die Vergewaltigung mit Penetration.

Das Problem ist, wie Vergewaltigung und sexuelle Nötigung an dieser Stelle definiert sind, und wie eng dieses Gesetz in der (höchstrichterlichen) Rechtssprechung ausgelegt wird. Damit Vergewaltigung (in § 177 Abs. 2 StGB legaldefiniert als besonders erniedrigende sexuelle Handlung, die mit dem Eindringen in den Körper verbunden ist) strafbar ist, muss also

1. der Widerstand des Opfers mit körperlicher Gewalt gebrochen werden, oder
2. eine Drohung ausgesprochen werden, die im direkten Zusammenhang mit der Tat steht und eine objektive Gefahr für das Leben des Opfers darstellt (strafbar wäre: “Ich werde dich töten, wenn du nicht mit mir schläfst”, nicht strafbar aktuell: “Wenn du nicht mit mir schläfst, werde ich deinen Hund töten”), oder
3. muss das Opfer sich in einer schutzlosen Lage gegenüber potentiellen Handlungen befinden, durch die ein_e Täter_in sexuelle Handlungen erzwingen kann.

Das Gesetz versagt

Der letzte Teil wurde 1997 als Auffangtatbestand eingeführt, um der Situation gerecht zu werden, dass viele Betroffene in eine Schockstarre fallen, statt sich zu wehren, oder körperliche Gegenwehr als von Anfang an aussichtslos erachten. Das hat sich in der Praxis aber überhaupt nicht bewährt. Vor Gericht muss stattdessen nachgewiesen werden, dass es sich dabei um eine _objektiv_ schutzlose Lage handelt. Das heißt, es reicht nicht, dass Betroffene sich schutzlos fühlen, sie müssten erst alle Flucht- und Hilfemöglichkeiten überprüft und ausgeschöpft haben.

Ein gravierendes Beispiel dafür ist das Urteil, nachdem eine 10 Jährige, deren Mutter nicht anwesend war, gegenüber ihrem Adoptivvater nicht in einer schutzlosen Lage gewesen sei, weil sich sein 7 Jahre alter Sohn ebenfalls in der Wohnung befand. Dabei ist unstrittig, dass die Handlung begangen wurde. Es geht um die Frage, ob es sich um eine tatbestandsmäßige Vergewaltigung oder Nötigung nach § 177 mit entsprechend höherem Strafmaß handelt.

Aber auch sich alleine mit einem_einer Täter_in in einer Wohnung zu befinden reicht nicht aus, damit eine erzwungene sexuelle Handlung automatisch den Strafbestand einer Vergewaltigung oder Nötigung erfüllt. Die Wohnung muss entlegen und Fluchtmöglichkeiten ausgeschlossen sein, damit eine schutzlose Lage in Frage kommen kann.

Das ist nur eine der Schutzlücken, die sich aus dem aktuellen Gesetz ergeben, und die dazu führen, dass viele Vergewaltigungen in Deutschland nicht in die Strafbarkeit fallen.

Ich definiere übrigens, wenn ich von Vergewaltigung spreche, sie an dieser Stelle nicht im aktuellen (deutschen) juristischen Sinn, sondern ganz grundsätzlich als nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr. Juristisch ist Vergewaltigung so definiert, dass sie zusätzlicher körperlicher Gewalt bedarf, um Straftatbestand zu erreichen. Obwohl der Vergewaltigung die Gewalt ja schon inhärent ist. Nicht weil Geschlechtsverkehr an sich Gewalt ist, sondern weil der Grenzüberschritt, die Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und die Machtausübung im nicht einvernehmlichen Geschlechtsverkehr Gewalt ist, und verletzt.

Konvention für Konsens

Seit 2011 ist ein neuer Player in Sachen Sexualstrafrecht am Start, die sogenannte Istanbulkonvention. Sie heißt auch “Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt”, und stellt die Vergewaltigungs-Definition des deutschen Strafgesetzbuches infrage. Die Konvention sieht vor, dass die Vertragspartner nach Artikel 36 “alle nichteinvernehmlichen sexuellen Handlungen” unter Strafe stellen, auch bei Fällen, in denen keine Gegenwehr erfolgt.

