Von der Redakteurin zur Programmiererin in einem Sommer: Rails Girls Summer of Code

Foto , by Anika

Dies ist ein Beitrag aus unserer Rubrik kleinergast, in der wir alle Gastartikel veröffentlichen. Dieses Mal kommt er von Anika.

Anika lebt in Berlin, mag Katzen, Code und macht sich gern die Finger beim Urban Gardening dreckig. Sie leitet die Travis Foundation mit der sie sich unter anderem für mehr Diversity in Open Source einsetzt.


Webseite der Travis Foundation @langziehor

„Egészségedre! – Auf deine Gesundheit!“ prosten Nicole und ich uns zu. Wir haben uns zufällig in Budapest wiedergetroffen und sitzen jetzt in einer ungarischen Bar bei einem Bier. Sie hat als ehrenamtliche Coach bei den Rails Girls Budapest anderen Frauen dazu verholfen, sich in die Programmiersprache Ruby zu verlieben. Ich bin in Budapest, weil ich eingeladen wurde, einen Vortrag über Frauen in IT zu halten. Das Thema verbindet uns.

Nicole und ich kennen uns von der Initiative „Rails Girls Summer of Code“, die ich letztes Jahr mit organisiert habe. Die Initiative vergibt 3-Monats-Stipendien an Lernende, die an Open Source-Projekten arbeiten. Nicole wurde für ein solches Stipendium angenommen und hat ihren Sommer 2013 vor allem am Computer verbracht. „Eigentlich habe ich als Redakteurin gearbeitet,“ erzählt sie und nimmt einen Schluck von ihrem Bier. „Aber die Löhne sind so gering und die Aussichten nicht so rosig. Als ich dann von den Rails Girls gelesen habe, dachte ich: ‘Toll, Programmieren wollte ich schon immer mal ausprobieren!’ Danach war ich total begeistert und wollte unbedingt weitermachen.“

Von Rails Girls zum Programmier-Sommer

Rails Girls bieten kostenlose Beginner-Workshops zum Programmieren an und richten sich vor allem an Frauen – Männer können sich auch bewerben, Frauen wird aber zunächst der Vorrang gegeben. Es gibt die Workshops mittlerweile in über 86 Städten weltweit, wie zum Beispiel Taipeh, New York, Amsterdam, Zürich, Hongkong, Wien oder Berlin. Dabei war das eigentlich gar nicht so gedacht. Die Finnin Linda Liukas hatte 2010 einen solchen Rails Girls Workshop in ihrer Heimatstadt Helsinki organisiert. Sie lernte zu der Zeit selbst Programmieren und wollte das mit anderen teilen. Was als einmalige Aktion für FreundInnen geplant war, ist dann durch den Ansturm von InteressentInnen und den Medien innerhalb weniger Zeit zur riesigen Initiative gewachsen.

Die Berliner Gruppe der Rails Girls habe ich mitbegründet, weil auch ich mich in einem solchen Workshop ins Coden verliebt hatte, und ebenso wie Nicole weiterlernen wollte. Ich war so hin und weg, als ich gemerkt habe, was alles möglich ist mit dem eigenen Computer. Dass ich meine Ideen mit Code selbst bauen kann (als allererstes eine “Gedichtmaschine” – ein kleines Programm, in das man Worte eingibt und welches dann daraus ein Gedicht bastelt), war für mich ein sehr großer Antrieb weiterzumachen.

Rails Girls besteht aus Beginner-Workshops, Follow-up-Events und wöchentlichen Projektgruppen. Die Workshops sind kostenlos und alle arbeiten ehrenamtlich. OrganisatorInnen und Coaches machen das in ihrer Freizeit und aus Freude am gemeinsamen Coden. Daher werden auch immer neue HelferInnen gesucht – sie werden in jeder Stadt mit offenen Armen empfangen.

Letztes Jahr im Frühling haben sich Coaches und OrganisatorInnen der Berliner Rails Girls getroffen und überlegt, was nächste Schritte für die Rails Girls Community sein könnten. So wurde bei Kaffee und Kuchen die Idee eines Summer of Code geboren. Ganz ähnlich des Google Summer of Code. Unser Konzept: Wir organisieren dreimonatige Stipendien für Frauen, die damit in Vollzeit an Open Source-Projekten arbeiten können und dabei ihr Programmierwissen weiter vertiefen. Anschließend reisen dann die StudentInnen zu Programmierkonferenzen auf der ganzen Welt und erzählen ihre Geschichten, tragen den Rails Girls-Funken weiter und inspirieren andere.

Gedacht, getan! Die Initiative wurde letztes Jahr innerhalb von zwei Monaten gegründet, ein Orgateam geformt, Coaches und Mentoren an Bord geholt, mehrere Websiten gebaut, Projekte für die StudentInnen gesammelt, Sponsoren gesucht und die Werbetrommel gerührt. Tatsächlich haben viele bekannte Firmen die Idee sofort unterstützt. Mit dem Geld konnten letztes Jahr neunzehn Stipendien finanziert werden. Das waren sogar neun mehr, als wir uns zum Ziel gesetzt hatten!

