„Ich war schon immer stolz darauf, eine Frau zu sein – heute mehr denn je.“ – Interview mit der Aktivistin Sally Zohney

Foto , © , by Ahmed Hayman

Die feministische Aktivistin Sally Zohney lebt in Kairo, hat sich mit anderen Aktivist_innen aus verschiedenen arabischen Ländern zusammengeschlossen und „The Uprising of Women in the Arab World“ („Der Aufstand der Frauen in der arabischen Welt“) gegründet. Die Gruppe nutzt Social Media in Verbindung mit Offline-Aktionen, um die revolutionären Ansätze des Arabischen Frühlings fortzuführen und darauf hinzuweisen, dass eine Revolution, die Frauenrechte nicht als Menschenrechte sieht, keine echte Revolution ist. Anne hat Sally letztes Jahr bei einer Veranstaltung kennengelernt und sie nun zu ihrer spannenden Arbeit auch für kleinerdrei interviewt.

kleinerdrei (Anne): Wie würdest du dich und deine Arbeit als Aktivistin beschreiben? Was sind deine Grundsätze und welche Methoden setzt du am liebsten ein, um sie zu umzusetzen?

Sally Zohney: Ich würde mich als Frauenrechtlerin und Aktivistin beschreiben. Ich glaube an Gleichberechtigung, Freiheit und dass alle Menschen ihre Bürger_innenrechte ausüben können sollen. Ich setze mich insbesondere für soziale Gerechtigkeit ein, da ich aus einer unterentwickelten Nation wie Äqypten komme, wo arme Menschen ausgegrenzt werden – erst recht wenn sie Frauen sind.

Am liebsten kämpfe ich dafür, öffentlichen Raum zu bekommen. Ich finde es sehr wichtig, öffentliche Dialoge und Debatten über die Bedürfnisse und Stimmen von Frauen zu führen und dass diese übersetzt werden – gerade weil Ägypten zur Zeit in einem wichtigen Wandlungsprozess steckt. Wenn Frauen jetzt von dieser neuen politischen und ökonomischen Macht ausgeschlossen werden, wäre das eine unvollständige Revolution.

kleinerdrei: Wann bist du Aktivistin geworden? Hast du aktivistische Vorbilder?

Sally Zohney: Das ist eine schwierige Frage. Während der Unizeit habe ich angefangen, mich für Frauenrechte einzusetzen und mit der Revolution kam auch mein Entschluss, mich mit diesen Themen nicht nur auf professioneller sondern auch auf persönlicher Ebene zu befassen. Obwohl ich mich schon immer für Frauen- und Menschenrechte eingesetzt habe, habe ich das vor der Revolution nicht auf die persönliche Ebene gezogen. Inspiriert wurde ich stets von Menschen aus meinem nahen Umfeld, die den Status Quo nicht einfach so hinnehmen, sondern hinterfragen und ihren eigenen Weg gehen.

Als großer Fan von äqyptischer und arabischer Geschichte war ich auch immer fasziniert von feministischen Ikonen wie Hoda Shaarawi, Safeya Saad Zaghlool und Nabaweya Moussa. Frauen, die für Millionen von Menschen den Weg ebneten und gegen männlich geprägte Traditionen und Brutalität Widerstand leisteten.

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Sally Zohney – Foto © Ahmed Hayman

kleinerdrei: Welche Rolle spielt das Internet für dich? Wie würde deine aktivistische Arbeit ohne Internet aussehen? Wärst du überhaupt Aktivistin?

Sally Zohney: Das Internet ist nur ein Werkzeug und nicht die Lösung für alles. Ein reiner Online-Protest mit 100.000 Teilnehmer_innen hat für meine Begriffe noch nicht genug erreicht und kann nicht als erfolgreich gewertet werden. Ohne das Netz wäre es aber natürlich weitaus aufwendiger, teurer und schwieriger Dinge zu organisieren. Aber ich habe das Gefühl, dass wir uns immer im Hinterkopf behalten müssen, dass wir die Welt nicht mit einem Mausklick oder einem Tastendruck verändern können. Wirkliche Veränderungen erreichen wir nur durch harte Arbeit direkt vor Ort.

kleinerdrei: Was sagst du zu der Studie, die das Leben von Frauen im arabischen Raum für Ägypten als am schlimmsten einstuft?

Sally Zohney: Ich finde es Quatsch, beste und schlimmste Orte festzulegen! Das Leben in Ägypten ist für Frauen natürlich noch an vielen Punkten schwer: das Rechtssystem ist sehr patriarchalisch, die öffentlichen Plätze sind männlich dominiert, sexuelle Gewalt ist ein großes Problem. Aber hier gehen auch Frauen in die Schule, haben Zugang zu Jobs und hohen Positionen sowie politischen Posten – auch wenn das noch nicht so oft der Fall ist, wie wir es gerne hätten. Es ist nicht wie im Sudan, wo Frauen im Namen des Anstand ausgepeitscht werden oder in Saudi-Arabien, wo Frauen nicht mal Auto fahren dürfen. Trotzdem: Eine Frau in Ägypten zu sein, ist immer noch schwer.

kleinerdrei: Wie steht es um den feministischen Aktivismus in Äqypten? Wie würdest du das zusammenfassen?

Sally Zohney: In Ägypten haben wir eine lange und umfassende Geschichte feministischer Bewegungen, die sich sowohl für staatliche Belange einsetzten als auch für Frauenrechte. Die gibt es seit dem 19. Jahrhundert, also sogar noch vor Hoda Shaarawi und ihrer Generation.