Deutschland hat sie unterzeichnet, aber seitdem nicht ratifiziert, also umgesetzt. Länder wie England/Wales haben bereits ein Strafrecht, in dem nicht die Frage, ob und wie sich jemand wehrt, im Vordergrund steht, sondern, ob jemand in sexuelle Handlungen einwilligt oder nicht. Seit der Istanbulkonvention ist klar: Eine Reform des deutschen Sexualstrafrechts ist allein notwendig, um internationalen Vertragsverpflichtungen nachzukommen.

Nach der Unterzeichnung der Konvention geschah aber bisher nichts dergleichen. Dann, im Sommer 2015 wurde vom Bundesjustizministerium der Referentenentwurf für eine Reform des §177 vorgelegt. Der blieb lange liegen, sehr wahrscheinlich, weil er vom Bundeskanzleramt blockiert wurde. Diese Blockade endete im Dezember 2015, warum genau ist nicht leicht nachzuverfolgen.*

Silvester 2015/2016, Köln

Klar ist aber, dass die Debatte um den Entwurf vor allem durch die Übergriffe an Silvester Fahrt aufnahm und sexualisierte Gewalt plötzlich zu einem Problem von öffentlichem Interesse wurde. Auf die große Bestürzung über alle Straftaten, die von der Silvesternacht auf der Kölner Domplatte geschildert wurden, folgte die Bestürzung, dass die allermeisten Formen von sexualisierter Gewalt, die dort verübt wurden, im Vergleich zu den Diebstählen, die gleichzeitig begangen wurden, keine Straftaten sein sollten. Zwar überschreitet zum Beispiel das Eindringen mit dem Finger in den Körper von Betroffenen, im Gegensatz zu Berührungen an Brust und Po, eine Erheblichkeitsgrenze, aber das ist eben nicht grundsätzlich strafbar, sondern es muss im Einzelfall geklärt werden, inwieweit das Opfer Widerstand leistete und dieser gebrochen wurde, damit es strafrechtlich als Nötigung gilt. Sexuelle Belästigung an sich ist in Deutschland nur nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, also nur am Arbeitsplatz strafbar.

Es wurden sogar von CDU/CSU-Seite Rufe laut, dass endlich auch in Deutschland bei sexuellen Übergriffen “Nein heißt Nein” gelten soll. Dass dieser Vorstoß mutmaßlich weniger mit dem Respekt vor der sexuellen Selbstbestimmung von Frauen zu tun hat, sondern damit, wem die Taten zugeschrieben wurden, und dem rassistischen Bedürfnis, vermeintlich deutsche, weiße Frauen vor “Fremden” zu schützen, das zeigt sich allein schon daran, wie schnell die Asylgesetze nach Köln verschärft wurden.

Und trotzdem. Der Referentenentwurf zu §177 ist wieder im Spiel und im Gesetzgebungsverfahren. Und wir müssen darüber reden, warum dieser Entwurf nicht nur nicht ausreicht, sondern, wenn er so durchgeht, nicht nützt oder sogar schadet.

Was steht im Entwurf eigentlich drin?

Der Entwurf will alle “relevanten Schutzlücken” schließen (ergo: nicht alle existierenden) und dabei vor allem das Problem angehen, dass es einen Widerspruch gibt zwischen den Tatbestandsalternativen der Nötigung und dem Ausnutzen einer schutzlosen Lage, die in der Regel nicht erfordert, dass Widerstand mit Gewalt gebrochen wird.

Der neue Gesetzesentwurf will das „Ausnutzen der schutzlosen Lage“ in § 179 des Strafgesetzbuchs statt § 177 verlegen. Dann geht es dabei aber um sexuellen Missbrauch, und nicht mehr um Vergewaltigung.

