So oder so ähnlich, jeden Tag

Foto , CC BY 2.0 , by olgaberrios

Am vergangenen Sonntag wurden im amerikanischen Ort Steubenville (Ohio) zwei jugendliche Footballspieler wegen einer Vergewaltigung im August 2012 zu Gefängnisstrafen verurteilt. Auch in Deutschland wird über den Fall berichtet, doch einen Kommentar dazu, wie damit in der amerikanischen Gesellschaft und den dortigen Medien umgegangen wird, gibt es nicht. Obwohl er exemplarisch ist und Rape Culture keineswegs nur eine Theorie. Der Begriff wird verwendet, „um eine Kultur zu beschreiben, in der Vergewaltigung und sexuelle Gewalt weit verbreitet sind, und in der vorherrschende Einstellungen, Normen, Praktiken und Medien sexuelle Gewalt normalisieren, entschuldigen, tolerieren, oder sogar gutheißen.

Die beiden Verurteilten sind Mitglieder von Steubenvilles erfolgreicher High-School-Mannschaft und hielten sich in dieser Position offensichtlich für unverwundbar. Letzten Sommer vergewaltigten sie eine betrunkene sechzehnjährige Mitschülerin, die währenddessen bewusstlos war und sich nicht einmal an den Vorfall erinnerte. Sie erfuhr davon, weil Fotos der Tat im Internet veröffentlicht wurden. Trotzdem sagte man ihr später, sie habe dem Sex zugestimmt, weil sie sich nicht explizit davon distanziert hatte und ein Anwalt der Verteidigung behauptete, es sei ihre Entscheidung gewesen, mit den Jungs mitzugehen, was man als Einverständnis zum Sex sehen könne. Obwohl Augenzeugen berichteten, man habe das Mädchen bewusstlos an Armen und Beinen davongetragen – wie ein Bild auf Instagram zeigte – und in diesem Zustand auch sexuell missbraucht.

Es ist nichts Neues, dass versucht wird, vergewaltigte Frauen auf diese Art einzuschüchtern. Im Fall eines Football-Spielers der Universität von Montana, der Anfang des Monats von der Vergewaltigung freigesprochen wurde, obwohl ihm klar war, dass er Sex ohne Einwilligung hatte, gibt es Notizen des Opfers, das aufgrund des Drucks von außen Überlegungen anstellte, ob es insgeheim nicht doch dem Geschlechtsverkehr zugestimmt hatte. Zum Beispiel, weil es sich nicht genug zur Wehr setzte. In Deutschland undenkbar? Letzten September wurde vor dem Landgericht in Essen ein Mann freigesprochen, weil sich das 15-jährige vergewaltigte Opfer nach Ansicht des Gerichts nicht wehrte und durch eine geöffnete Türe hätte weglaufen können.

In Steubenville halten viele Menschen zu den Tätern. Der Polizeichef hatte Schwierigkeiten, in der nach Football verrückten Stadt Zeugen zu finden und die Familie des Opfers wurde dafür kritisiert, den Fall nicht für sich behalten zu haben. Der Bloggerin Alexandria Goddard ist es zu verdanken, dass die im Netz veröffentlichten Dokumente auch nach dem Löschen erhalten blieben und sie der Polizei so Namen von Zeugen liefern konnte. Alexandria Goddard und Menschen, die in ihrem Blog kommentierten, wurden daraufhin wegen Diffamierung angeklagt. Im Januar veröffentlichte Anonymous ein Video aus der Tatnacht, das betrunkene Jugendliche zeigt, die sich in schlimmster Weise über das Mädchen und die Vergewaltigung lustig machen. Um Ruhe in den Fall zu bringen, zu informieren und Objektivität zu gewährleisten, legte die Stadtverwaltung von Steubenville im gleichen Monat eine Seite mit Fakten an.

Mitgefühl an der falschen Stelle

Als am Sonntag das Urteil verkündet und die Angeklagten zu Jugendhaftstrafen verurteilt wurden, lag der Fokus der Berichterstattung auf den beiden jungen Männern. Es wurde gezeigt, wie sie im Gerichtssaal zusammenbrachen und die Reporterin von CNN berichtete beispielsweise mit deutlichem Mitgefühl, wie aufwühlend es gewesen sei, als die beiden Jugendlichen erfuhren, dass ihre Leben zerstört seien – nach dem Recht in Ohio werden beide für immer als Sexualstraftäter geführt –, obwohl sie doch als Football-Spieler und gute Schüler eine so vielversprechende Zukunft gehabt hatten. Dass die beiden Jugendlichen mit der Vergewaltigung das Leben ihres Opfers zerstört haben, wurde nicht erwähnt.

mediasteubenville

 

Neben erleichterten Tweets von Aktivisten und Aktivistinnen wurden im Internet sofort auch jene Stimmen laut, die die Schuld nach wie vor bei dem Opfer sehen: „Die Steubenville-Gesichte ist nur all zu vertraut. Ladies, übernehmt Verantwortung für eure Taten bevor eure betrunkenen Entscheidungen unschuldige Leben zerstören“ oder „Um nicht vergewaltigt zu werden, sollte man sich vielleicht einfach nicht bis zur Besinnungslosigkeit betrinken.“ Eine Antwort hierauf findet sich in diesem Text von Jessica Valenti und Jaclyn Friedman über Einvernehmen zum Sex: „Das Fehlen eines „Neins“ ist nicht das Gleiche wie das Vorhandensein eines „Jas“.

