Eine ganz normale Woche

Foto , cc BY 2.0 , by perspicacious

INHALTSWARNUNG: Gewalt, Stalking, Belästigung

 

Vor einiger Zeit kam mir die Idee, mal eine Woche herauszugreifen und einen Blick auf die feministisch interessanten Stories aus der Tech- und Nerd-Welt zu werfen. Die Woche, die ich mir ausgesucht habe, ist die dritte Aprilwoche 2014. Daraus drei Geschichten, die ich nicht deswegen zusammengetragen habe, weil sie miteinander unmittelbar vergleichbar wären, sondern weil sie ein – leider – alltäglich gewordenes Spektrum abdecken.

Github

Anfang der Woche veröffentlichte Github die Ergebnisse einer internen Untersuchung, die auf den Weggang der Entwicklerin Julie Ann Horvath gefolgt war. Horvath berichtete von Sexismus und Belästigungen am Arbeitsplatz, die sie in einem Artikel auf TechCrunch näher beschrieb, und die sie zur Kündigung zwangen. Tom Preston-Werner, einer der Mitgründer und Führungspersönlichkeit von Github, stand neben anderen Github Mitarbeitern im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die von Github zusammengestellte Untersuchung kam zum Schluss, es gäbe keine Belege für die von Horvath beschriebenen Sachverhalte. Des Weiteren gäbe es keine Anzeichen für “rechtlich relvantes” Fehlverhalten, wohl aber für Fehler und Fehleinschätzungen seitens Preston-Werner. Letzterer nutzte den Zeitpunkt, Github zu verlassen und etwas früher als geplant eine neue Firma zu gründen. Die Unterstützung seiner Venture Capital-Kontakte scheint ihm dabei recht sicher. Darüber hinaus droht er mit rechtlichen Schritten.

Kritik an der Untersuchung gibt es einige. Interessant ist zum Beispiel, dass jeder Server-Ausfall bei Github transparenter und detailierter beschrieben wird, wie Mandy Brown richtig anmerkt. (Eine Kritik, auf die Github später auch noch reagierte.) Wie mit Julie Ann Horvath umgegangen wurde, sendet auch ein wichtiges Signal an alle anderen Frauen, die im Tech-Sektor arbeiten, schreibt Ellen Chisa. Sie ärgert sich darüber, dass sie Angst haben muss, ihren Job zu verlieren oder als “schwierig” zu gelten, wenn sie auf Diskriminierung am Arbeitsplatz hinweist: “Right now, the industry is telling me ‘if anything bad happens to you, we’ll throw you out instead of trying to address it.’” Auf “The Mary Sue” sammelt Brianna Wu weitere Stimmen und Aspekte, wie zum Beispiel die laut Horvath fragwürdigen Details der Untersuchung und die Parallelen zur Situation von Frauen in der Videospiel-Industrie.

Das Echo jenseits der feministischen Blogger_innen ist eher ernüchternd. Die Fachpresse berichtet über einen Rücktritt und die reine Weste von Github, in den Kommentarspalten findet man die spöttischen Aussagen, die man dort erwartet. In Deutschland schreibt Felix von Leitner in seinem – innerhalb der deutschen Nerd-Szene durchaus einflussreichen – Blog, die “Empöreria” hätte “wieder einen Manager den Arbeitsplatz gekostet” und nimmt damit vermutlich Bezug auf Brendan Eich, der nach Diskussionen um seine 2008 getätigte Spende zugunsten der homophoben “Proposition 8” von seinem eben erst angetretenen Firmenchef-Posten zurückgetreten ist. Des Weiteren nutzt er die Gelegenheit, sich über Privilegien lustig zu machen und hält wie viele andere Internet-Kommentatoren einen anonymen Blogpost für ebenso glaubwürdig wie die Beschreibungen von Horvath, die im Gegensatz zu anonymen Bloggern tatsächlich Konsequenzentragen muss.