Außerdem werden mehrere Fallkonstellationen aufgeführt, die aktuell nicht nach § 177 bestraft werden, und nun in § 179 explizit erwähnt werden sollen. Aber auch damit werden nicht alle Lücken geschlossen und bleibt viel unklar. Neu hätte § 179 den Titel ”Sexueller Missbrauch unter Ausnutzung besonderer Umstände” und würde so aussehen:

„(1) Wer unter Ausnutzung einer Lage, in der eine andere Person
1. aufgrund ihres körperlichen oder psychischen Zustands zum Widerstand unfähig ist,
2. aufgrund der überraschenden Begehung der Tat zum Widerstand unfähig ist oder
3. im Fall ihres Widerstandes ein empfindliches Übel befürchtet,
sexuelle Handlungen an dieser Person vornimmt oder an sich von dieser Person vornehmen lässt, wird mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen der Nummern 2 und 3 mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.“

Jeder dieser neuen “besonderen Umstände” hat seine Tücken. Und die sind teils so arg, dass sich die Frage stellt, inwieweit der Vorschlag seinem Ziel gerecht wird, Lücken im Strafrecht zu schließen. Der Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff) führt in seiner Stellungnahme vom Februar 2016 an einigen Fallkonstellationen aus, wo auch nach dem neuen Entwurf erhebliche Strafbarkeitslücken bestünden.

Zum Beispiel weil nach dem Neuentwurf bei § 179 (1) 1. Fälle nicht erfasst werden, bei denen Betroffene nur eingeschränkt widerstandsunfähig sind:

“Die stark sehbehinderte Person B. befindet sich mit A. in dessen Wohnung. Sie hat sich freiwillig in die Wohnung begeben und ist grundsätzlich in der Lage, den Weg aus der Wohnung heraus mit Hilfe ihres Blindenstockes zu finden. A. möchte sexuelle Handlungen mit B. haben, was B. strikt ablehnt. Dies erkennt A. beginnt aber dennoch mit sexuellen Handlungen. B. wehrt sich nicht, weil sie eine diffuse Angst hat, dass sie nicht schnell genug die Wohnung verlassen können wird und nicht weiß, wie A. reagieren wird. Sie hat aufgrund ihrer Sehbehinderung gelernt, sich nicht körperlich zu verteidigen, da sie bei einem Kampf mit einer sehenden Person unterlegen ist. A. hatte zu keinem Zeitpunkt vor, Gewalt anzuwenden und ist auch nicht davon ausgegangen, dass B. dies befürchtete, es war ihm einfach egal, ob sie Sex mit ihm haben wollte oder nicht.”

Nach § 179 (1) 2. wird außerdem strafbar, wenn ein_ e Täter_in ausnutzt, dass ein Opfer nicht mit der sexuellen Handlung rechnet, davon überrascht wird und sich deshalb nicht wehrt, um die Taten zu verhindern. Probleme tauchen hier auf, wenn ein_e Täter_in erst eine nicht erhebliche sexuelle Handlung am Opfer begeht, Brust und Po streichelt z.B., was aktuell grundsätzlich nicht strafbar ist, und erst danach zu erheblichen Handlungen übergeht, von denen ein Opfer dann mutmaßlich nicht mehr überrascht ist.

Außerdem stellt sich die Frage, inwieweit in der Rechtssprechung eine Überraschung geltend gemacht werden kann, wenn das Opfer z.B. an einem Ort angegriffen wird, an dem es häufiger zu Übergriffen kam/sie als wahrscheinlich gelten, oder mit Täter_innen nach Hause geht, oder, sagen wir, in eine bestimmten sexuellen Handlung einwilligt, aber währenddessen von einer anderen sexuellen Handlung überrumpelt wird – all diese Fälle, auf die die Victim-Blaming-Klassiker à la “Was hast du erwartet? Damit muss du rechnen, wenn du x machst” angewandt werden. Und was ist eigentlich, wenn Menschen aufgrund vorangegangener Gewalterfahrungen immer auf der Hut sind – können sie noch im Sinne des Gesetzes “überrascht” werden?