Hinzu kommt, dass entgegen der üblichen Praxis bei Berichterstattungen über Vergewaltigungen von MSNBC, Fox News und CNN der Name des Opfers gesendet wurde, ohne ihn mit einem Piepton zu überlagern. Mittlerweile wurden zwei Mädchen festgenommen, die der Schülerin öffentlich Gewalt angedroht haben.

Alle können das Böse sehen

Vergewaltigungen wie in Steubenville sind leider keine Ausnahme. Was sie jedoch besonders macht, ist die Tatsache, dass es vom Verbrechen selbst so viele Dokumente gibt: Fotos und Videos, aufgenommen von Zeugen und den Tätern selbst. Sie sind Trophäen, kursieren im Internet und alle können dabei zuschauen, wie viel Spaß es den Tätern bereitete, ihr Opfer zu quälen. Laurie Penny bezeichnet den Fall in Steubenville als den Abu-Ghraib-Moment der Rape Culture. So oder so ähnlich finden täglich und weltweit Vergewaltigungen statt.

Sie schreibt: „Die Bilder aus Steubenville zeigen nicht nur ein Mädchen, das vergewaltigt wird. Sie zeigen, dass Vergewaltigung verzeihbar ist, dass dazu angespornt und die Vergewaltigung sogar gefeiert wird.“ Laurie Penny fragt zu Recht, was für eine Art von Gesellschaft das ist, die zulässt, dass solche Bilder entstehen können und findet folgende Antwort: „Nur eine, in der die Autonomie von Frauen und ihr Recht auf Sicherheit so wenig zählen, dass die Vergewaltiger und jene, die die Kameras hielten, sich völlig im Recht fühlten. Nur eine, in der Vergewaltigung und sexuelle Erniedrigung von Frauen so selbstverständlich sind, dass sie in den Köpfen der Angreifer nicht als Verbrechen angesehen werden. Nur eine, in der Opfer kraftlos sind, zum Schweigen gebracht und abgewiesen wurden.“

Ihren Kritikern am Abu-Ghraib-Vergleich erklärt Laurie Penny auf Twitter, dass sie Rape Culture selbstverständlich nicht mit den Abu-Ghraib-Qualen oder rassistischen Lynchmorden in den USA gleichsetzen wollte, sondern lediglich die Funktion der Fotos als Trophäen.

Die Gesellschaft muss sich ändern

Die Bloggerin Zerlina Maxwell war kürzlich in einer Sendung zu sehen, in der die These vertreten wurde, Frauen müssten sich bewaffnen, um sich vor Vergewaltigungen zu schützen. Sie widersprach und erhielt dafür viele Anfeindungen. Natürlich kann es hilfreich sein, dass Frauen lernen, sich zu wehren. Aber es kann und darf nicht sein, dass Frauen sich verändern müssen – dies ist die Aufgabe der potentiellen Vergewaltiger und der Gesellschaft. Zerlina Maxwell zeigt fünf Möglichkeiten auf, wie dies gehen kann, ohne dass Frauen für jene Verbrechen verantwortlich gemacht werden, die an ihnen verübt werden:

1. Bringt jungen Männern bei, was einvernehmlicher Sex ist
2. Bringt jungen Männern bei, Frauen als Menschen anzusehen, und nicht als sexuelle Objekte, die zum Vergnügen der Mönner da sind
3. Bringt jungen Männer bei, wie sie ihre Männlichkeit auf eine positive Weise ausdrücken
4. Bringt jungen Männern bei, missbrauchten oder vergewaltigten Frauen und Mädchen zu glauben, die mit ihren Fällen an die Öffentlichkeit treten
5. Bringt jungen Männern bei, einzugreifen, wenn Sie Zeugen von Vergewaltigung oder sexuellem Missbrauch werden

Die Bloggerin Kim Simon geht noch einen Schritt weiter und adressiert ihre Vorschläge, wie Vergewaltigungen in Zukunft verhindert werden können, direkt an die Mütter, weil sie von Anfang an die Erziehung in der Hand haben. Darüber, dass hier die Väter unerwähnt bleiben, muss in diesem Fall wohl zähneknirschend hinweggesehen werden, denn selbstverständlich sind diese ebenso verantwortlich dafür, dass ihre Söhne lernen, freundlich und mutig zu sein. Sie sollten mit ihnen offen über Sex sprechen und ihnen erklären, wie sie sich und andere Menschen beschützen.

Rape Culture kommt im Steubenville-Fall auf sehr schlimme Weise zum Ausdruck. Aber Gerichtsurteile wie jenes in Essen, Hassmails und -tweets, die viele Feministinnen täglich erhalten, oder Menschen des öffentlichen Lebens, die Worte wie Opferabo salonfähig machen, zeigen, dass wir auch in Deutschland in solch einem Klima leben.

Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach, findet in diesem Zusammenhang auch Henry Rollins: „Erziehung, Wahrheit, Respekt, Gleichstellung – das sind die vier Dinge, mit denen man sehr gut von A nach B kommt.“

9 Antworten zu “So oder so ähnlich, jeden Tag”

  1. Robin Urban sagt:

    Vor allem sollte man jungen Männern beibringen, dass es im höchsten Maße unmännlich ist, sich über ein hilfloses Mädchen herzumachen…

    Bei dem Fall des freigesprochenen Vergewaltigers sollte man vielleicht noch erwähnen, dass das Mädchen sich zwar körperlich nicht gewehrt, aber „nein“ gesagt hat. Der Richterin (!) hat das nicht gereicht *kotz*

  2. dieKadda sagt:

    es sollten wirklich zuerst die Väter addressiert werden, denn bewusst oder unbewusst: Sie leben kleinen Jungen eben vor, was „Männlichkeit“ eigentlich ist. Wenn man sieht, wie sich manche Väter vor kleinen Kindern schon aufführen wie brünstige Affen, wundert einen halt auch kaum noch etwas.
    schockierend fand ich vor einigen Jahren eine Geschichte, bei der eine Mutter zu ihrem drei oder vier Jahre alten Sohn in einer Situation, wo ein Mädchen sehr deutlich „nein“ zu etwas gesagt hatte, meinte: „das wirst du schon noch lernen, aber wenn Mädchen nein sagen, meinen sie eigentlich ja“

    Rape Culture beginnt wohl wirklich sehr früh und dort, wo wir Jungen und Mädchen Dinge vermitteln. Dort anzusetzen ist wichtig.

    Aber die erwachsenen Männer dürfen wir dabei nicht aus den Augen verlieren. Der Umgang der Medien mit Fällen wie dem von Kachelmann oder auch Steubenville ist quasi eine Einladung, es einfach zu tun. Halten ja eh alle zu einem.

    Was die Gesellschaften ebenfalls sehr dringend brauchen ist eine neue Kultur im Umgang mit anklagenden Frauen und Mädchen. In meinem Bekanntenkreis allein sind viel zu viele Frauen mit Vergewaltigungserfahrungen und keine einzige hat angezeigt. Weil jede ziemlich genau weiß, was dann erst für ein Horror für sie losginge. Das kann einfach nicht sein.

  3. […] fünf Punkte auf, wie sexualisierte Gewalt durch Männer verhindert werden kann. Sie wurden von Maike auf kleinerdrei […]

  4. […] “Don’t teach women how to avoid being raped, teach men not to rape” oder ”Don’t teach us what to wear, teach your son not to rape” lauten deswegen viele Leitsprüche – nicht erst seit der brutalen Vergewaltigung in Steubenville: Statt Mädchen dazu zu erziehen, nicht vergewaltigt zu werden, sollen Jungen lernen, nicht zu vergewaltigen. Zerlina Maxwell zählt hierzu fünf Punkte auf, wie sexualisierte Gewalt durch Männer verhindert werden kann. Sie wurden von Maike auf kleinerdrei übersetzt: […]

  5. katrin h sagt:

    Wie kann das sein mit dem 15-jährigen Mädchen aus Essen? Abgesehen davon, dass ein „Nein, ich will nicht“ doch genügen muss, sie ist erst 15! Das müsste doch schon wegen Minderjährigkeit strafbar sein für einen so viel älteren Täter??

  6. onyx sagt:

    Ich bekomme langsam das Gefühl, die Justiz will Frauen gezielt einschüchtern, indem ihnen gesagt wird: Ihr müßt brutale Schlägerinnen werden, oder euch wird nie geglaubt, wenn ihr überfallen werdet. Nicht genug, dass man nicht zu nett sein, oder gar flirten darf, wenn man sich nicht die Mitschuld an einer sexuellen Übergriffigkeit oder schlimmerem anhängen lassen will. Nö, ein deutliches NEIN reicht auch nicht. Man muß schon um sich schlagen, kratzen, treten. Demnächst muß man erst noch eine Waffe ziehen und Leib und Leben des Täters bedrohen, damit der eigene Unwille auch als solcher anerkannt wird. Und dann gibt es immer noch Leute, die sich über den Begriff der Rape Culture echauffieren. Es wird immer absurder…

  7. […] andere sich das Recht Taten zu verurteilen, Aussehen und Charakter zu beurteilen? Besser noch: Woher nehmen Männer sich eigentlich das Recht Frauen zu vergewaltigen (weil man nicht klar und deutlich NEIN gesagt hat, einen zu kurzen Rock […]

  8. […] nicht nur krass, weil ich die sexistischen Muster wiedererkenne, sondern auch, weil ich staune, wie Rape culture, Victim Blaming, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, sexistische Schönheitsnormen und weibliche Vorbilder in […]

  9. […] Gewalt von Prominenten ausgeht. Dann fallen mir Fälle in meinem weiteren Bekanntenkreis ein. Oder Steubenville. Oder unzählige andere Beispiele. Die Reaktionen sind dabei eigentlich nicht so verschieden. Bei […]