RadiumOne

Zurück zu Kalenderwoche siebzehn. Gurbaksh Chahal, Multimillionär und Firmen-Chef von der Online-Werbeplatfrom RadiumOne, wurde wegen häuslicher Gewalt und Körperverletzung zu drei Jahren auf Bewährung, einem Anti-Gewalt-Training und 25 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt. Ein Überwachungs-Video, das Chahal dabei zeigt wie er seine Freundin 117 Mal schlägt und tritt, wurde nicht als Beweismittel zugelassen, was erklärt, warum 45 schwerere Anklagen fallen gelassen werden mussten. Der “Ernst & Young Entrepreneur Of The Year”-Preisträger rechtfertigt sich auf seinem Blog damit ihm wäre sein “Temperament” durchgegangen, als er erfahren habe, seine Freundin würde gegen Geld mit anderen Männern schlafen. Des Weiteren sei er aber unschuldig. Einen seiner Firmenpartner zitiert er mit “Let the haters hate and move on. This will blow over very quickly and we focus on the IPO. Don’t let them get to you. Don’t respond. I know it sucks but i think this is the right way fwd. Stay strong amigo. I feel for you.” (Lass die Hasser hassen. Das geht schnell vorbei und wir konzentrieren uns auf den Börsengang. Antworte nicht. Ich weiss, es ist doof, aber das ist der richtige Weg. Du hast mein Mitgefühl.) Nun macht er das Internet und die Medien dafür verantwortlich, dass er nach der Verurteilung doch seine Chefposition aufgeben muss.

Jeff Atwood

Des Weiteren machte noch Jeff Atwood, bekannt als Mitgründer der Programmier-Hilfebörse Stack Overflow und durch sein Blog “Coding Horror”, von sich reden. Atwood verfasste einen Artikel mit dem Titel “What can men do?” über das Thema Seximus in der Tech-Branche und was Männer dagegen tun könnten, nachdem er einen gleich betitelten Artikel der Autorin Shanley Kane als “zu wütend” und nicht der Sache dienlich bezeichnet hatte. Tone-policing an diesem lesenswerten Artikel ist zwar nichts Neues. Aber Atwood steigert sich dem gegenüber noch, indem er – ohne erkennbare Recherche – herrklärt, dass für Sexismus im Tech-Sektor als wesentliche Ursachen unter anderem das Asperger-Syndrom, Alkohol und Beziehungen am Arbeitsplatz verantwortlich seinen. Gleichzeitig scheint er mit der Übernahme des Titels von Kane natürlich verdeutlichen zu wollen, dass sein Artikel die neue, verbesserte Version ihres Artikels ist und nimmt Verwechslungen bewusst in Kauf. Jacob Kaplan-Moss hat in seinem Blog die Kritik an Jeff Atwood grossartig zusammengefasst.

Und das alles in einer Woche

Ist also alles schlimm? Ja! Aber vereinzelt sieht man Fortschritt. In der Open-Source- und Gaming-Szene wächst die Zahl der prominenten Feminist_innen, Mainstream-Videospiel-Magazine veröffentlichen sexismus-kritische Reviews und selbst die PAX Konferenz – deren Mitorgansator in der Vergangenheit mehrfach negativ von sich reden machte – bemüht sich um kleine Schritte für eine gerechtere Nerd-Welt.

Besonders schade finde ich aber, wenn Menschen, die innerhalb der Nerd-Szene ganz klar Vorbildpostionen einnehmen, sich zunehmend deutlich gegen feministische Positionen oder gar persönlich gegen Feminist_Innen stellen. “Checkt mal eure Privilegien, ey!” ist neben “Triggerwarnung” zu einer Pointe ohne Witz geworden, die innerhalb von gewissen Nerd-Zirkeln Gelächter auslöst. Es wird sich öffentlich über geschlechtergerechte Sprache amüsiert, statt Misstände sichtbar zu machen. Die Sorge, die “Genderspasemacken” oder die “Femi-Taliban” würden unschuldige Nerds den Job kosten, bleibt scheinbar grösser als die Sorge um eine gerechte Gesellschaft. Neu ist das alles sicher nicht. Als eine zunehmend hinterfragte, konservative Position wird dies aber aus Trotz stärker artikuliert als noch vor ein paar Jahren, so ist zumindest mein Eindruck. Vielleicht verbirgt sich hier und da sogar eine komplexere Sicht der Dinge, artikuliert wird sie aber nicht. In jedem Fall ist es aber enttäuschend, dass so wenig Vorbilder dabei helfen, dass in der nächsten Kalenderwoche 17 weniger Missstände beklagt werden müssen.

Kommentare sind geschlossen.