Der dritte besondere Umstand nach § 179, die subjektive Furcht vor einem empfindlichen Übel bei Widerstand, macht es möglich, Vergewaltigung in einem Klima der Gewalt zu ahnden, wenngleich nicht als Vergewaltigung sondern als sexuellen Missbrauch. Also in Beziehungen, in denen Person A Person B regelmäßig schlägt, aber im konkreten Tatzusammenhang nicht mit Gewalt droht. Empfindliche Übel, das können auch Dinge sein wie eine Abschiebung, eine Kündigung oder Gewalt gegen nahestehende Personen oder Haustiere. Problematisch an diesem Punkt ist, dass ein_e Täter_in bei der Tat die Furcht vor dem entsprechenden Übel ausnutzen muss, also wissen, dass ein Opfer dieses Übel fürchtet. Das ist schwerer vor Gericht nachzuweisen als die Frage nach der Einvernehmlichkeit. Der bff führt aus:

“[D]ie Regelung setzt voraus, dass der Grund für die fehlende Gegenwehr sowohl dem Opfer als auch dem Angreifer in der Situation bewusst ist. Ein Täter, dem es grundsätzlich egal ist, was Frauen denken oder befürchten, kommt bezüglich dieser Regelung grundsätzlich straffrei davon.”

Was sexuelle Selbstbestimmung und Eigentum
(nicht) miteinander gemein haben

Weiterhin nicht strafbar wäre auch nach diesem Entwurf, wenn Betroffene sich nicht wehren, weil sie sich gegenüber Täter_innen körperlich unterlegen fühlen, körperlichen Widerstand deshalb für aussichtlos halten, und zum Beispiel ihr Nichteinvernehmen durch Nein-Sagen, Kopfschütteln oder Weinen vermitteln, und hoffen, dass die sexuelle Handlung schnell vorbei ist, sie aber nicht in einem oben genannten Sinn widerstandsunfähig sind. Oder sie, ohne Angst vor einem empfindlichen Übel, im Schock erstarren.

Wenn der Entwurf so durchgeht, werden einige Betroffene mehr die Chance haben wahrscheinlich erfolgreich anzuzeigen. Das ist an sich gut. Aber, nicht dass es da zu einem Missverständnis kommt: nach § 179 strafbare Fälle wären auch nach neuer Rechtslage keine Vergewaltigung nach § 177 und könnten somit auch zu keiner solchen Verurteilung führen. Dessen enge Auslegung wird durch den Entwurf nur verfestigt. Auch ist nicht unwichtig, dass das Strafmaß bei § 179 niedriger ist als bei § 177.

Und das Grundproblem bleibt auch bei einem veränderten § 179 bestehen: Noch immer wird davon ausgegangen, dass Betroffene sich im Normalfall wehren, dass, wenn sie sich nicht wehren, grundsätzlich davon auszugehen ist, dass sie die sexuelle Handlung wollen oder zumindest dulden wollen, bzw. unerheblich ist, was sie wirklich _wollen_ oder welche inneren Vorbehalte bestehen. Nur für bestimmte Fälle werden Ausnahmen in § 179 ausgeweitet, nach denen man widerstandsunfähig sein muss, um sich nicht wehren zu müssen (weil man eben nicht “kann”).

Noch immer ist auch nach dem neuen Entwurf eben nicht vom Einvernehmen abhängig, ob eine sexuelle Handlung strafbar ist, sondern vom Verhalten der Opfer, also ob und wie sie sich wehren, bzw. warum sie nicht in der Lage dazu sind. Die Fallkonstellation der schutzlosen Lage in den § 179 herüberzuschieben ändert an diesem Prinzip nichts, sondern verstärkt es nur.

Sexuelle Selbstbestimmung und Eigentum sind beides Schutzgüter, deren Verletzung das Strafrecht ahndet. Aber anders als bei der sexuellen Selbstbestimmung ist Gewalt bei Eigentumsverletzungen nicht Voraussetzung für die generelle Strafbarkeit, sondern hat eine “qualifizierende” Wirkung, erhöht also das Strafmaß. Warum kann das bei sexualisierter Gewalt nicht auch so funktionieren? Warum schützt der Staat Eigentum, aber setzt voraus, dass man das Schutzgut der sexuellen Selbstbestimmung aktiv, das heißt körperlich, selbst verteidigen muss?

Wenn mir mein Portemonnaie geklaut wird, ist es erst mal unerheblich, ob es auf dem Tisch lag und ich kurz (oder lang) nicht hinsah oder ob es mir aus der Hand gerissen wird und ich dabei hinfalle. Beides ist strafbar, weil mir mein Portemonnaie geklaut wurde, nicht weil ich mich auf die eine oder andere Art verhalte. Dass ich mein Eigentum behalten will, davon wird automatisch ausgegangen. Also, warum wird bei meiner sexuellen Selbstbestimmung juristisch davon ausgegangen, dass ich auf sie verzichte?