Während des Mubarak-Regimes war Feminismus für eine ganze Generation mit politischen Zielen verknüpft. Die feministischen Kreise waren auf elitäre, gut gebildete und international bekannte Personen der Öffentlichkeit beschränkt, die die ägyptischen Frauen repräsentieren sollten. Das spiegelte allerdings nicht das eigentliche Spektrum an Frauen wider, die aus verschiedenen sozialen Schichten und Kulturen aus ganz Äqypten stammen.

Seit der Revolution im Jahr 2011 hat das auch große Auswirkungen darauf gehabt, dass ein gewisser Straßenfeminismus auf der Bildfläche erschien. Eine neue Welle, die revolutionärer, jünger und weniger politisch ist. Diese Feminist_innen haben zum Ziel, die Forderungen an den Staat direkt mit Stimmen von Frauen zu verbinden und insbesondere Frauen sprechen zu lassen, die mit ihrem Äußerungen und Ansätzen näher am Volk sind, weil sie selbst daher kommen.

Deshalb denke ich, dass der Feminismus hier gerade stärker wird. Wir haben eine wachsende Generation an männlichen Feministen, etwas das uns ewig fehlte. Wir haben junge Feminist_innen, die mit den Stereotypen über Feminismus brechen und Frauenrechte ganz oben auf die nationale Agenda setzen wollen. In meinen Augen wächst Feminismus gerade auf bedeutsame Weise: mit zunehmendem Einfluss auf die Medien und Entscheidungsprozesse, sowie mehr Raum in der öffentlichen und virtuellen Welt. Trotzdem muss noch viel getan werden, um die Erfolge und Fortschritte für Frauenrechte auf politischer, sozialer und ökonomischer Ebene weiter auszubauen.

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Foto CC The Uprising of Women in the Arab World

Übersetzung: Ich mache beim Aufstand der Frauen in der arabischen Welt mit,
weil Diskriminierung aufgrund des Geschlechts aufhören muss!

kleinerdrei: Was bedeutet es für dich, Teile deiner Arbeit in Büchern und Ausstellungen zu sehen und dass sie in andere Sprachen übersetzt werden?

Sally Zohney: So viel habe ich noch gar nicht gesehen, aber es ist surreal. Ich lese Geschichtsbücher und Artikel aus dem frühen 20. Jahrhundert und ich frage mich, ob diese Frauen wussten, dass sie Geschichte schreiben. Teil einer Revolution zu sein ist für mich immer noch kaum zu fassen, ich frage mich täglich, ob wir wirklich schon viel erreicht haben, oder noch nicht. Ich war schon immer stolz darauf, eine Frau zu sein – heute mehr denn je.

kleinerdrei: Wie können internationale (feministische) Aktivist_innen deine Arbeit unterstützen?

Sally Zohney: Solidarität! Je mehr wir alle mit einer Stimme sprechen, in all unseren verschiedenen und vielfältigen Varianten, und dabei Kunst benutzen, Gespräche, Musik, Politik, Wissenschaft und Blogs, desto mehr werden wir Einfluss haben. Wir haben Glück, unsere Generation kennt keine Grenzen! Ich habe dich, auf einem internationalen Event getroffen und hatte gleich eine Verbindung gespürt, weil wir dieselben Bedürfnisse haben. Das ist wunderbar.

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Foto CC The Uprising of Women in the Arab World

Übersetzung: Ich mache beim Aufstand der Frauen in der arabischen Welt mit,
weil unsere Gesellschaft uns immer noch lehrt, nicht belästigt zu werden,
statt Männern beizubringen, dass sie uns nicht belästigen sollen!

kleinerdrei: Ein wichtiger Punkt für Aktivist_innen: Was gibt dir Energie, wenn es „einer von diesen Tagen“ ist? Wenn die Rückschläge so stark sind, dass du dich pessimistisch fragst, ob Wandel überhaupt möglich ist?

Sally Zohney: Meine Energie bekomme ich von denen, die mich umgeben; die mich kennen und an mich glauben. Es ist menschlich, zusammenzubrechen, aufzugeben und zu fallen, sich auf die Schultern derer zu stützen, die dir beistehen. Energie geben mir auch Fotos, die glückliche Erinnerungen tragen; das gemeinsame Lachen und meine Beziehung zu Familie und Freund_innen. Allein bin ich nichts.

kleinerdrei: Was war dein absolutes Lieblingsprojekt bisher?

Sally Zohney: Mein Lieblingsprojekt ist der weltweite Protest den wir bei „Uprising of Women in the Arab World“ organisiert haben, um Solidarität mit ägyptischen Frauen zu zeigen und sexualisierte Gewalt anzuprangern. Wir organisierten dieses Event, weil wir alle unglaublich wütend waren, was das unfassbare Ausmaß an Massenvergewaltigungen und Angriffe auf weibliche Prostestantinnen auf dem Tahir-Platz angeht, während Politik und Medien keinen Ton dazu sagten. Für den 12. Februar 2013 riefen wir dazu auf, weltweit Mahnwachen vor ägyptischen Botschaften zu organisieren. Das Ergebnis war überwältigend und hat unsere Vorstellungen weit übertroffen! Es wurden weltweit Protestaktionen organisiert: in den USA, Europa, Südafrika, Kanada, Mauretanien, Schweden – überall! Ich hatte keine Ahnung, dass es so viele Menschen berühren würde! Ich hatte keine Ahnung, dass Frauen aus Mauretanien uns in Äqypten unterstützen! Letztendlich gab es über 24 Stunden lang weltweit Events, die alle von Freiwilligen organisiert wurden und bei denen Menschen ihre Solidarität bekundeten. Das war sehr bedeutungsvoll und in meinen Augen wurde da Geschichte geschrieben.

Vielen Dank an Sally für das Interview!

Verlinkt und auf einen Blick:

Webseite zu „The Uprising of Women in the Arab World“
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