Bisher nur 1,1 % Frauen in Open Source

Ich konnte als Organisatorin hautnah miterleben, wie das Projekt zu einem großartigen Schritt Richtung mehr Vielfalt in Open Source geworden ist. „Ist doch krass: Nur 1,1% der Menschen, die an Open Source arbeiten, sind Frauen.“ Jedes Mal, wenn ich das in meinem Vortrag erzähle, finde ich es immer noch eine absurde Zahl und schüttle den Kopf. Der schöne Teil ist aber, dass sich das mit Initiativen wie Rails Girls Summer of Code langsam ändern kann. Die StudentInnen haben an vielen Open Source-Projekten mitgearbeitet, sie weiterentwickelt und teilweise sogar selbst angestoßen, so gab es zum Beispiel ein Team, das ein Job Board für Open Source Jobs baute. Außerdem bereichern sie die Community mit ihren verschiedenen Lebensläufen: wir hatten Frauen an Bord, die Fotografinnen waren oder vorher im Marketing gearbeitet haben, Aktivistinnen, Regisseurinnen oder Human Computer Interaction studierten. Oder die eben im Verlagswesen gearbeitet haben, wie Nicole.

Dieses Stipendium war für Nicole die perfekte Gelegenheit, mehr zu lernen und ins ProgrammiererInnen-Dasein zu schnuppern. „Das ging irgendwie ganz schnell. Ich hatte im Mai an meinem ersten Rails Girls Workshop teilgenommen und dort vom Summer of Code gehört. Das kam mir in meinem Leben dann gerade recht.“ Sie hat über die Berliner Mailingliste ihre Teampartnerin gefunden. Bewerbungen von Teams werden favorisiert, da als Team eine stärkere Lernerfahrung und ein besserer Fortschritt möglich ist. „Laura kommt eigentlich aus Chicago und hat als Aktivistin gearbeitet, sich für Frauenrechte eingesetzt und gekämpft“, erzählt Nicole. Ihrem Team haben sie dann auch den Namen „Rails Grrrls“ gegeben. In ihrem Blog haben sie ihren Sommer festgehalten und darüber geschrieben, was es für sie bedeutet hat, drei Monate vollzeit zu programmieren. Der Sommer hat ihr Leben verändert, wie im Film. Auch Laura geht es so. Sie beginnt jetzt als Junior Developer bei Thoughtworks. Nicole hat gerade ein begehrtes Praktikum bei SoundCloud beendet und sucht jetzt einen Job in Berlin – als Programmiererin, nicht mehr als Redakteurin.

Mach mit: Der Summer of Code geht weiter

Die meisten StudentInnen aus dem letzten Jahr können ähnliches berichten und arbeiten jetzt im IT-Bereich. Weil das Ganze so ein durchschlagender Erfolg war, soll Rails Girls Summer of Code von jetzt an jedes Jahr stattfinden und damit noch mehr Frauen dieselbe Möglichkeit eröffnen wie Nicole, Laura und den anderen TeilnehmerInnen.

Auch dieses Jahr sind wieder Programmier-EnthusiastInnen aus der ganzen Welt eingeladen, sich zu bewerben und können das noch bis zum 2. Mai tun. Bis dahin haben die zukünftigen TeilnehmerInnen Zeit, TeampartnerInnen zu finden, ein Open-Source-Projekt und Coaches. Dann: Bewerbung abschicken und Daumen drücken!

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Für mich bedeutet es, dass jetzt wieder eine der aufregendsten Zeiten des Jahres bevorsteht. „Es ist echt Wahnsinn, was alles auf die Beine gestellt wurde in so kurzer Zeit“ sagt Nicole. Zusammen mit ganz vielen wunderbaren Menschen, Konferenzen und Unternehmen, die sich alle dafür einsetzen, dass Rails Girls Summer of Code auch dieses Jahr wieder stattfinden soll, haben wir eine Crowdfunding-Kampagne vorbereitet, die heute startet. Wir hoffen, so wieder 19 Stipendien finanzieren zu können. Daher heißt das jetzt auch für uns: Daumen drücken, dass wir unser Ziel erreichen!

Ich schaue Nicole an, die sich in unserem Gespräch die Namen von Berliner IT-Firmen notiert hat und denke, dass es sich die ganze Arbeit so unglaublich lohnt. Etwas so Großes verändern zu wollen wie den Frauenanteil in technischen Berufen, ist eben leider kein To-Do, was sich mal eben schnell abhaken lässt.

Es ist für mich ein Versprechen auf lange Zeit.

„Egészségedre“ prosten wir uns noch einmal zu und grinsen. Auf einen wunderbar verrückten, lebensverändernden Sommer!

Damit wir dieses Jahr auch wieder vielen Frauen einen solchen Sommer ermöglichen können, brauchen wir Hilfe, um die Stipendien zu finanzieren! Hier könnt ihr uns unterstützen: railsgirlssummerofcode.org/campaign

Ins Programmieren reinschnuppern könnt ihr bei z.B. bei Rails Girls Workshops. Es gibt auch andere Initiativen wie z.B. OpenTechSchool, die AnfängerInnenworkshops für HTML, JavaScript, CSS und vieles mehr kostenlos anbieten.

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