Außerdem wird mit dem aktuellen Entwurf verkompliziert, was strafbar ist und was nicht. Das schafft im Zweifel weder Rechtssicherheit für Opfer, noch macht es, auch im Sinne der Abschreckung und Prävention gegenüber potentiellen Täter_innen deutlich, dass sie sich möglicherweise strafbar machen.

Die Lösung?

Was wir brauchen, ist eine grundlegende Reform des Sexualstrafrechts. Eine, die der Istanbul-Konvention gerecht wird. Aber nicht nur um der Konvention Willen. Sondern weil es gut und richtig ist, dass nicht mehr Gewalt und Widerstand für Strafbarkeit ausschlaggebend sind, sondern die Frage des Einvernehmens.

Wir brauchen eine grundlegende Reform, und damit einen Paradigmenwechsel, damit das Gesetz in der Gegenwart ankommt und nicht mehr mit (Vergewaltigungs-)Mythen aus der Vergangenheit wirkt. Mythen, wie die von der Frau, die “will”, wenn sie nichts oder nein sagt und nicht vergewaltigt werden kann, es sei denn vom “idealtypischen” Vergewaltiger, der im Dunkeln aus dem Hinterhalt angreift und mit Waffengewalt ihren Willen bricht. Laut bff finden zwei Drittel aller Vergewaltigungen “im sozialen Umfeld der betroffenen Mädchen und Frauen statt”.

Wir brauchen eine grundlegende Reform, weil sie Strafverfolgung und Rechtsprechung erleichtert, und Betroffenen in diesem Prozess wahrscheinlich weniger traumatisiert. Weil Betroffene, im Versuch zu beweisen, dass sie sich entsprechend gewehrt haben, oder warum nicht, sich nicht mehr wie Angeklagte fühlen oder so angesprochen werden sollen. Weil mit dieser Reform hoffentlich der Fokus im Verfahren auf das Verhalten von Täter_innen gerichtet ist.

Gründe, sich nicht zu wehren sind vielfältig und komplex. Die Frage des Einvernehmens ist vergleichsweise leicht zu beantworten.

Der Deutsche Juristinnenbund wirbt außerdem dafür, die Gelegenheit zu nutzen und den gesamten 13. Abschnitt des Strafgesetzbuches zu überarbeiten, weil darin durch viele einzelne Änderungen einiges widersprüchlich ist; der djb hat einen eigenen Reformentwurf entwickelt.

Paradigmenwechsel, jetzt!

Aber würde es nicht reichen sich jetzt erstmal mit der kleinen Gesetzänderung zufrieden zu geben, damit wenigstens die, deren Fallkonstellationen nach dem aktuellen Entwurf endlich strafbar wären, zu ihrem Recht kämen? Yes but no. Es reicht nicht. Denn wenn das Gesetz jetzt verändert wird, ist nicht damit zu rechnen, dass das es so schnell wieder angefasst und geändert wird. Dann gelten immer noch die gleichen Prinzipien von Widerstand, der gewaltsam gebrochen werden muss.

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel und wir brauchen ihn jetzt. Die letzte große Änderung ist von 1997. Können wir wirklich noch mal 20 Jahre warten?

Wir haben ein kurzes Zeitfenster, um das Ganze in die richtige Richtung zu bewegen. Das Gesetz ist noch nicht verabschiedet, jetzt ist die Zeit für Veränderungen. Diese Woche geht der Entwurf im Bundestag in die erste Lesung. Eine Reformkommision zur Überarbeitung des 13. Abschnitts des StGB soll zusätzlich zur Zeit prüfen, “ob ein neuer Grundtatbestand geschaffen werden sollte, bei dem die Strafbarkeit allein an dem Fehlen eines Einverständnisses mit der sexuellen Handlung anknüpft”. Das Problem ist nur, dass diese Legislaturperiode nicht mehr so lang andauert. Was wir jetzt vor allem brauchen, ist öffentlicher Druck.

Eine Möglichkeit, Druck zu machen , ist, Bundestagstagsabgeordneten zu schreiben (der Hinweis kommt von Bundestagsabgeordneten selbst), am besten denen aus eurem Wahlkreis (hier könnt ihr sie ganz leicht finden). Schreibt ihnen, entweder um sie zu überzeugen, sich für diese Sache einzusetzen, oder ihnen mit Briefen etwas in die Hand zu geben, das sie vorzeigen oder in der Hinterhand halten können, wenn sie versuchen, andere zu überzeugen. Oder “nur” als Erinnerung, dass es viele Leute gibt, denen dieses Thema wichtig ist. Geht in ihre Bürger_innensprechstunden. Geht ihnen auf auf den Keks. Da geht was.

Und ihr könnt mit anderen darüber sprechen, dass der aktuelle Entwurf eben nicht “Nein heißt Nein” bedeutet. Dass es aber ziemlich schön wäre, wenn er das bedeuten würde. Und dass es dafür allerhöchste Zeit ist.

*In einer früheren Version dieses Artikels wurde die Verbindung gemacht, dass der Entwurf des Justizministeriums wegen der Übergriffe von Köln endlich auf den Weg gebracht wurde. Das ist nicht der Fall. Wir bedauern den Fehler.

Zum Weiterlesen

Offener Brief des Bündnisses „Nein heißt nein“ (u.a. vom Frauenrat, djb, bff)
Warum die Reform des Sexualstrafrechts keine ist
Nein heißt Nein? Nicht bei sexualisierter Gewalt. Da muss ein Hintertürchen offen bleiben.
Reform des § 177 StGB? – Zur Vereinbarkeit des deutschen Sexualstrafrechts mit Art. 36 der „Istanbul-Konvention“
Stellungnahmen des Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe (bff)
„Was Ihnen widerfahren ist, ist in Deutschland nicht strafbar“ – Fallanalyse zu Schutzlücken im Sexualstrafrecht (bff)
Stellungnahme des Deutschen Juristinnenbundes (djb) vom Februar 2016
Stellungnahme zur grundsätzlichen Notwendigkeit einer Anpassung des Sexualstrafrechts (djb)

Alternativentwürfe

Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Gesetzentwurf der Fraktion DIE LINKE
Diskussionsentwurf für eine große Reform des Sexualstrafrechts (djb)

5 Antworten zu “So kann das nicht bleiben – zur Reform des Sexualstrafrechts”

  1. langziehohr sagt:

    Hab gleich mal meine E-Mail an Herrn Ströbele losgeschickt! o/

  2. Andrea sagt:

    Wenn ich die Fallbeispiele aus der Fallanalyse lese, dreht sich mir der Magen um … was muss in den Betroffenen vorgegangen sein, wen sie nach allem, was sie durchmachen mussten, diese Urteilsbegründungen vor den Latz geknallt bekamen? Wenn ihnen Schwarz auf Weiß von einem deutschen Gericht gesagt wird, dass es völlig egal ist, ob sie den Sex wollten oder nicht. Wenn eine Vergewaltigung, die die Betroffene womöglich jahre- oder sogar lebenslang traumatisiert, von einem Richter als „geschmacklos, aber nicht strafbar“ bezeichnet wird. Zum Kotzen.

    Morgen mach ich mich ans Briefschreiben.

  3. Mountain_of_Conflict sagt:

    Sehr guter Artikel und vielen Dank für die vielen Links.

  4. Justizia sagt:

    Folgendes ist juristisch unzutreffend:
    Natürlich kann nach § 179 – E-StGB wegen Vergewaltigung bestraft werden. § 179 Abs. 5 bleibt bestehen und ist (bis auf die Legaldefinition der Vergewaltigung) wortgleich zu § 177 Abs. 2 Nr. 1, dem sog. „Vergewaltigungsparagraphen“. Sowohl die sexuelle Nötigung nach § 177 als auch Handlungen nach § 179 werden also bei Vorliegen des sog. Regelbeispiel der Vergewaltigung stärker bestraft. (Mindesstrafe zwei Jahre)